Harald Schwaetzer und Marie-Anne Vannier in Verbindung mit Johanna Hueck, Matthias Vollet und Kirstin Zeyer (Hg.): Der Bildbegriff bei Meister Eckhart und Nikolaus von Kues. Texte und Studien zur europäischen Geistesgeschichte, Reihe B, Band 9. Münster: Aschendorff 2015, 268 S., 24 Abb. im Anhang --- ISBN 978-3-402-15996-5 --Das äußere Sehen ist nur der Zugang zu einem Teil von Realität, die „in Wirklichkeit“ viel umfassender ist. Für die Mystiker war darum das innere Sehen als Annäherungselement an das Göttliche entscheidend. Dies prägt dann menschliche Gottesbilder in all ihrer Vorläufigkeit und Hoffnungs-Vision. Mit dem Bild ist jedoch immer auch ein bestimmter Ausdruck, also Sprache verbunden. Dadurch gibt es die Möglichkeit, etwas zu benennen, also dem erahnt Gesehenen einen Namen zu geben. Die vorliegenden Texte sind aus zwei Tagungen im März 2012 entstanden, die diese „Doppelgesichtigkeit“ zum Ausdruck bringen: In Metz unter dem Titel „Imago in der Rheinischen Mystik“ und in Trier unter dem Titel „Die Namen des Namenlosen. Die Jagden des Nikolaus von Kues nach dem Unnennbaren“. Dass sich hier – besonders im Horizont von Meister Eckhart und Nikolaus von Kues – eine Reihe von Überschneidungslinien und geradezu Spiegelungen finden würden, war im Grunde zu erwarten und macht nun den Blick in die hier vorgelegten Texte besonders reizvoll. Die Herausgeber und Autoren dieses Sammelbandes sind als Religionsphilosophen bzw. Theologen ausgewiesene Kenner in diesem Themenfeld. Harald Schwaetzer lehrt an der Cusanus-Hochschule in Bernkastel-Kues, Marie-Anne Vannier, (katholische) Theologin von der Universität Metz ist Leiterin der Forschungsgruppe zur Rheinischen Mystik (Équipe de Recherches sur les Mystiques Rhénanes): http://maitre.eckhart.free.fr/base%20ermr/membres_ermr.html Mehrere Mitglieder dieser Gruppe sind darum als Autoren in diesem Band vertreten. Die Herausgeberin MarieAnne Vannier geht im Eröffnungsbeitrag Grund legend auf das Bildverständnis bei den Rheinischen Mystikern ein: Sie sind deshalb Bilderstürmer, weil sie mit ihrem intensiven Bibelbezug zugleich „zur Überschreitung der Bilder aufrufen, um zu dem einzigen Bild zu gelangen, der Ikone“ (S. 16). Dies ist als ein Ausdruck der Vision Gottes (in der Seele) zu verstehen. Mystiker, Maler und Theologen versuchen das „Eikon“ zu entdecken, zu erjagen … Der Theologe Yves Meesen (Universität Metz) versucht, dieses Bildverständnis am Kommentar Eckharts zum Prolog des Johannesevangeliums und an einer Predigt zu verdeutlichen: Der Mensch ist Ab-Bild des Göttlichen, während für Gott gilt: In ihm „sind das Sein, die Erkenntnis und der Wille in einem solchen Maße vereinigt, dass sie untrennbar sind. Für den Menschen ist diese Vereinigung Finalität …“ (S. 30). Isabelle Raviolo (in der Forschungsgruppe zur Rheinischen Mystik) „liest“ die Fresken Fra Angelicos in San Marco, Venedig, mit der hermeneutischen Hilfe Meister Eckharts. Es ist eine Bildpredigt zur Gottesgeburt in der menschlichen Seele, ein inneres An-Ziehen. Dies lässt sich am Symbol der Maria als Muttergottes zeigen. Der mystischen Anthropologie Heinrich Seuses geht Silvia Bara Bancel (Universität Comillas Madrid) nach. Das mittelalterliche Bildverständnis war ausgesprochen plural