Das Kopenhagener Kriterium der demokratischen Stabilität im Rahmen der EU-Beitrittsverhandlungen und im Blick der Politischen Kulturforschung. Eine vergleichende Analyse anhand ausgewählter Beispiele.
Philosophische Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
Bachelor-Arbeit zur Erlangung des akademischen Grades „Bachelor of Arts (B.A.)“ im Studiengang Politik und Gesellschaft
Thema Zwischen Anspruch und Wirklichkeit – Das Kopenhagener Kriterium der demokratischen Stabilität im Rahmen der EU-Beitrittsverhandlungen und im Blick der Politischen Kulturforschung. Eine vergleichende Analyse anhand ausgewählter Beispiele.
Themensteller: PD Dr. Lazaros Miliopoulos Zweitgutachter: Prof. Dr. Tilman Mayer
Vorwort
Diese vorliegende Arbeit entstand als Abschlussarbeit eines Studiums
der
Rheinischen
Politikwissenschaft
und
Soziologie
Friedrich-Wilhelms-Universität
an
Bonn
der im
Wintersemester 2014/2015 zur Erlangung des akademischen Grades „Bachelor of Arts“.
Auch wenn es für Bachelorarbeiten nicht allzu üblich ist, da es sich lediglich um Qualifikationsarbeiten kleineren Umfangs handelt, möchte ich meinen schriftlichen Ausführungen zum Thema der politischen Kulturforschung und der Erweiterung der Europäischen
Union
in
aller
gebotenen
Kürze
einige
Bemerkungen voranstellen, aufgrund der Tatsache, dass diese Arbeit
für
mich
persönlich
am
Ende
eines
prägenden
Lebensabschnittes stand. So gilt mein erster und herzlichster Dank meiner Mutter, welche mir durch ihre ebenso nach- wie umsichtige, liebevolle und hilfsbereite Persönlichkeit und durch ihr großes Engagement - trotz aller Erschwernisse - nicht nur das Abitur, sondern auch das Absolvieren eines Hochschulstudiums ermöglichte. Danken möchte ich auch meinem Bruder, der mir mit offener
und
allzeit
einfühlsamer
Hilfsbereitschaft
und
Unterstützung zur Seite stand.
Nicht zuletzt möchte ich auch meinem Betreuer für seine umsichtige Unterstützung und hilfreichen Anregungen bei der Erarbeitung der Themenstellung sowie für die Bereitschaft während des Schreibprozesses begleitend zur Seite zu stehen, herzlich danken.
Inhaltsverzeichnis
I.
Deckblatt
II.
Inhaltsverzeichnis
III.
Schriftliche Ausarbeitung 1. Einleitung
6
1.1 Erkenntnisinteresse und Relevanz des Themas
6
1.2 Entwicklung der Fragestellung und Hypothese
7
1.3 Methodik und Aufbau der Arbeit
7
1.4 Forschungsstand und Literaturkritik
8
2. Theoretischer Bezugsrahmen: die politische Kulturforschung
9
2.1 Überblick: politische Kulturforschung 2.1.1 Begriffliche Annäherung 2.1.2 Hypothesen und Problemstellungen 2.1.3 Wissenschaftshistorisches Fundament 2.1.4 Methodik der politischen Kulturforschung 2.1.5 Rezeption und Forschungsperspektiven
11 11 13 16 18 18
2.2 Civic Culture Studie von Almond Verba
21
2.3 Alternative Konzepte 2.3.1 Karl Rohe: politische Deutungskulturen 2.3.2 David Easton: politische Unterstützung
25 26 27
2.4 Kritik an der politischen Kulturforschung
29
2.5 Die Funktion „demokratische Stabilität“ als Kerngedanke der politischen Kulturforschung
30
2.6 Ableitung von Indikatoren der politischen Kultur für demokratische Stabilität
32
3. Erweiterung der Europäischen Union
35
3.1 Historischer Kontext: Die Geschichte der EU-Erweiterungen
35
3.2 Kriterien der demokratischen Stabilität in der EU-Erweiterung
41
3.3 Beitrittsverfahren der Europäischen Union
46
3.4 Exemplarische Darstellungen des Beitrittsverfahrens unter besonderer Berücksichtigung des ersten Kopenhagener Beitrittkriteriums 3.4.1 Begründung der Fallauswahl 3.4.2 Polen 3.4.3 Rumänien 3.4.4 Kroatien
47 48 50 52 55
3.5 Zwischenfazit: Die Operationalisierung der politischen Bedingungen der Kopenhagener Kriterien im Erweiterungsprozess der Europäischen Union
58
4. Performanzbewertung: die Ergebnisse der EU-Beitrittsverhandlungen im Vergleich zu Studienergebnissen der politischen Kulturforschung
60
4.1 Polen
62
4.2 Rumänien
66
4.3 Kroatien
70
5. Fazit
IV.
73
Literatur- und Quellenverzeichnis
5
1. Einleitung
Im Folgenden sollen einige einleitende Worte dieser Arbeit vorangestellt werden, um ihren inhaltlichen Kern richtig einordnen und bewerten zu können. Zunächst steht die Frage nach der Relevanz des Themas in der Betrachtung, bevor die eigentliche Fragestellung und die zugrundeliegende arbeitsleitende Hypothese dargelegt werden können. Die Methodik und der Aufbau der Arbeit sollen ebenso wie die vorhandene und genutzte Literatur- und Quellenlage erläuternd dargestellt werden.
1.1 Erkenntnisinteresse und Relevanz des Themas
Die Europäische Union und die Geschichte der europäischen Integration des Kontinents und ihrer Nationalstaaten ist eine der bewegendsten und zugleich welthistorisch
einzigartigsten
Jahrhunderts.
Ein
von
politischen
Narrative
Nationalismus
und
des
stetigen
zwanzigsten kriegerischen
Auseinandersetzungen unter den europäischen Nationen gebeutelter Kontinent schließt sich in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts in einem immer tieferen
Integrationsprojekt
zu
einer zum
Teil suprastaatlichen
Organisation zusammen. Die Europäische Union wird bis heute, zwar nicht ohne
kritischen
Widerspruch,
auch
als
einzigartiges
Friedens-
und
Demokratieprojekt betrachtet. Aber insbesondere die zahlreichen Erweiterungen und Beitritte in die Europäische Union erzeugten kritische Diskussionen und oftmals Widerspruch. Im Besonderen wurde die sogenannte Osterweiterung 2004/2007 in Bezug auf die Beitrittsreife der ehemaligen sozialistischen Staaten in Mittel- und Südosteuropa stark angezweifelt. Die Beitrittskandidaten der bisher größten Erweiterungsrunde
stellten
die
EU
nicht
nur
vor
institutionelle
Herausforderungen, sondern ließen auch Zweifel in Bezug auf die politische und wirtschaftliche Situation der neuen Mitgliedsstaaten aufkommen.
6
1. Einleitung
1.2 Entwicklung der Fragestellung und Hypothese
Die Europäische Union hat sich 1993 auf dem Gipfel des Europäischen Rates in
Kopenhagen
erstmals
explizite
Kriterien
für
die
Aufnahme
neuer
Mitgliedsstaaten gegeben. Darunter befinden sich unter anderem auch politische
Bedingungen,
welche
das
Ziel
implizieren,
lediglich
stabile
Demokratien in die Union aufzunehmen. Ein zentrales Paradigma der politischen Kulturforschung geht davon aus, dass politische Systeme nicht ohne die dauerhafte Zustimmung der Bürger überleben können. Die Einstellungen, Werte und Orientierungen der Bürger gegenüber dem politischen System, den Akteuren und Institutionen spielt für die Stabilität einer Demokratie eine herausragende Rolle. Aus dem genannten Erkenntnisinteresse und der Relevanz des Themas ergibt folglich die Fragestellung: Zu welchem Ergebnis hinsichtlich des Kriteriums der demokratischen Stabilität gelangt die Europäische Union in ihren Erweiterungen und die politische Kulturforschung? Bei dem Versuch der Beantwortung dieser Fragestellung liegt die zu überprüfende Hypothese zugrunde, dass die Europäische Union in ihrer Anwendung
der
politischen
Beitrittskriterien
lediglich
institutionell-
funktionalistischen Aspekte prüft und dabei einen soziokulturellen „blinden Fleck“ und damit wichtige Faktoren, wie z.B. der politischen Kultur außer Acht lässt.
1.3 Methodik und Aufbau der Arbeit
Im zweiten Kapitel dieser Arbeit soll die politische Kulturforschung als Disziplin der Politikwissenschaft in ihrem Ansatz, der Methodik und die Kritik an ihr dargestellt und ihre Erklärungskraft erläutert und eingeschätzt werden. Dieses zweite Kapitel dient im Rahmen dieser Arbeit als theoretische Fundierung und Bezugsrahmen für die weitere Ausarbeitung. Im dritten Kapitel wird die
7
1. Einleitung
Verwirklichung
des
Kriteriums
der
demokratischen
Stabilität
in
den
verschiedenen Beitrittsbedingungen der Europäischen Union dargestellt und deren spezifische Anwendung anhand ausgewählter Fallbeispiele analysiert. Im abschließenden Teil dieser Arbeit wird die Anwendung dieser Kriterien seitens der EU durch einen Vergleich mit Ergebnissen der politischen Kulturforschung bewertet. In der Analyse der Europäischen Union und ihrer Anwendung des Kriteriums der demokratischen Stabilität in ihren Erweiterungsrunden soll zum einen die institutionell-funktionalistische Perspektive eingenommen werden, wohingegen die Analyse der politischen Kultur in den ausgewählten Fallbeispielen die kollektivierte subjektive Seite des Politischen in die Betrachtung aufnimmt. Die zentrale Vorgehensweise dieser Arbeit ist ein makro-qualitativer Vergleich. Makro bezeichnet hierbei die Analyse politischer Systeme und qualitativ meint die Ermittlung gewisser charakteristischer Konstellationen. Die offensichtlichen Probleme dieser Methodik sind jedoch die hohe Anzahl möglicher Variablen und die kleine Fallzahl der Untersuchungsobjekte.1 Dieses Dilemma stellt sich somit nicht zuletzt auch für die in dieser Arbeit angewandte Herangehensweise, inklusive der Einschränkung ihrer Aussagekraft.
1.4 Forschungsstand und Literaturkritik
Hinsichtlich der verwendeten Literatur- und Quellenlage lässt sich festhalten, dass jeweils zu den Themen der politischen Kulturforschung sowie zum Thema der EU-Erweiterung mittlerweile eine Fülle an wissenschaftlichen Publikationen veröffentlich wurden. Jedoch lässt sich hingegen auch feststellen, dass eine Verbindung dieser beiden Themenbereiche im Sinne der Themenstellung dieser Arbeit, weder in der deutsch- noch englischsprachigen einschlägigen Literatur vorgenommen wurde. Es lässt sich an dieser Stelle eine deutliche Forschungslücke konstatieren.
1
Vgl. Berg-Schlosser, Dirk: Makro-Qualitative vergleichende Methoden, in: Berg-Schlosser, Dirk; MüllerRommel, Ferdinand (Hrsg.): Vergleichende Politikwissenschaft. Opladen 2003, S. 103ff.
8
2. Theoretischer Bezugsrahmen: die politische Kulturforschung
Wie bereits im vorherigen Kapitel dieser Arbeit in verkürzter und einleitender Form dargelegt wurde, behandelt, untersucht und erforscht die politische Kulturforschung als Teildisziplin und Forschungsrichtung der Politikwissenschaft kollektiv-gesellschaftliche Grundlagen und zugleich die zutiefst subjektive Dimension der Politik bzw. des Politischen an sich.
Dabei ist die Frage nach der Verbindung zwischen Strukturen von Herrschaft, politischen Systemen, deren Legitimation und soziokulturellen Faktoren, wie z.B. subjektiven Werten, Orientierungen und Meinungen im historischen Rückblick der Politischen Theorie- und Ideengeschichte kein Produkt des 20. Jahrhunderts: So stellt der antike Staatsmann Perikles die freiheitlichdemokratische Gesellschaft Athens2 mit ihrem demokratischen politischen System der autoritären Gesellschaft Spartas
und ihrem Staatsaufbau
gegenüber.3 Auch der amerikanischen Unabhängigkeit sei, so Tocqueville, eine grundlegende Veränderung in der Vorstellung von der Rolle des Individuums und seiner Rechte in Staat und Gesellschaft vorausgegangen. Diesen politischen Kulturwandel nannte er eine „silent revolution“ und nennt sie Voraussetzung für die folgende politische Entwicklung; und auch wenn Max Weber in seiner Herrschaftstypologie nicht näher darauf eingeht, so beschreibt auch er gesellschaftliche Grundlagen von Herrschaft und politischer Ordnung.4 5 Dieser kurze ideengeschichtliche Aufriss versteht sich dabei lediglich als beispielhaft
für
die
lange
Geschichte
der
(staats-)philosophischen
2
Es ist anzumerken, dass es mittlerweile ein geschichtswissenschaftlicher Allgemeinplatz ist, darauf hinzuweisen, dass dieses Bild der attischen Gesellschaft aus freien und gleichen Bürgern wohl kaum den gleichen Ansprüchen unserer zeitgenössischen freiheitlich-demokratischen und offenen Gesellschaft entspricht. 3 Vgl. Greiffenhagen, Martin; Greiffenhagen, Sylvia.: Politische Kultur, in: Greiffenhagen, Martin; Greiffenhagen, Sylvia (Hrsg.): Handwörterbuch zur politischen Kultur in Deutschland. Wiesbaden 2002, S. 388. 4 Vgl. Ebd. 5 Vgl. Weber, Max: Politik als Beruf. Köln 2014, S. 8ff.
9
2. Theoretischer Bezugsrahmen: die politische Kulturforschung
Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Grundlagen und Bedingungen von politischer Ordnung. Die politische Kulturforschung ist in einem hohen Maße eine Krisen- und Umbruchsdisziplin. Gerade in Zeiten höchster gesellschaftlicher Veränderung, wenn religiöse, kulturelle, ethische wie ökonomische Strukturen, Werte und Muster aufbrechen und sich neu formen, wird der (wissenschaftliche) Blick frei für den Vergleich von früher und heute, von hier und dort.6 Insofern überrascht es nicht, dass gerade in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg mit den weltweiten Prozessen der Dekolonialisierung und Demokratisierung ganzer Gesellschaften, sowie während der Transformation der ehemaligen Staaten der Sowjetunion nach dem Ende des Kalten Krieges, die politische Kulturforschung eine Hochkonjunktur erlebte.7 Im nun folgenden Teil dieser Arbeit soll zunächst dargelegt werden, wie das Untersuchungsobjekt
der
politischen
Kultur
durch
Sozial-
und
Politikwissenschaftler definiert und abgegrenzt wird, welche Zugänge und Methoden
entwickelt
wurden,
um
den
Untersuchungsgegenstand
der
wissenschaftlichen Erkenntnis zugänglich und nutzbar zu machen. Zunächst werden daraufhin im ersten Abschnitt der aktuelle Forschungsstand, die Forschungsperspektiven historischen
und
Wegmarken
-fragen
der
aufgezeigt,
politischen
um
anschließend
Kulturforschung,
sowie
die die
herausragenden Vertreter und Werke dieser Disziplin darzustellen. Im Fokus wird hier vor allem das begründende und grundlegende Konzept für die politische Kulturforschung; die „Civic Culture“-Studie von Gabriel A. Almond und Sidney Verba, im ergänzenden Kontrast zu Karl Rohes „politischen Deutungskulturen“ und David Eastons „politscher Unterstützung“ behandelt werden. Der anschließende Teil dieser Arbeit wird sich mit den Kritikern der politischen Kulturforschung und ihren Argumenten auseinandersetzen, bevor anschließend
auf
eingegangen wird.
das
Kriterium
der
demokratischen
Stabilität
näher
Der letzte Teil dieses Kapitels wird sich dem Versuch
6
Vgl. Greiffenhagen, Martin; Greiffenhagen, Sylvia.: Politische Kultur, in: Greiffenhagen, Martin; Greiffenhagen, Sylvia (Hrsg.): Handwörterbuch zur politischen Kultur in Deutschland. Wiesbaden 2002, S. 388. 7 Vgl. Ebd.
10
2. Theoretischer Bezugsrahmen: die politische Kulturforschung
widmen
einen
eigenständigen
Kriterienkatalog
zur
Bestimmung
der
demokratischen Stabilität durch Faktoren der politischen Kultur zu erarbeiten.
2.1. Überblick: politische Kulturforschung
Der Versuch einer Annäherung an die Disziplin der politischen Kulturforschung gelingt wohl am zugänglichsten über eine Annäherung an den Begriff der politischen Kultur selbst. Dies soll im nächsten Unterkapitel erfolgen. Anschließend
werden
daraufhin
zunächst
die
zentralen
und
forschungsleitenden Kerngedanken der politischen Kulturforschung dargelegt, später auch die wissenschaftshistorische Fundierung, sowie Rezeption und die Forschungsperspektive näher beleuchtet.
2.1.1 Begriffliche Annäherung Zu Beginn muss angemerkt werden: gerade die Diskrepanz in der inhaltlichen Bedeutung und Verwendung des Begriffs der politischen Kultur zwischen Medien, Öffentlichkeit und Politikern einerseits und in der Politik- und Sozialwissenschaft andererseits ist höchst erstaunlich.8 Auf der einen Seite wird der Begriff der politischen Kultur in einem normativ-wertenden Sinne verstanden und oftmals deren Verfall, der Verlust an Moral und Sitte im politischen Wettbewerb, der unsachliche Umgangston in politischen Debatten beklagt.9 Des Weiteren werden auch Korruption von politischen Amtsträgern, Parteiskandale oder ähnliches hier oftmals als Indiz einer mangelnden politischen Kultur gewertet. Ferner erhalten hingegen aber auch symbolisch aufgeladene Momente, wie z.B. Nationalfeiertage, Nationalflaggen und hymnen, bzw. bestimmte symbolisch-rituelle Praktiken oftmals das positive
8
Vgl. Berg-Schlosser, Dirk: Erforschung der Politischen Kultur. Begriffe, Kontroversen, Forschungsstand, in: Breit, Gotthard (Hrsg.): Politische Kultur in Deutschland. Schwalbach 2004, S. 8. 9 Vgl. Dachs, Herbert: Politische Kultur. Begriff, Dimensionen, Entstehen, in: Forum Politische Bildung (Hrsg.): Informationen zur Politischen Bildung: Politische Kultur. Mit einem Schwerpunkt zu den Europawahlen, Bd. 30. Wien 2009, S. 5.
