neue Bildmedien auf – aber sie entstehen nicht aus dem Nichts. Sie bilden sich allmählich heraus, in einem komplexen Wechselspiel von technologischen und sozialen, ästhetischen und epistemologischen Faktoren. Die Beiträge des Bandes widmen sich diesem Wandel der Bildformen, der im Zuge der Digitalisierung eingeleitet wurde, und reflektieren ihn aus verschiedenen medienhistorischen und medientheoretischen Perspektiven.
Bildwerte Visualität in der digitalen Medienkultur
Gundolf S. Freyermuth, Lisa Gotto (Hg.)
Mit dem Übergang von der industriellen zur digitalen Kultur kommen
Bildwerte
Gundolf S. Freyermuth, Lisa Gotto (Hg.)
BildundBit
Inhalt
Vorwort | 7
I BILD UND BIT : UMBRUCH Sich ein Bild machen oder »Im Bilde sein«. Die guten alten Bilder und die digitale Bildrevolution Jochen Hörisch | 15 Die »Rückkehr« der 3D-Bilder. Zur Logik und Genealogie des Bildes im 21. Jahrhundert Thomas Elsaesser | 25
II STEHENDES BILD : STATISCHE VISUALITÄT Der Beweis, das Schweigen, der Gebrauch und der Tod. Vier Streifzüge durch die Fototheorie Jörn Glasenapp | 71 »Being There!« Epistemologische Skizzen zur Smartphone-Fotografie Wolfgang Hagen | 103
III BEWEGTES BILD : DYNAMISCHE VISUALITÄT Weiß werden. Filmische Schneebilder Lisa Gotto | 135 Bildlichkeit und Televisualität Angela Keppler | 161
Augen im Fenster. Elemente der intermedialen Rekonfiguration des Fernsehens im Kontext digitaler Öffentlichkeiten Stefan Münker | 173 Zur Chemie des Bildes. Bemerkungen über B REAKING B AD Lorenz Engell | 195
IV VIRTUELLES BILD : INTERAKTIVE VISUALITÄT Uncharted. Überlegungen zur Bildlichkeit des Computerspiels Thomas Hensel | 209 Die All-Null. Vorgeschichten des digitalen Horizonts bei Google Earth Ulrike Bergermann | 237
V BIT UND BILD : AUFBRUCH Symbiosis yet? Koevolution der Grenzfläche Mensch / Medium Frank Hartmann | 259 Der Big Bang digitaler Bildlichkeit. Zwölf Thesen und zwei Fragen Gundolf S. Freyermuth | 287
Autorinnen und Autoren | 335
Der Big Bang digitaler Bildlichkeit Zehn Thesen und zwei Fragen G UNDOLF S. F REYERMUTH
Der vertraute perspektivische Bildraum implodiert und explodiert zugleich. Die Erfahrung der Explosion vermitteln digitale 3D-Audiovisionen mit ihrer Überschreitung der Grenzen von Leinwand und Bildschirm in Richtung Publikum, dem sie gewissermaßen in die Augen springen. Komplementär zu dieser D3DBildlichkeit bewirkt die Einführung von so genannten Natural User Interfaces (NUIs), insbesondere Touch- und Gestensteuerung, eine Implosion: den Kollaps jenes separierten perspektivischen Bildraums, den analoge Medientechnik vor und hinter den Bildern teils durch Distanz evozierte, teils durch physische Abtrennung etablierte.1
1
Diese Beobachtung leitete bereits eine Reihe von Vorstudien ein, auf denen der vorliegende Aufsatz basiert; u. a. meine Vorträge »Der Big Bang digitaler Bildlichkeit« (Jubiläumsveranstaltung 10 Jahre ifs – internationale filmschule köln, Köln, 16. September 2010), »Jenseits der Linearperspektive – 3D, Touch und die Zukunft der Audiovisualität« (eDIT Film Lectures des eDIT Filmmaker’s Festivals, Frankfurt a. M., 26. September 2010), »Die Emergenz des digitalen Bildraums – Von Separation und Rahmung zu Integration und Immersion« (Immersion: Historische und zeitgenössische Perspektiven auf einen Schlüsselbegriff der Kunst- und Medienwissenschaften, Munich Arts Research Centre, LMU München, 17. Juni 2011), »The Big Bang of Digital Visuality: 3D, Touch & Gesture in the Context of Modern Media History« (3DSymposium BEYOND 2012, Zentrum für Kunst und Medientechnologie der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe, 22. Juni 2012) sowie »Der Big Bang digitaler Bildlichkeit. 3D im Kontext der neuzeitlichen Mediengeschichte«, in: Schnitt 3 (2010), S. 12-15, http://www.schnitt.de/211,0059,01
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Seine Bedeutung gewinnt dieser augenfällige Wandel, wenn er medienhistorisch kontextualisiert wird, wenn also die aktuellen Anstrengungen, D3D und NUIs zu etablieren, als Teil eines umfassenderen und langfristigeren Umbruchs begriffen werden: der Dekonstruktion analoger (Audio-)Visualität und der Emergenz eines neuen digitalen Mediendispositivs. Dessen zentrales medienpraktisches Kennzeichen ist bekanntlich die Integration der analogen Einzelmedien ins digitale Transmedium, i.e. der sogenannte digitale Medienverbund basierend auf Prozessen medientechnologischer Konvergenz. »[T]he media-specific distinctions between cinematic, televisual and computer media have been eroded beyond recognition by the digital technologies that have transformed them«, schreibt etwa Anne Friedberg.2 Theoretisch resultiert aus diesem Wandel der ästhetischen Praxis die Notwendigkeit einer transmedialen Perspektive, welche die Medien wie die auf ihnen basierenden Künste nicht länger nach jenen überholten Kategorien trennt, die einst die analogen Mittel und Medien der Bild- und Tonproduktion vorgaben.3 Was der aktuelle Big Bang digitaler Audiovisualität bedeutet, sowohl im Kontext der Medientheorie als auch im Kontext der Medienproduktion, dieser Frage gehe ich mit Blick auf ein zentrales Element nach, das den (audio-) visuellen Medien in der Phase ihrer Digitalisierung gemeinsam scheint: dem Streben nach Steigerung psychischer wie physischer Immersion. Sie wiederum verbindet sich mit der Dekonstruktion des vertrauten analogen und der Emergenz eines neuen digitalen Bildraums. Diesen Prozess werde ich in drei Schritten und zehn Thesen skizzieren: •
•
Zuerst bestimmt ein Rundblick auf unsere Gegenwart, die Frühphase digitaler Medialität, den Status quo und drei dominierende Entwicklungsstränge: Hyperrealismus 2D/3D, Multi-/Nonlinearität und Interaktion/Interfaces (1 Am Anfang digitaler Medialität). Zweitens analysiert ein Rückblick auf die Ausbildung des neuzeitlichen – analogen – Bildraums seine medientechnische wie medienästhetische Konstruktion zwischen Renaissance und Postmoderne nach dem Prinzip der Se-
2
Friedberg, Anne: The Virtual Window: from Alberti to Microsoft, Cambridge, Mass.:
3
Vgl. zum Desiderat transdisziplinärer Konzepte, welche die engen Fachgrenzen etwa
MIT Press 2006, S. 3. von Kunst- und Filmwissenschaft, Foto-, Radio-, Fernseh- oder Games-Theorie überwinden, den Abschnitt »I Transmedialität // Perspektive« in: Freyermuth, Gundolf S.: »Cinema Revisited. Vor und nach dem Kino – Audiovisualität in der Neuzeit«, in: Daniela Kloock (Hg.), Zukunft Kino, Marburg: Schüren 2007, S. 15-40, hier S. 15f.
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•
paration sowie seine um die Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts einsetzende Infragestellung (2 Visualität zwischen Renaissance und Postmoderne). Drittens versammelt ein Ausblick Elemente und Charakteristika des emergierenden digitalen Bildraums mit seinen dominierenden Entwicklungssträngen Transmedialität, Augmentierung und Immersion (3 Visualität im frühen 21. Jahrhundert).
Ein Epilog resümiert dann, was an Einsichten gewonnen werden konnte, um mit zwei Fragen zur Zukunft linearer und nonlinearer Audiovisualität zu schließen (Epilog).
1 A M A NFANG
DIGITALER
M EDIALITÄT . R UNDBLICK
Unter medienhistorischer Perspektive indiziert die eingangs als audiovisueller Big Bang beschriebene Entwicklung den Eintritt in die dritte Stufe digitaler Medialität – die Reife des virtuellen Transmediums. Denn in der Neuzeit kannte die Durchsetzung neuer Medien in der Regel drei Stufen beziehungsweise sich partiell überlappende Phasen: Nach der experimentellen Entwicklung zentraler technologischer und ästhetischer Elemente pflegt die Rationalisierung der tradierten durch die neuen medialen Verfahren einzusetzen, bis schließlich auf der dritten Stufe die Realisierung des genuin innovativen Potenzials der neuen Medien gelingt.4
4
Ökonomisch beschreibt John Naughton eine andere, partiell vergleichbare Dreistufigkeit der Durchsetzung digitaler Technologie: »It starts with enabling companies to do more efficiently what they already do with their premises-based IT systems. Next it enables them to do things that they had not hitherto been able to do at all. And finally they will be able to use the IT platforms they have constructed in the cloud to move into industries that were hitherto closed to them.« (Naughton, John: From Gutenberg to Zuckerberg: What You Really Need to Know about the Internet, London: Quercus (Kindle Edition) 2012, loc. 2592.) – Naughton ignoriert die Phase der experimentellen Entwicklung. Seine erste Phase – Einsatz der neuen Mittel zu alten Zwecken (Effizienzsteigerung) – entspricht daher der zweiten Phase im Hinblick auf die Durchsetzung neuer Medien. Seine zweite und dritte Phase – Einsatz der neuen Mittel zu neuen Zwecken (interne Innovation) sowie Einsatz der neuen Mittel zur Expansion auf neues Terrain (externe Innovation) – korreliert der obigen dritten Phase und gibt insofern einen Hinweis darauf, wie sie sich detaillierter analysieren ließe.
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Ein Beispiel für einen solchen dreistufigen Verlauf lieferte gleich zu Beginn der Neuzeit neben dem Buchdruck auch die Durchsetzung des perspektivischen Tafelbilds. In der ersten Phase entstanden einzelne Elemente, etwa mechanische Verfahren zur Herstellung von Leinwand und Ölfarben, die Grundlagen der mathematischen Perspektivtechnik, eine Vielzahl handwerklicher Techniken zur Verbesserung perspektivischer Illusion sowie mechanische Malmaschinen. Mit der Komplettierung des medialen Dispositivs begann im Übergang von Bildtafel und Fresko zum Tafelbild als visuellem Leitmedium dann die Rationalisierung der Bildproduktion. Sie beschränkte sich zunächst auf die schnellere, billigere und vereinfachte, also zuverlässigere Verfertigung der tradierten, primär christlichen Motive. Erst in der dritten Phase gelang die Nutzung der besonderen Qualitäten, die das neue Medium technisch wie ästhetisch den älteren Verfahren voraus hatte. So bewirkte etwa der Umstand, dass Tafelbilder im Vergleich zu Fresken billiger herzustellen und auch transportabel waren, eine Blüte bürgerlich-säkularer Malerei und ihre sukzessive Überantwortung an den Markt, also Prozesse von Privatisierung und Personalisierung. Digitale Ästhetik Vergleichbare Dreischritte – begleitet jeweils von Gegen- und Rückwärtsbewegungen – prägten Jahrhunderte später die Durchsetzung der industriellen Medien Fotografie, Film und Fernsehen. Die Vermutung liegt daher nahe, dass die gegenwärtige Digitalisierung der Medien nicht anders als einst ihre Mechanisierung und Industrialisierung verlaufen dürfte. In der Tat kam es zwischen der Mitte und dem Ende des 20. Jahrhunderts zunächst zur experimentellen Bereitstellung notwendiger technologischer und künstlerischer Elemente. Diese Phase reichte von John von Neumanns und Claude Elwood Shannons komplementären Konzepten der Trennung von Hard- und Software (1944-48)5 bis zu George Lucas’ langjährigen experimentellen, in das erste digitale Master mündenden Anstrengungen, fotorealistische Bilder digital zu verbessern und auch gänzlich digital zu generieren (1979-1999).6
5
Neumann, John von: »First Draft of a Report on the EDVAC« (1945). http://qss. stanford.edu/~godfrey/vonNeumann/vnedvac.pdf; Shannon, Claude Elwood: »A Mathematical Theory of Communication«, in: The Bell System Technical Journal 27 (1948).
6
Vgl. z. B. Vaz, Mark Cotta/Duignan, Patricia Rose: Industrial Light & Magic: Into the Digital Realm, 1. ed., New York: Ballantine Books 1996; Freyermuth, Gundolf S.: »Digitale Magie«, in: c’t – magazin für computertechnik vom 25. Mai 1999; Ders.,
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In den vergangenen Jahrzehnten vollzog sich dann – teilweise parallel zur ersten Phase – die Rationalisierung der analogen durch digitale Verfahren. Die Produktion von Film- und TV-Werken verbilligte, beschleunigte und vereinfachte sich, nicht zuletzt durch die Popularisierung digitaler Kameras und die Möglichkeiten digitaler Postproduktion. Das gleiche gilt für die Praktiken der Distribution, zu deren Grundlage im vergangenen Jahrzehnt die Durchsetzung stationärer wie mobiler Breitbandvernetzung wurde. Sukzessive lösten sich die Gehalte von ihren überkommenen analogen Speichern und wanderten als digitale Software in den globalen Datenraum. Auditive, visuelle und audiovisuelle Werke, einst auf diverser Hardware wie Schallplatte, Tonband, CD, Zelluloid, Videoband oder DVD abgespeichert und materiell distribuiert, kursieren seitdem global als Software-Dateien, die sich mit beliebiger Hardware nutzen lassen, mit Desktops, Laptops, Smartphones, Tafel-PCs, stationären und mobilen Spielekonsolen und in Verbindung mit HiFi-Anlagen, Fernsehgeräten und Projektoren. Diese zweite Phase nähert sich nun ihrem Ende. »For all the talk of ›new media,‹ it functioned as little more than a new delivery mechanism for old media – newspapers, magazines, music«, schreibt Frank Rose in The Art of Immersion: »[A]s disruptive as the Net has been to media businesses, only now is it having an impact on media forms.«7 Meine erste These lautet dementsprechend: Gegenwärtig erreicht die mediale Digitalisierung ihre dritte und künstlerisch spannendste Phase. In ihr steht die Realisierung des genuin neuen Potenzials digitaler Audiovisualität an und damit nachhaltiger Wandel, die Ausbildung eines digitalen Mediendispositivs und einer digitalen Ästhetik. Den weiteren Verlauf jener langfristigen medienästhetischen Transformation scheinen gegenwärtig vor allem folgende Rahmenbedingungen zu beeinflussen. Hyperrealismus 2D/3D Zum dritten Mal in der Neuzeit entstehen reguläre Verfahren einer gänzlich neuen Variante der Bildproduktion: Nach der Durchsetzung des perspektivischen 2D-Realismus in der frühen Neuzeit und des 2D- und 3D-Fotorealismus im 19. und 20. Jahrhundert etablieren sich stehende und laufende Bilder, deren fotorea-
»Timeline: Digitales Kino«, in: Joachim Polzer (Hg.), Weltwunder der Kinematographie – Beiträge zu einer Kulturgeschichte der Filmtechnik. Aufstieg und Untergang des Tonfilms / Die Zukunft des Kinos: 24p?, Potsdam: Polzer 2002, S. 17M-33M. 7
Rose, Frank: The Art of Immersion: How the Digital Generation is Remaking Hollywood, Madison Avenue, and the Way We Tell Stories, New York: W.W. Norton & Co. (Kindle Edition) 2011, loc. 97-98.