zwischen Darstellung und Erzählung. Für Seuse werden wichtig: Vorbild, Zeichnung (Illustration), Sinnspruch (Aphorismus), Darstellung (Figur, Skulptur), Symbol, Name (Vorstellung, Präsentation, Konzept), Idee. Der Mensch, nach dem Bild Gottes geschaffen, folgt auf dem Weg zu Gott seinem „höchsten Abbild“, das ist Jesus Christus. Das höchste Ziel jedoch, die Vereinigung mit Gott, geht auch über dieses Christus-Bild noch hinaus und wird schließlich „sola gratia“ durch „Entbildung“ erreicht. Wird hier auch die große Nähe zu Meister Eckhart deutlich, so bezieht sich Jean Devriendt (Straßburg) auf den Widerspruch im Bildverständnis von Meister Eckhart und Bonaventura. Der berühmte franziskanische Scholastiker und seine Schule halten am Abbild (figura) und an den Spuren (vestigia) fest. Mit dem Dominikaner Eckhart muss man dagegen auch die -„Figuren Christi … und die Täuschungen seiner Spuren verlassen“ (S. 99). Sie werden trans-figuriert. Den zweiten Bildkommentar in diesem Buch liefert Jean-Claude Lagarrigue (Straßburg) mit den Kreuzigungsdarstellungen von Matthias Grünewald (Isenheimer Altar) unter Berücksichtigung cusanischer Terminologie, besonders von dessen Osterpredigten her: Es ist die Neigung, aus dem Kreuz ein blendendes Bild zu machen – angesichts in Verzweiflung treibender Dunkelheit-Abgründe. Monique Gruber, ebenfalls in der Metzer Forschungsgruppe, bezieht sich auf Heinrich Seuses Stundenbuch der Weisheit. Dort beschreibt er, wie ihm die sapientia erschien und wie sie bildlich ergänzend umgesetzt worden ist. Es bedeutet die Gleichgestaltung mit Christus. Dazu muss man sich nicht nur an der Menschlichkeit Christi orientieren, sondern auch diese mediale Hilfe schließlich loslassen, „verjagen“. Es kommt schließlich sogar auf den Verzicht des inneren Sehens an. Dass solches Sehen vor dem Loslassen auch dieses Handelns nicht unwichtig ist, zeigt sich im Visio-Verständnis von Cusanus. Das hatte durchaus Folgen für die Malerei jener Zeit, wie Elena Filippi (Universität Ferrara) vorführt: „Beim Göttlichen Spiegel haben wir eine fortdauernde spiralförmige rechtsdrehende Bespiegelung zwischen Zentrum und Peripherie des Rades, und diese Widerspiegelung hat die mystische Erfahrung Gottes durch den Menschen zum Ziel; ihr Mittel ist das rasche Durchgehen der einzelnen Schritte – oder Spiegelchen – des christlichen Lebens bis zur Erlangung einer ganzheitlichen Vision, einer Zusammenfügung des Vielen in das eine speculum salvationis“ (S. 136). Man denke hier besonders an das visionäre Radbild des Niklaus von Flüe und an Hieronymus Bosch mit seiner Mesa de los peccatos mortales. Es sind versinn-bildlichte Kreisbewegungen der Todsünde.Wie aber soll man ein Bild des unsichtbaren Gottes erkennen? Der katholische Theologe Klaus Reinhardt (Universität Trier) bietet eine Antwort über den Vers aus Kol 1,15, weil Cusanus die „imago Dei“ von Christus her bestimmt – im Blick auf die menschlich-geschaffene und auf die göttlich-ungeschaffene Seele. Vielleicht ist er von Meister Eckhart dazu beeinflusst worden. Der Autor zitiert dazu aus Eckharts Sermo XI: „So ist also offenbar, dass das Wort aus Gott nach Art des Intellektes und nach Art der natürlichen Ähnlichkeit und des geistigen Bildes hervorgeht“ (S. 149).