11
2. Theoretischer Bezugsrahmen: die politische Kulturforschung
Etikett einer ‚guten politischen Kultur‘.10 „Dies alles hat jedoch nur sehr entfernt […] mit dem wissenschaftlichen Begriff der ‚Politischen Kultur‘ aus der Perspektive der empirischen Sozialforschung zu tun. Insofern nämlich, als dass in solchen Urteilen indirekt durchaus eine bestimmte Vorstellung zum Ausdruck kommt, wie denn der richtige Stil, die angemessene Umgangsform in der Politik zu sein habe, also Idealvorstellungen oder politische Weltbilder, anhand derer die politische Realität beurteilt wird.“11 Nach Berg-Schlosser entsteht diese sprachliche Diskrepanz, vor allem im deutschsprachigen Raum durch die sprachlich-kognitive Verknüpfung des Begriffs der „Kultur“ im Allgemeinen mit einer vagen und undefinierten „Hoch“-Kultur, „[…] also der Verkörperung alles ‚Schönen, Guten, Wahren‘, [...].“12 Kritiker der politischen Kulturforschung sehen allein in diesem „catch all“-Begriff der politischen Kultur, welcher anscheinend so divergierende Phänomene wie Sprache, Symbolik, Mentalität, Ideologie, Geschichte usw. zu vereinen suchte, ein unmögliches Unterfangen, welches sich präziser wissenschaftlicher Auseinandersetzung allein schon dadurch entziehe.13 Nicht ohne Grund prägte deshalb Max Kaase das sprachliche Bild vom Pudding, der an die Wand zu nageln sei.14
In der wissenschaftlichen Betrachtung der politischen Kultur besteht zwar noch lange keine abschließende, gemeingültige und umfassende Definition, es hat sich aber ein Grundkonsens herausgebildet, welcher davon ausgeht „[…], dass unter politischer Kultur jene ‚subjektive Dimension der Politik‘ zu verstehen ist, die Werte, Einstellungen, Meinungen und schließlich auch das Verhalten der
10
Vgl. Westle, Bettina: Das klassische Konzept der Politischen Kultur, in: Gabriel, Oscar; Westle, Bettina (Hrsg.): Politische Kultur. Eine Einführung. Baden-Baden 2009, S. 13. 11 Ebd. 12 Berg-Schlosser, Dirk: Erforschung der Politischen Kultur. Begriffe, Kontroversen, Forschungsstand, in: Breit, Gotthard (Hrsg.): Politische Kultur in Deutschland. Schwalbach 2004, S. 8. 13 Vgl. Pickel, Gert; Pickel, Susanne: Politische Kultur- und Demokratieforschung. Grundbegriffe, Theorien, Methoden. Eine Einführung. Wiesbaden 2006, S. 50. 14 Vgl. Kaase, Max: Sinn oder Unsinn des Konzepts Politische Kultur für die Vergleichende Politikwissenschaft, in: Kaase, Max (Hrsg.): Wahlen und politisches System. Analysen aus Anlaß der Bundestagswahl 1980. Opladen 1983, S. 144ff.
12
2. Theoretischer Bezugsrahmen: die politische Kulturforschung
Bürger gegenüber der Welt des Politischen umfasst.“15 Diese subjektive Dimension der Politik ist dabei als spezifisches Verteilungsmuster von Orientierungen in der Bevölkerung zu verstehen, welche nicht nur individuelle Prädispositionen sind, sondern als kollektive aggregierte Einstellungsmuster von der politischen Kulturforschung definiert werden. Damit etabliert sich die politische Kultur als vermittelnde Instanz zwischen Individuum und politischen Institutionen. Hieraus ergibt sich aber auch eine gewisse Gegenüberstellung von politischer Kultur und politischer Struktur.16 Erst den zwei US-amerikanischer Politikwissenschaftlern, Sidney Verba und Gabriel
Almond,
unter
dem
Einfluss
des
Behaviorismus
und
Strukturfunktionalismus gelang es in ihren Arbeiten zu Beginn der 1960er Jahre den Begriff der politischen Kultur in ihrer „Civic Culture“-Studie einzuengen und für die wissenschaftliche Auseinandersetzung fruchtbar zu machen. Sie gelten daher bis heute als Pioniere und ihre Studien als Ausgangspunkt der zeitgenössischen
politischen
Kulturforschung
in
der
empirischen
Sozialwissenschaft.17 (vgl. s.u. Kapitel 2.2)
2.1.2 Hypothesen und Problemstellungen Die zentrale, forschungsleitende Hypothese der politischen Kulturforschung beschäftigt sich mit dem Verhältnis zwischen der politischen Kultur auf der einen Seite und der politischen Struktur andererseits. Sie besagt, dass das Überleben, oder um die Stabilität eines politischen Systems zu gewährleisten, es nötig sei, dass die politische Kultur und die politische Struktur einer Gesellschaft möglichst kongruent sein sollten. Weisen politische Kultur und politische
Struktur
Legitimitätskrisen,
eine bis
zu hin
große zu
Inkongruenz
möglichen
auf,
komme
es
zu
Systemzusammenbrüchen,
Regimewechseln, Revolutionen etc.18 Die politische Kultur, also die auf 15
Kortmann, Martina; Mayer, Tilman: Politische Kultur, in: Gerlach, Irene; Jesse, Eckhard; Kneuer, Marianne (Hrsg.): Politikwissenschaft in Deutschland. Baden-Baden 2010, S. 182. 16 Vgl. Westle, Bettina: Das klassische Konzept der Politischen Kultur, in: Gabriel, Oscar; Westle, Bettina (Hrsg.): Politische Kultur. Eine Einführung. Baden-Baden 2009, S. 13f. 17 Vgl. Pickel, Gert; Pickel, Susanne: Politische Kultur- und Demokratieforschung. Grundbegriffe, Theorien, Methoden. Eine Einführung. Wiesbaden 2006, S. 50. 18 Vgl. Westle, Bettina: Das klassische Konzept der Politischen Kultur, in: Gabriel, Oscar; Westle, Bettina (Hrsg.): Politische Kultur. Eine Einführung. Baden-Baden 2009, S. 14.
13
2. Theoretischer Bezugsrahmen: die politische Kulturforschung
kollektiver Ebene aggregierte und angesiedelten, auf politische Objekte bezogenen Orientierungs- und Einstellungsmuster sind für den Fortbestand des politischen Systems von herausgehobener Bedeutung (vgl. s.u. Kap 2.5) Insbesondere
im
Rahmen
der
Demokratieforschung
erhält
dieser
systemstabilisierende Ansatz der politischen Kulturforschung eine zentrale Rolle, denn: „Nur wenn die Staatsbürger die Grundprämissen der Demokratie und ihre Regeln akzeptieren sowie auf dem Boden dieser Grundüberzeugungen kontroverse politische Meinungen gewaltfrei diskutieren, ist das langfristige Überleben
der Demokratie
Kulturforschung
auch
in
gesichert.“19 Insofern nimmt der
empirischen
die politische
Demokratieforschung
einen
besonderen Platz ein. Aus
dieser
Funktion,
forschungsleitenden
der
politischen
Hypothese,
der
Kulturforschungen
systemstabilisierenden
ergeben
sich
mehrere
problematische Fragestellungen: Aus welchen Bestandteilen besteht die politische
Kultur?
Welche
Orientierungen
und
Einstellungen
können
miteinbezogen werden, welche nicht? Wie bilden sich Orientierungen, Meinungen und Werte heraus, die zur politischen Kultur gehören? Welche sinnvollen Typisierungen können vorgenommen werden, um politische Kulturen untereinander vergleichbar werden zu lassen? Welche Orientierungen, Einstellungen
und
Meinungen
sind
in
welcher
Form
und
Stärke
systemstabilisierend? In welchem Ausmaß müssen welche Einstellungsmuster vorliegen, damit es nicht zu Funktionsdefiziten im politischen System kommt? Wie und in welcher Weise hat politische Kultur Einfluss auf andere Ebenen des Politischen?20
Neben
dem
Kerngedanken
der
politischen
Kulturforschung,
dem
systemstabilisierenden Moment der politischen Kultur, formulieren Pickel und Pickel in ihrer systematischen Einführung zwei weitere zentrale Gedanken der politischen Kulturforschung: erstens die
besondere Beziehung zwischen
19
Pickel, Gert; Pickel, Susanne: Politische Kultur- und Demokratieforschung. Grundbegriffe, Theorien, Methoden. Eine Einführung. Wiesbaden 2006, S. 51. 20 Vgl. Westle, Bettina: Das klassische Konzept der Politischen Kultur, in: Gabriel, Oscar; Westle, Bettina (Hrsg.): Politische Kultur. Eine Einführung. Baden-Baden 2009, S. 14.
14
2. Theoretischer Bezugsrahmen: die politische Kulturforschung
Struktur und Kultur und zweitens den Ansatz der politischen Kulturforschung zwischen Mikro- und Makrostruktur.21 Im Detail sehen Pickel und Pickel insbesondere langfristige-historische Entwicklungen, wie Traditionen und herausragende geschichtliche Ereignisse, sowie ökonomische Gelegenheitsstrukturen, welche die Überzeugungen der Bürger prägen, als Erklärungsfaktoren für Kultur-Struktur-Beziehungen. Darüber hinaus sind auch die Output-Bewertung des politischen Prozesses an sich, sowie sozio-psychische Prägungen, wie individuelle Erziehung, für die Ausbildung der politischen Kultur ausschlaggebend.22 Neben der in der Politischen Wissenschaft weitverbreiteten institutionellstrukturellen Perspektive, welche Explanans und Explanandum auf der MakroEbene ansiedeln und der politischen Soziologie, welche sich hauptsächlich mit der Ebene der Individuen beschäftigt (Mikro-Ebene), wird die politische Kultur hier zwischen diesen beiden Ebenen angelegt (Meso-Ebene). Die politische Kulturforschung betrachtet die politische Kultur als Aggregat von Einstellungsund Orientierungsmustern von Individuen, bezogen auf das politische System und dessen politische Objekte und Akteure.23 Diese Tatsache führt dazu, dass die politische Kulturforschung, zwar ihr Forschungsobjekt auf der Meso-Ebene ansiedelt, das Explanandum jedoch auf der Makro-Ebene zu finden ist.24 Erst die Verknüpfung der Analyseebenen im Sinne des Behaviorismus: Quantitativempirische
Umfrageerhebungen
auf
der
Mikroebene
des
Individuums
durchzuführen und die Aggregierung, Zusammenführung und Bündelung der Ergebnisse, lassen Rückschlüsse auf der Makro-Ebene zu. Dieses Analyseund Erklärungsmodell geht auf James Coleman und später u.a. auch Hartmut Esser zurück.25
26
„All dies muss selbstverständlich in einem dynamischen,
ständig zurückgekoppelten und im Laufe der Zeit sich verändernden
21
Vgl. Pickel, Gert; Pickel, Susanne: Politische Kultur- und Demokratieforschung. Grundbegriffe, Theorien, Methoden. Eine Einführung. Wiesbaden 2006, S. 55ff. 22 Vgl. Pickel, Gert; Pickel, Susanne: Politische Kultur- und Demokratieforschung. Grundbegriffe, Theorien, Methoden. Eine Einführung. Wiesbaden 2006, S. 55. 23 Vgl. Ebd., S. 56. 24 Vgl. Ebd., S. 41f. 25 Vgl. Berg-Schlosser, Dirk: Erforschung der Politischen Kultur. Begriffe, Kontroversen, Forschungsstand, in: Breit, Gotthard (Hrsg.): Politische Kultur in Deutschland. Schwalbach 2004, S. 17f. 26 Auch bekannt als ‚Colemans‘ bzw. ‚Essers Badewanne‘
15
2. Theoretischer Bezugsrahmen: die politische Kulturforschung
Zusammenhang gesehen werden, der zunehmend auch internationale und globale Einflüsse aufweist.“27 Politische Kultur wird daher von zwei Seiten gespeist: einerseits die individuell-biographische Erfahrungen und deren Verarbeitung des einzelnen Individuums, sowie „[…] eine systemische Dimension, die die Entwicklungen des politischen Denkens und Handelns der Bürger in Wechselwirkung mit dem ‚gesamtgesellschaftlichen und globalen Kontext von Geschichte, Wirtschaft und politischen Strukturen‘ betrachtet.“28 Mit Hilfe dieses Analysemodells der verknüpften Ebenen, so Berg-Schlosser, sei es möglich Fehlschlüsse früherer Modelle zu entkräften. Während z.B. die traditionell-marxistische Schule von Sozialstrukturen auf der Makro-Ebene direkt Schlüsse auf das politische System zog, ohne dabei subjektive Wahrnehmungs-
und
Verarbeitungsprozesse
auf
der
Mikro-Ebene
wahrzunehmen, und andererseits z.B. der „rational-choice“-Ansatz weder historische Kontingenzen, noch Aggregierungsprozesse in der Meso-Ebene berücksichtigt.29
2.1.3 Wissenschaftshistorisches Fundament Wie bereits an mehreren Stellen in diesem Kapitel angedeutet, steht die politische Kulturforschung in einem eindeutigen wissenschaftshistorischen Kontext und es lassen sich deutliche Spuren und Hinweise auf wegweisende Vorreiter finden. Insbesondere im Rahmen des „behavioural approach“ entsprang unter einigen, überwiegend jungen US-amerikanischen Politologen der Wunsch, dem individuellen Verhalten in der wissenschaftlichen Untersuchung einen größeren Raum einzugestehen und so mit der, aus ihrer Sicht, nur unzureichenden ideengeschichtlichen, institutionell-legalistischen Staatslehre in der Politischen Wissenschaft zu brechen. Der Behavioralismus steht in der direkten Nachfolge der sogenannten „Chicagoer Schule“, die sich im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts am Institut für Anthropologie und Soziologie an der Universität 27
Berg-Schlosser, Dirk: Erforschung der Politischen Kultur. Begriffe, Kontroversen, Forschungsstand, in: Breit, Gotthard (Hrsg.): Politische Kultur in Deutschland. Schwalbach 2004, S. 18. 28 Kortmann, Martina; Mayer, Tilman: Politische Kultur, in: Gerlach, Irene; Jesse, Eckhard; Kneuer, Marianne (Hrsg.): Politikwissenschaft in Deutschland. Baden-Baden 2010, S. 183. 29 Vgl. Ebd.
16
2. Theoretischer Bezugsrahmen: die politische Kulturforschung
Chicago gründete. Merkmale des „behavioral approach“ sind das Bemühen um präzise statistische und empirische Methoden, Modelle und Theorien, der interdisziplinäre Ansatz, vor allem mit Hilfe der Psychologie und Soziologie, sowie die zentrale Betonung der Bedeutung des individuellen Verhaltens zur Analyse von politischen Prozessen, Strukturen und Inhalten.30
Der
vom
US-amerikanischen
Soziologen
Talcot
Parsons
maßgeblich
mitentwickelte und beeinflusste Strukturfunktionalismus gilt als weiteres herausragendes
wissenschafts-historisches
Fundament
der
politischen
Kulturforschung.31 Im Struktur-funktionalismus werden soziale Systeme in ihrer Struktur und ihrer Funktionen nach untersucht. Dabei wird von der Prämisse ausgegangen, dass jedes denkbare System bestimmte Funktionen erfüllen muss, um sich selbst zu erhalten. Parsons‘ AGIL-Schema zeigt, dass sich Systeme sich verändernden Bedingungen anpassen müssen (Adaption), in der Lage sein müssen, sich Ziele zu setzen und zu verfolgen (Goal attainment), nach innen Zusammenhalt und Integration zu erzeugen (Integration) und Werte und Strukturen aufrechtzuerhalten (Latency).32 „Die Political Science hat die Systemtheorie mit dem für sie charakteristischen ‚time lag‘ erst zu Beginn der fünfziger Jahre entdeckt. Nachdem die analytischen Schwächen der politikwissenschaftlichen Grundbegriffe ‚Macht‘, ‚Staat‘, ‚Government‘ ein theoretisches Vakuum erzeugten, drang der Begriff des ‚politischen Systems‘ vor, um sich rasch auszubreiten. […] In der Symbiose des ‚behavioral approach‘ mit der Systemtheorie im allgemeinen und der InputOutput-Analyse des politischen Systems im Besonderen wurde die Bedeutung von Normen, Gefühlen, Motivationen erneut in den Blickkreis politischer Analyse gerückt.“33
30
Vgl. Iwand, Wolf Michael: Paradigma Politische Kultur. Konzepte, Methoden, Ergebnisse der PoliticalCulture Forschung in der Bundesrepublik. Ein Forschungsbericht. Opladen 1985, S. 30ff. 31 Vgl. Berg-Schlosser, Dirk: Erforschung der Politischen Kultur. Begriffe, Kontroversen, Forschungsstand, in: Breit, Gotthard (Hrsg.): Politische Kultur in Deutschland. Schwalbach 2004, S. 16ff. 32 Vgl. Ebd. 33 Iwand, Wolf Michael: Paradigma Politische Kultur. Konzepte, Methoden, Ergebnisse der PoliticalCulture Forschung in der Bundesrepublik. Ein Forschungsbericht. Opladen 1985, S. 45f.
17
2. Theoretischer Bezugsrahmen: die politische Kulturforschung
2.1.4 Methodik der politischen Kulturforschung Die politische Kulturforschung rekurriert in ihren Untersuchungs-, Analyse- und Erklärungsansätzen
insbesondere
auf
die
empirischen
Methoden
der
vergleichenden Politikwissenschaft und unterscheidet sich im Allgemeinen damit nicht grundsätzlich von benachbarten Disziplinen der empirischen Sozialwissenschaft. Im Zentrum der Methodik der politischen Kulturforschung stehen empirische Bevölkerungsumfragen, welche im mikrosoziologischen Rahmen Merkmale, Einstellungen und Orientierungen von einzelnen Personen erhebt. Diese Ergebnisse werden, um sie für die politische Kulturforschung und ihren Erklärungsansatz nutzbar zu machen, auf die Makroebene aggregiert. 34 Gerade dieser Aggregierung (und deren Regeln) kommt eine besondere Bedeutung zu: so sind es zumeist die Häufigkeit von Antwortverteilungen die Rückschlüsse auf das Kollektiv erlauben. Hier gilt die repräsentative Erhebung von Umfrageergebnissen als das Mittel der Wahl und Stand der Forschung; so sind den letzten zwei Jahrzehnten eine Vielzahl von internationalen, vergleichenden Surveys erhoben worden.35 Darüber hinaus ist insbesondere die vergleichende Perspektive in der politischen Kulturforschung stark vertreten: „Man vergleicht verschiedene politikgeschichtliche verschiedene
Phasen
nationale
eines
Kulturen.
Volkes, […]
und
gleichzeitig erst
diese
vergleicht ermöglicht
man die
Beschreibung der eigenen politischen Kultur: im Blick auf die eigene Geschichte und die Entwicklung anderer nationaler Kulturen.“36
2.1.5 Rezeption und Forschungsperspektiven Der Ansatz der politischen Kulturforschung unterlag seit der bahnbrechenden und grundlegenden Einführung von Almond/Verba (1963) verschiedenen Konjunkturzyklen. Mit Einzug des Behaviorismus (vgl. s.o.) in die Politische Wissenschaft erreichte das Konzept der politischen Kultur, trotz (versuchter) 34
Vgl. Pickel, Gert; Pickel, Susanne: Politische Kultur- und Demokratieforschung. Grundbegriffe, Theorien, Methoden. Eine Einführung. Wiesbaden 2006, S. 29ff. 35 Vgl. Ebd., S. 32ff. 36 Greiffenhagen, Martin; Greiffenhagen, Sylvia.: Politische Kultur, in: Greiffenhagen, Martin; Greiffenhagen, Sylvia (Hrsg.): Handwörterbuch zur politischen Kultur in Deutschland. Wiesbaden 2002, S. 389.