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listischen Qualitäten keinerlei Referenz zu Realitäten mehr entspricht oder jedenfalls entsprechen muss. Ästhetisch entworfen wurde die Anmutung einer fotografischen Reproduktion, die jedoch nicht mehr das Ergebnis eines automatisierten Abdrucks von Realität ist, sondern subjektiver Schöpfung entspringt, in den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts und zunächst – unter dem Label Hyperrealismus – mit malerischen Mitteln realisiert.8 Audiovisuell strebte nach ähnlichen Effekten seit Mitte der siebziger Jahre zuerst der Film, zu dessen stärksten Sehnsüchten stets souveräne Bildproduktion gehörte.9 Inzwischen existiert realistische Bildlichkeit ohne Indexikalität – ohne jene »Gegenwärtigkeit des Vergangenen«, die den Fotorealismus kennzeichnete10 – auch im Fernsehen, in digitalen Spielen sowie in Visualisierungen der Naturwissenschaften, insbesondere der Medizin, Physik, Astronomie und Meteorologie. In Kunst und Unterhaltung lassen sich dabei drei Stränge non-indexikalischer und nach (Foto-) Realismus strebender Möglichkeitsbilder unterscheiden: •
Erstens die hyperrealisierende Modifikation indexikalisch produzierter Bilder, wie sie am Anfang des digitalen Kinos stand – mit zunächst nur wenige Sekunden kurzen Special-Effects-Nachbearbeitungen auf Zelluloid gedrehter und dann digitalisierter Schlüsselszenen –, um im vergangenen Jahrzehnt zur
8
Rückblickend erweisen sich der malerische Hyperrealismus der sechziger und siebziger Jahre wie auch weite Teile der analogen Special-Effects-Technik als ästhetische Antizipation digitaler Medientechnologie und ihrer Effekte. Zum malerischen Hyperrealismus vgl. z. B. Chase, Linda: Hyperrealism, London: Academy Editions 1975. – Zur Antizipation des filmischen Hyperrealismus vgl. Brinkemper, Peter V.: »Paradoxien der Enträumlichung Zur Philosophie des 3-D-Films«, in: Glanz und Elend. Literatur und Zeitkritik, 2012 (ohne Datum). http://www.glanzundelend.de/Artikel /abc/s/starwars.htm. – Zur historischen und ästhetischen Ausdifferenzierung von Realismus, Fotorealismus und Hyperrealismus vgl. G. S. Freyermuth: Cinema Revisited.
9
Vgl. Freyermuth, Gundolf S.: »Die Zukunft des Kinos: Synthetische Realitäten/The Future of Cinema: Synthetic Realities«, in: Hans Helmut Prinzler/Wolfgang Jacobsen/Werner Sudendorf (Hg.), Filmmuseum Berlin (englisch/deutsch), Berlin: Nicolaische Verlagsbuchhandlung 2000, S. 315-382.
10 Reck, Hans Ulrich: »Zwischen Bild und Medium. Zur Ausbildung der Künstler in der Epoche der Techno-Ästhetik«, in: Peter Weibel (Hg.), Vom Tafelbild zum globalen Datenraum: Neue Möglichkeiten der Bildproduktion und bildgebenden Verfahren, Ostfildern-Ruit: Hatje Cantz Edition ZKM 2001, S. 17-50, hier S. 31.
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• •
regulären Nachbearbeitung kompletter Live-Action-Filme fortzuschreiten, zur Konstruktion hybrider foto-hyperrealistischer Narrationen;11 zweitens die – zunehmend – hyperrealistische Konstruktion als creatio ex nihilo, vor allem im digitalen Animationsfilm; drittens die – zunehmend – hyperrealistische Bildgenerierung in Games, die sich von den beiden ersten Verfahren, deren Produkte über längere Zeiträume hinweg gestaltet und gerendert werden, dadurch kategorial unterscheidet, dass die Audiovisionen – mittels sogenannter Game Engines, die Bilder und Töne virtuell bergen – in Echtzeit und abhängig von Nutzer-Interaktionen generiert werden.
Dieses medienpraktische Vorbild digitaler Spiele verändert gegenwärtig auch die Produktion linearer – filmischer und televisueller – AV-Narrationen. Die Entwicklung führt von der gedanklichen (schriftlichen) Konstruktion einzelner Wirklichkeitsausschnitte, in denen bestimmte Handlungen stattfinden sollen und aufgezeichnet werden, zur Konstruktion kompletter hyperrealistischer audiovisueller Welten, in denen sich beliebige Handlungen durchspielen lassen.12 Der
11 »A history remains to be written of the accretion of digital minutes invading film and television production, leading to the ›born digital‹ films oft he present.« (A. Friedberg: The Virtual Window, S. 217) – Die Liste der Spielfilme, die im vergangenen Jahrzehnt nach Hyperrealismus strebten, ist kaum kürzer als die der digitalen Spiele, die sich an der Simulation von Fotorealismus versuchten. Eine Auswahl hyperrealistischer Filme: WAKING LIFE (USA 2001, R: Richard Linklater), SKY CAPTAIN AND THE WORLD OF TOMORROW (USA 2004, R: Kerry Conran), THE POLAR EXPRESS (USA 2004, R: Robert Zemeckis), SIN CITY (USA 2005, R: Robert Rodriguez, Frank Miller), A SCANNER DARKLY (USA 2006, R: Richard Linklater), RENAISSANCE (F 2006, R: Christan Volckman), BEOWULF (USA 2008, Robert Zemeckis) AVATAR (USA 2009, R: James Cameron). Eine Auswahl hyperrealistischer Spiele: BIOSHOCK (2K Boston 2007, O: Ken Levine), ASSASSIN’S CREED (Ubisoft 2008, O: Patrice Desilets, Jade Raymond), GTA4 (Rockstar North 2008, O: Rockstar), HEAVY RAIN (Quantic Dream 2010, O: David Cage), ALAN WAKE (Remedy Entertainment 2010, O: Sam Lake), CRYSIS 2 (Crytek 2011, O: Crytek). 12 Vgl. zum Folgenden Freyermuth, Gundolf S.: »Prinzip Weltenbau. Digitale Spiele & Film: Konkurrenz, Kooperation, Komplementarität«, in: Film-Dienst vom 7. Mai 2009, S. 6-10; ders.: »Movies and Games: Audiovisual Storytelling in the Digital Age«, in: Ildiko Enyedi (Hg.), New Skills for New Jobs/New Skills for Old Jobs: Film and Media Schools in the Digital Revolution, Budapest: University of Theatre and Film Art 2012, S. 21-39.
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digitale Film, schrieb Lev Manovich 2001, diene »as an interface, to play out events in 3D«.13 Die Produzenten hyperrealistischer Blockbuster-Filme wie WATCHMEN (USA 2009, R: Zack Snyder) oder AVATAR (USA 2009, R: James Cameron) gehen diesen Weg des virtuellen 3D-Designs ebenso wie die Macher von AAA-Spielen wie RESIDENT EVIL 5 (Capcom 2009, O: Capcom). David Jones, verantwortlich für GRAND THEFT AUTO, eine der erfolgreichsten und besten Serie digitaler Spiele des frühen 21. Jahrhunderts, schreibt: »GRAND THEFT AUTO was not designed as GRAND THEFT AUTO. It was designed as a medium. It was designed to be a living, breathing city that was fun to play.«14 Erst nachdem die »game-scape« entworfen war, wurde die Story entwickelt – im Durchspielen der Möglichkeiten und Begrenzungen der hyperrealistischen audiovisuellen Welt. »Constructing worlds is the main idea«, sagt der Production-Designer Alex McDowell über seine Arbeit an WATCHMEN: »By creating a 3-D virtual production space, you can work with your fellow filmmakers in a very descriptive, data-rich, virtual representation of the film before you even start making it.«15 Ähnlich beschreibt James Cameron die »movie-scape« von AVATAR als eine virtuelle hyperrealistische Filmlandschaft, in der Akteure und auch Kameras nach Belieben bewegt werden konnten: »It’s like a big, powerful game engine. If I want to fly through space, or change my perspective, I can. I can turn the whole scene into a living miniature.«16 Meine zweite These lautet insofern: Ein zentrales Element des emergierenden digitalen Mediendispositivs ist eine hyperrealistische – also non-indexikalische – Bildproduktion, deren drei Varianten Hybridisierung, Animation und Echtzeit-Generierung auf audiovisuellen Weltenbau und die interaktive Erzeugung und Manipulation von 3D-Bildwelten zielen.
13 Manovich, Lev: The Language of New Media, Cambridge, Mass.: MIT Press 2000, S. 326f. 14 Zitiert nach Schell, Jesse: The Art of Game Design: A Book of Lenses. Amsterdam/Boston: Elsevier/Morgan Kaufmann (Kindle Edition) 2008, loc. 2188-9. 15 Zitiert nach Hart, Hugh: »Virtual Sets Move Hollywood Closer to Holodeck«, in: Wired vom 27. März 2009. http://www.wired.com/underwire/2009/03/filmmakersuse/ 16 Zitiert nach Chatfield, Tom: Fun Inc.: Why Games are the Twenty-First Century’s Most Serious Business. London: Virgin (Kindle Edition) 2010, loc. 623-625.
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Multi- / Nonlinearität Die Popularisierung und gleichzeitige ästhetische Ausbildung multi- oder nonlinearer Audiovisualität – bislang primär unter dem nicht glücklichen Rubrum Game beziehungsweise digitales Spiel gefasst – ist ein weiteres Schlüsselelement bei der Realisierung des Potenzials digitaler Medialität. Spiele machen den tradierten audiovisuellen Erzählformen kommerziell wie künstlerisch Konkurrenz. Sie scheinen im Begriff, die linearen audiovisuellen Medien der industriellen Epoche – Film, Fernsehen, Video – in der Publikumsgunst und auch als Medium kreativen Ausdrucks abzulösen und so zum Leitmedium des 21. Jahrhunderts aufzusteigen, zur neuen kulturellen Basis für die Konstruktion von Realität sowie für ihre Wahrnehmung. Verantwortlich für den Erfolg bei den – jüngeren – Zeitgenossen der Digitalisierung dürften vor allem distinkte ästhetische Qualitäten sein, wie sie parallel zur zweiten, der elektrischen Phase der Industrialisierung schon die Popularisierung des Films gegenüber der Bühne bewirkten: das einzigartige Potential des neuen Mediums zur Manipulation von Zeit und Raum und damit zur Vermittlung eines aktualisierten Welt- und Menschen-, das heißt orientierenden Selbstbilds. Insofern seit jeher audiovisuelles Geschichtenerzählen innerhalb der Grenzen zu operieren hat, welche ihm die jeweilige mediale Basistechnologie zieht, verfügt jedes AV-Medium über einzigartige, den Konkurrenzmedien verschlossene Möglichkeiten zur Narration.17 Die Mechanisierung und ihre Kultur produzierten die Guckkastenbühne mit ihrem perspektivischen Illusionsraum, dem Vorhang und einer Vielzahl anderer Hilfsmittel zur besseren Manipulation von Raum und Zeit. Dass das Drama – im Vergleich zu späteren audiovisuellen Erzählformen – nur wenige Orts- und Zeitwechsel ermöglichte, wurde von den Zeitgenossen kaum als Mangel empfunden. Im Gegenteil, die Einheit und Sequenzialität der Handlung auf den Brettern, die eben die vorindustrielle Welt bedeuten konnten, gestaltete adäquat die Wahrnehmung von Wirklichkeit, das kulturell vorherrschende Bild der Welt. Mit der Industrialisierung und ihrer Kultur entstand dann der Film. Indem Schnitt und Montage, medientechnisch an die Stelle des Vorhangs tretend, räumliche und zeitliche Wechsel in großer Zahl und nahezu spurenlos verschalteten, erschlossen sich dem audiovisuellen Erzählen radikal neue Raum-Zeit-Verhältnisse. Mittels seiner drastisch gesteigerten medialen Möglichkeiten vermochte der Film, wie Walter Benjamin bemerkte, als erstes audio-
17 Die folgende Darstellung übernehme ich aus Freyermuth, »Movies and Games«.
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visuelles Medium die Erfahrungen der Beschleunigung und Mobilität von Arbeit und Alltag in der entstehenden industriellen Kultur adäquat zu gestalten.18 Im Prozess der Digitalisierung und insbesondere im Kontext globaler Echtzeit-Vernetzung entwickeln sich nun parallel zu neuen Arbeits- und Lebensweisen medientechnologisch wiederum gänzlich neue Möglichkeiten, Raum und Zeit in audiovisuellen Narrationen zu kontrollieren – statt über die vorgängige Manipulation von Hardware über die interaktive echtzeitige Manipulation von Software. Während das Drama Raumzeit-Brüche innerhalb seiner Narrationen mittels des Vorhangs überbrückt und der Film solche Distanzen in Schnitt und Montage eliminiert, eröffnen digitale Audiovisionen über Software-basiertes Feedback einen virtuellen Handlungsraum zwischen den Software-Inhalten und ihren Nutzern. Im digitalen Film bleibt diese Interaktions-Funktionalität arbiträrer – weil nicht dem Zeitpfeil unterliegender – Manipulation seinen Schöpfern vorbehalten, im digitalen Spiel wird sie über entsprechende Interfaces den Nutzern zumindest partiell zugänglich gemacht. Indem so, was für Kommunikation und Transport geschaffen wurde, als virtueller Handlungsraum und Spielplatz inszeniert wird, stellt sich ein zweifacher ästhetischer Effekt ein: Raum- und Zeitverhältnisse werden virtualisiert und zugleich wird die Virtualität, das Reich der Daten, verräumlicht und verzeitlicht. Aus der Fusion der – programmierten und designten – narrativen Qualitäten virtueller Welten und der Vielzahl individueller Vorlieben und Entscheidungen, Reaktionen und Interaktionen der Nutzer formen sich in diesem neuartigen Raumzeit-Dazwischen – Medium – die distinkten ästhetischen Erfahrungen multi- oder nonlinearer Audiovisionen, insbesondere sogenannter MMOGs (Massively Multiplayer Online Games). Im Gegensatz zu Spielfilmen, die von realisierten Handlungen in fiktiven Welten erzählen, eröffnen Spiele – wie schon Hans-Georg Gadamer mit Blick auf analoge, i.e. nicht-audiovisuelle Spiele analysierte – fiktive regelbestimmte Welten für mögliches Handeln.19 Da nonlineare Audiovisionen kennzeichnet, dass der Ablauf ihrer Narrationen nicht exakt vorgegeben ist, sondern erst vom
18 Vgl. Benjamin, Walter: »Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. Erste Fassung«, in: Rolf Tiedemann/Hermann Schweppenhäuser (Hg.) Gesammelte Schriften, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1991 [1936] S. 431-469, hier S. 464: »die der betonten Lebensgefahr, in der die Heutigen leben, entsprechende Kunstform«. 19 Gadamer, Hans-Georg: Die Aktualität des Schönen: Kunst als Spiel, Symbol und Fest (= Gesammelte Werke Bd. 8/10, Ästhetik und Poetik I. Kunst als Aussage), Tübingen: Mohr 1985.