1
Der Mitherausgeber Harald Schwaetzer kommt ähnlich wie Elena Filippi auf die Spiegelungen der menschlichen Seele zu sprechen. Ihm geht es aber mehr um das „Bild des >Spiegels ohne Flecken< als Ausdruck der göttlichen Weisheit“ (S. 158, vgl. Weisheit 7,26): Weil Gott als „non aliud“ (nicht anderes) benannt werden kann, zeigt die Spiegelung im menschlichen Subjekt dessen Endlichkeit an. Diese Endlichkeit erhält durch diese Spiegelung ihre Reinheit. „Subjektivität muss … zu einem reinen Spiegel der Idee werden“ (S. 160). „So wie der vollkommene Spiegel des Logos nichts anderes ist als die vollkommene Seele eines menschlichen Geschöpfs, so ist auch der menschliche Spiegel in der Möglichkeit nichts anderes als der göttliche Logos“ (S. 161). Die vorliegenden Texte zeigen in unterschiedlicher Weise nicht nur die Bezüge zu Meister Eckhart, sondern auch zur neuplatonischen Tradition der rheinischen Mystik. Die Philosophin Agniezka Kijewska (Universität Lublin) zeigt, wie der berühmte Gelehrte Johannes Scotus Eriugena (9. Jh.) die Unaussprechlichkeit (Ineffabilität) Gottes relational sieht. Weil man Gott nicht benennen kann, weil er in keine Kategorie passt, wird damit seine absolute existentiale und kognitive Transzendenz deutlich. Alle Beschreibungen haben darum nur metaphorischen Charakter (S. 178). Darauf hatte in der Gegenwart übrigens in besonderer Weise der englische Religionsphilosoph John Hick hingewiesen. Angesichts der Komplexität der cusanischen Gottesnamen versucht Catalina Cubillos Muñoz (Anden-Universität, Chile) eine Systematisierung, die sich allerdings als schwierig erweist: Wie soll man sagen, was Gott ist (quid sit Deus), wenn eigentlich alle Eigennamen Gottes unpassend sind. Aber die göttliche Unaussprechlichkeit verhindert paradoxerweise nicht, Gott in höchst extremer Vorläufigkeit zu benennen (S. 191), und zwar im Sinne der gelehrten Unwissenheit, der docta ignorantia. Damit sind die Benennungen Gottes (wie z.B. das Größte, Dasselbe, Nichts anderes, das Können Selbst) eigentlich keine göttlichen Namen, sondern sprachliche Geheimnisse; die über eine rationale Unterscheidung hinausgehen und damit zugleich die Transzendenz Gottes festhalten. In manchen dieser Überlegungen fühlt man sich durchaus an den großen evangelischen Theologen Karl Barth erinnert. Ein Gesichtspunkt, der immer wieder thematisiert wurde, erhält im Beitrag von Stephan Grotz (Universität Regensburg, ab September 2015 Kunstuniversität Linz) eine ausführliche Behandlung, nämlich der Zusammenhang von Name und Benennung im Blick auf die theologia negativa, vereinfacht gesagt: Wie lässt sich das Namenlose benennen und das Unbegreifbare begreifen? Cusanus hat gezeigt, dass man danach fragen darf, ja muss! Aber wie kann das angemessen geschehen? Dazu ist also eine besondere Wissensform nötig. Sie beschreibt Nikolaus in der docta ignorantia. Wahres Verstehen ist offenbar nur möglich durch den Zusammenfall der Gegensätze (coincidentia oppositorum). Koinzidenz bedeutet aber keineswegs, dass Gott mit irgendetwas identisch ist. Es wird noch komplizierter: „Absolute Identität meint demnach nicht bloß eine Sichselbst-Gleichheit unter Ausschluss jeder Andersheit, sondern zugleich den Ausschluss des Gegensatzes, der zwischen beiden Bezugsformen der Identität und der Differenz (Andersheit) besteht“ (S. 211). Gott begründet letztlich alle Bezugsformen (Relationen). Angesichts der Rationalität solcher Versuchs-Formulierungen der Gottesnamen scheint Poetik hier nicht vorzukommen. Wolfgang Christian Schneider (Universität Hildesheim) sieht das allerdings anders. Er verweist auf die Begrenztheit des kategorialen Denkens, wo das „Es könnte“ (possest), oder das „Nicht Anderes“ (non aliud) letztlich nicht zu verorten ist. Der Logos/die Weisheit, die bei der Erschaffung der Welt schon war, spielt und tanzt vor dem Angesicht Gottes. Sie entzieht sich jedem Zugriff, aber sie lässt sich bereits erahnen. So entsteht ein sinnenhafter Anstoß, „zum Göttlichen sich hinzuspielen“ (S. 226), den Nicht-Weg zu gehen und das Klatschen der einen Hand (wie im Zen-Buddhismus) zu hören. Mit Giordano Bruno (1548–1600) kommt nun ein weiterer Bezugspunkt zu Nikolaus von Kues ins Spiel, denn für den Dichter-Philosophen fallen im Sinne des Cusaners das Geringste und das Höchste zusammen. In der Komödie „Il Candelaio“ – so schreibt Gianluca Cuozzo (Universität Turin) stülpt sich der Narr die Maske des Malers über, um die Zweideutigkeit der Wirklichkeit zum Ausdruck zu bringen. Bruno setzt Malerei und Philosophie gleich: „Die Gegenwart des wahren und ewigen Einen … manifestiert sich in den Extremen“ (S. 236f). Sie berühren einander – Philosoph, Dichter und Maler ahnen dieses auf ihre Weise. Einen Blick in die Philosophie des 20. Jahrhundert wirft Kirstin Zeyer (Kueser Akademie für Europäische Geistesgeschichte). Sie setzt sich mit Ernst Cassirer (1874–1945) im Zusammenhang seiner Philosophie der symbolischen Formen deshalb auseinander, weil dieser sich mit seinem Menschenverständnis immer wieder auf Cusanus bezieht. Der Kulturphilosoph zeigt nämlich in der Phänomenologie des Geistes, wie die Vielnamigkeit Gottes „in das helle Licht der Sprache“ eintritt (S. 249) – beispielhaft verdeutlicht z.B. bei Isis und bei Allah. Dem Begreifen, Erkennen und Verstehen geht also das Benennen voraus (S. 251). In dieser Weise erkennt sich der Mensch (wie schon Cusanus festhielt) als geistiges Individuum. Bilanz: Dieses nicht leicht zu lesende Buch ist jedoch deshalb von großer Wichtigkeit. Hier wird von zwei zentralen Theologen des Mittelalters eine phänomenale Pluralität und Differenziertheit entwickelt. Sie dient dem Versuch, sich dem Geheimnis des Göttlichen anzunähern. Dies geschieht vorläufig und durchaus widersprüchlich, wenn es um Benennung des Göttlichen geht. Chancen und Anregungen mit Hilfe von Metapher, Bild und Symbolik geben Hinweise, dass das Göttliche bei aller Konzeptualisierung nur im Paradox annäherungsweise zugänglich und im Bild metaphorisch ausdrückbar ist. Dankenswerterweise kann man die in den Aufsätzen angesprochenen Bilder am Schluss des Bandes anschauen – eine wichtige Hilfe angesichts der vielfältigen Verstehensmöglichkeiten zwischen „Bild“ und „Ikone“. Um die Autoren wenigstens etwas besser kennenzulernen, wäre eine kurze Vorstellung der Beitragenden sinnvoll gewesen. Denn die Forschenden zur rheinischen Mystik manifestieren einen wichtigen Abschnitt europäischer Geistesgeschichte – gerade auch im Blick auf gegenwärtige Debatten zur Gottesfrage. Reinhard Kirste, Rz-Schwaetzer-Eckhart-Kues-Bild, 31.08.15
2
Comments
Report "Der Bildbegriff bei Meister Eckhart und Nikolaus von Kues "