18
2. Theoretischer Bezugsrahmen: die politische Kulturforschung
Zurückdrängung von institutionellen und neo-institutionellen Ansätzen eine beachtliche
Reputation
und
gilt
heute
als
gleichberechtigter
Forschungsansatz.37 Internationale Arbeiten von Almond/Verba, Inglehart, Kaase/Newton und Norris trugen hierzu maßgeblich bei.38 In der bundesrepublikanischen Politikwissenschaft wurde das Konzept zunächst nur zögerlich aufgenommen. Als Grund gibt Westle die Dominanz der juristischetatistisch und wirtschaftswissenschaftlichen Denkweise in der deutschen Politikwissenschaft an, welche soziokulturelle und psychologische Ansätze eher ausklammerte.39 „Schließlich waren die Befunde der Studie von Almond/Verba für die Bundesrepublik wenig schmeichelhaft und provozierten damit einerseits Ängste um die junge Demokratie, andererseits aber auch Widerspruch im Sinn verletzter Eitelkeiten. Alles in allem trugen diese Faktoren dazu bei, dass Politische Kultur sich zu einem außerordentlich populären und gleichzeitig umstrittenen Feld entwickelte.“40
Perspektivisch und, so Westle, rückblickend betrachtet sei es bisher nicht gelungen eine einheitliche Gesamttypologie der politischen Kultur zu entwickeln und dies sei für die Zukunft auch nicht zu erwarten. Ferner sieht sie eher die methodische Weiterentwicklung und verbesserte Datenerhebung und -analyse einzelner Forschungsarbeiten, statt umfassender Zusammenführungen,
als
zukünftige Entwicklungen.41 Nichts desto trotz lassen sich verschiedene fruchtbare und potentiell erkenntnisreiche Forschungsperspektiven ausmachen: zum einen wäre eine Verknüpfung mit, insbesondere mit neueren Überlegungen, im Rahmen des rational-choice-Ansatzes
womöglich
interessant.
Die
Grundidee
des
nutzenmaximierenden ‚homo oeconomicus‘ wurde ja bereits schon zu Gunsten des ‚RREEMM‘ (resourceful, restricted, evaluating, expecting maximizing man) ergänzt. Die politische Kulturforschung und Handlungstheorie könnten so 37
Vgl. Westle, Bettina: Rezeptionsgeschichte des Konzepts der Politischen Kultur, in: Gabriel, Oscar; Westle, Bettina (Hrsg.): Politische Kultur. Eine Einführung. Baden-Baden 2009, S. 24f. 38 Vgl. Ebd. 39 Vgl. Ebd. 40 Vgl. Ebd. 41 Vgl. Ebd., S. 34f.
19
2. Theoretischer Bezugsrahmen: die politische Kulturforschung
Zum anderen wäre in der empirischen Datenlage die zukünftige Vermeidung eines ‚euro-amerikanischen‘ Bias wünschenswert. Zwar haben sich die quantitativen
Erhebungen
Sowjetunion
auch
nach
vermehrt
dem
nach
Zusammenbruch
Osteuropa
der ehemaligen
ausgedehnt.
In
globaler
Betrachtung, lassen sich trotz einschlägiger Surveys und Studien43 immer noch erhebliche ‚weiße Flecken‘ in der weltweiten politischen Kulturforschung ausmachen.44 45 Die politische Kulturforschung, ebenso wie die Politische Wissenschaft im Ganzen basieren, mehr oder weniger reflektierend auf dem Weltbild einer in territorial abgrenzbare und souveräne Nationalstaaten aufgeteilten Welt. Dementsprechend definiert und gliedert auch die politische Kulturforschung ihren
Untersuchungsgegenstand
entlang
territorialer
Grenzen,
davon
ausgehend es handele sich um die relevanten Einheiten.46 Nicht nur forschungspraktische Gründe (abgrenzbare Stichprobenziehung, Definition der Grundgesamtheit usw.), sondern auch die historische Tatsache, dass sich zumindest in Westeuropa die Nationalstaatsbildung entlang, teils gewaltsamer, kultureller Homogenisierungsprozessen vollzogen hat.47 Die Prozesse der weltweit vernetzten Kommunikation, ebenso wie globale Migrationsbewegungen sind indes Herausforderungen für die politische Kulturforschung, da sich eine allgemeine Kultur als Determinante für politische Kultur im Zeitalter der Globalisierung nur noch schwer in nationalstaatlichen Grenzen
ermitteln
lässt.48
Die
Integration
von
Prozessen
und
42
Vgl. Westle, Bettina: Politische Kulturen, Globalisierung und Europäische Union, in: Gabriel, Oscar; Westle, Bettina (Hrsg.): Politische Kultur. Eine Einführung. Baden-Baden 2009, S. 531f. 43 Genannt seien hier beispielhaft der Afrobarometer, Latinobarometro und Asiabarometer 44 Vgl. Westle, Bettina: Politische Kulturen, Globalisierung und Europäische Union, in: Gabriel, Oscar; Westle, Bettina (Hrsg.): Politische Kultur. Eine Einführung. Baden-Baden 2009, S. 535f. 45 Vgl. Berg-Schlosser, Dirk: Politische Kultur-Forschung. Rückblick und Ausblick, in: Haberl, Othmar Nikola; Korenke, Tobias (Hrsg.): Politische Deutungskulturen. Festschrift für Karl Rohe. Baden-Baden 1999, S. 91. 46 Vgl. Westle, Bettina: Politische Kulturen, Globalisierung und Europäische Union, in: Gabriel, Oscar; Westle, Bettina (Hrsg.): Politische Kultur. Eine Einführung. Baden-Baden 2009, S. 538ff. 47 Vgl. Ebd., S. 540f. 48 Vgl. Ebd., S. 552.
20
2. Theoretischer Bezugsrahmen: die politische Kulturforschung
Erscheinungsformen der Globalisierung in die politische Kulturforschung scheint eine Notwendigkeit für zukünftige Ansätze zu sein.
2.2 Civic Culture Studie von Almond/Verba Die 1963 unter dem Titel „The Civic Culture. Political Attitudes and Democracy in Five Nations.” publizierte Arbeit der beiden US-amerikanischen Politologen Gabriel A. Almond und Sidney Verba gilt als wegweisendster Beitrag der politischen Kulturforschung nach dem Zweiten Weltkrieg. Das Konzept der Forscher
wird
heute
als
Ausgangspunkt
der
modernen
politischen
Kulturforschung gesehen und regte zu zahlreichen Folgepublikationen, Weiterentwicklungen und heftiger Kritik an.49 Das Erkenntnisinteresse von Almond und Verba ist in ihren historischen Erfahrungen zu suchen, wie sie bereits in ihrer Einleitung darlegen: „The faith of the Enlightenment in the evitable triumph of human reason and liberty has been twice shaken in recent decades. The development of Facism and Communism after World War I raised serious doubts about the inevitability of democracy in the West; […]. Without having first resolved these doubts, the events since World War II have raised questions of the future of democracy on a world scale.”50 Der Zusammenbruch demokratischer Systeme in West- und Mitteleuropa, sowie die im Zuge der Entkolonialisierung weltweite Verbreitung und Aufbau von Nationalstaaten, welche nur zögerlich demokratische Gestalt annahmen, stellten die Politikwissenschaft vor ein Problem: Wie hatte es geschehen könne, und warum geschieht es derzeit, dass, obwohl es in all diesen Ländern ähnliche, demokratische Verfassungen, Institutionen und Prozesse gab, es zu erheblichen Funktionsproblemen und Zusammenbrüchen von Demokratie kommt? Dies ließ sich Ende der 1950er Jahre nur schwerlich
49
Vgl. Greiffenhagen, Sylvia: Theorie(n) der Politischen Kultur, in: Salzborn, Samuel (Hrsg.): Politische Kultur. Forschungsstand und Forschungsperspektiven. Frankfurt am Main 2009, S. 14f. 50 Almond, Gabriel A.; Verba, Sidney: The Civic Culture. Political Attitudes and Democracy in Five Nations. Princeton 1963, S. 1f.
21
2. Theoretischer Bezugsrahmen: die politische Kulturforschung
mit den vorhandenen, meist institutionellen Ansätzen erklären.51 Auch die Annahme der soziologischen Modernisierungsthese, ein gewisser Standard an sozioökonomischen Entwicklung sei hinreichend für die Ausbildung/Bestand einer Demokratie, hatte sich nicht bewährt, da Länder mit höheren Faktoren von Bildung, Einkommen und Gesundheit zusammengebrochen waren, während weniger entwickelte Länder geringere Funktionsdefizite in ihren demokratischen Systeme aufwiesen.52 Als Erklärung hinter diesen Phänomenen vermuteten Almond/Verba die spezifische, nationale politische Kultur; die grundlegenden, tief verwurzelten Orientierungen, Werte und Einstellungen der Bürger in der Gesamtgesellschaft in Bezug auf ihr politisches System resultieren in der (In-)Stabilität von demokratischen Systemen. Diese Forschungshypothese deckt sich mit dem Einzug des Behaviorismus und Strukturfunktionalismus in die empirische Sozial- und vergleichende Politikwissenschaft. Die zentrale Forschungsfrage lautete folgerichtig, ob es in stabilen, bereits zerfallenen und im Entstehen begriffenen Demokratien, trotz relativ ähnlicher institutioneller Strukturen, Differenzen in der politischen Kultur gebe und ob diese Unterschiede die demokratische Stabilität plausibel durch Unterschiede in der politischen Kultur erklären könne.53 Das Ziel von Almond/Verba war der „[…] systematische Vergleich
von
politischen
Systeme
mit
Hilfe
soziologischer
und
anthropologischer Begriffe.“54 Almond/Verba differenzierten ihre Ansicht von politischer Kultur hinsichtlich des Ziel- und Wirkungsbereiches der Einstellungen und Orientierungen. Sie unterschieden dabei die politischen Objekte in: (erstens) das empfundene Selbstbild, die subjektiv empfundene Rolle des einzelnen Bürgers innerhalb des politischen Systems. Diese Einstellung hat, im Gegensatz zu den folgenden, kein konkretes politisches Objekt, auf das es sich bezieht. (Zweitens) die Gesamtbewertung gegenüber dem politischen System ; (drittens) die 51
Vgl. Westle, Bettina: Das klassische Konzept der Politischen Kultur, in: Gabriel, Oscar; Westle, Bettina (Hrsg.): Politische Kultur. Eine Einführung. Baden-Baden 2009, S. 16f. 52 Vgl. Ebd. 53 Vgl. Ebd., S. 17. 54 Vgl. Pickel, Gert; Pickel, Susanne: Politische Kultur- und Demokratieforschung. Grundbegriffe, Theorien, Methoden. Eine Einführung. Wiesbaden 2006, S. 59f.
22
2. Theoretischer Bezugsrahmen: die politische Kulturforschung
Orientierungen
des Individuums gegenüber den
Inputmöglichkeiten
im
politischen Prozess und (viertens) die Einstellungen gegenüber dem Output des politischen Systems.55 Die Orientierungen der Bürger gegenüber diesen vier politischen Objekten können sowohl kognitiv (das Wissen betreffend), affektiv (die Gefühle betreffend) und evaluativ (bewertend) auftreten. Differenziert in diese drei Dimensionen der politischen Einstellungen gegenüber den oben genannten vier politischen Objekten konnten Almond/Verba Ende der 1950er Jahre ihre empirischen Umfrageerhebungen durchführen: Sie befragten jeweils eine repräsentative Stichprobe der Bevölkerung in den USA, Großbritannien, Deutschland, Italien und Mexiko. Auf diese Weise konnten sie zu einer idealtypisierenden Darstellung von unterschiedlichen Arten der politischen Kultur gelangen. Sie unterscheiden einerseits (erstens) die Parochialkultur, (zweitens) die Untertanenkultur und (drittens) die partizipative Kultur.56 Die Parochialkultur entspricht einer Stammes-, Dorf- oder Feudalkultur. Mangels Wissen und emotionaler Bindung fehlt es der Bevölkerung auch an einer wertenden Haltung gegenüber dem politischen System. Es beschreibt eine Situation der größtmöglichen Nicht-Beachtung, sowohl politische Akteure, als auch das einzelne Individuum nehmen sich gegenseitig kaum wahr. Die Untertanenkultur zeichnet sich durch eine passive Beziehung des Einzelnen gegenüber dem politischen System aus. Der Einzelne hat keine Bild von sich selbst und seiner Rolle im politischen System, er betrachtet die politischen Prozesse aus unpolitischer Distanz und entwickelt kaum oder
keine
Orientierungen, wohingegen er das politische System sehr wohl hinsichtlich der Struktur und ihrer Output-Ergebnisse bewertet. Das kognitive Wissen kann unterschiedlich stark ausgeprägt sein. Die partizipative Kultur ist die vollentwickelte demokratische Kultur einer Gesellschaft aus aktiven (Staats)bürgern. „Hier ist die Bevölkerung in den politischen Prozess stark involviert;
55
Vgl. Pickel, Gert; Pickel, Susanne: Politische Kultur- und Demokratieforschung. Grundbegriffe, Theorien, Methoden. Eine Einführung. Wiesbaden 2006, S. 61. 56 Vgl. Greiffenhagen, Sylvia: Theorie(n) der Politischen Kultur, in: Salzborn, Samuel (Hrsg.): Politische Kultur. Forschungsstand und Forschungsperspektiven. Frankfurt am Main 2009, S. 14f.
23
2. Theoretischer Bezugsrahmen: die politische Kulturforschung
die
Bürger
zeigen
in
allen
Forschungsdimensionen
partizipationsangemessene ‚hohe Werte‘.“
und
-faktoren
57
Da diese theoretisch konstruierten Idealtypen sich auch nicht in den Umfrageergebnisse finden ließen, konstruierten Almond und Verba die „Civic Culture“.58 Diese spezifische Spielart der politischen Kultur verbindet stark partizipative
Einstellungen
der
Bevölkerung
mit
positiv-gleichgültigen
Orientierungen der Untertanenkultur gegenüber dem politischen System. Der Bürger in der Civic Culture ist nur bis zu einem gewisse Grad an den partizipatorischen Elementen und Prozessen des politischen Systems beteiligt, ebenso zeigt er eine hohe Akzeptanz und eine relative Folgsamkeit gegenüber den Entscheidungen der Herrschenden. „Der ‚gute Bürger‘ ist folglich eine Mischung aus Untertan und aktivem Bürger.“59 Die nicht-partizipativen Elemente dieser Staatsbürgerkultur nach Almond/Verba ermöglichen hierbei erst die langfristige Stetigkeit eines politischen Systems und mindern die Gefahr eines zu raschen und ständigen politischen Wandels.60 Die
Stabilität
eines politischen
Systems
entsteht
nach
Almond/Verba
insbesondere durch eine möglichst große Kongruenz zwischen politischer Kultur und politischen System.61 Diese Kongruenz versinnbildlicht sich vor allem in der Beziehung zwischen Bürger und politischem System. Liegen in der Bevölkerung positive Einstellungen gegenüber dem Gesamtsystem, den In- und Output-Faktoren, sowie der Stellung und Rolle des Bürgers im politischen System vor, dann, so Almond und Verba, kann von starker Verbundenheit (allegiance) und hoher Kongruenz zwischen politischer Kultur und politischen System ausgegangen werden.62 Als für die (In-)Stabilität nicht eindeutig verortbar wird die Abwesenheit von sowohl negativen, als auch positiven Einstellungen (apathy) gegenüber den 57
Greiffenhagen, Sylvia: Theorie(n) der Politischen Kultur, in: Salzborn, Samuel (Hrsg.): Politische Kultur. Forschungsstand und Forschungsperspektiven. Frankfurt am Main 2009, S. 15. 58 dt.: Staatsbürgerkultur 59 Pickel, Gert; Pickel, Susanne: Politische Kultur- und Demokratieforschung. Grundbegriffe, Theorien, Methoden. Eine Einführung. Wiesbaden 2006, S. 65. 60 Vgl. Ebd. 61 Vgl. Almond, Gabriel A.; Verba, Sidney: The Civic Culture. Political Attitudes and Democracy in Five Nations. Princeton 1963., S. 360ff. 62 Vgl. Pickel, Gert; Pickel, Susanne: Politische Kultur- und Demokratieforschung. Grundbegriffe, Theorien, Methoden. Eine Einführung. Wiesbaden 2006, S. 66ff.
24
2. Theoretischer Bezugsrahmen: die politische Kulturforschung
Dimensionen des politischen Systems gewertet. Eindeutig negativ auf die Stabilität eines politischen Systems, so Almond/Verba, wirkt sich eine Entfremdung (alienation) aus.63 Die Ergebnisse der 1959 in fünf Ländern (USA, Großbritannien, Deutschland, Italien
und
Mexiko)
durchgeführten
Umfrageerhebungen
lieferten
eine
Kategorisierung der jeweiligen politischen Kulturen, gemäß den von Almond und Verba theoretisch eingeführten Typisierungen. Den USA wird in den Ergebnissen
der
Civic
Culture
Studie
das
Musterbeispiel
einer
partizipatorischen Kultur bescheinigt. Eine hohe Zufriedenheit mit den InputStrukturen des politischen Systems, sowie das Selbstverständnis als aktiver Bestandteil im demokratischen Prozess und nur in einem gewissen Umfang tatsächlich Untertan einer politischen Herrschaft zu sein, tragen zur Systemstabilität bei. In Abstufungen lassen sich nach Almond und Verba diese Werte auch in Großbritannien finden.64 Lediglich für Deutschland, Italien und Mexiko finden Almond und Verba kaum Indizien einer Civic Culture. Die auf die kollektive Ebene der Gesellschaft aggregierten Einstellungsmuster lassen für diese Länder den Rückschluss zu, es handele sich vor allem um Untertanenkulturen.65 Folgeuntersuchungen in den darauffolgenden Dekaden haben gezeigt, dass sich politische Kulturen auch in Wandlungsprozessen befinden. Die Einstellungsmuster einer Bevölkerung basieren, laut Almond und Verba, auf langfristigen, im Schluss aber auch wandelbaren historischen und soziokulturellen Entwicklungspfaden
2.3 Alternative Konzepte
Im Folgenden sollen zwei weitere Ansätze der politischen Kulturforschung überblicksartig dargestellt, und ihr Beitrag zum Verständnis, was politische Kultur ausmacht, bewirkt und entsteht, dargelegt werden. 63
Vgl. Pickel, Gert; Pickel, Susanne: Politische Kultur- und Demokratieforschung. Grundbegriffe, Theorien, Methoden. Eine Einführung. Wiesbaden 2006, S. 61. 64 Vgl. Ebd., S. 69ff. 65 Vgl. Ebd.
25
2. Theoretischer Bezugsrahmen: die politische Kulturforschung
2.3.1 Karl Rohe: politische Deutungskulturen Der deutsche Politikwissenschaftler Karl Rohe plädiert für ein breiter und tiefer angelegtes Verständnis von politischer Kultur, indem er der vorwiegend empirischen Methodik der politischen Kulturforschung in der Tradition Almond/Verbas vorwirft, politische Kultur als Phänomen in ihrem Kern nicht zu treffen.66 Der empirischen Messung von Einstellungen und Orientierungen, der darauffolgenden Aggregierung auf eine kollektiv-gesellschaftliche Ebene, hält er einen
„hermeneutisch-historisch-kulturphilophischen“67
Ansatz
entgegen.