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Nutzer in Interaktion mit dem strukturellen Potential eines fiktiven Erzählraums realisiert wird, ist das ästhetische Erlebnis – idealiter – nicht gesetzt, sondern emergiert innerhalb des inhärenten Spannungsverhältnisses von Narration und Interaktion. Digitale Spiele eröffnen insofern, in Tom Chatfields Worten, »a portal to a new destination in human experience, a space where people could interact in real time within an entirely simulated environment – as if a work of fiction had suddenly become real.«20 Ein weiteres zentrales Element des emergierenden digitalen Mediendispositivs, so meine dritte These, ist Multi- und Nonlinearität. Deren distinkte ästhetische Qualitäten – interaktive Echtzeit-Manipulation audiovisueller Welten und Narrationen – erlauben es, neuartig und adäquater als die älteren AV-Medien die sich wandelnde Wahrnehmung von Wirklichkeit zu gestalten, das sich ausbildende neue Welt- und Menschenbild digitaler Kultur. Interaktion / Interfaces Konstitutiv für den Umgang mit Software ist die von Interfaces strukturierte Möglichkeit, mit Daten möglichst widerstandslos zu interagieren, sie zu manipulieren und zu verändern. Der Wunsch nach solch »natürlicher« Interaktion auch mit digitalen Audiovisionen fand erste Realisierungen bereits während der achtziger und neunziger Jahre im Kontext der Bildenden Kunst.21 Die BedienungsInterfaces für die passive Rezeption linearer Audiovisionen, für Fernsehen und Video, entsprachen ohnehin nicht den Anforderungen echtzeitiger Interaktion. Aber auch die im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts existierenden ComputerInterfaces fielen hinter dem Wandel der kulturellen Auffassung von audiovisuel-
20 T. Chatfield, Fun Inc., loc. 321-23. 21 Vgl. z. B. Fleischmann, Monika: »Die Spur des Betrachters im Bild«, in: Peter Weibel (Hg.), Vom Tafelbild zum globalen Datenraum: neue Möglichkeiten der Bildproduktion und bildgebenden Verfahren, Ostfildern-Ruit: Hatje Cantz Edition ZKM 2001, S. 138-149, hier S. 139: »Am Ende des 20. Jahrhunderts ist eine heterogene Entwicklung der visuellen Kultur zu beobachten, die immer stärker in Richtung BetrachterInteraktion geht. Während sich am einen Ende des Spektrums das traditionelle Kino befindet, bei dem der Filmemacher die völlige Kontrolle innehat über die special effects, die er einsetzt, tauchen am anderen Ende Computerspiele und VR-Simulationen in Design, Architektur, Medizin und Medienkunst auf, die den teilnehmenden Betrachter in die Situation einbeziehen.«
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len Bildwelten und dem Umgang mit ihnen zurück.22 Erste Antizipationen eines anderen, weniger abstrakten und eher körperlichen Umgangs mit Datenwelten unternahmen Mixed-Reality-Experimente.23 Durch die Verfolgung visueller, akustischer, taktiler, gestischer und geographischer Daten (Blick, Sprache, Berührung und Gleichgewicht, Körperbewegungen, Position im Raum) erprobten sie handlungsorientierte Transformationen sinnlicher Aktionen, synästhetische Interaktionen im medialen Raum, wie sie ein Jahrzehnt später in Natural User Interfaces zu Industriestandards werden sollten, etwa in Nintendos Wii (2006), Apples iOS (2007), Googles Android (2008), Sonys Move (2009) oder Microsofts Kinect (2010).24 Die physische Interaktion, die diese NUIs etablieren, reagiert auf den Wandel des Bildes in der digitalen Kultur und befördert ihn zugleich. Als wohl einer der ersten sprach Kevin Kelly davon, dass Bildschirme und ihre Inhalte, die Bilder, zu »Portalen« würden.25 Thomas Elsaesser hat diesen Wandel in der Auffassung und dem Gebrauch perspektivischer Bilder konkretisiert, als Weg von Albertis Fenster, durch das wir passiv auf die Welt draußen – dahinter – schauen, zum Portal, das uns Eingang in die Bildwelten nehmen lässt oder zumindest interaktive Einflussnahme auf die mehr oder minder hyperrealistisch präsentierten Virtualitäten ermöglicht: »Bilder auf einem Computerbildschirm also nicht [als] etwas, auf das man blickt, sondern etwas, worauf man klickt ...«26
22 Das gilt sowohl für die älteren, auf Kommandozeilen beruhenden Interfaces (Basic, DOS, Unix) wie auch für die damals neueren Graphical User Interfaces (GUIs wie die der PC-Betriebssysteme Apple Lisa, Apple Macintosh, Microsoft Windows oder auch der Game-Systeme von Sega, Nintendo, Sony, Microsoft), die nicht mehr nur per Tastatur, sondern in Kombination mit diverser Hardware zu bedienen waren (Maus, Joysticks, Pads etc.). 23 Vgl. M. Fleischmann: Die Spur des Betrachters im Bild. 24 Systematisch lassen sich unterscheiden: Gestensteuerung (z. B. Nintendos Wii, Sonys Move, Microsofts Kinect), Touchsteuerung (z. B. Apples iOs, Googles Android) und Sprachsteuerung (z. B. Apples Siri als Teil des iOS). 25 In der Beschreibung seiner ersten Eindrücke vom iPad schreitet Kelly von der Fenster- zur Portal-Metapher fort. Vgl. Kelly, Kevin: »Window on the World«, in: N.N., »13 of the Brightest Tech Minds Sound Off on the Rise of the Tablet«, in: Wired 4 (2010). http://www.wired.com/magazine/2010/03/ff_tablet_essays/all/1: »Don’t think of them as tablets. Think of them as windows that you carry. […] This portable portal will peer into anything visible. You’ll be able to see into movies, pictures, rooms, Web pages, places, and books seamlessly.« 26 Thomas Elsaesser, »Die ›Rückkehr‹ der 3D-Bilder«, in diesem Band S. 54.
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Ein weiteres zentrales Element des sich herausbildenden digitalen Mediendispositivs, lautet daher meine vierte These, sind Natural User Interfaces, die unter Wegfall der tradierten Abstraktionen im Umgang mit digitalen Daten eine physische Interaktion mit audiovisuellen Narrationen ermöglichen und so Audiovisionen von etwas, das passiv zu betrachten ist, in etwas verwandeln, das interaktiv zu manipulieren ist. Am deutlichsten stellt sich der Paradigmenwechsel gegenwärtig in der Popularisierung von Touch-Tafel-PCs dar.27 Was technisch radikal neu anmutet, ist in seiner medialen Gestalt allerdings recht traditionell: Tafeln als tragbare Speicher für Bilder und Texte standen am Anfang aller Medienkultur. Der »biologischen Natürlichkeit« der Nutzeroberfläche von Touch-Tafel-PCs korreliert so die kulturelle Vertrautheit ihrer physischen Gestalt. Denn über die Jahrtausende hinweg besaß die typische Tafel, ob sie nun aus Stein oder Ton war, aus Holz oder Wachs, Papyrus oder Pergament, in ungefähr die Gestalt moderner Bücher und Bildbände. Einzelne Tafeln oder auch ein Bündel von Tafeln – den Block (englisch »pad«) – hielt man in den Händen und im Schoß, um festzuhalten, was man sonst vergessen würde. Die Tafelform ist insofern ein mediales analogatum princeps, das Paradigma und damit das Maß aller nachfolgenden Medien. Im Touch-Tafel-PC fand es seine digitale Gestalt.28 Mit der Ablösung des tragbaren Bildes vom Tafelformat allerdings begann in der Renaissance die Konstruktion des für die Neuzeit charakteristischen Bildraums. Die aktuelle Rückkehr der Tafelform signalisiert insofern im Bereich des (Audio-) Visuellen weniger Kontinuität als tiefgehenden Wandel.
27 Smarthpones wie Apples iPhone (2007) oder Googles Android (2008) und Tablet-PCs wie Amazons Kindle (2007) und Apples iPad (2010) sowie die entsprechenden Nachzügler. Vgl. Freyermuth, Gundolf S.: »Die Rückkehr zur Tafel«, in: Swissfuture 2 (2010), S. 3-8. 28 Unter medienhistorischer Perspektive leiten Tafel-PCs eine Rückkehr zur Urform der Tafel auf höherer technologischer Ebene ein. Das iPad simuliert deren Gestalt nicht mehr nur im Medium der Software – wie etwa bei der üblichen Seitenansicht in Schreibsoftware –, sondern realisiert sie als digitales Hardware-Artefakt, sowohl materiell wie funktional (im Touchscreen). Im Gebrauch stellt sich dabei eine haptische Intimität des Umgangs mit Texten und Bildern her, wie wir sie von Büchern, Blöcken oder Alben gewohnt sind.
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2 V ISUALITÄT ZWISCHEN R ENAISSANCE UND P OSTMODERNE . R ÜCKBLICK Bilder benötigen, um als Bilder und nicht als Objekte zu wirken, einen spezifischen Raum, auf dem sie erscheinen.29 Der Weg visueller Kultur führt so von Bildräumen, die in der Natur vorgefunden werden – z. B. Höhlenwände für Zeichnungen –, über Bildräume, die in der Architektur vorgefunden werden – z. B. Wände und Decken für Fresken –, zu eigens hergestellten Bildräumen – z. B. Elfenbein- oder Holztafeln. Auf ihnen koexistierten von der Antike bis ins Mittelalter Bilder und Texte weitgehend gleichberechtigt. Handschriftliche Kodizes enthielten Gezeichnetes und Gemaltes, Ikonen wurden großzügig beschriftet. 30 Erst mit der Renaissance, im Gefolge der mechanischen Medienrevolution und ihrer neuen Medientechnologien Buchdruck und perspektivisches Tafelbild, trennten sich die Wege von Schrift und Bild.31 Prinzip Separation Das moderne Buch mit seinen gedruckten und gebundenen Seiten aus Leinen-, seit dem 19. Jahrhundert Holzpapier verharrte im – vom Kodex her – vertrauten Tafelformat. Sein Textraum blieb intim und persönlich, jedoch aus drucktechni-
29 Vgl. z. B.: »Die anschauliche Präsentation immaterieller Objekte kommt nur auf dem wahrgenommenen Schauplatz der materiellen Bildfläche zustande. Die pure Sichtbarkeit von Bildobjekten kann nur erfassen, wer zugleich auf die handfeste Fläche ihres Erscheinens achtet.« Seel, Martin: »Eine Vorstufe des Cyberspace«, in: Zeit Online vom 1. Februar 2001. http://www.zeit.de/2001/06/Eine_Vorstufe_des_Cyberspace. Den Hinweis auf diesen Text verdanke ich Lisa Gotto. 30 Dazu trug nicht zuletzt bei, dass Bild- und Schrifttafeln handwerklich mit verwandten Mitteln und Materialien herzustellen waren. 31 Mit dieser Trennung begann eine »Geschichte der Mediendivergenz«. Manfred Faßler sieht sie mit dem Übergang ins digitale Transmedium enden: »Von nun an geht es um die Anstrengungen, innerhalb eines materialen Mediums die verschiedenen Medienfunktionen pur oder im crossover zu nutzen.« Faßler, Manfred: »Sind künstlerische und wissenschaftliche Bildungswege ›machbar‹?«, in: Peter Weibel (Hg.), Vom Tafelbild zum globalen Datenraum: neue Möglichkeiten der Bildproduktion und bildgebenden Verfahren, Ostfildern-Ruit: Hatje Cantz Edition ZKM 2001, S. 180-193, hier S. 185.
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schen Gründen bis in das frühe 20. Jahrhundert hinein weitgehend bildfrei.32 Verglichen mit der handwerklichen Qualität und visuellen Opulenz mittelalterlicher Handschriften erschien, was die Gutenbergsche Presse in Serie produzierte, visuell eher als Rückschritt. Die neuen und besonderen Qualitäten des Buchdrucks waren nicht künstlerischer, sondern kommunikativer Natur: Er erlaubte schnellere und billigere Produktion von Textkopien in größerer Zahl und damit aktuellere und weitere Distribution von Information und Unterhaltung.33 In der visuellen Kultur dagegen wich im selben Zeitraum die (Bild-) Tafel als dominierende Form tragbarer Bildlichkeit dem Tafelbild. Den nun entstehenden – bald weitgehend textfreien – modernen Bildraum kennzeichnete zum einen perspektivischer Realismus, die mathematisch begründete Darstellung der Tiefendimension durch adäquate Übertragung von 3D-Verhältnissen in 2D-Relationen. Dessen ästhetischer Ursprung lässt sich auf die Erfindung und soziale Durchsetzung gläserner Spiegel seit dem 12. Jahrhundert zurückverfolgen.34 Im Fotorealismus avant la lettre, den immer bessere und klarere Kristall-, schließlich Flachglasspiegel erzeugten, gewann der neuzeitliche Bürger sein realistisches Selbstbild.35 Diese ästhetischen Qualitäten dauerhaft zu speichern wurde in der Folge zum Ideal künstlerischer Produktion. Erste Mittel dazu lieferte die mathematische Begründung der Perspektivlehre in Verbindung mit der Entwicklung
32 Wesentliche Entwicklungsstufen zur industriellen Rekombination von Text und Bild, wie sie schließlich in der illustrierten Presse des frühen 20. Jahrhunderts gelang, waren u. a. die Entwicklung der Lithografie (1796), des Glasgravurrasters (1881) und des Offsetdrucks (1904). 33 Darüber hinaus entstanden kontinuierlich neue Varianten von Tafel und Block, im 18. Jahrhundert etwa die Schiefertafel, mit der Generationen von Schulkindern schreiben lernten; im 19. Jahrhundert der industriell hergestellte Schreibblock aus Holzpapier (englisch: »legal pad«), die gewissermaßen auf die Form vorauswiesen, die das Buch später mit seiner Digitalisierung zum iPad und generell Tablet-PC gewinnen sollte. Vgl. G. S. Freyermuth: Die Rückkehr zur Tafel. 34 Teile der folgenden Darstellung übernehme ich mit Modifikationen aus G. S. Freyermuth: Cinema Revisited. 35 Zur sozialen wie ästhetischen Vorbildwirkung des Spiegels, seiner Popularisierung zwischen Renaissance und Aufklärung und seiner Nutzung zur Selbstkontrolle und individuellen Stilisierung, aber auch zur Bildproduktion und unterhaltenden Zwecken vgl. Melchior-Bonnet, Sabine: The Mirror: A History, New York: Routledge 2001; Pendergrast, Mark: Mirror Mirror: A History of the Human Love Affair with Reflection, New York: Basic Books 2004.
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entsprechender Malverfahren und mechanischer Malapparaturen, beginnend 1425 mit Filippo Brunelleschis Spiegel-Experimenten.36 Ein zweites Charakteristikum des sich formenden Bildraums war die Einführung und Durchsetzung der gespannten und für die Präsentation gerahmten Leinwand. Dieser Innovation stand eine weitere Alltagserfahrung Modell. Wie der Spiegel das Selbst-Bild des bürgerlichen Subjekts prägte, so vermittelte das Fenster dem Individuum aus der Sphäre des Privaten heraus das Bild der Welt. Der Übergang zur fenstergleich gestalteten Leinwand verstärkte so die Wirkung der perspektivischen Zurichtung, die, wie Leon Battista Alberti 1436 schrieb, ästhetisch dem Vor-Bild des Blicks durch »una finestra aperta«37 folgte, dem Fensterblick in seiner Dopplung von Aussicht und Abstand: »[T]he self becomes a spectator ensconced behind his or her window on the world [...] and the world, as a matter for his detached and observing eye, becomes a spectacle.«38 Wie sich das Fenster im Prozess der Mechanisierung nicht zuletzt dank verbesserter Verfahren der Glasherstellung sukzessive vergrößerte, so wuchs auch die Leinwand – jedenfalls im Vergleich zur Bildtafel, der bis dahin üblichen Form populärer portabler Bildlichkeit –, woraus in der Nutzung Entpersonalisierung und Distanzierung resultierten.39 Einen vergleichbaren Effekt zeitigte schließlich auch das dritte, wiederum am Fenster orientierte Charakteristikum: die kategoriale Trennung des perspektivisch evozierten Bildraums von der materiellen Realität, von Wand und Raum, mittels Rahmung. »Das Format«, in dem (Audio-) Visuelles sich präsentiert, erkannte Jakob Burckhardt, »ist die Abgrenzung des Schönen gegenüber dem gan-
36 Vgl. Steadman, Philip: Vermeer’s Camera: Uncovering the Truth Behind the Masterpieces, Oxford/New York: Oxford University Press 2001; Hockney, David: Secret Knowledge: Retracing Six Centuries of Western Art, New York: Viking Studio 2006 (2001). – Was der Spiegel produzierte, automatisch zu konservieren, wurde dann rund 400 Jahre später, um 1840, mit der Daguerreotypie in begrenztem Umfang möglich: Daguerreotypien reproduzierten zwar fotorealistisch durch Speicherung fossilen Lichts, waren jedoch Originale, spiegelverkehrte Unikate. 37 Della Pittura, 1435/36, Kapitel 19. Deutsch: Alberti, Leon Battista/Bätschmann, Oskar: Über die Malkunst, Darmstadt: WBG, 2010. 38 Romanyshyn, Robert D.: Technology as Symptom and Dream, London/New York: Routledge 2005 (1989), S. 32. 39 Im Vergleich zum Wand- und Deckenfresko, das in der visuellen Darstellung vormoderner, primär feudaler Verhältnisse dominierte, verkleinerte sich zwar repräsentative Visualität, gewann jedoch dabei an Mobilität und insofern an kulturellem Einfluss wie Marktwert.