Einstellungen, Werte und Orientierungen könnten empirisch zwar oberflächlich gemessen, aber müssten erst in einen kulturellen Rahmen eingebunden, um damit erst überhaupt nachvollzieh- und nutzbar zu werden. Politische Vorstellungen, so Rohe, gründeten in einer tieferen individualpsychologischen Ebene: „Etwas verkürzt formuliert, geht es um die für ein gesellschaftliches Kollektiv maßgebenden grundlegenden Vorstellungen darüber, was Politik eigentlich ist, sein kann und sein soll. Diese Grundannahmen stellen so etwas wie Maßstäbe dar, an Hand derer Politik wahrgenommen, interpretiert und beurteilt wird. […] In jedem Fall gilt […], dass politische Kulturforschung im hier verstandenen Sinn nicht nach Einstellungen gegenüber konkreten Regimen zu fragen hat, sondern nach den Wahrnehmungsmustern und Beurteilungsmaßstäben, die solchen Einstellungen zugrunde liegen.“68 „Entsprechend könnte in einer ersten Annäherung unter Politischer Kultur das politisch relevante ‚Weltbild‘ von Gruppen verstanden werden, das den jeweiligen sozialen Trägern im Normalzustand in seiner Besonderheit gar nicht bewußt ist, weil die in dem Weltbild enthaltenen Grundannahmen über die Wirklichkeit als ‚natürlich‘ und ‚selbstverständlich‘ empfunden werden. Politische Kultur wäre demnach als ein mit Sinnbezügen gefüllter Rahmen zu begreifen,
66
Vgl. Greiffenhagen, Martin; Greiffenhagen, Sylvia.: Politische Kultur, in: Greiffenhagen, Martin; Greiffenhagen, Sylvia (Hrsg.): Handwörterbuch zur politischen Kultur in Deutschland. Wiesbaden 2002, S. 391f. 67 Greiffenhagen, Sylvia: Theorie(n) der Politischen Kultur, in: Salzborn, Samuel (Hrsg.): Politische Kultur. Forschungsstand und Forschungsperspektiven. Frankfurt am Main 2009, S. 17. 68 Rohe, Karl: Politische Kultur. Zum Verständnis eines theoretischen Konzepts, in: Niedermayer, Oskar; Beyme, Klaus von (Hrsg.): Politische Kultur in Ost- und Westdeutschland. Berlin 1994, S. 1.
26
2. Theoretischer Bezugsrahmen: die politische Kulturforschung
innerhalb dessen sich die […] Lebenspraxis handelnder, denkender und fühlender politischer Akteure vollzieht.“69 Als Beispiel führt Rohe die typisierende Unterscheidung von Gesellschafts- und Staatskulturen an. Hier ist die grundlegende Unterscheidung nicht, wie Probleme politisch gelöst werden, sondern was überhaupt als politisch angesehen werden kann. So seien die Vereinigten Staaten ein Beispiel einer typischen Gesellschaftskultur, denn diese habe, so Rohe, den absolutistischen Staat, anders als in Europa politikgeschichtlich nicht erfahren.70 Politische Kultur muss in Rohes Verständnis auch vor allem als Produkt eines dynamischen Prozesses verstanden werden und ist nicht nur Ergebnis von kollektiven Erfahrungsprozessen in der Vergangenheit, sondern wirkt auch beständig in der Gegenwart auf politische Prozesse und wird ebenso von diesen gestaltet.71 Da der von Rohe vorgeschlagene Ansatz das Konzept von politischer Kultur in einem erheblichen Maße verbreitert, ist die praktische Umsetzung in der politischen Kulturforschung bisher kaum erfolgt: „Bislang fehlen noch konkrete und
insbesondere
für
die
vergleichende
Politikwissenschaft
fruchtbare
empirische Versuche, welche auf das von Rohe vorgeschlagene Konzept zurückgreifen.“72
2.3.2 David Easton: politische Unterstützung Der US-amerikanische Politikwissenschaftler David Easton legte wenige Jahre nach Almond/Verbas Civic Culture Studie einen weiteren Ansatz in der politischen Kulturforschung. Für Easton ist die Stabilität des politischen Systems ebenfalls eine Kernfunktion der politischen Kultur und er konstruiert für diese maßgebliche Funktion den Begriff der politischen Unterstützung.
69
Rohe, Karl: Politische Kultur und ihre Analyse. Probleme und Perspektiven der politischen Kulturforschung, in: Historische Zeitschrift, Bd. 250. Oldenburg 1990, S. 333. 70 Vgl. Greiffenhagen, Sylvia: Theorie(n) der Politischen Kultur, in: Salzborn, Samuel (Hrsg.): Politische Kultur. Forschungsstand und Forschungsperspektiven. Frankfurt am Main 2009, S. 19. 71 Vgl. Kortmann, Martina; Mayer, Tilman: Politische Kultur, in: Gerlach, Irene; Jesse, Eckhard; Kneuer, Marianne (Hrsg.): Politikwissenschaft in Deutschland. Baden-Baden 2010, S. 190. 72 Pickel, Gert; Pickel, Susanne: Politische Kultur- und Demokratieforschung. Grundbegriffe, Theorien, Methoden. Eine Einführung. Wiesbaden 2006, S. 128.
27
2. Theoretischer Bezugsrahmen: die politische Kulturforschung
Die Beziehungen zwischen Bürger und dem politischen System werden, nach Easton, durch bewertende Einstellungen gegenüber politischen Objekten konstituiert. Politische Unterstützung kann sich nach Easton auf drei zentrale Objekte beziehen: (erstens) die politische Gemeinschaft, (zweitens) das politische Regime und (drittens) die politischen Herrschaftsträger. 73 Diese Objekte können vom Bürger positiv, als auch negativ unterstützt werden, wobei sich die positive politische Unterstützung als systemstabilisierend, die negative Unterstützung als systemgefährdend auswirken. Die Quelle der politischen Unterstützung ergibt sich zum einen aus der Zufriedenheit mit den OutputErgebnissen des politischen Systems. Diese spezifische Unterstützung bezieht sich auf konkrete politische Herrschaftsträger. Die politische Gemeinschaft und das Regime hingegen können nur diffus - als politische Objekte an sich und um ihrer selbst willen unterstützt werden.74
Diffuse Unterstützung teilt sich
zusätzlich in Legitimität, als Ergebnis der Kongruenz von persönlichen Einstellungen und dem politischen System, und Vertrauen, der Hoffnung auf Gemeinwohlorientiertheit auf.75 Insbesondere die exakte Trennung von diffuser und spezifischer Unterstützung in der empirischen Anwendung, sowie die Frage nach dem Ursprung der diffusen Unterstützung werden an Eastons Konzept kritisiert. „Trotz dieser Probleme erweist sich das politische Unterstützungskonzept von David Easton als eine hilfreiche Erweiterung des politischen Kulturansatzes, führte es doch eine realitätsnähere Differenzierung politischer Objekte ein und erhellte es die Beziehung zwischen Bürger und Staat weit mehr, als es im ursprünglichen Modell der politischen Kultur von Almond und Verba mit seiner Ausrichtung auf die Bewertung politischer Systeme der Fall war.“76
73
Vgl. Pickel, Gert; Pickel, Susanne: Politische Kultur- und Demokratieforschung. Grundbegriffe, Theorien, Methoden. Eine Einführung. Wiesbaden 2006, S. 78f. 74 Vgl. Easton, David: A Re-Assessment of the Concept of Political Support, in: British Journal of Political Science, Ausgabe Nr. 5, Band 4. Cambridge 1975, S. 436ff. 75 Vgl. Pickel, Gert; Pickel, Susanne: Politische Kultur- und Demokratieforschung. Grundbegriffe, Theorien, Methoden. Eine Einführung. Wiesbaden 2006, S. 80f. 76 Ebd., S. 82.
28
2. Theoretischer Bezugsrahmen: die politische Kulturforschung
2.4. Kritik an der politischen Kulturforschung
Im Folgenden werden zwei grundlegende Kritikrichtungen an der politischen Kulturforschung exemplarisch dargestellt, um diese, zwar mittlerweile etablierte, aber dennoch umstrittene, Forschungsrichtung der Politischen Wissenschaft in einen ihrer Methodik und Erkenntnisanspruch angemessenen kritischen Kontext zu rücken. Eine erste Kritikrichtung setzt der politischen Forschung normativ-ideologische Kritik
entgegen:
Den
Vertretern
der
politischen
Kulturforschung
wird
vorgeworfen, ihr Ansatz sei einerseits ethnozentriert und favorisiere die angloamerikanische politische Kultur (deren Verfasser dieser ja selbst angehören). Des Weiteren zieht die politische Kulturforschung mit ihrer Skepsis an einem zu hohen Grad an Partizipation den Vorwurf des Konservatismus auf sich. So solle politische Kultur nicht dazu dienen ausschließlich die jeweilige Herrschaft zu legitimieren.77 Ferner sei durch die auf die Kollektivebene aggregierten Einstellungsmuster eine zu starke Verallgemeinerung eingetreten und lasse keine
Analyse
„[…]
klassenspezifischer,
ethnischer
oder
regionaler
Heterogenität noch die subkulturelle oder devianter Minderheiten zu.“78 Hier steht sogar der Vorwurf im Raum, die politische Kulturforschung leiste der nationalen Stereotypenbildung Vorschub. Die
zweite
Kritikrichtung
bemängelt
insbesondere
methodische
und
konzeptuelle Schwächen und Unschärfen in der politischen Kulturforschung: so sei es nicht immer genau zu erkennen, wie z.B. affektive und evaluative Orientierungen in ihrer empirischen Anwendung trennscharf operationalisiert werden sollen. Des Weiteren erscheint es fraglich wie gerade die gemeinsame Kategorisierung der politischen Zielobjekte „Nation“ und der Regimetypus (z.B. Demokratie oder Diktatur) dazu beitragen kann politischen Wandeln zielsicher zu erklären, wenn die Einstellungsmuster hier vermischt werden.79
77
Vgl. Westle, Bettina: Rezeptionsgeschichte des Konzepts der Politischen Kultur, in. Gabriel, Oscar; Westle, Bettina (Hrsg.): Politische Kultur. Eine Einführung. Baden-Baden 2009, S. 26f. 78 Ebd. 79 Vgl. Ebd., S. 33f.
29
2. Theoretischer Bezugsrahmen: die politische Kulturforschung
Die schwerwiegendste Kritik richtet sich an die Interpretation, Klassifikation und Bewertung der empirisch erhobenen Datenlage: bisher ist es noch unklar welches Maß welcher Einstellung gesamtgesellschaftlich in welcher Verteilung vorliegen muss, damit z.B. die systemstabilisierende Funktion erfüllt wird. Dies hat zu dem Fazit geführt, dass die politische Kulturforschung „[…] nicht in der Lage sei, den Nachweis der Bedeutsamkeit von politischen Orientierungen der Bevölkerung für die Funktionsweise und für den Bestand politischer Systeme zu führen.“80 Dieser Vorwurf wirke, obschon er durchaus berechtigt sei, so Westle, nicht allzu fair, denn: „[…] auch die von ihnen für gewöhnlich fraglos akzeptierte Relevanz von Elitenhandlungen und von institutionellen Faktoren für die Funktionsweise und Persistenz von Demokratien nur selten quantitativ bestimmt werden konnte[n] […].“81
Trotz dieser Kritik an der politischen Kulturforschung wird im nächsten Kapitel dieser Arbeit der Kerngedanke der demokratischen Stabilität näher dargelegt, um darauf aufbauend einen Kriterienkatalog für demokratische Stabilität abzuleiten.
2.5 Die Funktion „demokratische Stabilität“ als Kerngedanke der politischen Kulturforschung
Eine zentrale Annahme der politischen Kulturforschung besagt, dass jedes politisches System, in Anlehnung an Parsons strukturfunktionalistische Überlegungen, wie jedes andere denkbare System nach Stabilität strebt. Ohne dauerhafte Unterstützung und Legitimität ist es wahrscheinlich, so die Hypothese der politischen Kulturforschung, dass das politische System in einen anderen Zustand übergeht. Die politische Kulturforschung richtet diese
80
Westle, Bettina: Rezeptionsgeschichte des Konzepts der Politischen Kultur, in. Gabriel, Oscar; Westle, Bettina (Hrsg.): Politische Kultur. Eine Einführung. Baden-Baden 2009, S. 34. 81 Ebd.
30
2. Theoretischer Bezugsrahmen: die politische Kulturforschung
Annahme, wenn auch nur implizit, insbesondere auf Demokratien und leistet damit einen erheblichen Beitrag zur Demokratieforschung. Sowohl in der Civic Culture Studie von Almond/Verba, als auch in anderen Arbeiten
der
politischen
Kulturforschung
ist
diese
Annahme
stark
hervorgetreten: Die Persistenz des politischen Systems wird hier hauptsächlich auf die Kongruenz von vorhandenen Einstellungs- und Orientierungsmustern in der Bevölkerung zurückgeführt, welche das politische System erhalten. Die Einstellungen, Orientierungen und Werte spiegeln dabei die graduelle Verinnerlichung von den der Demokratie als Staats-und Gesellschaftsform zugeschriebenen Werten in der politischen Gemeinschaft wieder.82 Die alleinige Bedingung der Kongruenz führt zu der theoretischen Überlegung, dass auch Nicht-Demokratien sich prinzipiell über einen längeren Zeitraum als stabil erweisen könnten. Zumindest lassen sich, da die politische Kulturforschung, keine detaillierten Aussagen trifft, ab welchen Zeitraum ein politisches System als stabil gelten kann, einige Beispiele für langfristig stabile Nicht-Demokratien ausmachen. „Reicht es aus, wenn 30 oder 40 Jahre überdauert werden oder bedeutet Beständigkeit das Überstehen von größeren und kleineren Krisen? Betrachtet man es objektiv, so misst die politische Kulturforschung immer nur die subjektiven Voraussetzungen für eine mögliche, zukünftige Stabilität.“83 Auch wenn das Konzept der politischen Kulturforschung mit dem Fokus auf die systemstabilisierende Funktion, wie Schuppert zurecht anmerkt, stark verengt und damit weitergehende Perspektiven oft aus dem Blick geraten, so habe: „Diese alte Fragestellung der fünfziger Jahre […] mit dem Zusammenbruch des Ostblocks und der Etablierung seiner neuen demokratischen Systeme eine neue
Bedeutung
erhalten
und
ist
[…]
problemlos
in
die
sog.
Transformationsforschung integriert worden.“84 85
82
Vgl. Pickel, Gert; Pickel, Susanne: Politische Kultur- und Demokratieforschung. Grundbegriffe, Theorien, Methoden. Eine Einführung. Wiesbaden 2006, S. 52. 83 Ebd., S. 54. 84 Vgl. Schuppert, Gunnar Folke: Politische Kultur. Baden-Baden 2008, S. 15f. 85 Vgl. Boulanger, Christian: Politische Kultur und Zivilgesellschaft in der Transformationsforschung. Versuch einer Annäherung und Kritik, in: Osteuropa-Institut FU-Berlin (Hrsg.): Berliner Osteuropa Info, Ausgabe Nr. 13. Berlin 1999, S. 14f.
31
2. Theoretischer Bezugsrahmen: die politische Kulturforschung
Aus diesem Grund und im Hinblick auf die Themenstellung dieser Arbeit folgt im nächsten Kapitel der Versuch einer Ableitung möglicher, kultureller Indikatoren für die Stabilität von Demokratien.
2.6 Ableitung von Indikatoren der politischen Kultur für demokratische Stabilität
Um der forschungsleitenden Fragestellung dieser Arbeit weiter nachzugehen, nämlich dahingehend zu untersuchen und zu vergleichen, inwiefern die Europäische Union in ihren Beitrittsverhandlungen hinsichtlich des dritten Kopenhagener
Beitrittskriteriums
und
die
politische
Kulturforschung
ausgewählte Demokratien bewertet, empfiehlt es sich aus dem oben dargestellten theoretischen Bezugsrahmen einen eigenen Kriterienkatalog von Indikatoren abzuleiten, die geeignet sind demokratische Stabilität durch politische Kultur zu erklären. In der rückblickenden Betrachtung der vorgestellten theoretischen Ansätze, sowie ihrer Vor- und Nachteile, sind große inhaltliche und strukturelle Gemeinsamkeiten und Überschneidungen auszumachen. Eine selbstständige Herleitung eines Indikatorenkataloges für demokratische Stabilität anhand Faktoren politischer Kultur erfordert deshalb als Ziel eine umfassende Miteinbeziehung aller dieser Vorarbeiten.
Nach dem hier vorgestellten Überblick der politischen Kulturforschung entstehen Einstellungen, Werte und Orientierungen von Individuen durch tiefenstrukturelle Prozesse, wie Sozialisation und Erziehung, aber auch durch historisch-kulturelle
generationenübergreifende
Deutungsmuster.
Diese
individuellen Einstellungen beziehen sich auf konkrete Zielobjekte: (1) das politische
System
(Akteure,
Regime,
Institutionen),
(2)
die
politische
Gemeinschaft, (3) das Selbstbild vom Einzelnen und seiner Rolle, sowie (4) der Demokratie als Idee und als konkrete Staats- und Gesellschaftsform. Diese auf die genannten Zielobjekte bezogenen Einstellungen können sich auch in ihrer Ausprägungsdimension unterscheiden: entweder sie sind als
32
2. Theoretischer Bezugsrahmen: die politische Kulturforschung
Wissen ausgeprägt (kognitiv), als Bewertung (evaluativ), insbesondere bezogen auf die Input-/Output-Dimension des politischen Systems, oder als Gefühl (affektiv). Aus
diesen,
auf
die
genannten
Zielobjekte
bezogenen
und
in
den
verschiedenen Ausprägedimensionen differenzierten Einstellungen, resultieren und ergeben sich vier, messbare und operationalisierbare
Indikatoren der
politischen Kultur, welche demokratische Stabilität (mit-)erzeugen können. Diese lauten:
Vertrauen
Unterstützung
Legitimität
Zustimmung
Tiefenstrukturelle Prozesse; historische Erfahrungen, intergenerationelle Deutungen, Sozialisation, Erziehung und Internalisierung
Orientierungen: Werte, Einstellungen und Meinungen
kognitiv
evaluativ
affektiv
Politisches System
Vertrauen
Politische Gemeinschaft
Unterstützung
Selbstbild
Legitimität
Demokratie
Zustimmung
Abb. 1: Indikatoren politischer Kultur für demokratische Stabilität. Quelle: eigene Entwicklung und Darstellung
Anhand dieses Diagramms wird die Genese der Indikatoren politischer Kultur für demokratische Stabilität noch einmal deutlich. Die potentielle Stabilität und 33
2. Theoretischer Bezugsrahmen: die politische Kulturforschung
Persistenz eines demokratischen Systems kann anhand der Kongruenz dieser vier Indikatoren mit dem politischen System operationalisiert und empirisch gemessen werden. Befinden sich die Einstellungsmuster hinter diesen Indikatoren im Einklang mit dem politischen System, so kann von einem stabilisierenden Faktor der politischen Kultur ausgegangen werden.
34
3. Erweiterung der Europäischen Union
Im
vorangegangenen
Kapitel
konnte
gezeigt
werden,
aus
welchen
Bestandteilen, essentiellen Merkmalen und zentralen Gedanken die politische Kulturforschung als Disziplin der Politischen Theorie und der empirischen Sozialforschung ihre Erklärungs- und Prognosefähigkeit schöpft. Politische Kultur ist demnach ein vielseitig differenziertes Konzept, welches aber auch aus unterschiedlichen Richtungen viel Kritik erfahren hat. Mit diesem Kapitel dieser Arbeit konnte dementsprechend der für die weiteren Überlegungen notwendige theoretische Bezugsrahmen dargestellt und einer kritischen Würdigung unterzogen werden. Im Folgenden soll zunächst erörtert werden, inwiefern im ersten Kopenhagener Beitrittskriterium das Kriterium der demokratischen Stabilität im Rahmen der EU-Erweiterungen verwirklicht ist und anschließend die Beitrittsverhandlungen und die Rolle der Kopenhagener Kriterien in diesen dargestellt werden. Hierzu erscheint
es
jedoch
überdies
hinaus
notwendig,
die
verschiedenen
Erweiterungsrunden der Europäischen Union in ihrem spezifisch historischen Kontext zu überblicken, um daraufhin den eigentlichen Prozess der Erweiterung und die Bedeutung der Kopenhagener Kriterien in diesem Prozess eingehend zu erläutern. Die politischen und rechtlichen Implikationen, welche aus dem ersten Kopenhagener Kriterium erwachsen sollen zunächst ein Thema dieses Kapitels werden, bevor deren Anwendung an ausgewählten Beispielen gezeigt werden kann.
3.1 Historischer Kontext: Die Geschichte der EU-Erweiterungen
Das westeuropäische Integrationsprojekt der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) war bereits seit der Gründung 1952 als offene und erweiterungsfreudige Union für weitere Mitglieder ausgelegt. Diese Architektur der
potentiellen
offenen
Erweiterungen
durchzog
auch
die
folgenden
35
3. Erweiterung der Europäischen Union
konstitutionellen Etappen –von der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft bis hin zur Europäischen Gemeinschaft und - später der Europäischen Union. Erst der Rücktritt des französischen Staatspräsidenten Charles de Gaulle im Jahr 1969 ermöglichte eine integrationspolitische Vertiefung und auch die erste Erweiterung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zu verwirklichen. Hatte die französische „Politik des leeren Stuhls“, die qualifizierte Mehrheitsentscheidungen im EWG-Ministerrat ab dem Jahr 1966 ermöglichte, eine vertiefte Integration der EWG und den Beitritt des Vereinigten Königreichs verhindert, so war nach dem Rücktritt de Gaulles der Weg zur ersten Erweiterung frei.86 Dementsprechend konnte erst unter George Pompidou, de Gaulles
Nachfolger
im
französischen
Präsidentenamt,
die
sogenannte
„Norderweiterung“ auf der Haager Gipfelkonferenz am 1./2. Dezember 1962 beschlossen
werden.
Großbritannien,
Nach
Irland
und
Wirtschaftsgemeinschaft
1973
den
positiven
Dänemark von
Volksabstimmungen
wuchs
ursprünglich
die sechs
in
Europäische auf
neun
Mitgliedsstaaten. Die norwegische Bevölkerung lehnte jedoch den Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft mit knapper Mehrheit ab.87 Mit dem Beitritt dreier europäischer
Staaten
zur
Europäischen
Wirtschaftsgemeinschaft
„diversifizierten sich die […] integrationspolitischen Vorstellungen.“88 So bildeten die neuen Mitgliedsstaaten nach Weidenfeld in gewisser Weise einen Gegenpol zu
bisherigen
integrationspolitischen
Vorstellungen:
demnach
stand
insbesondere die transatlantische Orientierung Großbritanniens im Kontrast zu traditionellen französischen kontinentalen Vorstellungen. Die neuen Mitglieder, so Weidenfeld, traten darüber hinaus stärker für eine intergouvernementale Organisationsstruktur ein, wohingegen insbesondere in Deutschland eine Präferenz für eine bundesstaatliche Ordnung vorherrschte.89
86
Vgl. Weidenfeld, Werner: Europäische Einigung im historischen Überblick, in: Weidenfeld, Werner; Wessels, Wolfgang (Hrsg.): Europa von A bis Z. Taschenbuch der europäischen Integration. Bonn 2011, S. 17f. 87 Vgl. Ebd., S. 18. 88 Weidenfeld, Werner: Die Europäische Union. München 2011, S. 23. 89 Vgl. Ebd.
36
3. Erweiterung der Europäischen Union
Nach der Redemokratisierung und Überwindung der Militärdiktaturen in Südeuropa beantragten Spanien, Portugal (1977) und Griechenland (1975) ihre Aufnahme in die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft. Der Beitrittsantrag der südeuropäischen Länder fällt damit in eine Zeit, die umgangssprachlich und populärwissenschaftlich auch als „Eurosklerose“ bezeichnet wird. Ein Zeitraum, welcher sich beinahe über eine Dekade erstreckte und eine Periode der ins Stocken geratenen europäischen Integration kennzeichnet. Auslöser dafür waren unter anderem der konjunkturelle Wirtschaftsabschwung in Folge der Ölkrisen, der Jom-Kippur-Krieg 1976 und der Zusammenbruch des BrettonWoods-Systems. Mit der ersten direkten und unmittelbaren Wahl des Europäischen Parlamentes verschob sich auch das politisch-demokratische Verhältnis
in
den
Europäischen
Gemeinschaften.90
Nachdem
die
Verhandlungen zwischen Griechenland und der Europäischen Gemeinschaft (EG) 1976 begonnen hatten, trat Griechenland 1981 dem europäischen Staatenverbund bei. Mit Hilfe eines fünfjährigen Übergangsvertrages sollte das bislang stark agrarisch geprägte Griechenland dem Niveau der übrigen Mitgliedsländer angepasst werden. 1986 folgen Spanien und Portugal in die EG und vervollständigen damit die Zwölfer-Gemeinschaft. „Mit der Aufnahme der Südeuropäer war eine wichtige demokratie- und ordnungspolitische Funktion verbunden. Die Einbeziehung dieser Staaten in den Integrationsprozess stützte und konsolidierte ihre Ökonomie und Demokratie.“91
Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und dem Fall des Eisernen Vorhangs in Folge des markanten Umbruchs im Jahre 1989 kam der europäischen Einigung eine neue Schlüsselfunktion zu. Mit Hilfe von Abkommen und der auf dem Gipfel von Kopenhagen beschlossenen Beitrittsperspektive für die mittel- und osteuropäischen Länder, strahlte das Integrationsprojekt der europäischen Einigung eine hohe Attraktivität für die sich neu bildenden demokratischen Staaten aus. Der Vertrag von Maastricht stellte dabei eine der bedeutendsten Weiterentwicklungen dar: Im Jahr 1993 gründete
90 91
Vgl. Gehler, Michael: Europa. Von der Utopie zur Realität. Wien 2014, S. 132f. Ebd., S. 136.
37
3. Erweiterung der Europäischen Union
sich mit der Ratifizierung des Vertrages von Maastricht die Europäische Union. Neben der ersten Säule der Union: Der Europäischen Gemeinschaft, schlossen die
Mitgliedsstaaten
in
der
zweiten
und
dritten,
dem
Prinzip
der
Intergouvernementalität verpflichteten Säulen, der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) und der Justiz- und Innenpolitik (ZJIP) zu einer wirtschaftlich und politisch stark integrierten Union zusammen. Der EU-Gipfel von Kopenhagen schaffte für die mittel- und osteuropäischen Länder eine realistische Beitrittsperspektive, bei gleichzeitiger Konditionalität, welche erstmals in Form der Kopenhagener Kriterien festgeschrieben wurden.92 Im Jahr 19995 erfolgt der sogenannte „EFTA“-Beitritt von Schweden, Österreich und Finnland, die bis dato in der Europäischen Freihandelszone organisiert waren. Bereits zwei Jahre später beginnen die Beitrittsverhandlungen mit den mittel- und osteuropäischen Staaten Polen, Ungarn, Tschechien, Estland und Slowenien (sowie Zypern). Weitere zwei Jahre später, auf dem Gipfel von Helsinki schließen sich auch Bulgarien, Lettland, Litauen, Rumänien und die Slowakei (sowie Malta) den Verhandlungen zum EU-Beitritt an.93 Bis zum Beitritt der mittel- und osteuropäischen Bewerberstaaten 2004/2007 investierte
die
Europäische
Heranführungsstrategie
Union
durch
rund
30
Milliarden
Hilfsprogramme
und
Euro
in
ihre
Vorbereitungs-
maßnahmen, um die Bewerber fit für den gemeinsamen Markt zu machen und hinsichtlich ihrer Rechtsstaatlichkeit und Demokratie zu stärken.94 Im Jahr 2002 stellte die Europäische Kommission in ihrem Fortschrittsbericht Folgendes fest: „Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, die Slowakei, Slowenien, die Tschechische Republik, Ungarn und Zypern erfüllen bereits die politischen Kriterien. […] Angesicht der erzielten Fortschritte […] ist die Kommission der Ansicht, dass diese Länder die wirtschaftlichen Kriterien und die Übernahme des gemeinschaftlichen Besitzstandes Anfang 2004 erfüllen und beitrittsreif sein werden.“, und empfahl daher, „die Beitrittsverhandlungen
92
Vgl. Weidenfeld, Werner: Europäische Einigung im historischen Überblick, in: Weidenfeld, Werner; Wessels, Wolfgang (Hrsg.): Europa von A bis Z. Taschenbuch der europäischen Integration. Bonn 2011, S. 28. 93 Vgl. Ebd. 94 Vgl. Weidenfeld, Werner: Die Europäische Union. München 2011, S. 24ff.
38
3. Erweiterung der Europäischen Union
mit
diesen
Ländern
bis
Ende
dieses
Jahres
abzuschließen.“95
Im
darauffolgenden Jahr begann der Ratifizierungsprozess der bisher größten Erweiterungsrunde der Europäischen Integration mit der Unterzeichnung des Beitrittsvertrages auf der Athener Akropolis an deren Ende der Beitritt von zehn Staaten aus Ost- und Mitteleuropa am 01. Mai 2004 stand. Mit dem Beitritt Rumäniens und Bulgariens drei Jahre später wuchs die Union auf 27 Mitglieder. Die Südosterweiterung der Europäischen Union hat nicht nur die Jahrzehnte andauernde Teilung des Kontinents überwunden, sondern auch die Union selbst quantitativ und qualitativ hinsichtlich der Arbeitsweise und Politiken in den Institutionen stark verändert.96 Auch die wirtschaftliche Divergenz zwischen neuen und alten, kleinen und großen Mitgliedsstaaten ist gestiegen – so verdoppelte sich nach dem Beitritt der ost- und mitteleuropäischen Staaten 2004/2007 zum Beispiel das Wirtschaftsgefälle zwischen den Mitgliedsstaaten. Damit
verbunden
Interessenmatrix
in
waren
auch
wirtschafts-
tiefgreifende und
Veränderungen
verteilungspolitischen
in
der
Fragen
der
Mitgliedsstaaten.97 Auch wenn die Osterweiterung der Europäische Union neue politischen und institutionell Frage aufdrängte und vor neue Probleme stellte, schien die Attraktivität einer Beitrittsperspektive bei einer Reihe von weiteren Ländern ungebrochen und auch die integrationspolitische Bereitschaft in der Union war weiterhin gegeben. So stellte Mazedonien im Jahr 2008 ein Beitrittsersuchen, welches seit 2010 verhandelt wird. Im Jahr 2005 begannen die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei. Das dritte Land, welches zurzeit Verhandlungen um einen Beitritt mit der Europäischen Union führt ist Island, welches
2009
den
Antrag
stellte,
aber
in
Folge
der
isländischen
Parlamentswahlen 2013 und kontroversen Diskussionen das Beitrittsgesuchen derzeit ruhen lässt. Weitere Kandidatenländern sind momentan Albanien, Serbien und Montenegro. Dem Kosovo sowie Bosnien-Herzegowina wurde in Aussicht gestellt zu 95
Europäische Kommission: Strategiepapier und Bericht der Europäischen Kommission über die Fortschritte jedes Bewerberlandes auf dem Weg zum Beitritt. Brüssel 2002, S. 24. 96 Vgl. Weidenfeld, Werner: Die Europäische Union. München 2011, S. 25f. 97 Vgl. Weidenfeld, Werner: Europäische Einigung im historischen Überblick, in: Weidenfeld, Werner; Wessels, Wolfgang (Hrsg.): Europa von A bis Z. Taschenbuch der europäischen Integration. Bonn 2011, S. 35f.
39
3. Erweiterung der Europäischen Union
offiziellen Beitrittskandidaten ernannt zu werden.98 Als neuestes Mitglied der Europäischen Union trat Kroatien zehn Jahre nach dem Einreichen des Beitrittsgesuches und nach acht Jahren Beitrittsverhandlungen im Juni 2013 als 28. Mitglied der Union bei. Die Verhandlungen gestalteten sich dabei aus mehreren Gründen schwierig: so kam es vor allem Verzögerungen des Verhandlungsbeginns durch die mangelnde Kooperation Kroatiens im Rahmen der Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemaligen Jugoslawiens (ICTY).99 Aber auch die Erfahrungen mit dem Beitritt Rumäniens und Bulgariens führten dazu, dass von Seiten der Union verstärkt quantifizierbare
Reformergebnisse
verlangt
wurden
und
das
seitdem
eingeführte Verhandlungskapitel „Justiz und Rechtsstaat“ verlangsamten den Beitrittsprozess Kroatiens.100
Die Perspektive einer Mitgliedschaft zur Europäischen Union scheint für viele Anrainerstaaten, auch trotz aktueller Eurokrisen weiterhin und ungebrochen eine attraktive Chance und Antrieb zur Einleitung von umfangreichen wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Reformbemühungen und Transformationsbestrebungen in ihren Gesellschaften zu sein.101 Dabei ist jedoch aber auch festzuhalten, dass durch die Erweiterungen sich das Innenverhältnis der Union stark verändert hat: „Es wirken stärker zentrifugale als
zentripetale
[…].“102
Kräfte
Damit
offenbart
sich
auch
ein
hier
zugrundliegender, und bislang ungeklärter Zielkonflikt zwischen Erweiterung und
Vertiefung.
Vor
dem
Hintergrund
weltweiter
Entwicklungen
wie
Internationalisierung, Globalisierung und der Verschiebung von Macht- und Wirtschaftszentren
wird
deutlich,
dass
sowohl
eine
verstärkte
98
Vgl. Europäische Kommission: Erweiterungsstrategie und wichtigste Herausforderungen 2014-2015, Brüssel 2014, S. 2f. 99 Vgl. Kušič, Siniša: Kroatiens Weg in die EU, in: Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.): Aus Politik und Zeitgeschehen. Kroatien, Ausgabe Nr. 17, Bonn 2013, S. 11f. 100 Vgl. Dirmoser, Dietmar: Der lange Weg nach Europa. Kroatiens EU-Beitritt, in: Friedrich-Ebert-Stiftung (Hrsg.): Perspektive, Berlin 2013, S. 3. 101 Vgl. Weidenfeld, Werner: Europäische Einigung im historischen Überblick, in: Weidenfeld, Werner; Wessels, Wolfgang (Hrsg.): Europa von A bis Z. Taschenbuch der europäischen Integration. Bonn 2011, S. 36. 102 Piepenschneider, Melanie: Erweiterung und/oder Vertiefung der EU, in: Bergmann, Jan (Hrsg.): Handlexikon der Europäischen Union. Baden-Baden 2012, S. 277.
40
3. Erweiterung der Europäischen Union
Leistungsfähigkeit, als auch Wirtschaftskraft und -größe benötigt werden, damit Europa nicht marginalisiert wird.103 Im Zuge und insbesondere nach der Osterweiterung 2004/2007 wurde deutlich, dass auch eine institutionelle Reform als Konsequenz aus einer nun deutlich vergrößerten
Union
dringend
notwendig
wurde.104
Nicht
zuletzt
die
Entscheidung von Amsterdam und Nizza sowie die Verfassungsdebatte 2003/4 waren Ausdruck dieses Handlungsdrucks.
3.2 Kriterien der demokratischen Stabilität in der EU-Erweiterung
Um weiter der arbeitsleitenden Fragestellung dieser Arbeit nachzugehen, ob und in welchem Umfang Kriterien der demokratischen Stabilität im Rahmen der EU-Erweiterung implementiert und angewandt werden, und wie diese im Vergleich zu Ergebnissen der politischen Kulturforschung zu bewerten sind, werden nun im folgenden Teil dieser Arbeit die formale Verankerung von in Frage kommenden Kriterien im Recht der Europäischen Union untersucht.
Auf dem Gipfel des Europäischen Rates am 22. Juni im Jahr 1993 in Kopenhagen beschlossen die damaligen Staats- und Regierungschefs in Vorbereitung auf die bevorstehenden Erweiterungsrunden der mittel- und osteuropäischen Staaten erstmals konkrete Kriterien für die Aufnahme neuer Mitgliedsstaaten in die Europäische Union zu formulieren. Dies war nötig geworden, da sich die Union „[…] einer Erweiterungsrunde von bisher unbekanntem Ausmaß gegenüber [sah].“105 Auf dem Gipfel in Kopenhagen bekräftige der Europäische Rat, dass die assoziierten Länder Mittel- und Osteuropas, welche einen Beitritt zur Europäischen Union wünschen, zuvor die damit verbunden Verpflichtungen und 103
Vgl. Ebd. Vgl. Giering, Claus: Die institutionellen Konsequenzen der EU-Erweiterung, in: Chardon, Matthias; Frech, Siegfried; Große Hüttmann, Martin: Die EU-Osterweiterung. Chancen und Perspektiven. Schwalbach 2005, S. 173ff. 105 Giesendorf, Sabrina: Politische Konditionalität der EU – eine erfolgreiche Demokratieförderungsstrategie. Eine Analyse am Beispiel der Türkei. Baden-Baden 2009, S. 188. 104
41
3. Erweiterung der Europäischen Union
Kriterien erfüllen müssten, bevor sie aufgenommen werden könnten.106 Der Beitrittskandidat muss als Voraussetzung „[…] eine institutionelle Stabilität als Garantie für demokratische und rechtsstaatliche Ordnung, für die Wahrung der Menschenrechte sowie die Achtung und den Schutz von Minderheiten verwirklicht haben; sie erfordert ferner eine funktionsfähige Marktwirtschaft sowie die Fähigkeit dem Wettbewerbsdruck und den Marktkräften innerhalb der Union standzuhalten“107 vorweisen können. „Die Mitgliedschaft setzt außerdem voraus, daß die einzelnen Beitrittskandidaten die aus einer Mitgliedschaft erwachsenden Verpflichtungen übernehmen und sich auch die Ziele der politischen Union sowie der Wirtschafts- und Währungsunion zu eigen machen können.“108 Die drei Beitrittsvoraussetzungen: 1. das politische Kriterium (institutionelle Stabilität, Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, Menschenrechte und Schutz von Minderheiten), 2. das wirtschaftliche Kriterium (funktionsfähige Marktwirtschaft, Fähigkeit dem Wettbewerbsdruck standzuhalten) und 3. das rechtliche Kriterium
(Übernahme
Verpflichtungen
und
des Ziele
gemeinsamen der
EU
zu
EU-Regelwerkes, übernehmen)
Fähigkeit
müssen
vom
Beitrittskandidaten erfüllt werden.109 Des Weiteren gilt es ein viertes Kriterium zu erfüllen, welches allerdings die Europäische Union selbst betrifft: „Die Fähigkeit der Union, neue Mitglieder aufzunehmen, dabei jedoch die Stoßkraft der europäischen Integration zu erhalten, stellt ebenfalls einen […] wichtigen Gesichtspunkt dar.“110 Diese drei Kriterien in Verbindung mit dem Kriterium der Aufnahmefähigkeit werden seither als Kopenhagener Kriterien benannt. Es lässt sich festhalten, dass die inhaltlichen Vorgaben – insbesondere die politischen
Bedingungen
der
Kopenhagener
Kriterien
keine
inhaltliche
106
Vgl. Europäischer Rat: Europäischer Rat Kopenhagen vom 21. - 22. Juni 1993. Schlussfolgerungen des Vorsitzes. Brüssel 1993, S. 13. 107 Europäischer Rat: Europäischer Rat Kopenhagen vom 21. - 22. Juni 1993. Schlussfolgerungen des Vorsitzes. Brüssel 1993, S. 13. 108 Ebd. 109 Vgl. Korn, Peter: Erweiterung der Europäischen Union. Strategie, Maßnahmen, Stand, in: Deutscher Industrie- und Handelstag (Hrsg.): DIHT Brüssel. Berlin 2000, S. 21ff. 110 Europäischer Rat: Europäischer Rat Kopenhagen vom 21. - 22. Juni 1993. Schlussfolgerungen des Vorsitzes. Brüssel 1993, S. 13.