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zen übrigen Raum ... Das Format ist nicht das Kunstwerk, aber eine Lebensbedingung desselben ...«40 Denn es initiiert und bedingt Rezeptionsweisen. Die Distanzierungs- und Abgrenzungsprozesse mündeten, wie Gernot Böhme schreibt, schließlich während des 19. und 20. Jahrhunderts in eine Praxis des »Nichtumgangs« mit Bildern, »d. h. Isolierung der Bilder aus dem Lebenskontext, das Verbot, Bilder zu berühren oder in irgendeiner Weise konkret zu behandeln und weiterzubearbeiten und die Setzung und Einübung einer Betrachterdistanz.«41 Meine fünfte These lautet daher: Der neuzeitliche Bildraum basiert auf dem Prinzip der Separation. Seine Konstruktion zwischen Renaissance und Postmoderne kennzeichnet dreifache Abtrennung und damit Divergenz und Dekontextualisierung: • • •
die Separierung von anderen Medien, insbesondere von der Schrift und ihrem Raum; die Separierung von der Umwelt bzw. der Realität, insbesondere durch Rahmung; die Separierung vom Betrachter bzw. Zuschauer, insbesondere durch räumliche Distanz, aber auch durch bewegliche materielle Abdeckungen wie Vorhänge, Türen oder Glasscheiben.
Anti-Immersion Eine vergleichbar distanzierte, eben nicht immersive Wahrnehmung aus einer relativ sicheren Ferne inszenierten in der Folge audiovisuelle Adaptationen des perspektivischen Tafelbilds, beginnend mit dem Höhepunkt mechanisch produzierter Audiovisualität, der Guckkastenbühne. Seit dem späten 16. Jahrhundert entstand sie in eigenen überdachten Gebäuden. Ihre spezifische ästhetische Leistung glich darin dem perspektivischen Tafelbild, dass sie – Englisch treffend »picture frame stage« genannt – den Blick auf das Geschehen perspektivisch präzise steuerte. Der gerahmte, vertiefte und hinter einem Vorhang verborgene Illusionsraum, den die Varianten der Illusionsbühne als physische 3D-Rekonstruktion der 2D-Perspektivik erschufen, faszinierte daher die Zeitgenossen nicht
40 Burckhardt, Jacob: »Format und Bild« (2. Feburar 1886), in: Jacob Burckhardt/Emil Dürr (Hg.), Vorträge 1844-1887, Basel: Benno Schwabe & Co. 1918, S. 252-260, hier S. 254. 41 Böhme, Gernot: Theorie des Bildes, München: Wilhelm Fink 1999. S. 86.
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minder als Jahrhunderte später das Kino.42 Dessen Bildraum, die gerahmte und von einem Vorhang verdeckte Leinwand, auf die von der Filmkamera zuvor aufgezeichnete, also vergangene perspektivische Bilder projiziert wurden, stand einerseits deutlich in der von Tafelbild und Guckkastenbühne begründeten Tradition eines statischen Fensterblicks. Andererseits realisierte sich in ihm, wie Anne Friedberg dargelegt hat, ästhetisch die industrielle Erfahrung des mobilisierten Blicks aus den – meist geschlossenen – Glasfenstern sich immer schneller durch Stadt- wie Naturlandschaften bewegender Transportmittel.43 Seit Mitte des 20. Jahrhunderts findet diese alltagsweltliche Erfahrung gläserner Distanzierung und damit durchsichtiger Separation von bewegten »Bildern« ihr mediales Äquivalent im gerahmten Bildschirm von Fernsehen und Computer.44 Vordergründig verstärkte die Separierung des Bildraums durch Rahmung die Illusion räumlicher Tiefe. »Einst wurde der Rahmen zur ästhetischen Grenze erhoben, als sich die formale Notwendigkeit einstellte, die Fluchtlinien des perspektivischen Bildaufbaus gegenüber dem Standpunkt des Betrachters abzugrenzen«, schreibt Werner Hofmann: »Damit entstand das ›Bild‹ als eigenständiger Illusionsraum.«45 Mit diesem Nachsatz deutet sich an, dass es über medienprak-
42 Lev Manovich unterscheidet zwischen erstens der »classical screen«, die wie Gemälde oder Fotografien ein statisches Bild zeige, zweitens der »dynamic screen«, die wie die Kinoleinwand ein aufgezeichnetes Bewegtbild vergangener Ereignisse zeige, und drittens der interaktiven »real-time screen« des Computers. Die (Guckkasten-) Bühne gerät ihm dabei nicht in den Blick wie auch nur unscharf das Fernsehen. Innerhalb seiner Kategorisierung zeigt sich jedoch das Dazwischen der einerseits – im Geschehen innerhalb des Rahmens – dynamischen, andererseits – in ihrer Rahmung selbst – weitgehend statischen, nur wenige Male vom Vorhang »geschnittenen« Bühnen-EchtzeitBilder. Vgl. Manovich, Lev: »An Archeology of a Computer Screen«, in: NewMediaTopia. Moscow, Soros Center for the Contemporary Art 1995. http://manovich.net/ TEXT/digital_nature.html 43 Vgl. Friedberg, Anne: Window Shopping: Cinema and the Postmodern, Berkeley: University of California Press 1993, z. B. S. 3. – Im Vorwort zu The Virtual Window zitiert Friedberg ihren fünfjährigen Sohn, der auf die Frage, was ihm an einer Zugfahrt gefalle, antwortet: »It’s all the moving pictures.« Dies., The Virtual Window, S. XI. 44 Zum Fernsehschirm als Fenster siehe in diesem Band Stefan Münkers Aufsatz »Augen im Fenster. Elemente der intermedialen Rekonfiguration des Fernsehens im Kontext digitaler Öffentlichkeiten«, insbesondere S. 175ff. 45 Hofmann, Werner: »Das Bild nicht mehr Ausschnitt der Welt. Versuch über den Rahmen« (1952), in: Ders. (Hg.), Die gespaltene Moderne, München: C. H. Beck 2004, S. 19-20, hier S. 19. Argumentiert Hofmann (rezeptions-) ästhetisch, so hält
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tische Motive bei der Konstruktion des modernen Bildraums um seine Alterität ging, die Abtrennung vom Alltag, vom Leben; später, seit der Aufklärung, auch um Autonomie und Absolutheit. In diesem Sinne begriff Immanuel Kant den Rahmen als Parergon, als ein Beiwerk zum Bild, das dessen Integrität garantierte.46 Ein gutes Jahrhundert später – als mit dem Film gerade ein neues visuelles Medium im Entstehen war, welches wiederum auf vielfältiger und partiell innovativer Rahmung basierte – ging Georg Simmel einen Schritt weiter. Ihm erschien physische Separation eine Grundvoraussetzung für die Erfahrung des Bildraums als absolut, losgelöst von der (Um-) Welt.47 Rahmung galt ihm insofern nicht mehr als Beiwerk, sondern als konstitutives Element wenn nicht des Bildes, dann doch seiner Wahrnehmung. Denn der Rahmen, so schrieb Simmel 1902, »schließt alle Umgebung und also auch den Betrachter vom Kunstwerk aus und hilft dadurch, es in die Distanz zu stellen, in der allein es ästhetisch genießbar wird.«48 Nicht unähnlich argumentierte dann in der Epoche des Fernsehens – des gerahmten und von Glas abgedeckten Röhren-Bildschirms – Jacques Derrida. In der Auseinandersetzung mit Kant erblickte er im Rahmen nichts dem Bild Äußerliches, das extern dessen Integrität sicherte, sondern etwas, das ins Werk hineinrage; etwas Störendes, von dem die Bilder selbst – die Werke – in Frage gestellt würden. Beiwerke (Parerga) wie der Rahmen indizieren Derrida die Mängel der Werke (Erga): »Was sie zu Parerga macht, ist nicht einfach ihre überflüssige Äußerlichkeit, es ist das interne strukturelle Band, das sie mit dem Mangel im Innern des Ergon zusammenschweißt. Und dieser Mangel ist damit konstitutiv für die Einheit selbst des Ergon.«49
Anne Friedberg dagegen den Konnex zur Mobilisierung und der mit ihr notwendig werdenden materiellen wie ästhetischen Stabilisierung des Bildes fest: »The exact origins of the picture frame are somewhat indistinct, but the frame became a component element of the painting when the painting became independent from its wall.« A. Friedberg: The Virtual Window, S. 107. 46 Kant, Immanuel: Kritik der Urteilskraft, Leipzig: F. Meiner 1922 (1790), S. 65. 47 »Das Wesen des Kunstwerkes aber ist, ein Ganzes für sich zu sein, keiner Beziehung zu einem Draußen bedürftig ...« Simmel, Georg: »Der Bildrahmen. Ein ästhetischer Versuch« (1902), in: Georg Simmel/Klaus Lichtblau (Hg.), Soziologische Ästhetik, Bodenheim: Philo 1998, S. 111-117, hier S. 111. 48 Ebd. 49 Derrida, Jacques/Engelmann Peter: Die Wahrheit in der Malerei, Wien: Passagen Verlag 1992, S. 80.
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Gemeinsam ist Simmels und Derridas Blick, dass beide – ungeachtet ihres Gegensatzes in der Beurteilung der ästhetischen Rolle des Rahmens – ihn in Differenz zu Kant als konstitutiven Teil des Bildraums begreifen. Eine andere, weniger ästhetisch als medientheoretisch orientierte Sichtweise kann dagegen zu der Einsicht führen, dass der Rahmen – des Bildes, der Bühne, der Kinoleinwand, des Fernseh- wie Computerbildschirms – weder den jeweiligen Bildern noch der Realität zugehört, sondern ein drittes ist, ein Medium, das zwischen zwei Räumen trennt, dem der Repräsentation und dem des Blickenden. Zuerst erkannte diese Funktion des Rahmens als »Isolator« wohl Ortega Y Gasset: »Um zwei Gegenstände gegeneinander zu isolieren, bedarf es eines dritten, der weder das eine noch das andere ist, eines neutralen Objekts. Der Rahmen ist noch nicht die Wand (...) aber er ist auch noch nicht die verzauberte Oberfläche des Bildes.«50
Unter digitaler Perspektive – und unabhängig, wie es scheint, von Ortega Y Gasset – kam Lev Manovich zu einer ähnlichen Ansicht: »Visual culture of the modern period, from painting to cinema, is characterized by an intriguing phenomenon: the existence of another virtual space, another three-dimensional world enclosed by a frame and situated inside our normal space. The frame separates two absolutely different spaces that somehow coexist. […] Defined in this way, a screen describes equally well a Renaissance painting (recall Alberti) and a modern computer display.«51
Nicht nur der Rahmen diente freilich diesem neuzeitlichen Interesse an der Separierung des Bildraums vom Realraum. Eine zweite medienübergreifend wirkende Technik stellte die Verdeckung dar, in der Regel durch einen Vorhang. Er beziehungsweise seine ritualisierte Entfernung sollte den Blick auf die Illusionsbilder hinter ihm – auf Gemälde, Theaterinszenierungen, Spielfilme – erst freigeben,
50 Ortega y Gasset, José: Über die Liebe: Meditationen, Stuttgart: Dt. Verl.-Anst. 1984, S. 61-72, hier S. 69. Auf diese Passage verweist auch Andrea von Hülsen-Esch, deutet sie jedoch anders aus. Vgl. Hülsen-Esch, Andrea von: »Der Rahmen im Rahmen der Buchmalerei«, in: Hans Körner/Karl Möseneder (Hg.), Format und Rahmen: vom Mittelalter bis zur Neuzeit, Berlin: Reimer 2008, S. 9-40, hier S. 16. 51 L. Manovich: An Archeology of a Computer Screen. Ebenso später Anne Friedberg: »... the frame also separates the materiality of spectatorial space from the virtual immateriality of spaces seen within its boundaries.« A. Friedberg: The Virtual Window, S. 6.
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wenn die ästhetische Konzentration einsetzte.52 Seit dem 19. Jahrhundert wurde die Wirkung der Ver- und Entdeckung in Galerien und Museen, Theatern und Kinosälen zudem verstärkt und ergänzt durch entsprechende Lichtsteuerung. Bei ihr half der Einsatz von Spiegeln und Glas. Er wiederum weist auf die dritte, im 20. Jahrhundert wirkungsmächtig werdende mediale Technik der Separation von Bild- und Realraum voraus: den Kathodenröhrenbildschirm und sein zentrales Medium, die Glasscheibe. Seit der Erfindung des Flachglases im 17. Jahrhundert prägte sie nicht nur den Fensterblick, sondern auch den auf Gemälde, Fotografien und Audiovisionen. Wie der Vorhang schützte sie den Bildraum, nun allerdings, indem sie ihn sichtbar beließ. Die Glasrahmung entzog die Bilder nicht nur dem taktilen Zugriff, sie distanzierte auch visuell. Diesen Effekt verstärkte der analoge Fernsehschirm, das erste von Glas abgedeckte audiovisuelle Medium. Ausgeschaltet wirkte seine vor der Kathodenröhre gewölbte Scheibe als Sichtblende. Wurde der Fernseher jedoch eingeschaltet, erschienen hinter seinem Glas in tiefer Ferne laufende Bilder zum Greifen nahe – und blieben doch in jedem Sinne unfassbar. Die Transparenz der Glasrahmung betonte mit der physischen Trennung so die Bildlichkeit des Bildes: den Umstand, dass das Abgebildete, indem es sich sehen, aber nicht berühren lässt, da und eben doch nicht da ist. Die Rezipienten wahrten, wie nahe sie auch herantreten mochten, visuelle Distanz. Für dieses Arrangement gab es gute medientechnische Gründe. Wer perspektivische 2D-Bilder in ihrer ganzen Wirkung erfahren will, ob sie nun im Museum hängen, auf einer Leinwand oder einem Bildschirm laufen, muss einigen – physischen wie psychischen – Abstand von ihnen aufrechterhalten, um zu den erforderlichen Übersetzungsleistungen von 2D in 3D in der Lage zu sein. Die Konsequenz dieser Kombination von Rahmung und visueller Distanzierung allerdings ist die – wenn nicht Verhinderung, so doch – Verminderung des Eintauchens in die Bildwelten, die Reduktion von Immersion. Meine sechste These lautet daher: Das Prinzip der Separation, auf dem der neuzeitliche Bildraum basiert, resultiert gleichermaßen aus dem ästhetisch-medienpraktischen Interesse an der Steigerung perspektivischer Illusion wie aus dem ideologisch-medientheoretischen Interesse, die Kunst vom Leben zu trennen. Insofern handelt sich bei den neuzeitlichen Verfahren der Separierung – Rahmen, Vorhang, Glasscheibe – um Anti-Immersions-Techniken.
52 Diese Tradition setzte in den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts die populäre Fernsehtruhe fort, die den Bildschirm, das Fenster zur Welt, bei Nichtgebrauch hinter Türen verbarg.