42
3. Erweiterung der Europäischen Union
Innovation darstellen. Vielmehr bilden sie die bisherige Praxis des Beitritts- und Erweiterungsprozesses der Europäischen Union ab und geben diese wieder. Die eigentliche Innovation der Kopenhagener Kriterien muss daher an einer anderen Stelle zu finden sein: „Die Bedeutung der Kopenhagener Kriterien liegt darin, dass erstmals klar definierte und überprüfbare Bedingungen formuliert wurden für die Beitrittskandidaten. […] Das Neue liegt in der Festschreibung der Kriterien sowie in der expliziten Verknüpfung der detaillierten Erfüllung dieser Bedingungen mit der Akzeptanz als Beitrittskandidat.“111 Es lässt sich ferner feststellen, dass es eine Priorisierung in der Reihenfolge der Kopenhagener Kriterien gibt: so ist das politische Kriterium zur Conditio sine qua non für einen Beitritt eines Staates in die Europäische Union erhoben worden.112
Die
Forderung
nach
Demokratie,
Rechtsstaatlichkeit
und
Minderheitenschutz ist quasi eine Vorbedingung für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen. Der Rat der Europäischen Union legte dies im Jahr 1997 auf seinem Gipfel in Luxemburg folgendermaßen dar: „Die Einhaltung der politischen Kriterien von Kopenhagen stellt eine unabdingbare Voraussetzung für die Eröffnung von Beitrittsverhandlungen dar. Die wirtschaftlichen Kriterien […] wurden bisher und müssen auch weiterhin aus einer zukunftsorientierten, dynamischen Sicht heraus beurteilt werden.“113 Giesendorf sieht in dieser Priorisierung des politischen Kriteriums ein Indiz dafür, dass die Wahrung von Demokratie und Rechtstaatlichkeit sowie dem Minderheitenschutz und dem Schutz von Menschenrechten einen zentrale Bedeutung in der Erweiterungspolitik, aber auch der Selbstwahrnehmung der Europäischen Union zukommt.114 „Eine weitere qualitative Aufwertung erfahren die politischen Kriterien durch ihre Verankerung in Artikel 6 des EU-Vertrags.“115 111
Kneuer, Marianne: Demokratisierung durch die EU. Süd- und Ostmitteleuropa im Vergleich. Wiesbaden 2007, S. 113. 112 Vgl. Giesendorf, Sabrina: Politische Konditionalität der EU – eine erfolgreiche Demokratieförderungsstrategie. Eine Analyse am Beispiel der Türkei. Baden-Baden 2009, S. 191f. 113 Europäischer Rat: Europäischer Rat Luxemburg 12. - 13. Dezember. Schlussfolgerungen des Vorsitzes. Brüssel 1997, in: Europäisches Parlament (Hrsg.): Offizielle Positionen der anderen Organe und Einrichtungen, in: http://www.europarl.europa.eu/enlargement/ec/lux_de.htm (abgerufen am 09.03.15) 114 Vgl. Giesendorf, Sabrina: Politische Konditionalität der EU – eine erfolgreiche Demokratieförderungsstrategie. Eine Analyse am Beispiel der Türkei. Baden-Baden 2009, S. 192f. 115 Ebd.
43
3. Erweiterung der Europäischen Union
und Artikel 49 EUV, welcher festlegt, dass die politischen Bedingungen des Artikels 6 vom Beitrittskandidaten erfüllt sein müssen. Damit sind die politischen Bedingungen der Kopenhagener Kriterien seit dem Vertrag von Amsterdam im Jahr 1999 auch primäres Unionsrecht geworden.116 Die Bedeutung der in Artikel 6 des EU-Vertrages festgelegten Strukturprinzipien liegt darin begründet, dass sie nunmehr die gegenwärtigen, wie potentiellen zukünftigen Mitgliedsstaaten auf den demokratischen und rechtsstaatlichen Verfassungstypus verpflichten und damit die Europäische Union auch als Wertegemeinschaft zu etablieren versuchen.117
Ein besonders kritischer Punkt bei der Betrachtung der politischen Bedingungen in den Kopenhagener Kriterien sowie der in den EU-Verträgen implementierten Regelungen hinsichtlich der politischen Voraussetzungen ist die konkrete Anwendung und Operationalisierung dieser Prinzipien. Im Erweiterungsprozess werden diese Kriterien in den Verfahren mit den Beitrittskandidaten individuell angewandt. Dies garantiert zum einen die Berücksichtigung von spezifischen Besonderheiten in den einzelnen Beitrittsländern, auf der anderen Seite führt es dazu „[…], dass die Kriterien einer gewissen Willkür der Auslegung unterliegen und nur noch bedingt zwischenstaatlich vergleichbar sind.“118 Die Beantwortung der Frage, ob ein Beitrittskandidat die Kriterien erfüllt wird in der Europäischen Kommission „[…] mithilfe eines standardisierten, konsistenten Verfahrens beantwortet und führt so zu relativ unabhängigen, objektiven Ergebnissen […].“119 Wie Giesendorf weiter kritisch anmerkt, fällt die Entscheidung über die Annahme der Kommissionsberichte im Europäischen Rat und damit wird die Urteilsfindung und Beurteilung über die Erfüllung der Kopenhagener Kriterien eine politische Entscheidung, mit den daraus resultierenden Konsequenzen,
116
Vgl. Ebd. Vgl. Slavu, Stefania: Die Osterweiterung der Europäischen Union. Eine Analyse des EU-Beitritts Rumäniens. Frankfurt am Main 2008, S. 68. 118 Giesendorf, Sabrina: Politische Konditionalität der EU – eine erfolgreiche Demokratieförderungsstrategie. Eine Analyse am Beispiel der Türkei. Baden-Baden 2009, S. 190. 119 Ebd. 117
44
3. Erweiterung der Europäischen Union
dass diese durch nationalstaatliche, individuell-politische Motivlagen beeinflusst werden.120 Weiter wird ebenfalls kritisiert, dass sich seit dem Gipfel von Kopenhagen 1993 z.B. der gemeinsame Besitzstand erheblich weiterentwickelt, und sich auch während eines Beitrittsprozesses ständig weiterentwickelt. Die Frage, ob und wann die Kopenhagener Kriterien vollends erfüllt sein müssen- ob zu Beginn der Verhandlung oder erst bei Beitritt ist noch nicht abschließend geklärt. 121
Es zeigt sich in dieser Darstellung,
dass die Europäische Union in ihren
bisherigen Erweiterungen, jedoch spätestens mit dem Gipfel von Kopenhagen eine
ausdrücklich
formulierte
Strategie
der
demokratietheoretischen
Konditionalität verfolgt. Dabei werden die Beitrittskandidaten mithilfe eines Prinzipienkatalogs, für die hier weiterverfolgte Arbeit sind insbesondere die Kopenhagener Kriterien von hoher Bedeutung, analysiert und bewertet. Der darin begründete Anspruch der Europäischen Union, neben gemeinsamen Binnenmarkt und intergouvernementaler Zusammenarbeit sich auch als Wertegemeinschaft zu begreifen, lässt sich auch in Artikel 2 des Vertrages über die Europäische Union wiederfinden: „Die Werte, auf die sich die Union gründet, sind die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte […]. Diese Werte sind allen Mitgliedsstaaten […] gemeinsam […].“122 Das in den politischen Voraussetzungen der Kopenhagener Kriterien verwirklichte Verständnis von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Schutz von Minderheiten und der Achtung der Menschenrechte soll für den noch im Laufe dieser Arbeit zu erfolgenden Vergleich
mit
Studienergebnissen
der
politischen
Kulturforschung
als
Ausgangsgrundlage dienen. Aus diesen formal juristisch niedergelegten Kriterien und Anforderungen der Europäischen Union an die Beitrittskandidaten, aber auch an die Mitgliedsstaaten wird in den nächsten Kapitel die konkrete Anwendung und Operationalisierung dieser Kriterien an konkreten Einzelfällen 120
Vgl. Ebd. Vgl. Steppacher, Burkhard: Beitrittskriterien. Kopenhagener Kriterien, in: Bergmann, Jan: (Hrsg.): Handlexikon der Europäischen Union. Baden-Baden 2012, S. 130f. 122 Vertrag über die Europäische Union (EUV), Artikel 2, in: Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.): Vertrag von Lissabon. Bonn 2010, S. 34. 121
45
3. Erweiterung der Europäischen Union
untersucht, um diese Ergebnisse mit denen der politischen Kulturforschung vergleichbar zu machen. Bevor dies jedoch geschehen kann, erscheint es sinnvoll zunächst das Beitrittsverfahren an sich, und die Stellung der Kopenhagener Kriterien sowie der verfassungsrechtlichen Vorgaben genauer darzustellen.
3.3 Beitrittsverfahren der Europäischen Union
Nach Artikel 49 des EUV steht es jedem europäischen Staat, welcher die in Art. 2 EUV genannten Werte vertritt, frei sich um eine Mitgliedschaft in der Europäischen Union zu bewerben. Der formlose Beitrittsantrag wird zunächst dem Europäischen Rat vorgelegt und daraufhin dem Europäischen Parlament sowie den nationalen Parlamenten zur Kenntnis gebracht. Auf Grundlage der von
den
Verwaltungen
des
antragstellenden
Landes
abgegebenen
Stellungnahmen spricht die Europäische Kommission eine Stellungnahme zur Aufnahme von Beitrittsverhandlungen aus, welche vom Europäischen Rat einstimmig angenommen oder abgelehnt wird.123 Auch das Europäische Parlament muss mit absoluter Mehrheit zustimmen. Der jetzt offizielle Beitrittskandidat
tritt
anschließend
in
die
Verhandlungsphase
mit
der
Kommission und der ministeriellen Ebene im Rat ein, in welcher die 35 Verhandlungskapitel Gegenstand der Verhandlungen sind. Die Kommission führt die sogenannten „Screenings“ durch, in welchen der jeweilige Stand und Reformbedarf in den einzelnen Kapiteln festgestellt wird. 124 Nach der konkreten Verhandlung
auf
intergouvernementaler
Ebene
werden
die
einzelnen
Verhandlungskapitel vorläufig geschlossen. Sollten wichtige Kriterien und Prinzipien für einen Beitritt zur EU während der laufenden Verhandlung verletzt werden, können die Verhandlung suspendiert werden. Auch wenn dies bisher noch nicht geschehen ist, wurde die Eröffnung einzelner Kapitel durch ein Veto 123
Vgl. Böttger, Katrin: Erweiterung, in: Weidenfeld, Werner; Wessels, Wolfgang (Hrsg.): Europa von A bis Z. Taschenbuch der europäischen Integration. Bonn 2011, S. 139f. 124 Vgl. Ebd.
46
3. Erweiterung der Europäischen Union
der Mitgliedsstaaten verhindert und die Verhandlungsphase damit implizit verzögert.125 Während der Verhandlungsphase publiziert die Europäische Kommission regelmäßig
Berichte
in
Form
von
Fortschrittsberichten.
Diese
Fortschrittsberichte sind Sachstandsberichte und ein zentrales Dokument im Erweiterungsprozess. Die Fortschrittsberichte werden von der ‚Generaldirektion Erweiterung‘
erstellt
und
anschließend
vom
Erweiterungskommissar
veröffentlicht wird. Diese Generaldirektion wurde eigens im Rahmen der Osterweiterung eingerichtet und spiegelt u.a. natürlich auch auf einer institutionellen Ebene das Bestreben, dem Erweiterungsprozess einer größeren Bedeutung zukommen zu lassen wieder.126 Diese jährlich und regelmäßig publizierten Fortschrittsberichte geben Auskunft über den jeweiligen Stand in den
einzelnen
Verhandlungskapiteln
und
über
die
Einhaltung
der
Beitrittskriterien im Allgemeinen. Außerdem sind sie einer der maßgeblichen Pfeiler der zu treffenden politischen Entscheidung im Europäischen Rat.
Aufgrund
dieser großen
Bedeutung für den
Erweiterungsprozess der
Europäischen Union im Allgemeinen und da sie als primäre Quelle Auskunft darüber geben können, inwieweit die politischen Vorgaben der Kopenhagener Kriterien und die verfassungsrechtlichen Beitrittskriterien von Seiten der Europäischen Union analysiert und bewertet werden, sollen insbesondere die Fortschrittsberichte im folgenden Teil der Arbeit näher untersucht werden.
3.4 Exemplarische Darstellung der Beitrittsverfahren unter besonderer Berücksichtigung des ersten Kopenhagener Beitrittkriteriums
Im folgenden Abschnitt dieser Arbeit sollen die konkrete Anwendung und Operationalisierung der verfassungsrechtlich vorgegebenen und in den Kopenhagener
Kriterien
festgelegten
politischen
Beitrittskonditionen
für
125
Vgl. Ebd. Vgl. Slavu, Stefania: Die Osterweiterung der Europäischen Union. Eine Analyse des EU-Beitritts Rumäniens. Frankfurt am Main 2008, S. 42f. 126
47
3. Erweiterung der Europäischen Union
demokratische Stabilität untersucht werden. Es steht die Frage im Vordergrund, wie die Europäische Union, ihre eher vage formulierten Kriterien in den einzelnen Erweiterungsverhandlungen mit den Beitrittskandidaten exemplarisch auslegt, aushandelt und zur Anwendung bringt. Dies soll den Vergleichsrahmen für eine differenzierte Betrachtung mit Hilfe von Studienergebnissen der politischen Kulturforschung zum Themenbereich der demokratischen Stabilität bieten. Hierzu bieten sich naturgemäß mehrere unterschiedliche Fallbeispiele aus dem historischen Kontext der EU-Erweiterungen an und zunächst wird erläutert werden müssen, aus welchen Gründen diese Beispiele anderen vorgezogen
wurden
–
oder
ein
umfassender,
alle
bisherigen
Erweiterungsrunden in Betrachtung ziehender Ansatz in der Bedeutungskraft nachstehen würde.
3.4.1 Begründung der Fallauswahl Bei der vergleichenden Analyse einer politikwissenschaftlichen Arbeit kommt der Auswahl der zu untersuchenden Objekte eine große Bedeutung bei. Zum einen stellen die bisherigen Beitritte von europäischen Staaten in die Europäische Union einen jeweils quasi einzigartigen, historischen Prozess dar, andererseits ist auch die Europäische Union selbst, wie viel zitiert, ein Produkt sui generis, welches kaum, weder historisch noch politisch zu vergleichen ist. Ein umfassender Ansatz, welcher alle bisherigen Beitrittsrunden in Betracht ziehen würde, fordert einen im besonderen Maße systematisch-empirischen Ansatz, welcher eine eigenständige Forschungsleistung darstellen würde. Auch und nicht zuletzt aufgrund mangelnder Kapazitäten in dieser Arbeit wäre ein solcher Ansatz weniger erfolgversprechend. Vielmehr erscheint es logisch, dass einzelne Beitrittsverhandlungen und -ergebnisse exemplarisch als Fallbeispiele herangezogen, um bestimmte Muster und Strukturen aufzudecken. Für die Auswahl der Fallbeispiele müssen einige Vorbedingungen beachtet werden: Zum einen sollten die Beispiele geographisch ausreichend in Europa verteilt
sein,
abzudecken.
um
einen
Damit
möglichst
breiten
zusammenhängend
kulturgeographischen
sollten
die
Raum
auszuwählenden
Fallbeispiele aber auch möglichst einen gemeinsamen historischen, wie
48
3. Erweiterung der Europäischen Union
kulturellen und sozioökonomischen Hintergrund haben, um eine hohe Vergleichbarkeit zu gewährleisten. Andererseits wäre es von Vorteil, wenn sich die Beispiele auch hinsichtlich der Bevölkerungsgröße und –dichte sowie der Wirtschaftskraft und allgemeinen Entwicklungsstand unterscheiden würden, um Unterschiede entdecken zu können. Zum anderen wäre es günstig, wenn die Auswahl an Beispielen auch die verschiedenen Erweiterungsphasen der Europäischen Union wiederspiegeln, um einen Überblick über Unterschiede in der Anwendung der politischen Kriterien in den einzelnen Phasen gewinnen zu können.
Diese Vorüberlegungen berücksichtigend, ist die Auswahl an exemplarischen Fallbeispielen, die für diese Arbeit in Betracht kommen und ein möglichst hohes Maß an Erklärungskraft versprechen auf die Länder Polen, Rumänien und Kroatien gefallen. Ebenfalls in Betracht als Fallbeispiel kam die Türkei, als momentan noch im Prozess befindlichen Beitrittskandidat versprach dieses Beispiel einen Einblick in
die
höchst
aktuellen
Anwendung
der
Kopenhagener
und
verfassungsrechtlichen Kriterien durch die Europäische Union. Insbesondere zwei Gründe sprachen gegen die Aufnahme der Türkei in diese Arbeit: zum einen
stellt
der
Beitrittskandidat
Türkei
noch
kein
abgeschlossenes
Untersuchungsobjekt dar; der Beitrittsverhandlungen laufen momentan und daher wäre es schwierig hier ein abschließendes Urteil zu fällen. Zum anderen fällt die Türkei verglichen mit anderen Beitrittskandidaten hinsichtlich der Homogenität und der damit verbundenen potentiell höheren Vergleichbarkeit aus dem Rahmen. Polen, Rumänien und Kroatien sind nach 1993 der Europäischen Union beigetreten und haben daher in unterschiedlichen Phasen des Prozesses der Osterweiterung teilgenommen. Die drei mittel-/südosteuropäischen127 Länder differieren hinsichtlich Bevölkerungsgröße, Wirtschaftskraft und allgemeiner Entwicklung z.T. stark und können dabei jedoch auf eine gemeinsame
127
Vgl. Ständiger Ausschuss für geographische Namen (Hrsg.): Empfehlung zur Großgliederung Europas, in: http://141.74.33.52/stagn/JordanEuropaRegional/tabid/71/Default.aspx (abgerufen am 16.03.15).
49
3. Erweiterung der Europäischen Union
historische Entwicklung und bestimmte Erfahrungen
zurückblicken. So
bestimmten der Sozialismus, verbunden mit fehlender Rechtsstaatlichkeit, mangelnder Demokratie und politischer Unfreiheit mehrere Jahrzehnte lang diese drei Staaten in Europa. Seit dem Zusammenfall der Sowjetunion und dem damit verbundenen politischen, wie gesellschaftlichen Umbruch in Osteuropa hat sich in Bezug auf die politische, gesellschaftliche wie ökonomische Transformation ein eigenes Studienfeld herausgebildet. Wie bereits in Kapitel 1 kurz erwähnt, bestehen zwischen der Transformationsforschung und der politischen Kulturforschung einige, nicht unerhebliche Überschneidungen. Auch nicht zuletzt aus diesem Grund ist die Auswahl der exemplarischen Fallbeispiele für diese Arbeit auf diese drei Länder gefallen.