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Kompensatorische Seh(n)süchte Dass Kinder sich an Bildschirmen wie auch Schaufenstern und Schaukästen die Nasen plattdrücken, bezeugt nicht nur die Effektivität der Dekontextualisierung des analogen Bildraums, sondern zugleich das fundamentale Ungenügen an ihm. Mit der mechanischen Medientrennung und der Popularisierung der Fensterblick-Medien kamen folgerichtig Sehnsüchte auf, deren als zu gering empfundenes Maß an Immersion zu steigern oder gar die Begrenzungen des analogen 2DBildraums gänzlich zu überwinden – von der Utopie des Gesamtkunstwerks bis zu diversen ästhetischen Praktiken des 17. und 18. Jahrhunderts wie dem Perspektivkasten, dem Perspektivtheater, der Wunderkammer, Panorama und Diorama.53 Hinzu trat um die Mitte des 19. Jahrhunderts die boomende stereoskopische Fotografie. Deren Effekte beschrieben Zeitgenossen als »a dream-like exaltation of the faculties, a kind of clairvoyance, in which we seem to leave the body behind us and sail away into one strange scene after another«54 – Worte, die, wie Anthony Lane feststellte, an die Hymnen gemahnen, die anderthalb Jahrhunderte später der Film AVATAR (2009) provozierte.55 Die Sehnsucht nach 3D – und damit nach einem höheren Maß an Immersion –, schlussfolgert Lane, »predated the arrival of the movies«.56 Parallel zu ihrem Siegeszug verstärkten sich denn auch die Anstrengungen, die medialen Limitationen analoger Bildlichkeit aufzuheben. Bereits um 1900 erfasste dieser Wunsch die Bildende Kunst. Im Gefolge der – von der Fotografie initiierten – Lösung von der Gegenständlichkeit kam es zu einer Haltung, die das Bild nicht mehr als Fenster zu einer anderen Wirklichkeit verstand, sondern schlicht als »bemalte Fläche«.57 Die Begrenzung des perspektivischen Bildraums
53 Vgl. u. a. Oettermann, Stephan: Das Panorama. Die Geschichte eines Massenmediums, Frankfurt/Main: Syndikat 1980. Stafford, Barbara Maria et al., Devices of Wonder: From the World in a Box to Images on a Screen, Los Angeles: Getty Research Institute 2001. 54 Der Schriftsteller Oliver Wendell Holmes 1859 in The Atlantic Monthly. Zitiert nach Lane, Anthony: »Third Way. The Rise of 3D«, in: The New Yorker vom 8. März 2010, http://www.newyorker.com/arts/critics/atlarge/2010/03/08/100308crat_atlarge_ lane 55 »We are a breath away from the forests of AVATAR.« Ebd. 56 Ebd. 57 So bereits 1890 der Maler Maurice Denis. Zitiert nach Maerker, Daniela: Die Entgrenzung des Bildfeldes im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts, München: Utz 1997, S. 15.
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suchten Avantgarde-Künstler wie Kurt Schwitters und Oskar Schlemmer in einer Vielzahl künstlerischer Experimente zu überwinden, indem sie etwa Bildrahmen übermalten und damit zum Teil des Bildes machten oder den Bildraum durch die Einarbeitung physischer Objekte in die dritte Dimension erweiterten. Daniela Maerker diagnostiziert bereits für das frühe 20. Jahrhundert ein »bewußtes ›AusDem-Rahmen-Fallen‹«: »Das Kunstwerk als in sich geschlossene Ganzheit wird in Frage gestellt; der ehemals durch die Grenzen des Bildträgers bestimmte Bildraum wird entgrenzt und erweitert.«58 Spätestens um die Jahrhundertmitte schloss auch die Theorie zur künstlerischen Praxis auf. Clement Greenberg etwa erklärte 1948 »The Crisis of the Easel Picture«, die eskalierende Dekonstruktion des gerahmten Fensterbildes, des »cutting the illusion of a boxlike cavity into the wall behind it and organizing within this cavity the illusion of forms, light and space, all more or less according to the current rules of verisimilitude.«59 An seine Stelle sei, beginnend mit dem Impressionismus, die Ansicht vom Bilde als einer planen Oberfläche getreten.60 Nur wenige Jahre später verstand Werner Hofmann diesen Wandel als ästhetische Reaktion auf ein neues Weltbild: »Die ›gerahmte‹ Welt liegt hinter uns. Ihr Welterlebnis ist nicht mehr das unsrige.«61 Und: »Mit der Perspektive hat der Rahmen abgedankt.«62 Dieser Entwicklung der post-realistischen – abstrakten – Malerei korrelierten kontinuierliche Bestrebungen auch im Film, dem fotorealistischen Leitmedium, den distanzierten Fensterblick zu überwinden. Kaum ein Jahrzehnt des analogen
58 Ebd., S. 1 und 9. Vgl. auch Schlemmers programmatische Äußerung aus dem Jahre 1919: »Bilder, die sie eben nicht mehr sind im bekannten Sinn, Leinwände, auf denen ein Stück Natur, Welt mit allen Illusionen des Raumes und Lichts eingefangen ist, um, in Goldrahmen gepresst, ihr Sonderdasein in den Salons und Museen zu führen; es sind vielmehr Tafeln, die den Rahmen sprengen, um sich der Wand zu verbinden und ein Teil der grösseren Fläche, des grösseren Raums als sie selbst zu werden ...« Zitiert nach ebd., S. 15. Damit entwirft Schlemmer eine visuelle Augmentierung des Realraums, wie sie sich nun im digitalen Mediendispositiv zu realisieren scheint. 59 Greenberg, Clement: »The Crisis of the Easel Picture«, in: Clement Greenberg/John O’Brian (Hg.), The Collected Essays and Criticism, Chicago: University of Chicago Press 1986, S. 221-228, hier S. 221. Erstdruck am 17. April 1948 in The Nation. 60 »... the ›decentralized,‹ ›polyphonic,‹ all-over picture which, with a surface knit together of a multiplicity of identical or similar elements ...« ebd., S. 222. 61 W. Hofmann: »Das Bild nicht mehr Ausschnitt der Welt. Versuch über den Rahmen« (1952), S. 19. 62 Ebd., S. 20.
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Kinos verging bekanntlich, ohne dass es zu technischen wie ästhetischen Experimenten mit der dreidimensionalen Erweiterung des Bildraums kam. Sie alle allerdings scheiterten an den Mängeln analoger Technologie, ob zu Beginn des 20. Jahrhunderts Lumières 3D-L’ARRIVÉE D’UN TRAIN EN GARE DE LA CIOTAT – aus dessen Filmplakat ein Zug in den Zuschauerraum rast – oder in den zwanziger Jahren die Televiews und Plastigrams, ob die Audioscopiks der dreißiger Jahre oder die 3D-Blockbuster und das Sensorama der fünfziger Jahre.63 Dauerhafter Erfolg war allein den vielfältigen Anstrengungen beschienen, die Grenzen des neuzeitlichen Bildraums dadurch zu sprengen, dass 2D-Bilder wieder in materielle 3D-Objekte verwandelt wurden. Mit solch zugleich regressivem wie antizipierendem Zurückbau der Separierung des analogen Bildraums von der Realität experimentierte neben der Bildenden Kunst vor allem das neue Medium des Themenparks. Sein Entstehen verdankte sich einem Jahrzehnte schwelenden Ungenügen, das Studiochef Walt Disney gegenüber seinen Produkten empfand.64 Seit den dreißiger Jahren strebte er nach einer immersiven Entgrenzung des industriellen Mediums Film, einer Überschreitung der einst mit dem perspektivischen Tafelbild etablierten Grenze zwischen der diegetischen Welt (audio-) visueller Repräsentationen und dem nondiegetischen Realraum, von dem aus das Publikum mehr oder weniger involviert zuschaut. Disneyland, 1955 eröffnet, sollte eine betret- und begehbare Fiktion in dreidimensionaler Lebensechtheit konstruieren. Dabei verließen sich Disney und seine Mitarbeiter wesentlich auf die bewährten – in Hollywood und der kalifornischen Luftfahrtindustrie entwickelten – Verfahren analoger Simulation: auf realistischen Kulissen- und Modellbau, Bewegungsplattformen, elektronische Steuerung und Automatisierung, technische Kontrolle visueller und akustischer Stimulation usf. Ziel der Kombination von Elementen des Kinos, der analogen Flugsimulation und der Architektur, letztere zugerichtet durch filmische Verfahren wie perspektivische Sicht, Selektion und Montage, war ästhetische Immersion, die Überwindung der kategorialen Distanz, die das Fensterblick-Medium Film von seinem Publikum trennte – »a cartoon that immerses the audience«.65
63 Zur Geschichte des 3D-Kinos vgl. Zone, Ray: 3-D Revolution: The History of Modern Stereoscopic Cinema, Lexington: University Press of Kentucky 2012. 64 Zur (Vor-) Geschichte des Themenparks vgl. Marling, Karal Ann/Centre Canadien d’Architecture (Hg.): Designing Disney’s Theme Parks: The Architecture of Reassurance, Montréal/Paris/New York: Flammarion 1997. 65 Walt Disney laut Thomas, Bob: Walt Disney: An American Original, 1. ed., New York, N.Y.: Hyperion 1994, S. 11. Zitiert nach Pine, B. Joseph/Gilmore, James H.:
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Suchte Disney das Medium Film mit den Mitteln der Architektur zu augmentieren, so setzte zeitlich parallel dazu im benachbarten Las Vegas der umgekehrte Prozess mit derselben Zielsetzung ein: die phantasmatische Aufbesserung moderner Architektur mit den Mitteln (audio-) visueller Medien.66 In einer ersten Phase kam es von Mitte der fünfziger bis zur Mitte der sechziger Jahre zur semiotischen Augmentierung von Realität,67 in einer zweiten Phase, die in den neunziger Jahren ihren Höhepunkt erreichte, entwickelten sich Las Vegas’ Kasinos – von innen nach außen und dem Modell des Themenparks folgend – zu „themed“, i.e. themierten Handlungs- und Spielräumen und setzten damit weltweit Standards für die sogenannte Entertainment-Architektur.68 Seit den frühen neunziger Jahren schließlich steigerten zahlreiche Kasinos ihre themierten ImmersionsAngebote durch die Installation hybrider Filmritte, die einerseits in der Tradition von Panorama und vor allem Diorama standen, andererseits der populären Utopie des Holodecks folgten. Mittels fortgeschrittener Verfahren militärisch-industrieller Steuerungstechnik und Robotik sowie durch den Einsatz von Schauspielern und Hologrammen inszenierten sie den physischen Eintritt der Zuschauer
The Experience Economy: Work is Theatre & Every Business a Stage, Boston: Harvard Business School Press 1999, S. 47. – Die umgekehrte Transgression, der Austritt der Leinwanddarsteller aus dem Rahmen der Fiktion in die Realität des Kinos, der Durchbruch also durch die unsichtbare vierte Wand, ließ sich im Rahmen noch des Kinos leichter durchspielen; vgl. z. B. die Entwicklung von SHERLOCK JR. (USA 1924, R: Buster Keaton) über HELLZAPOPPIN’ (USA 1941, R: H. C. Potter) zu THE PURPLE ROSE OF CAIRO (USA 1985, R: Woody Allen). 66 Vgl. zum Folgenden Freyermuth, Gundolf S.: »Vegas, Virtuelle Stadt«, in: Telepolis vom 9. März 2000, http://www.heise.de/tp/artikel/3/3488/1.html 67 Vgl. Venturi, Robert/Scott Brown, Denise/Izenour, Steven: Learning from Las Vegas: The Forgotten Symbolism of Architectural Form, Cambridge, Mass.: MIT Press 1977. 68 Vgl. Gottdiener, Mark: The Theming of America: Dreams, Visions, and Commercial Spaces, Boulder, Colo.: Westview Press 1997; Gottdiener, Mark/Collins, Claudia C./ Dickens, David R.: Las Vegas: The Social Production of an All-American City, Malden, Mass.: Blackwell 1999. – Zur Geschichte und Kritik der EntertainmentArchitektur vgl. z.B. Huxtable, Ada Louise: The Unreal America: Architecture and Illusion, New York: New Press: Distributed by W.W. Norton 1997; Sorkin, Michael: »Introduction: Variations on a Theme Park«, in: Michael Sorkin (Hg.), Variations on a Theme Park: The New American City and the End of Public Space, New York: Hill and Wang 1992, S. xi-xv; M. Gottdiener: The Theming of America; R. Venturi/D. Scott Brown/S. Izenour: Learning from Las Vegas.
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beziehungsweise Mitspieler in die Fiktion und antizipierten so virtuelle Spielräume im Realraum.69 Das Ungenügen an den Begrenzungen des analogen Bildraums, so meine siebte These, initiierte seit dem 17. Jahrhundert Visionen und Experimente, die eine Dekonstruktion des Basisprinzips der Separation im Interesse gesteigerter Immersion ästhetisch zu antizipieren suchten.
3 V ISUALITÄT
IM FRÜHEN
21. J AHRHUNDERT . A USBLICK
Eine weitere und zukunftsträchtigere Dekonstruktion des analogen Bildraums begann während der siebziger Jahre im Zuge der Elektronisierung. Das analoge Fernsehen brachte Schriftliches – Teletext – in den Bildraum der Moderne. Der Bildschirm weitete sich zum Textschirm. Mit der Digitalisierung und vor allem der Durchsetzung des Graphical User Interface (GUI) seit der zweiten Hälfte der achtziger Jahre eskalierte dieser Prozess: Die Aufhebung der Trennung von Bild- und Textraum im GUI leitete zum einen das Ende der analogen Separierung der Medien ein. Der Jahrhunderte alte Traum vom Gesamtkunstwerk, der sich nicht zu erfüllen schien, solange die Werke materiell zu erschaffen waren, sie also Hardware werden mussten, scheint sich seitdem im digitalen Transmedium zu verwirklichen. Zum zweiten virtualisierten sich dabei die Bildfenster und damit auch ihre Rahmen. Transmedialität Grundsätzlich resultierte Transmedialität bereits aus der Basisinnovation digitaler Technologie, der adäquaten Übertragung analoger Qualitäten und Funktionen in mathematische Werte und der damit vollzogenen Trennung von Hard- und
69 Vgl. Freyermuth, Gundolf S.: »Holodeck heute«, in c’t – magazin für computertechnik vom 30. August 1999, S. 72-77. http://freyermuth.com/reprints/archiv2008/reprint _Mar2008/Holodeck_heute.html; ders., »Von A nach D. Zwischen Hype und Utopie: Am Horizont der Digitalisierung von Kunst und Unterhaltung lockt das Holodeck«, in: Rudolf Maresch/Florian Rötzer (Hg.), Cyberhypes, Frankfurt am Main: Edition Suhrkamp 2001, S. 213-232. – Ein Großteil der in den neunziger Jahren mit jeweils zweistelligem Millionenaufwand in den Themenhotels installierten virtuellen Ritte wurde im Laufe des vergangenen Jahrzehnts wieder demontiert. – Zum Holodeck als audiovisuellem Leitbild s. u. Epilog.