3.4.2 Polen Im regelmäßigen Fortschrittsbericht der Europäischen Kommission zum Beitritt Polens
aus dem Jahr 1998, welcher vier Jahre nach dem offiziellen
Beitrittsgesuchen Polens veröffentlicht wurde, stellt die Kommission recht kurz fest:
„Die
Entwicklung
Polens
bestätigt
die
Schlußfolgerungen
der
Stellungnahme, daß Polen die politischen Kriterien von Kopenhagen erfüllt und seine
Institutionen
nach
wie
vor
reibungslos
funktionieren.“128
Der
parlamentarische Prozess sowie die exekutiven Organe Polens funktionieren stabil und geben keinerlei Beanstandungen Anlaß.129 Dennoch wird im Einzelnen bemängelt, dass eine Reform des öffentlichen Dienstes dazu geführt hat, dass nunmehr die Mehrzahl der öffentlichen Bediensteten ihren Status als Beamte verloren hätten. Dies führe zu einer verstärkten Unsicherheit unter den staatlich Bediensteten und erhöhe die Korruptionsgefahr.130 Bis zum Jahr 2001 wird sich die äußerst geringe Anzahl von rund 400 Beamten im Verhältnis zu 116.000 Bediensteten gerade einmal verdoppeln.131Dahingegen werden eine Änderung des Gesetzes zur Wahl des Staatspräsidenten und die Umsetzung 128
Europäische Kommission: Regelmäßiger Bericht der Kommission über Polens Fortschritte auf dem Weg zum Beitritt. Brüssel 1998, S. 14. 129 Vgl. Ebd., S. 9. 130 Vgl. Ebd., S. 11f. 131 Vgl. Europäische Kommission: Regelmäßiger Bericht der Kommission über die Fortschritte Polens auf dem Weg zum Beitritt. Brüssel 2001, S. 19f.
50
3. Erweiterung der Europäischen Union
einer Reform der Verwaltungsstrukturen begrüßt, welche damit in Einklang mit europäischen Wahlrechtsstandards gebracht wurden.132 Die Novellierung des Systems
der
Parteienfinanzierung
im
Jahr
2001,
um
Korruption
einzuschränken, findet ebenfalls Zustimmung bei den Beobachtern der Kommission.133 Auch hinsichtlich der Judikative Polens wird von Seiten der Kommission kritisiert, dass die durchschnittliche Dauer von Zivil- und Strafverhandlungen einen immer längeren Zeitraum einnehme, wobei auch die Untersuchungshaft im Vorfeld eines Strafprozesses vielfach über die erlaubte Grenze von zwei Jahren hinaus verlängert werden musste.134 Auch die Anzahl von Richtern, Staatsanwälten
in
den
einzelnen
örtlichen
Strukturen
der
polnischen
Gerichtsbarkeit werden in den Berichten ab dem Jahr 2001 explizit aufgeführt.135 Wurde Ende der 1990er Jahre in den Fortschrittsberichten noch eine zu lange Bearbeitungsdauer bemängelt, kann 2001 bereits ein leichter Rückgang in Zivilverfahren und Grundbucheintragungen festgestellt werden. Auch die notwendige Reform der Aus- und Fortbildung polnischer Richter mit Blick
auf
das
EU-Recht
wird
von
Seiten
der
Kommission
positiv
aufgenommen.136 Hinsichtlich der Menschenrechtssituation und dem Schutz der Minderheiten in Polen stellt die Kommission fest, dass Polen mittlerweile die meisten Menschenrechtskonventionen ratifiziert und in polnisches Verfassungsrecht überführt habe.137 Auch das sog. „Lustrationsgesetz“, welches „hohe Beamte, Amtspersonen des Staates und Mitglieder der Gerichtsbarkeit im Hinblick auf ihre Aktivitäten unter der früheren kommunistischen Herrschaft überprüft“, wird
132
Vgl. Europäische Kommission: Regelmäßiger Bericht der Kommission über die Fortschritte Polens auf dem Weg zum Beitritt. Brüssel 2000, S. 16f. 133 Vgl. Europäische Kommission: Regelmäßiger Bericht über die Fortschritte Polens auf dem Weg zum EU-Beitritt. Brüssel 2001, S. 18. 134 Vgl. Europäische Kommission: Regelmäßiger Bericht der Kommission über Polens Fortschritte auf dem Weg zum Beitritt. Brüssel 1998, S. 11. 135 Vgl. Europäische Kommission: Regelmäßiger Bericht der Kommission über die Fortschritte Polens auf dem Weg zum Beitritt. Brüssel 2001, S. 22. 136 Vgl. Ebd., S. 23. 137 Vgl. Europäische Kommission: Regelmäßiger Bericht der Kommission über die Fortschritte Polens auf dem Weg zum Beitritt. Brüssel 1999, S. 16.
51
3. Erweiterung der Europäischen Union
von der Kommission positiv beurteilt.138 Hingegen werden die Haftbedingungen in
polnischen
Gefängnissen,
die
mangelnde
Kontrolle
von
Abhörgenehmigungen und das Asylverfahren als zu langsam bemängelt. 139 Auch
die
Rolle
Polens
als
Ursprungs-
und
Transitlandes
für
den
Menschenhandel wird in den Berichten thematisiert: so wird es von der Kommission begrüßt, dass nach Ratifizierung der UN-Konvention die Anzahl der Anklageerhebungen seit dem Jahr 2000 stark gestiegen ist.140 Im Rahmen des Rechts auf freie Meinungsäußerung wird von der Kommission negativ beurteilt, dass das polnische Verleumdungsgesetz Bürger schlechter schützt als Politiker.141 In der abschließenden Bewertung kommt die Europäische Kommission zu dem Schluss, dass Polen die politischen Kriterien von Kopenhagen weiterhin erfüllt.142 Trotz dem unzureichenden Ausbau der Verwaltungsstrukturen im öffentlichen Dienst, der nur schleppend verlaufenden Justizreform hinsichtlich der Dauer von Verfahren und der Ausbildung von Richtern und der nach wie vor zur Besorgnis Anlass gebenden Korruption, wird die Aufnahme Polens von Seiten der Europäischen Union hinsichtlich der Einhaltung der politischen Kriterien von Kopenhagen befürwortet.143 144
3.4.3 Rumänien Das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren Rumäniens wird von Seiten der Europäischen Kommission in mehreren Punkten stark kritisiert. Nach dem Einreichen
der
Beitrittsanfrage
Rumäniens
1995,
veröffentlichte
die
Europäische Kommission von 1998 bis 2006 regelmäßige Fortschritts- und Monitoring-Berichte über den Stand der Beitrittsvorbereitungen sowie dem 138
Europäische Kommission: Regelmäßiger Bericht der Kommission über die Fortschritte Polens auf dem Weg zum Beitritt. Brüssel 1999, S. 16. 139 Vgl. Ebd., S. 17. 140 Vgl. Europäische Kommission: Regelmäßiger Bericht der Kommission über die Fortschritte Polens auf dem Weg zum Beitritt. Brüssel 2002, S. 33. 141 Vgl. Europäische Kommission: Regelmäßiger Bericht der Kommission über die Fortschritte Polens auf dem Weg zum Beitritt. Brüssel 2002, S. 34. 142 Vgl. Ebd., S. 36. 143 Vgl. Ebd. 144 Vgl. Europäische Kommission: Auf dem Weg zur erweiterten Union. Strategiepapier und Bericht der Europäischen Kommission über die Fortschritte jedes Bewerberlandes auf dem Weg zum Beitritt. Brüssel 2002, S. 38ff.
52
3. Erweiterung der Europäischen Union
Einhalten der politischen Kriterien von Kopenhagen. Insbesondere die hohe Anzahl und Häufigkeit von Rechtsanordnungen der Regierung gibt Anlass zur Sorge.145 So wurden im Jahr 1999 von 453 eingebrachten Entwürfen lediglich 59 Gesetzte verabschiedet und die rumänische Regierung versucht durch Anordnungen die mangelnde legislative Stabilität der Regierungskoalition auszugleichen.146 Die Regierungsanordnungen müssen nicht vom Parlament genehmigt, sondern lediglich in einem nicht näher definierten Zeitraum im Nachhinein
ratifiziert
werden.
Auch
die
mangelnde
Transparenz
im
Gesetzgebungsverfahren wird von Seiten der Kommission kritisiert: „Die Öffentlichkeit kann Sitzungen der Fachausschüsse nicht ohne deren vorherige Genehmigung besuchen.“147 Auch die mangelnde Ausstattung der legislativen Kammern mit befähigten Forschungspersonal und juristischen Fachkräften trägt zur eingeschränkten Leistungsfähigkeit des rumänischen Gesetzgebers bei.148 In Bezug auf die Exekutive Rumäniens gelangt die Europäische Kommission zu einem eher positiveren Befund: insbesondere die Reform der interministeriellen Zusammenarbeit sowie die Anhebung der Anzahl der Ministerien und die damit verbundene Zuordnung vorher formal unabhängiger Ämter
wird von der
Europäischen Kommission begrüßt.149 In der öffentlichen Verwaltung und kommunalen Selbstverwaltung gebe es jedoch nach wie vor eine Vielzahl von Problemen: „[…] Mangel an Professionalität, unzureichende Löhne und Gehälter und den unzulänglichen Umgang mit dem Humankapital […].“ 150 Zwar hat Rumänien, so die Berichterstatter der Kommission, mit einer Reform des öffentlichen Dienstes und der kommunalen Selbstverwaltung die Probleme erkannt und geht sie aktiv an, jedoch in Anbetracht der aktuellen Situation
145
Vgl. Europäische Kommission: Regelmäßiger Bericht der Kommission über Rumäniens Fortschritte auf dem Weg zum Beitritt. Brüssel 1998, S. 10. 146 Vgl. Europäische Kommission: Regelmäßiger Bericht der Kommission über die Fortschritte Rumäniens auf dem Weg zum Beitritt. Brüssel 2000, S. 16. 147 Europäische Kommission: Regelmäßiger Bericht über die Fortschritte Rumäniens auf dem Weg zum Beitritt. Brüssel 2002, S. 22. 148 Vgl. Ebd., S. 21. 149 Vgl. Europäische Kommission: Regelmäßiger Bericht über die Fortschritte Rumäniens auf dem Weg zum Beitritt. Brüssel 2001, S. 18. 150 Europäische Kommission: Regelmäßiger Bericht über die Fortschritte Rumäniens auf dem Weg zum Beitritt. Brüssel 2004, S. 16.
53
3. Erweiterung der Europäischen Union
„haben die kommunalen Behörden große Schwierigkeiten bei der Ausübung der ihnen im Zuge der Dezentralisierung seit neuestem zufallenden Aufgaben.“151 Auch hinsichtlich des Justizwesens beurteilt die Kommission insbesondere die Reform aus dem Jahr 2005 als äußerst bedeutsam für die Modernisierung der Gerichtsbarkeit auf allen Ebenen. So wurden einerseits neben der finanziellen und personellen Ausstattung im Justizwesen auch strukturelle Veränderungen vorgenommen. So werden Fälle den Richtern per Zufallsverfahren zugeteilt, um Korruption wirksam zu bekämpfen. Auch der elektronische Zugang der erstinstanzlichen Gerichtshöfe zu allen Rechtsvorschriften wurde geschaffen und eine einheitliche Registriernummernsystematik eingeführt.152 Hinsichtlich der Problematik des Menschenhandels in Rumänien führt der Monitoring-Bericht der Kommission aus dem Jahr 2006 auf, dass die finanziellen und personellen Ressourcen des nationalen Amtes erheblich aufgestockt werden sollten. Ebenso mangelt es in dem Transitland des Menschenhandels auch an einer behördenübergreifenden Kooperation sowie an einer zuverlässigen statistischen Erhebung über Umfang und Ausmaß dieser organisierten Kriminalität.153 Des Weiteren wird über Häftlingsmisshandlungen und unverhältnismäßige Gewaltanwendung sowie unzureichenden Haft- und Hygienebedingungen in rumänischen Haftanstalten berichtet. Hier habe es nach Ansicht der Kommission nur unzureichende Fortschritte gegeben.154 Hingegen hat es im Bereich des Kinderschutzes in Rumänien seit dem Beitrittsgesuch einen enormen Fortschritt gegeben: so sei die Zahl der in Kinderheimen untergebrachten Jugendliche stark gesunken und das System der Pflegefamilien stark ausgebaut. Lediglich der ausreichende Zugang von schwangeren Frauen zu Geburtskliniken und sozialer Unterstützung bedarf eines Ausbaus.155 Auch die institutionelle Diskriminierung der Roma-Minderheit ist in Rumänien zwar zurückgegangen, im Rahmen der „Dekade der Roma-Integration“ konnte 151
Vgl. Europäische Kommission: Regelmäßiger Bericht über die Fortschritte Rumäniens auf dem Weg zum Beitritt. Brüssel 2004, S. 18. 152 Vgl. Europäische Kommission: Arbeitspapier der Kommissionsdienststellen - Rumänien. MonitoringBericht vom Mai 2006. Brüssel 2006, S. 6ff. 153 Vgl. Ebd., S. 10f. 154 Vgl. Ebd. 155 Vgl. Ebd., S. 11.
54
3. Erweiterung der Europäischen Union
administrative Stellen geschaffen, welche jedoch chronisch unterfinanziert sind. So kam es auch weiterhin in Rumänien zu Übergriffen und auch unverhältnismäßigen Polizeieinsätzen gegen Roma.156 „Der Zugang der Roma zu Ausweispapieren, Gesundheitsversorgung, allgemeiner und beruflicher Bildung und zum Arbeitsmarkt ist nach wie vor Besorgnis erregend.“157 Aufgrund dieser dargelegten Fakten und der Situation im südosteuropäischen Rumänien gelangt die Europäische Kommission zu folgenden Ergebnis bezüglich der politischen Kriterien: „Seit den Berichten der Kommission vom Mai 2006 haben Bulgarien und Rumänien bei ihren Vorbereitungen auf den Beitritt zur EU beträchtliche Fortschritte erzielt. Bulgarien und Rumänien sind hinreichend vorbereitet, um die politischen Kriterien […] zum 01. Januar 2007 zu erfüllen.“158
3.4.4 Kroatien Im Dezember 2004 gibt der Europäische Rat bekannt, dass Kroatien ein Jahr nach Einreichen des Antrages, der Kandidatenstatus verliehen bekommt. In ihren
Schlussfolgerungen
zum
Beitrittsersuchen
Kroatiens
stellt
die
Europäische Kommission im Jahr 2007 fest, dass Kroatien nach wie vor die politischen Kriterien erfüllt. Insbesondere im Bereich der Justiz- und Verwaltungsreform wurden Bemühungen unternommen, um Korruption effektiv zu bekämpfen sowie Minderheitenrechte und die sichere Rückkehr von Flüchtlingen zu gewährleisten.159 Hinsichtlich der Reform der öffentlichen Verwaltung bescheinigt die EU vertreten durch die Europäische Kommission Kroatien den Willen tiefgreifende Strukturreformen in Angriff zu nehmen. Insbesondere die im Jahr 2008 angestoßene Verwaltungsreform, welche neben einer höheren personellen und finanziellen Ausstattung, eine Entpolitisierung im öffentlichen Dienst und den Schutz von sog. „Whistleblowern“ vorsieht, sowie die Unabhängigkeit und 156
Vgl. Europäische Kommission: Arbeitspapier der Kommissionsdienststellen - Rumänien. MonitoringBericht vom Mai 2006. Brüssel 2006, S. 13. 157 Vgl. Ebd. 158 Europäische Kommission: Mitteilung der Kommission. Monitoring-Bericht über den Stand der Beitrittsvorbereitungen Bulgariens und Rumäniens. Brüssel 2006, S. 14. 159 Vgl. Europäische Kommission: Schlussfolgerungen zu Kroatien. Brüssel 2007, S. 1.
55
3. Erweiterung der Europäischen Union
Verantwortung der administrativen Inspektoren stärken soll, wird von der Kommission befürwortet.160 Dennoch gibt die Kommission der Europäischen Union zu Bedenken, dass „However, the legal basis for building a modern and professional civil service is still incomplete. […] The Civil Service Law is not implemented coherently across the state administration due to varying capacities of the relevant departments […] The civil service continues to suffer from high staff turnover and a lack of qualified personnel.“161 Auch im Bereich der Judikative kann die Kommission Kroatien bescheinigen, dass mit der im Jahr 2008 angestoßenen Reform des Justizwesens ein neues Auswahlverfahren für Rechtsreferendare und die berufliche Aus- und Fortbildung modernisiert wurde. Des Weiteren wird konstatiert, dass die ethnische
Voreingenommenheit
in
Kriegsverbrecher-Verfahren
zwar
zurückgegangen ist, jedoch weiterhin die Straflosigkeit in vielen Fällen ein Problem darstellt. Ebenso sind die oftmals viel zu langwierigen Prozesse und ein allgemeiner Überhang von anhängigen Verfahren bei den Gerichtshöfen ein Mangel im kroatischen Justizwesen.162 „Overall, reforms in the judiciary continue but only at a relatively slow pace. Significant challenges remain. Currently, effective dispensation of justice for citizens is not always assured.”163 Obwohl Kroatien die Europäische Menschenrechtskonvention ratifiziert hat, was von Kommission begrüßt wird, gibt es zahlreiche Berichte über Folter und Misshandlungen durch Polizeieinheiten sowie über deren mangelhafte und intransparente Aufarbeitung und Regulierung.164 Insbesondere die mangelhafte Aufarbeitung der Kriegsverbrechen gegen die serbische Minderheit wird von der Kommission stark kritisiert.165 Im Bereich der Haftanstalten konstatiert die Kommission die hohe Überbelegung kroatischer Gefängnisse und die schlechten Hygienebedingungen.166 Obwohl die Kommission feststellt, dass das Recht auf freie Meinungsäußerung im Allgemeinen in Kroatien garantiert ist, berichten einige Journalisten von 160
Vgl. Europäische Kommission: Croatia 2008 Progress Report. Brüssel 2008, S. 7. Ebd. 162 Vgl. Europäische Kommission: Croatia 2008 Progress Report. Brüssel 2008, S. 8f. 163 Ebd., S. 9. 164 Vgl. Europäische Kommission: Croatia 2010 Progress Report. Brüssel 2010, S. 10. 165 Vgl. Ebd. 166 Vgl. Ebd., S. 11. 161
56
3. Erweiterung der Europäischen Union
politischer Einmischung in die Berichterstattung.167 Auch die Einbeziehung von zivilgesellschaftlichen
Organisationen
in
den
kroatischen
Gesetzgebungsprozess findet nur im marginalen Ausmaß statt, wohingegen die Kommission für das Recht auf freie Religionsausübung in Kroatien keinerlei Missstände feststellen kann.168 „Overall, civil and political rights continue to be generally well respected in Croatia. However, shortcomings remain with impunity for war crimes, access to justice and freedom of expression.”169 Auch die Ungleichheit der Geschlechter und die Rechte von Kindern in Kroatien werden
in
den
Fortschrittsberichten
der
Europäischen
Kommission
thematisiert.170 Hinsichtlich der Rechte von Behinderten wird festgestellt, dass „Public awareness of the rights of persons with disabilities remains low, especially in rural areas, and there are not enough campaigns against prejudice and stereotypes.”171 In der abschließenden Stellungnahme der Kommission zum Antrag Kroatiens auf den Beitritt zur Europäischen Union wird im Jahr 2011 festgestellt, dass „[…] Kroatien die politischen Kriterien erfüllt […].“172 Und obwohl noch nachhaltige
Fortschritte
in
den
Bereichen
„[…]
der
Justiz,
der
Korruptionsbekämpfung und der Grundrechte, im Bereich des Rechts, der Freiheit und der Sicherheit einschließlich des Grenzmanagements sowie im Bereich der Wettbewerbspolitik […]“ notwendig sind, gibt die Kommission „[..] hiermit eine befürwortende Stellungnahme [..] zu dem Antrag der Republik Kroatien auf den Beitritt zur Europäischen Union [ab].“173
167
Vgl. Europäische Kommission: Croatia 2010 Progress Report. Brüssel 2010, S. 10. Vgl. Ebd. 169 Europäische Kommission: Croatia 2010 Progress Report. Brüssel 2010, S. 11. 170 Vgl. Europäische Kommission: Croatia 2010 Progress Report. Brüssel 2010, S. 11. 171 Ebd. 172 Europäische Kommission: Stellungnahme der Kommission zum Antrag der Republik Kroatien auf den Beitritt zur Europäischen Union. Brüssel 2011, S. 3. 173 Ebd., S. 4. 168
57
3. Erweiterung der Europäischen Union
3.5 Zwischenfazit: Die Anwendung des politischen Kopenhagener Kriteriums im Erweiterungsprozess der Europäischen Union
Im vorangegangen Kapitel konnte detailliert dargestellt werden, in welchem Umfang und in welcher Art und Weise die Europäische Union die politischen Bedingungen der Kopenhagener Kriterien in den Beitrittsverhandlungen zur Anwendung bringt. Obwohl die hier zur Darstellung gebrachte Auswahl nur einen eingeschränkten Teil der Ausführungen der Europäischen Kommission und ihrer Stellungnahmen in
den
Fortschrittsberichten
abbildet,
so
können
doch
einige
Schlussfolgerungen gezogen werden: mit dem zunehmenden Fortschreiten der Beitrittsverhandlungen nimmt der Umfang und die Detailfülle und –tiefe in den Fortschrittsberichten der Kommission im besonders starken Maße zu. Je näher der potentielle Beitrittskandidat vor der Aufnahme in die Union steht, umso intensiver werden die unterschiedlichen Bemühungen seitens der Kommission und der Mitgliedsstaaten den Bewerber auf allen Ebenen und insbesondere hinsichtlich der Einhaltung der Kriterien zu durchleuchten. Diese zunehmende Detailliertheit wird unter anderem daran deutlich, dass die Kommission
z.B.
die
Zahl
der
Neueinstellungen
von
rumänischen
Rechtsreferendaren und die EDV-Ausstattung polnischer Gerichtshöfe akkurat dokumentiert.