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Software, wie sie um die Mitte des 20. Jahrhunderts konzipiert wurde.70 Was seine gültige ästhetische Gestalt mit unterschiedlichen Werkzeugen und auf inkompatiblen analogen Medien gefunden hatte – Leinwand oder Papier, Glas, Zelluloid, Magnetband –, konnte nun digital produziert und gemeinsam gespeichert werden; jedenfalls dem technologischen Prinzip nach. Die praktische, d. h. technische Realisierung benötigte freilich Jahrzehnte. Als besonders schwierig und langwierig erwies sich dabei die Digitalisierung laufender Bilder. Erst um die Wende zum 21. Jahrhundert wurde Software auch medienpraktisch – nach dem mechanischen Medium Bühne und nach dem industriellen Medium Zellulloidfilm – zum dritten neuzeitlichen AV-Medium und damit, da Texte, Töne und stehende Bilder längst schon Software waren, zugleich zum Universalmedium, das eine Vielzahl analoger und digitaler Künste in sich zu bergen vermochte. Diesem langen Weg der Audiovisionen in die Virtualität wiesen drei Antizipationen die Richtung – aus der Perspektive der Medientechnologie, der Medienkunst und der Medientheorie. Bereits 1977, als der Apple II, der erste in Serie gefertigte PC, allenfalls einen Vorschein persönlicher Verfügung über Rechenkraft vermittelte, pries der Computerwissenschaftler Alan Kay Software als »metamedium«71: »Although digital computers were originally designed to do arithmetic computation, the ability to simulate the details of any descriptive model means that the computer, viewed as a medium itself, can be all other media ...«72
Zwölf Jahre später, als die überwiegende Mehrzahl der PCs noch textbasiert war, von Kommandozeilen gesteuert wurde und Timothy Berners-Lee in einem Genfer Labor die Idee einer hyperverlinkten graphischen Vernetzung entwickelte, schrieb der Telematik-Künstler Roy Ascott: »Increasingly, as artists we are impatient with single modes of operation in dataspace. We search for synthesis of image, sound, text. We wish to incorporate human and artificial
70 Vgl. oben Anmerkung 5. 71 Kay, Alan/Goldberg, Adele: »Personal Dynamic Media«, in: Noah Wardrip-Fruin/ Nick Montfort (Hg.), The New Media Reader, Cambridge, Mass.: MIT Press 2003, S. 393-404, hier S. 394. Originalpublikation: Computer 10 (3): S. 31–41. März 1977. 72 Ebd., S. 393. – Damals schon konzipierte Kay, später Apple-Alumnus, das legendäre, nie realisierte Dynabook: einen Tafel-Computer, der sich – wie einst die Tontafeln der Vorzeit – mit Hilfe eines spitzen Stabes beschriften und bedienen lassen sollte.
314 | G UNDOLF S. F REYERMUTH movements, environmental dynamics, ambient transformations, altogether into a more seamless whole. We search, in short, for the Gesamtdatenwerk.«73
Wiederum ein Jahrzehnt später, um die Zeit, als George Lucas das erste digitale Film-Master vorbereitete, erkannte der Medientheoretiker Lev Manovich das Moment arbiträrer medialer Konstruktion, das sich mit dem Übergang zur Transmedialität verbindet: »Cinema becomes a particular branch of painting – painting in time. No longer a kino-eye, but a kino-brush.«74
Im darauffolgenden Jahrzehnt, den Nullerjahren des 21. Jahrhunderts, gerieten denn auch mit den rasanten medientechnischen Fortschritten zunehmend die ästhetischen Konsequenzen ins Blickfeld. Eine pointierte Analyse der neuen Möglichkeiten gab Kevin Kelly, als der Erfolg der Tablet-Computer absehbar wurde. Transmedia, schrieb er, »conflates books and video. You get TV you read, books you watch, movies you touch.«75 Um 2010 eröffneten sich so neue Optionen und medienpraktische Chancen. Deutlich wies die Entwicklung über lineare Audiovisionen wie den traditionellen Spiel- und Fernsehfilm hinaus: einerseits auf avancierte nonlineare und interaktive Audiovisionen, auf Mitspielfilme wie etwa HEAVY RAIN (Quantic Dream 2010, O: David Cage), ALAN WAKE (Microsoft 2010, O: Remedy Entertainment) oder L.A. NOIRE (Rockstar 2011, O: Team Bondi), andererseits auf zukünftige Darstellungs- und Erzählformen, die – wie nach der mechanischen Medienrevolution der Roman oder das moderne Drama und nach der industriellen Medienrevolution Hörspiel oder Spielfilm – erst noch zu imaginieren und zu entwickeln sind.76 In der Konsequenz behauptet Jesse Schell digitale Spiele als Plattform für transmediales Geschichtenerzählen:
73 Ascott, Roy: »Gesamtdatenwerk. Connectivity, Transformation and Transcendence« (1989), in: Timothey Druckey (Hg.), Ars Electronica: Facing the Future, Boston: MIT Press 1999, S. 86-89, hier S. 89. Vgl. auch: »We are a long way from the Gesamtdatenwerk. The computer industry is slow in releasing those technologies which will facilitate a seamless interface …« (Ebd.) 74 L. Manovich: The Language of New Media, S. 308. 75 K. Kelly: Window on the World. 76 Eine Vorahnung zukünftiger Transmedialität vermittelt beispielsweise die schwindende Distinktion zwischen den analog streng geschiedenen Varianten des MagazinFormats in Print, Radio und Fernsehen. – Vgl. auch transmediale Experimente wie etwa das interaktive Lehrbuch The Elements (Touch Press 2010, http://periodictable
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»As technology advances, more and more aspects of human life and expression will be integrated into games. There is nothing that cannot be part of a game. You can put a painting, a radio broadcast, or a movie into a game, but you cannot put a game into these other things. ... At their technological limit, games will subsume all other media.«77
Jesse Schell wie auch Kevin Kelly konzentrieren dabei ihre Überlegungen auf eine von zwei sehr verschiedenen Spielarten von Transmedialität – die Herstellung eines fiktionalen oder non-fiktionalen Containers, der mehrere Medien enthält, also in seinem Inneren die tradierten Mediengrenzen transzendiert. Bei diesen Containern muss es sich selbstverständlich nicht – mehr – um geschlossene Werke handeln. Im Gegenteil, meist bleiben Transmedia-Produktionen offene Werke. Darin folgen sie der generellen Tendenz digitaler Kultur zu fragmentiertem und distribuiertem Erzählen.78 Für diese erste Spielart innerer Medienfusion schlage ich den Begriff »intensive Transmedialität« vor, für die zweite Spielart, das variantenreiche Auserzählen ein und derselben Geschichte über mehrere Medien hinweg, den Begriff »extensive Transmedialität«. Sie nutzt dem Prinzip nach die besonderen ästhetischen und narrativen Qualitäten der gewählten Medien beziehungsweise Darstellungs- und Erzählformen, um in der Darstellung von Fakten wie Fiktionen neue Facetten herauszuarbeiten und differierende Rezeptionsmodi zu ermöglichen. 79
.com/ipad/), die iPad-Version von Alice in Wonderland (Atomic Antelope 2010, http://itunes.apple.com/us/app/alice-for-the-ipad/id354537426?mt=8) oder die iPadVersion von Alan Gores Our Choice (Push Pop Press 2011, http://pushpoppress.com/ ourchoice/) sowie eine Vielzahl innovativer Tablet-Spiele. Deren Boom rund um Smartphone und Tafel-PCs erinnert grundsätzlich daran, dass die Tafel als mediale Form stets nicht nur ein Ort von Schrift und Bild, sondern auch Spielfeld war. 77 J. Schell: The Art of Game Design, loc. 1326-29. 78 Virtualisierung bewirkt deutlich eine Krise des geschlossenen Kunstwerks. Stabilisierte analoge Speicherung die Werkgestalt, so ermöglicht digitale Speicherung kontinuierliche Ergänzung und Erneuerung, arbiträre Modifikationen eben nicht nur durch die Produzenten, sondern auch – wichtiger noch – durch Nutzer. 79 Die Rede von der extensiven Transmedialität zielt auf das, was auch Crossmedialität meint. Zumindest im angelsächsischen Bereich scheint dieser Begriff jedoch aus dem Gebrauch zu kommen, seit die einflussreiche Producers Guild of America 2010 beschloss, den Credit »Transmedia Producer« einzuführen. Siehe z. B. Jenkins, Henry: »Hollywood Goes ›Transmedia‹«, in: Confessions of an Aca-Fan – The Official Weblog of Henry Jenkins vom 27. April 2010. http://henryjenkins.org/2010/04/holly wood_goes_transmedia.html
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Das populärste Beispiel dafür geben die sogenannten Brand Fictions – global wirksame transmediale Geschichtswelten wie Star Wars, James Bond, Pokemon oder Harry Potter, die von Filmen und Romanen bis zu Spielen und Spielzeugen reichen. Darüber hinaus existieren andere, weniger lukrative, aber dennoch populäre Storyworlds; z. B. LARPs und ARGs, also Live Action Role Playing und Alternative Reality Games. Drew Davidson beschreibt extensive Transmedialität, die er noch Crossmedialität nennt, als »integrated, interactive experiences that occur across multiple media, with multiple authors and have multiple styles. The audience becomes an active part in a cross-media experience.«80 Meine achte These lautet daher: Die digitale Dekonstruktion des analogen Bildraums kennzeichnet die Überwindung und Überschreitung der tradierten Mediengrenzen, sowohl in Richtung intensiver wie extensiver Transmedialität. Augmentierung Das zweite Moment des Übergangs von der Kommandozeilen- zur GUISteuerung im Laufe der achtziger und frühen neunziger Jahre, die Virtualisierung der gerahmten Öffnungen zur visuellen Welt – von der Fenster-Wirtschaft in Apples Lisa OS und MacOS über Microsofts treffend benanntes WindowsBetriebssystem zu den Browser-Fenstern, durch die unabhängig von Betriebssystemen der Blick auf die Inhalte des World Wide Web fällt –, sorgte dafür, dass Fenster und Rahmen nun, da sie Software wurden, per definitionem nicht mehr sichtbar sein müssen und rein funktional wirken können. Deutlicher noch als in den klassischen GUIs wird diese Qualität in ihren Modifikationen und Weiterentwicklungen:
80 Davidson, Drew: Cross-media Communications: An Introduction to the Art of Creating Integrated Media Experiences, Pittsburgh, PA: ETC Press (Kindle Edition) 2010, loc. 36. – Dem Prinzip nach ähneln die Verfahren der Produktion extensiver Transmedialität denen der Adaptation. In der analogen Epoche verliefen Adaptationsprozesse freilich in der Regel sukzessiv: Erst erschien ein Originalwerk, später seine Adaptation. Diese traditionelle Sequentialität – beispielsweise vom Roman zum Film zum Brettspiel – wird bei transmedialen Produktionsprozessen in der Regel durch Parallelität ersetzt; was ein erhöhtes Maß an technischem wie ästhetischem Austausch ermöglicht, insbesondere von narrativen und visuellen Assets. In der Rezeption verstärkt die parallele Bereitstellung derselben Geschichte oder einzelner Stränge in mehreren Medien die Möglichkeit immersiver Erfahrungen.
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»Sensomotorische und akustische Interfaces, interaktive Spielekonsolen, wearable und fashionable technologies, Datenbrillen, -handschuhe und -anzüge, Bio- und Nano-Interfaces und nicht zuletzt die sogenannten intelligenten Umgebungen, sind Beispiele für Interface-Entwicklungen, wie sie scheinbar immer weitergehend ihren Rahmen, der sie als technisches Artefakt uns gegenüberstellte, ablegen und sich immer weiter in unseren Alltag, unsere Handlungen und Körper einschmiegen.«81
Die daraus resultierende Steigerung der Immersion hat Timo Skrandies als sowohl »Rahmenkrise« wie Ursache von »Wahrnehmungskrisen« beschrieben.82 Richtet man den Blick über diese nicht unzutreffende Bestandsaufnahme hinaus nach vorne, so lässt sich erkennen, dass des einen Krise der anderen neue Freiheit ist. Mit der Software-Werdung von Fenster und Rahmen sowie ihrer arbiträren Multiplizierung war das Potential zur Hybridisierung von Medien und Umwelt gesetzt. Sukzessive realisierte es sich in diversen Varianten interaktiver 2Doder 3D-Realitäts-Augmentierung, sogenannter Mixed Reality, wie sie im Kontext künstlerischer Experimente entstand, oder Augmented Reality, wie sie im Kontext wissenschaftlicher Forschung und industrieller Fertigung aufkam. Im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts drang solch interaktive Überlagerung von Medien und Realität in den Alltag; einerseits über spezialisierte Navigationsgeräte und eine Vielzahl von Smartphone- und Tafel-PC-Applikationen, die neben der geografischen auch die soziale und kulturelle Navigation im großstädtischen Raum erleichtern;83 andererseits durch spielerische Applikationen etwa in Geocaching- oder Alternative Reality Games.84 »The real world is way
81 Skrandies, Timo: »In den Rahmen, aus dem Rahmen. Medienhistorische Bewegungen zwischen Interface und Immersion«, in: Hans Körner/Karl Möseneder (Hg.), Format und Rahmen: vom Mittelalter bis zur Neuzeit, Berlin: Reimer 2008, S. 243-257, hier S. 244. 82 Ebd., S. 243 und S. 250. 83 Die Entwicklung gleicht der Beschriftung bzw. Beschilderung der Städte in der industriellen Frühzeit mit Straßennamen, Hausnummern, Wegweisern und Verkehrsschildern. Legte sich damals über die Lebenswelt eine neue analoge, so heute eine neue digitale Medialität. Die materielle Medialisierung der Realität, die mit Mechanisierung und Industrialisierung begann und dem Kollektiv standardisierte Zeichen setzte, wird so ergänzt durch eine virtuelle Medialisierung, die dem Individuum personalisierte Zeichen setzt. 84 Die Geschichte des GPS-gesteuerten Geocaching beginnt im Mai 2000, wenige Tage, nachdem die amerikanische Regierung die Genauigkeit des GPS-Systems auch für zivile Zwecke erhöhte. – Als erstes Alternative Reality Game gilt THE BEAST (Micro-
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too boring for many people«, sagt der spanische Augmented-Reality-Spieleentwickler Daniel Sánchez-Crespo: »By making the real world a playground for the virtual world, we can make the real world much more interesting.«85 Darüber hinaus wächst im Bereich professioneller Medienproduktion die Zahl avancierter Anwendungen, vom so genannten CNN-Hologramm, das 2008 mit Hilfe von 35 HD-Kameras und 20 Computern eine Reporterin von Chicago live in ein New Yorker Studio »beamte«, über den 1996 erschossenen Rapper Tupac Shakur, der 2012 beim Coachella-Festival in Kalifornien vor 10 000 Zuschauern holographisch-lebensgroß live auftrat, bis zu Electronic Arts’ »Virtual Playbook«, das reale Sportreporter in einen virtuell augmentierten Spielraum mit hyperrealistisch erzeugten Sportstars versetzt und sie gemeinsam alternative Spielzüge durchprobieren lässt.86 Was daher unter analogen Bedingungen eine metaphorische Rede bleiben musste – dass die Medien, etwa die Bilder von Spielfilm und Fernsehen, die Realitätswahrnehmung überformen und überlagern –, geschieht nun tatsächlich über die Kombination mobiler Breitbandvernetzung mit Smartphones, TouchTafel-PCs und demnächst wohl auch Datenbrillen wie Google Glass oder John Carmacks Oculus Rift.87 Bilder, Töne und Texte schieben sich – scheinbar rah-
soft 2001, O: Sean Stewart, Elan Lee, Pete Fenlon). Das Spiel war Teil der Bewerbung des Spielfilms A.I.: ARTIFICIAL INTELLIGENCE (USA 2001, R; Steven Spielberg). 85 Zitiert nach Berlin, Leslie: »Kicking Reality of a Notch«, in: The New York Times vom 12. Juli 2009. http://www.nytimes.com/2009/07/12/business/12proto.html?_r= 1&partner=rss&emc=rss 86 Zu CNNs »Hologramm« vgl. z. B. Welch, Chris: »Beam me up, Wolf! CNN debuts election-night ›hologram‹«, in: CNN vom 6. November 2008. http://edition.cnn.com /2008/TECH/11/06/hologram.yellin/index.html – Zu Tupac Shakurs Hologramm-Auftritt vgl. z. B. N.N.: »Coachella 2012: Snoop Dogg Resurrects Tupac Shakur Via Hologram« in: The Hollywood Reporter vom 16. April 2012, http://www.hollywood reporter.com/earshot/coachella-snoop-dogg-tupac-hologram-312314 – Zu Electronic Arts »Virtual Playbook« vgl. z. B. Dachman, Jason: »ESPN Uses EA Sports Virtual Playbook To Put Analyst in the Play«, in: Sports Video Group vom 5. Januar 2011, http://sportsvideo.org/main/blog/2011/01/05/espn-uses-ea-sports-virtual-playbook-toput-analyst-in-the-play/ 87 Zu Google Glass vgl. z. B. Pogue, David: »Google Glass and the Future of Technology«, in: The New York Times vom 13. September 2012. – Zu Oculus Rift vgl. z. B. Stevens, Tim: »Project Holodeck and Oculus Rift hope to kickstart every gamers’ VR
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menlos – über die alltägliche Realität beziehungsweise über unsere Wahrnehmung von ihr. PCs, immer schon Intelligenz- und Talentverstärker, werden zu Realitätsverbesserungsmaschinen. Auch das zweite Kennzeichen analoger Bildlichkeit wird damit im Prozess der Digitalisierung dekonstruiert. Mit der Virtualisierung von Fenster und Rahmen im GUI, dies ist meine neunte These, begann eine Aufhebung der analogen Separation von Medien und Umwelt, die sich gegenwärtig in NUI gesteuerten Augmented-Reality-Erfahrungen realisiert. Immersion Die Ablösung vom intimen Tafelformat, wie sie im Bereich der Bildlichkeit mit dem Übergang von Bildtafeln zu immer größeren Leinwänden beziehungsweise Tafelbildern einsetzte, vollzog sich im Bereich der Schriftlichkeit erst mit der Digitalisierung. Denn im selben Maße, in dem Tafeln und Seiten, Notizblöcke und Bücher zu Elementen von Software-Programmen wurden und damit aus den Händen der Schreibenden und Lesenden hinter die Glasscheiben von Bildschirmen gerieten, verlor sich die intime physische Beziehung zu ihnen. Weder Desktop-Bildschirme noch Laptops ermöglichen entspannte Körperhaltungen oder gar taktile Zugriffe, wie sie seit Jahrtausenden die Varianten von Text- und Bildtafeln bieten. Als misslungene Virtualisierungen standen die bisherigen digitalen Apparaturen daher, wie David Carr schrieb, einem »very human, almost innate, urge« entgegen: »[R]eaders want to touch what they are seeking to learn.«88 Zwar wurden Texte als Software erstmals arbiträr manipulierbar, nur eben noch nicht im Wortsinne, durch die Hand und ihre sprechenden Gesten. Diese Fortdauer der Distanz in unberührbaren Hinterglaswelten gestalteten Wölbung und Tiefe der vom Fernsehen stammenden Kathodenröhrenschirme. Ihre Überwindung deutete sich seit den neunziger Jahren im Übergang zu immer flacheren und planeren Bildschirmen an. Indem sie die räumliche Tiefe eliminierten, die bei aller Verschiedenheit Guckkastenbühne, Kino und Kathodenröhrenbildschirm gleichermaßen auszeichnete, legten sie das technologische Fundament für die Aufhebung der neuzeitlich konstruierten Separierung der Bilder. Aber nicht nur das räumliche Volumen, das mit der digitalen LCD-Technik schwand, hatte ja für die Distanz zwischen den medialen Gehalten und ihren
dream for $500«, in: Engadget vom 23. Juli 2012. http://www.engadget.com/2012/ 07/23/project-holodeck-and-oculus-rift/ 88 Carr, David: »A Savior in the Form of a Tablet«, in: The New York Times vom 3. Januar 2010, http://www.nytimes.com/2010/01/04/business/media/04carr.html?_r=0
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Nutzern gesorgt. Wesentlicher wirkte die gläserne Trennscheibe, die nur Blicke und diese nur in eine Richtung ermöglichte. Darin entsprach sie den Qualitäten analoger Einkanal-Medien. Das digitale Rückkanal-Medium, dessen vornehmste Form das Spiel ist, erfordert dagegen Einwirkungsmöglichkeiten – transmediale Offenheit in beide Richtungen. Mit der Aufrüstung des analogen Flachschirms zum digitalen Touchscreen vollzieht sich gegenwärtig der radikale Funktionswechsel: Vom Mittel taktiler Separation wird die Glasabdeckung zum Medium taktiler Interaktion. Aber Monitore bekommen nicht nur Touch Screens, damit sie ihre Nutzer fühlen können. Sie erhalten ebenso Kameras, damit sie sehen, und Mikrophone, damit sie hören können. Generell führt die Tendenz im Umgang mit Text-, Ton- und Bildmedien damit von der Separation zu Interaktion und Immersion. Eine zentrale Rolle spielt dabei die Durchsetzung von Tafel-PCs. In ihrer spezifischen Kombination von innovativer Hardware und NUI erlauben sie erstmals, das Potenzial digitaler Bildlichkeit zu realisieren, insbesondere die intime, personalisierte und interaktive Nutzung linearer wie nonlinearer Audiovisionen. In der Konsequenz implodiert der analoge Bildraum der Moderne. Aufgehoben wird dabei die Distanz des Betrachters, die Bühne, Kinoleinwand, Fernsehschirm und eben auch analoge Computermonitore verlangten. Tafel-PCs ermöglichen eine intime, körperlich nahe Aneignung von Bewegtbildern, wie sie unter analogen Bedingungen allenfalls experimentelle Schauapparaturen boten, etwa in der Frühzeit des Films Thomas Edisons Kinetoscope oder in den 1950er Jahren Mort Heiligs Sensorama. Weit über die Möglichkeiten dieser analogen Gerätschaften hinaus aber gestatten Touch-Tafel-PCs sowie gestengesteuerte Spielekonsolen und PCs ihren Nutzern die interaktive Echtzeit-Manipulation stehender wie laufender Bilder, von Spielfilmen wie digitalen Spielen – im Wortsinne, durch die eigene Hand, und zusätzlich ermächtigt durch Bewegungssensoren, GPS-Chips und entsprechende Software. Das Komplement dieser Dekonstruktion der Tiefe und (Lebens-) Ferne des analogen Bildraums ist digitale 3D-Bildlichkeit. Indem nun ein Vierteljahrhundert nach den Tönen auch die Bilder sich durch die Tiefe des Raums gen Zuschauer bewegen, fällt die vierte Wand, die unsichtbare Mauer, die den analogen Tonfilm von seinem Publikum trennte. Was der digitale Bildraum gewissermaßen »nach hinten« an Tiefe verliert, gewinnt er »nach vorne«. Die Audiovisionen kommen dem Betrachter näher denn je, schießen auf ihn zu, umschließen ihn. Der gesteigerten räumlichen korreliert identifikatorische Nähe. Der Effekt ist eine gesteigerte Immersion, wie sie 2D-Bilder kaum produzieren können. Insofern entspricht es einer gewissen Logik medialer Eskalation vom 3D- zum 4D-Kino fortzuschreiten, zu Filmen, die ihr Publikum körperlich involvieren. Für diese
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Anstrengung stehen sowohl das kommerzielle Bemühen um ein Kino der physischen Sensationen – »movies that shake, rattle and roll viewers«89 – als auch experimentelle filmische Installationen wie SCENARIO (AUS 2011, R: Dennis Del Favero).90 Abbildung 1: Aufführung von SCENARIO beim Sydney Film Festival (2011)
Quelle: http://ruthostrow.com/kids-in-cyberspace/
Die populäre Utopie solch interaktiver und physischer Immersion in transmediale Datenwelten, einen Ausblick auf die Post-PC-Ära, entwarf vor einem Jahrzehnt MINORITY REPORT (USA 2002, R: Steven Spielberg). Deutlich waren die demonstrierten NUI-Manipulationen von avantgardistischen Game-Controllern inspiriert, die damals mit Hilfe von Webcams operierten – wie umgekehrt MINORITY REPORT dann auch eine neue Generation solcher Controller beeinflusste, insbesondere Microsofts Kinect. Insofern ein zentrales Ziel von Game
89 Hart, Hugh: »4-D Cinema Explores Shake, Rattle and Sniff Options«, in: Wired vom 15. Juli 2011, http://www.wired.com/underwire/2011/07/4-d-movies/ 90 Zukerman, Wendy: »Where’s my Holodeck? The latest interactive movie news«, in: New Science Culture Lab vom 7. Juni 2011, http://www.newscientist.com/blogs/ culturelab/2011/06/wheres-my-holodeck-the-latest-interactive-movie-news.html
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Design die Immersion der Spieler ist, verwundert es nicht, dass Anstrengungen, den Begriff zumindest pragmatisch zu definieren – gerade auch im Hinblick auf seine Beziehung zur Interaktion –, in besonderem Maße im Umfeld von Game Design und Game Studies unternommen wurden. Abbildung 2: MINORITY REPORT (2002)
Ernest Adams beispielsweise unterschied 2004 taktile Immersion, die aus Bedienungsabläufen resultiere, von strategischer Immersion, die aus mentaler Involvierung, und narrative Immersion, die aus dem Eintauchen in erzählerische Abläufe resultiere.91 Ein Jahr später differenzierten Laura Ermi und Frans Mäyrä zwischen sensorischer Immersion sowie Immersion durch Interaktion und Imagination.92 Recht ähnlich kategorisierten auch Staffan Björk und Jussi Holopainen Immersion in sensorisch-motorische, kognitive und emotionale Elemente. Sie fügten allerdings noch als viertes Element räumliche Immersion hinzu, das Eintauchen in glaubwürdig gestaltete virtuelle Welten.93 Immersion ist jedoch
91 Adams, Ernest: »Postmodernism and the Three Types of Immersion«, in: Gamasutra vom 9. Juli 2004. http://www.designersnotebook.com/Columns/063_Postmodernism/ 063_postmodernism.htm 92 Ermi, Laura/Mäyrä, Frans: »Fundamental Components of the Gameplay Experience. Analysing Immersion«, in: DiGRA Conference, Vancouver, 2005. http://www.digra. org/dl/db/06276.41516.pdf 93 Bjork, Staffan/Holopainen, Jussi: Patterns in Game Design, Hingham, Mass.: Charles River Media 2005.
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ästhetisches Ziel nicht nur in der Gestaltung interaktiver Spiele und ihrer Welten. Frank Rose etwa beschreibt sie als zentrales ästhetisches Anliegen der Epoche: »We can see the outlines of a new art form, but its grammar is as tenuous and elusive as the grammar of cinema a century ago. We know this much: people want to be immersed. They want to get involved in a story, to carve out a role for themselves, to make it their own.«94
Die digitale Dekonstruktion des analogen Bildraums, dies ist meine zehnte These, zielt auf die Aufhebung der materiellen Separation der Medien und insbesondere der Bilder von ihren Nutzern zugunsten von interaktiver Immersion.
E PILOG Vor unseren Augen entsteht so ein digitales Mediendispositiv, das sich kategorial von den bekannten Varianten analoger – mechanischer und industrieller – Medialität unterscheidet. Mit Blick auf digitale Audiovisualität ließ sich dieser Prozess in zweierlei Richtung verfolgen. Zum einen wandeln sich, nach innen geblickt, Gestalt und Gehalte des Audiovisuellen – seine Inhalte und Formen. Dabei vollzieht sich erstens ein Übergang vom nicht-indexikalischen analogen Realismus und indexikalischen Fotorealismus zu einem hybriden Hyperrealismus, der indexikalische und nicht-indexikalische Elemente mischt, sowie zweitens von linearen Erzählformen zu – der Tendenz nach – nonlinearen, die drittens anstelle rein passiver Rezeption interaktive Nutzung einfordern und dafür zunehmend »natürliche« und intime Interfaces zur Verfügung stellen. Zum zweiten verändert sich, nach außen geblickt, das Verhältnis der Audiovisionen zu den anderen Medien, zur Umwelt und zu den Rezipienten. War für den analogen Bildraum eine dreifache Separation charakteristisch: erstens der Medien von einander, zweitens der Medien von der Umwelt und drittens der Medien von ihrem Publikum, so kennzeichnet den digitalen Bildraum die Aufhebung dieser Trennungen beziehungsweise eine dreifache Fusion: • •
erstens der Medien miteinander in intensiver und extensiver Transmedialität; zweitens der Medien mit der Umwelt in hybriden Augmented-Reality-Konstellationen und
94 F. Rose: The Art of Immersion, loc. 166.
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drittens der Medien mit ihren Nutzern in gesteigerter psychischer, kognitiver und auch physischer Immersion.
Das Prinzip der Separierung, das den analogen Bildraum der Moderne kennzeichnete, wird damit im Prozess der medialen Digitalisierung durch sein Gegenteil ergänzt, wenn nicht ersetzt: das Prinzip der Fusion oder Integration. Die Konsequenzen, die sich daraus in der näheren Zukunft für die ästhetische Produktion ergeben, scheinen allerdings zwischen linearer und nonlinearer bzw. nicht-so-linearer Audiovisualität zu differieren. Die Zukunft linearer Audiovisualität Der Film kam bekanntlich stumm, schwarzweiß und zweidimensional auf die industrielle Welt, als unvollständiges Mediendispositiv. Schon in seinen ersten Jahren begannen allerdings vielfältige Anstrengungen, diesen empfundenen Mängeln abzuhelfen. Das Fortschreiten vom stummen zum tönenden und vom schwarzweißen zum farbigen Film verzögerten dabei nicht allein technische Probleme und ökonomische Erwägungen. Wesentlich wirkte auch kultureller Widerstand, wie er sich in der Stummfilmdebatte und der Auseinandersetzung um den Realismus der Farbigkeit zeigte und wie er seit einigen Jahren nun wieder in der Diskussion um digitale 3D-Bildlichkeit zu beobachten ist. Führende Filmemacher Hollywoods – Jeffrey Katzenberg, Steven Spielberg, James Cameron, Peter Jackson – sehen in der Wende zum digitalen 3D-Kino die nach Ton und Farbe dritte große Revolution des Films. Andere, etwa der Editor Walter Murch oder der Großkritiker Roger Ebert und – wie die Auseinandersetzung in den entsprechenden Foren anzeigt – eine nicht geringe Zahl von Filmfans bringen gegen 3D-Bildlichkeit ihre »Unnatürlichkeit« vor.95 Ähnliche Konstellationen kennzeichnen die Debatten um das Schicksal linearer Audiovisualität im Kontext transmedialen oder multi- und nonlinearen Erzählens. Die Frage nach der Zukunft linearer Audiovisualität, d. h. von Spielfilmen und Fernsehserien wie von Dokumentationen, stellt sich insofern zum einen hinsichtlich ihrer technischen Gestalt: Wird digitale Dreidimensionalität – unabhängig davon, ob ihre Durchsetzung nun bei diesem Anlauf oder erst beim nächsten, womöglich brillenlosen gelingen wird – eine »Komplettierung« des Mediums Film leisten? Und zum zweiten hinsichtlich ihrer ästhetischen Gestalt. Das Fernsehen veränderte einst Visualität und die Erzählweisen von Serien wie abendfüllenden Spielfilmen. Sollten die mit der Digitalisierung aufkommenden neuen in-
95 Vgl. Thomas Elsaesser, »Die ›Rückkehr‹ der 3D-Bilder«, in diesem Band S. 26ff.
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timen und interaktiven Nutzungsweisen linearer Audiovisionen nicht vergleichbar nachhaltige ästhetische Konsequenzen nach sich ziehen?96 Die Zukunft nonlinearer Audiovisualität Rudimentärer noch stellt sich die Situation im Bereich multi- oder nonlinearer Audiovisualität dar. Hier dürfte in medientechnischer Hinsicht 3D von Ton und Bild in der Verbindung mit einem NUI – also Touch-, Gesten- oder Sprachsteuerung – lediglich einen wichtigen Entwicklungsschritt in Richtung einer zukünftigen Realisation des medialen Potentials audiovisuell-interaktiver Darstellungsformen bedeuten. Damit stellt sich im Kontext von Transmedialität, Augmented Reality und Immersion die Frage: Wie weitgehend werden Nutzer und Audiovisionen verschmelzen können? Abbildung 3: Virtual-Reality-Game WILD SKIES (2012), Project Holodeck, School of Cinematic Arts. University of Southern California
Quelle: http://www.projectholodeck.com/wildskies
Anthony Lane schreibt: »3-D will ravish our senses and take us on rides that no drug could match, but my guess is that, like so many blessings, it won’t make us
96 Es lässt sich argumentieren, dass die ästhetische Blüte amerikanischer TV-Serien, die um 2000 einsetzte, sich weniger schon der Digitalisierung verdankt und mehr noch eine Spätfolge der Durchsetzung des Buch-ähnlichen materiellen Speicher- und Distributionsmediums DVD ist.
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happy. It will make us want more.«97 Und in der Tat lassen sich mit historischem Abstand die digitalen Kino-Utopien der neunziger Jahre – Douglas Trumbulls Vision der Verschmelzung von Film und Realität, George Lucas’ biotechnisches Drogenkino oder Walter Murchs Cinema of the Mind als bereits post-cinematisch erkennen.98 Auch nach dem Big Bang digitaler Bildlichkeit, der Implosion des analogen Bildraums in der tiefenlosen Touch-Tafel und seiner Explosion im digitalen 3D, lockt weiterhin – immer noch und immer mehr – am Horizont das Versprechen des Holodecks, wie es vor einem halben Jahrhundert Gene Roddenberry für das televisuelle Star-Trek- Universum konzipierte.99 Unter medienhistorischer Perspektive lässt sich darin die prägende Funktion utopischer Konzepte erkennen. Denn nicht anders als vorindustriell das Ideal des Gesamtkunstwerks zum Leitbild audiovisueller Produktion aufstieg, um industriell modifiziert im tönenden Farbfilm realisiert zu werden, scheint sich nun das Holodeck, die industrielle Unterhaltungsutopie holographisch-haptischer Immersion, seiner digital modifizierten Verwirklichung zu nähern – als virtuell betretbare 3D-Storyworld, geprägt von hyperrealistischer (Audio-) Visualität und bevölkert von sprachbegabten computergenerierten Charakteren.
97 Lane, »Third Way. The Rise of 3D«. 98 Vgl. G. S. Freyermuth: Cinema Revisited, S. 27. 99 Um nur drei Beispiele von vielen zu nennen und zwar nicht aus dem Bereich der kulturindustriellen Produktion, sondern aus dem vermeintlich nüchterneren Milieu künstlerisch-wissenschaftlicher Forschung: Karlheinz Brandenburg, der legendäre Erfinder des MP3-Standards, heute Leiter des Fachgebietes Elektronische Medientechnik an der TU Ilmenau, bemerkte in einem Interview: »In Ilmenau sind wir mittlerweile weltweit führend in der entsprechenden 3-D-Audiotechnik. Der Tonteil des Holodecks funktioniert also bereits gut.« (Seibel, Andrea: »›Manche lieben sich sogar‹«, in: Die Welt vom 14. Dezember 2009, http://www.welt.de/welt_print/vermischtes/article 5522707/Manche-lieben-sich-sogar.html) – In Microsofts Edison Lab arbeitet man, berichtet The Verge und sagt Forschungsdirektor Stevie Bathiche selbst, an Elementen des Holodecks – »to create a holodeck-like experience« (Sottek, T. C: »To build a holodeck: an exclusive look at Microsoft’s Edison lab«, in: The Verge vom 28. Dezember 2011. http://www.theverge.com/2011/12/28/2665794/microsoft-edison-labholodeck-tour) – An der School of Cinematic Arts der University of Southern California in Los Angeles schließlich unternimmt es seit 2012 das »Project Holodeck« mit Hilfe des von John Carmack entwickelten Oculus-Rift-Visors interaktiv-immersive Audiovisionen nach dem Vorbild des Holodecks herbei zu experimentieren (Vgl. T. Stevens: »Project Holodeck and Oculus Rift hope to kickstart every gamers’ VR dream for $500«)
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Autorinnen und Autoren
Bergermann, Ulrike, Professorin für Medienwissenschaft an der HBK Braunschweig, vorher am SFB Medien und kulturelle Kommunikation Köln, der RuhrUniversität Bochum und der Universität Paderborn, Promotion in Hamburg, aktiv in ZfM und GfM, Interessen: Medientheorie, Wissenschaftsgeschichte, Gender Studies, Postkoloniale Theorie. Ausgew. Publikationen: Hg. (mit Isabell Otto und Gabriele Schabacher): Das Planetarische. Kultur – Technik – Medien im postglobalen Zeitalter (München: Fink, 2010); Hg.: Bilder von Helen Keller (Berlin: b_books, i. Dr.); „Postkoloniale Medienwissenschaft“, in: Jens Schröter (Hg.), Handbuch Medienwissenschaft (Stuttgart, Weimar: Metzler, i. Dr.). Homepage: www.ulrikebergermann.de/ Elsaesser, Thomas, Emeritus Professor an der Fakultät Medien und Kultur der Universität von Amsterdam; von 2006-2012 Gastprofessor an der Yale University. Seine Aufsätze und Bücher sind in mehr als 15 Sprachen erschienen. Deutsche Bücher: Metropolis (München: Europa, 2001), R.W. Fassbinder (Berlin: Bertz + Fischer, 2001/2012), Filmgeschichte und Frühes Kino (München: text + kritik, 2002), Terror und Trauma: über die Gewalt des Vergangenen in der BRD (Berlin: Kadmos, 2007), Filmtheorie: zur Einführung (mit Malte Hagener, Hamburg: Junius, 2007), Hollywood Heute (Berlin: Bertz + Fischer, 2009). Neueste Veröffentlichung: The Persistence of Hollywood (New York: Routledge, 2012). Homepage: home.hum.uva.nl/oz/elsaesser/ Engell, Lorenz, Professor für Medienphilosophie an der Bauhaus-Universität Weimar, Direktor (zus. m. B. Siegert) des Internationalen Kollegs für Kulturtechnikforschung und Medienphilosophie (Käte Hamburger Kolleg – IKKM) der Bauhaus-Universität. Veröffentlichungen u.a.: Fernsehtheorie zur Einführung (Hamburg: Junius, 2012), Playtime. Münchener Film-Vorlesungen (Konstanz: UVK, 2010), Bilder der Endlichkeit (Weimar: VDG, 2005), Bilder des Wandels
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(Weimar: VDG, 2003), Mitherausgeber u. a. der »Zeitschrift für Medien- und Kulturforschung« (ZMK, seit 2009), des »Archiv für Mediengeschichte« (20002010) und des Kursbuch Medienkultur (Stuttgart: DVA, 1998). Homepage: www.ikkm-weimar.de/engell Freyermuth, Gundolf S., Professor für Angewandte Medienwissenschaften an der ifs internationale filmschule köln und Ko-Gründungsdirektor des Cologne Game Lab. Zuvor freier Autor (drei Romane, elf Sachbücher, rund 500 Essays, Reportagen und Artikel, Arbeiten für Hörfunk, Film, Fernsehen). Forschungsschwerpunkte: Audiovisualität, Transmedialität, Games, Netzwerkkultur. Jüngste Publikationen: Wolfgang Petersen – Back to the Boat (Dokumentarfilm, USA 2011, Drehbuch und Regie), »Movies and Games: Audiovisual Storytelling in the Digital Age«. In: University of Theatre and Film Budapest (Hg.), New Skills for New Jobs, New Skills for Old Jobs: Film and Media Schools in the Digital Revolution (Budapest: S.Z.F.E., 2012), S. 21-39. Homepage: www.filmschule. de/Seiten/lehrende-prof-frey.aspx; www.freyermuth.com Glasenapp, Jörn, Professor für Literatur und Medien an der Otto-FriedrichUniversität Bamberg. Arbeits- und Forschungsschwerpunkte: Literatur- und Medienkomparatistik, Literatur-, Medien- und Kulturtheorie, Filmgeschichte, -ästhetik und -theorie, Fotogeschichte, -ästhetik und -theorie, Visual History, mediale Komik, Flanerie. Wichtigste Publikationen: Die deutsche Nachkriegsfotografie: Eine Mentalitätsgeschichte in Bildern (Paderborn: Fink, 2008); ›Prodigies, anomalies, monsters‹: Charles Brockden Brown und die Grenzen der Erkenntnis (Göttingen: Wallstein, 2000); als Hg.: Michelangelo Antonioni: Wege in die filmische Moderne (München: Fink, 2012); Riefenstahl revisited (München: Fink, 2009); mit Claudia Lillge: Die Filmkomödie der Gegenwart (Paderborn: UTB/Fink, 2008). Homepage: www.uni-bamberg.de/germ-litmedien/personen/prof-dr-phil-habil-joern-glasenapp/ Gotto, Lisa, Professorin für Filmgeschichte und Filmanalyse an der ifs internationale filmschule köln. Daneben Gastwissenschaftlerin am Institut für Kultur und Ästhetik Digitaler Medien der Leuphana Universität Lüneburg. Zuvor Stationen an der Bauhaus-Universität Weimar, der HFF München, der Universität Regensburg, der Universität Mannheim. Schwerpunkte in Forschung und Lehre: Geschichte und Theorie des Films, Bildästhetik, Populäre Medienkulturen. Ausgew. Publikationen: »Kontaktieren. Zur medialen Begegnungszone von Visualität und Taktilität«, in: Wendler, André, Wentz, Daniela (Hg.): Die Medien und das Neue (Marburg: Schüren, 2009), S. 17-28; »Life in a Day/One Day on Earth.
A UTORINNEN UND A UTOREN
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Visuality and Visibility in the Digital Arena«, in: International Journal of the Image Vol. 1 (2), 2011, S. 179-184; als Hg.: Eisenstein-Reader. Die wichtigsten Schriften zum Film (Leipzig: Henschel, 2011). Homepage: www.filmschule.de/ seiten/lehrende-prof-gotto.aspx Hagen, Wolfgang, Professor für Rhetorik an der Leuphana Universität Lüneburg. Zuvor Leiter der Kultur- und Musikabteilungen im Deutschlandradio Kultur sowie Leiter der Medienforschung des Deutschlandradios. Zahlreiche Veröffentlichungen zur Geschichte und Theorie des Computers, des Radios, der digitalen Bildlichkeit und der Medien: Das Radiobuch. Zur Theorie und Geschichte des Hörfunks Deutschland/USA (München: Fink, 2005); »Medienvergessenheit. Über Gedächtnis und Erinnerung in massenmedial orientierten Netzwerken«, in: Dimbath, Oliver / Wehling, Peter (Hg.): Soziologie des Vergessens. Theoretische Zugänge und empirische Forschungsfelder (Konstanz: UVK, 2011), S. 243-274. Homepage: www.whagen.de/; www.leuphana.de/wolfgang-hagen.html Hartmann, Frank, Professor für Geschichte und Theorie der Visuellen Kommunikation an der Fakultät Gestaltung, Bauhaus-Universität Weimar. Er studierte Kunstgeschichte, Soziologie, Kommunikationswissenschaft und Philosophie an der Universität Wien, Promotion und Habilitation ebd. Dozent und Gastprofessor in Wien, Krems, Salzburg, Erfurt, Weimar und Sao Paulo. Buchpublikationen: Medienphilosophie (Wien: UTB, 2000), Otto Neurath – Bildersprache (Wien: WUV, 2002), Mediologie (Wien: WUV, 2003), Globale Medienkultur (Wien: UTB, 2006), Medien und Kommunikation (Wien: UTB, 2008), Multimedia (Wien: UTB, 2008), Vom Buch zur Datenbank: Paul Otlet (Berlin: Avinus, 2012). Homepage: www.uni-weimar.de/gestaltung/lehrgebiete-personen/wissen schaftliche-lehrgebiete/prof-dr-frank-hartmann/; www.medienphilosophie.net/ Hensel, Thomas, Studienrat im Hochschuldienst, Universität Siegen, Medienwissenschaftliches Seminar. Daneben Mitglied der Faculty »Visual Competencies« am Department für Kunst- und Bildwissenschaften der Donau-Universität Krems und derzeit Gastprofessor am Institut für Kunstgeschichte der Universität des Saarlandes. Habilitationsprojekt: »Das Spielen des Bildes. Zur Ikonizität des Computerspiels«. Jüngste Buchpublikationen: Zeitschrift für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft, Heft 57/1 (Jg. 2012): Schwerpunktthema »AkteurNetzwerk-Theorie« (Hg., mit Jens Schröter); Wie aus der Kunstgeschichte eine Bildwissenschaft wurde. Aby Warburgs Graphien, (Berlin: Akademie, 2011), Nature morte im Fadenkreuz. Zur Bildlichkeit des Computerspiels (Intermedia
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Design Books 02, Trier: Fachhochschule Trier, 2011). Homepage: www.unisiegen.de/phil/medienwissenschaft/personal/lehrende/hensel_thomas/ Hörisch, Jochen, Professor für Neuere Germanistik und Medienanalyse an der Universität Mannheim. Gastprofessuren u. a. in Charlottesville (USA/Virginia), Princeton (USA/New Jersey), Bloomington (USA/Indiana). Mitglied der europäischen Akademie für Wissenschaften und Künste in Salzburg, der Freien Akademie der Künste in Mannheim und der Freien Akademie der Künste in Hamburg. Veröffentlichungen u.a.: Bedeutsamkeit – Über den Zusammenhang von Sinn, Zeit und Medien (München: Hanser, 2009); Der Takt der Neuzeit – Die Schwellenjahre der Geschichte (Stuttgart: Omega Verlag, 2009), Tauschen, Sprechen, Begehren – Eine Kritik der unreinen Vernunft. (München: Hanser, 2011). Homepage: germanistik.uni-mannheim.de/abteilungen/ng2_neuere_deutsche_literatur wissenschaft_und_qualitative_medienanalyse/prof_dr_jochen_hoerisch/index.html Keppler, Angela, Professorin für Medien- und Kommunikationswissenschaft an der Universität Mannheim. Forschungsschwerpunkte: Film- und Fernsehtheorie, Film- und Fernsehanalyse, Medien- und Kommunikationssoziologie. Ausgew. Publikationen: Mediale Gegenwart. Eine Theorie des Fernsehens am Beispiel der Darstellung von Gewalt(Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2006),»Perspektiven einer kultursoziologischen Medienanalyse«, in: Wohlrab-Sahr, Monika (Hg.): Kultursoziologie. Paradigmen – Methoden – Fragestellungen (Wiesbaden: VS, 2010), S. 101-126; »Ambivalenzen der Kulturindustrie«, in: Klein, Richard/Kreuzer, Johann/ Müller-Doohm, Stefan (Hg.): Adorno Handbuch. Leben-Werk-Wirkung (Stuttgart: Metzler, 2011), S. 253-262; »Bilder des Unsichtbaren. Zur Darstellung latenter Gewalt im Fernsehen«, in: Ulrich, Anne/Knape, Joachim: Fernsehbilder im Ausnahmezustand? Grenzen und Perspektiven der Televisualisierung (Berlin: Weidler 2012), S. 163-174. Homepage: mkw.unimannheim.de/prof_dr_angela_keppler/index.html Münker, Stefan, Privatdozent am Institut für Musik- und Medienwissenschaft der Humboldt Universität Berlin und Mitarbeiter eines großen deutschen Medienunternehmens. Im WS 2012/13 ist Münker Fellow am Internationalen Zentrum für Kultur- und Technikforschung (IZKT) der Universität Stuttgart. Publikationen (Auswahl): Emergenz digitaler Öffentlichkeiten. Die Sozialen Medien des Web 2.0 (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2009), Philosophie nach dem Medial Turn. Beiträge zur Theorie der Mediengesellschaft (Bielefeld: transcript, 2009), Was ist ein Medium? (hg. mit Alexander Roesler, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2012).
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Report "Der Big Bang digitaler Bildlichkeit: Zehn Thesen und zwei Fragen "