Auch
kommen
mit
dem
fortschreitenden
Beitritts-
und
Verhandlungsverlaufes auch neue, z.T. aktuelle Themen in die Betrachtung der Fortschrittsberichte: So wurden zunächst Kinderrechte und im späteren Verlauf auch die Frage der Geschlechtergleichbehandlung in die „Progress reports“ aufgenommen. Es wird ebenfalls deutlich ersichtlich, dass der Hauptfokus bei der Anwendung und Beurteilung der Beitrittskandidaten seitens der Europäischen Union auf der Bewertung einer institutionellen Ebene, dem gesetzlichen Rahmen und dem politisch-administrativen Handeln liegt. Dabei spielt es kaum eine Rolle ob nun die Stabilität des parlamentarischen Gesetzgebungsverfahrens, oder die Situation von Minderheiten beurteilt wird: der maßgebliche Bewertungsmaßstab liegt zumeist auf den rechtlichen Rahmenbedingungen, dem Handeln der
58
3. Erweiterung der Europäischen Union
lokalen öffentlichen Verwaltung und der Verfasstheit der politischen und gesellschaftlichen Institutionen. Es
wird
ebenfalls
Beitrittsbedingungen Rechtsstaatlichkeit gelangen
und
ersichtlich, geforderten
lediglich
kein
dass
die
Kriterien
rudimentär
standardisiertes
der
in
den
Kopenhagener
Demokratie
ausdifferenziert
zur
Anwendungsverfahren
und
der
Anwendung seitens
der
Kommission genutzt wird – die Beitrittskandidaten werden nach einem höchst individuellen Maßstab beurteilt. Den politische Akteuren und Institutionen außerhalb des staatlichen Zentrums (Parlament, Exekutive, Judikative) werden kaum Beachtung geschenkt. Auch die Rolle der Bürger im politischen Prozess, oder die Funktion und Rolle der Parteien und werden kaum in die Anwendung der Fortschrittsberichte aufgenommen. Die sozioökonomische Situation breiter Gesellschaftsschichten, deren Zugangsmöglichkeiten zu Bildung und Aufstieg und die damit verbundenen Probleme werden zwar teilweise erkannt. Die sich daraus möglicherweise ergebenden Komplikationen für die Stabilität des demokratischen Systems jedoch nicht erwähnt.
Ob, und wenn ja, zu welchen Ergebnissen die politische Kulturforschung in ihren Untersuchungen für die Beitrittskandidaten in Mittel- und Südosteuropa hinsichtlich der demokratischen Einstellungsmuster und der damit implizierten demokratischen Stabilität gekommen ist, wird im folgenden Kapitel dieser Arbeit näher erläutert. Hieraus soll daraufhin auch ein Vergleich dieser zweier Untersuchungen angestrengt werden.
59
4. Performanzbewertung: die Ergebnisse der EU-Beitrittsverhandlungen im Vergleich zu Studienergebnissen der politischen Kulturforschung
Eine notwendige Vorbedingung für die nun folgenden Arbeitsschritte ist die Existenz einer abgrenzbaren regionalen politischen Kultur. Gerade für eine vergleichende Perspektive, durch welche regionale Unterschiede erkennbar werden sollen, ist das Vorhandensein und die Erklärbarkeit regionaler Unterschiede in der politischen Kultur besonders bedeutend. Angelehnt an Christoph Schneider, soll regionale politische Kultur in diesem Kontext bedeuten, dass regionale politische Kultur als Ergebnis einer Wechselwirkung von sozialisations- sowie situationsbezogenen Faktoren verstanden werden kann. Unter Sozialisationsfaktoren können die regionale sowie nationale politische Soziokultur zusammengefasst werden. Diese beiden politischen Soziokulturen bedingen nicht nur die Sozialisation an sich, sondern wirken sich auch direkt auf die regionale politische Kultur aus. Diese Faktoren bleiben über Generationen
hinweg
prägend
und
internalisieren
sich
in
manifesten
Sozialisationsstrukturen.174 Es treten situationsbedingte Faktoren, wie z.B. Einkommen, Bildung und Lebensumstände hinzu. Diese Faktoren bilden in einem sinnbildlichen Kreislauf die spezifisch regionale politische Kultur aus.175
Nach dem gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Umbruch 1989/90 in Europa eröffnet sich auch für die politische Kulturforschung im Zuge der Transformationsforschung ein neues Betätigungsfeld. Die Forscher stehen jedoch, wie von Beyme ausführt vor einem methodischen Problem in der Herangehensweise und dem Zugang:
„Dennoch ist es für eine seriöse
Erforschung der politischen Kultur, […] noch zu früh. Es fehlen die Zeitreihen, es fehlt ein Minimum an Stabilität der Institutionen, um das Vertrauen zu
174
Vgl. Schneider, Christoph: Regionale Unterschiede der politischen Kultur in Deutschland und Europa. Frankfurt am Main 2013, S. 89ff. 175 Vgl. Ebd.
60
4. Performanzbewertung: die Ergebnisse der EU-Beitrittsverhandlungen im Vergleich zu Studienergebnissen der politischen Kulturforschung
messen, dass die Bürger in sie setzen. Die Datenkontinuität ist noch geringer als die Kontinuität der Gesellschaftsverfassungen.“176
Die generalisierte Unterstützung der Demokratie als Ordnungsmodell in den einzelnen Regionen Europas nahm zwischen 1988 und 1999 kontinuierlich und übergreifend
ab.
Gabriel
berechnet
auf
Grundlage
der
Daten
des
Eurobarometers und der European Values Studies die gesellschaftliche Unterstützung der Demokratie mit einem Index (0-1) für Westeuropa von 0,81. Die mittel- und osteuropäischen Länder liegen hier im Jahr 1999 ungefähr ein Zehntel hinter allen anderen europäischen Staaten bei 0,7.177 Auch hinsichtlich der Demokratiezufriedenheit liegen die mittelosteuropäischen Staaten deutlich hinter West-, Nord- und Südeuropa: So liegen die Werte im Jahr 2005/6 hier zwischen 0,5 in Südeuropa und 0,65 in Nordeuropa; in Mittelosteuropa jedoch lediglich bei 0,39.178 Auch hinsichtlich der Stabilität der Demokratiezufriedenheit lassen sich erhebliche Unterschiede in Europa feststellen. Finnland, die Niederlande und Österreich können in ihrer hohen Demokratiezufriedenheit auch als besonders stabil klassifiziert werden, wohingegen Rumänien eine niedrige und stabile Demokratiezufriedenheit aufweist. Polen hingegen weist eine mittlere Zufriedenheit und mittlere Stabilität auf.179 Bei der zusammenfassenden Betrachtung der politischen Kulturen der EUMitgliedsstaaten kann Gabriel feststellen, dass insbesondere der Ost-WestGegensatz auch im Jahr 2008 nicht an Bedeutung verloren hat. In Bezug auf die Unterstützung der Demokratie, der Zufriedenheit mit dem demokratischen Ordnungsmodelle, das Vertrauen in Institutionen sowie das politische Interesse und Parteiidentifikation lassen sich die europäischen Gesellschaften immer noch
sehr gut
auf
der historischen Trennlinie
Ost-West abbilden.180
Insbesondere die Unterstützung der Demokratie und das Vertrauen in rechtsstaatliche Institutionen sind in allen westlichen Gesellschaften signifikant 176
Von Beyme, Klaus: Die politische Kultur Osteuropas im Wandel, in: Von Beyme, Klaus; Niedermayer, Oskar (Hrsg.): Politische Kultur in Ost- und Westdeutschland. Berlin 1994, S. 208. 177 Vgl. Gabriel, Oscar: Politische Einstellungen und politische Kultur, in: Gabriel, Oscar; Kropp, Sabine (Hrsg.): Die EU-Staaten im Vergleich. Strukturen, Prozesse, Politikinhalte. Wiesbaden 2008, S.188ff. 178 Vgl. Ebd., S. 192. 179 Vgl. Ebd. 180 Vgl. Ebd., S. 206f.
61
4. Performanzbewertung: die Ergebnisse der EU-Beitrittsverhandlungen im Vergleich zu Studienergebnissen der politischen Kulturforschung
weiter
verbreitet 181
Mittelosteuropas.
als
in
den
ehemals
kommunistischen
Staaten
Es lassen sich, so Gabriel in seinen Ausführungen, zwar
weitere Differenzierungen vornehmen, diese Grundunterscheidung zwischen Ost und West bleibe jedoch erhalten.182 Dennoch zieht er den Schluss, dass die generalisierte Unterstützung der Demokratie „In allen der EU angehörigen Ländern […] diese Einstellung zum nichtkontroversen Sektor des politischen Lebens [gehört].“183 Daraus ließe sich, wenn man Gabriel weiter folgt, der Schluss ziehen, dass die allgemeine Unterstützung der Demokratie den Rahmen für eine vielfältige politische Kultur in der Europäischen Union vorgibt und damit demokratische Strukturen mit unterschiedlichen politischen Kulturen vereinbar sind.184 Im Folgenden sollen die drei, bereits im dritten Kapitel genannten Fallbeispiele hinsichtlich ihrer politischen Kultur näher und eingehend untersucht werden, um damit Erkenntnisse zu Unterschieden in Bezug auf die EU-Beitrittsprozesse gewinnen zu können.
4.1 Polen
In Polen setzte die sozialwissenschaftliche Erforschung der Einstellungs- und Orientierungsmuster der polnischen Bevölkerung bereits vor dem Umbruch im Jahr 1989 ein. Der Grund hierfür bestand maßgeblich im politischen Interesse der kommunistischen Führung Erkenntnisse über die in der Bevölkerung verteilten Meinungen und Einstellungen zu erhalten, um nicht zuletzt Ereignissen
wie
dem
des
August-Streiks
im
Jahr
1980
frühzeitig
entgegenwirken zu können.185 Das an der Universität Warschau beheimatete und 1982 gegründete Umfrageinstitut CBOS186 stellte in ihren ersten 181
Vgl. Vgl. Gabriel, Oscar: Politische Einstellungen und politische Kultur, in: Gabriel, Oscar; Kropp, Sabine (Hrsg.): Die EU-Staaten im Vergleich. Strukturen, Prozesse, Politikinhalte. Wiesbaden 2008, S.207. 182 Vgl. Ebd. 183 Ebd., S. 210. 184 Vgl. Ebd. 185 Vgl. Matthes, Claudia-Yvette; Ziemer, Klaus: Das politische System Polens, in: Ismayr, Wolfgang (Hrsg.): Die politischen Systeme Osteuropas. Wiesbaden 2006, S. 232f. 186 Centrum Badania Opinii Społecznej (dt.: Zentrum zur Erforschung der öffentlichen Meinung)
62
4. Performanzbewertung: die Ergebnisse der EU-Beitrittsverhandlungen im Vergleich zu Studienergebnissen der politischen Kulturforschung
Untersuchungen fest, dass die vormals dichotome Aufteilung der polnischen Gesellschaft in „wir“ und „die da oben“, einer differenzierteren Einstellung weichen musste. Neben den beiden Gruppen der Befürworter und Gegner des politischen Systems, identifizierten die Forscher zwei weitere Gruppen: Zum einen ein ambivalenter Personenkreis und andererseits eine aus dem politischen Leben in die Privatheit völlig zurückgezogene Gruppe.187 Dies erklärt unter anderem auch die Tatsache der, je nach Mobilisierungsgrad und Bedeutung der Wahl, niedrigen Wahlbeteiligung und dass rund ein Drittel der polnischen Wahlberechtigten nie zur Wahl geht.188 Die politische Kultur Polens muss auch unter dem Aspekt der bis zum Ende des Ersten
Weltkrieges
123
Jahre
währenden
Fremdherrschaft
einer
Kulturgemeinschaft ohne festes Staatsgefüge sowie die Erfahrungen mit dem sozialistischen Einparteiensystem und dessen Restriktionen verstanden und betrachtet
werden.189
Grundhaltungen,
die
„Aus eine
der
Zeit
gegen
den
der
Fremdherrschaft
Staat
gerichtete
ererbte
Einstellung
gewissermaßen zur patriotischen Pflicht machen, leben bis heute Fort.“190 Eine generelle Einschätzung des Grades an demokratischer Verwirklichung bietet der Bertelsmann Transformation Index (BTI): Hinsichtlich der Kriterien Staatlichkeit,
politische
Partizipation,
Rechtsstaatlichkeit,
Stabilität
der
politischen Institutionen und der gesellschaftlichen Integration bewertet der BTI Polen auf einer Skala von 1 bis 10 mit 9,2 und ordnet das Land hinsichtlich des demokratischen Entwicklungsstandes einer voll entwickelten, funktionsfähigen und konsolidierten Demokratie zu.191 Nach Ziemer/Matthes gaben 1993 36% aller Polen an zufrieden mit dem Funktionieren der Demokratie zu sein (52% waren unzufrieden). Dieser Wert steigerte sich bis 1996 auf 44% Zustimmung (47% Ablehnung) und sank bis 187
Vgl. Matthes, Claudia-Yvette; Ziemer, Klaus: Das politische System Polens, in: Ismayr, Wolfgang (Hrsg.): Die politischen Systeme Osteuropas. Wiesbaden 2006, S. 232f. 188 Vgl. Ebd. 189 Wiede, Johann: Politische Kultur und Zivilgesellschaft in Polen nach 1989, in: Gemeinschaft für studentischen Austausch in Mittel- und Osteuropa (Hrsg.): Schriftenreihe der GFPS e.V., Ausgabe Nr. 2, Freiburg 2014, S. 5. 190 Matthes, Claudia-Yvette; Ziemer, Klaus: Das politische System Polens, in: Ismayr, Wolfgang (Hrsg.): Die politischen Systeme Osteuropas. Wiesbaden 2006, S. 233. 191 Vgl. Bertelsmann Stiftung (Hrsg.): Bertelsmann Transformation Index 2006. Auf dem Weg zur marktwirtschaftlichen Demokratie. Gütersloh 2005, S. 107ff i.V.m S. 249.
63
4. Performanzbewertung: die Ergebnisse der EU-Beitrittsverhandlungen im Vergleich zu Studienergebnissen der politischen Kulturforschung
2002 auf ein Maß von rund ein Viertel der Bevölkerung ab. Hingegen gaben 2002 64% der Bevölkerung an, mit dem Funktionieren der Demokratie nicht zufrieden zu sein. Wohingegen 1995 noch 75% angaben, der Wechsel des politischen Systems habe sich gelohnt (16% Ablehnung), stimmten im Jahr 2002 nur noch 58% dieser Aussage zu und 27% aller Polen lehnten diese Aussage ab. 192 In einer Befragung durch Plasser/Ulram/Waldrauch gaben 1995 23% der polnischen Bevölkerung an, dass Politik im positiven Sinne vor allem Interesse hervorrufe (Österreich: 30%), wohingegen 40% eher distanzierende Assoziationen wie Gleichgültigkeit oder Langeweile angaben (Österreich: 26%). Über ein Drittel (37%) der Polen gaben an, dass Politik vor allem Misstrauen, Ärger und Widerwillen hervorrufe (Österreich: 50%).193 Auf die Frage, ob es für das Land besser sei, ob nur eine oder mehrere Parteien existieren, votierten 1991 noch 19% der Polen für eine Partei und 73% für mehrere Parteien; im Jahr 1995 sprachen sich hingegen schon 24% für ein Einparteiensystem und ein unveränderter Anteil für ein Mehrparteiensystem aus.194 Hinsichtlich antidemokratischer Einstellungen sprachen sich jedoch 91% der Polen dagegen aus, das frühere kommunistische System wieder einzuführen. 96 von 100 Polen erteilten im Jahr 1995 auch einer Militärregierung eine klare Absage und 68 von 100 Polen wollten auch keinen „starken Mann, der Entscheidungen rasch durchsetzen kann“.195 Plasser/Ulram/Waldrauch unterteilen die genannten empirischen Daten in drei Aspekte
von
Legitimität:
Funktional
(Funktionieren
der
Demokratie),
generalisiert (Vorzug der Demokratie vor anderen Formen) und prozedurale Legitimität (Pluralität der Meinungen, Mehrparteiensystem). Hinsichtlich dieser Unterscheidung fassen sie ihre Ergebnisse zusammen und stellen für Polen fest, dass im Jahr 1995 die Hälfte der polnischen Bevölkerung die funktionale Seite des demokratischen Systems für legitim hält. 65% unterstützen die Demokratie und ziehen sie in jedem Fall einer Diktatur vor (generalisierte 192
Vgl. Matthes, Claudia-Yvette; Ziemer, Klaus: Das politische System Polens, in: Ismayr, Wolfgang (Hrsg.): Die politischen Systeme Osteuropas. Wiesbaden 2006, S. 232f. 193 Vgl. Plasser, Fritz; Ulram, Peter; Waldrauch, Harald: Politischer Kulturwandel in Ost-Mitteleuropa. Theorie und Empirie demokratischer Konsolidierung. Opladen 1997, S. 106. 194 Vgl. Ebd., S. 126. 195 Vgl. Ebd., S. 132.
64
4. Performanzbewertung: die Ergebnisse der EU-Beitrittsverhandlungen im Vergleich zu Studienergebnissen der politischen Kulturforschung
Legitimität) und 73% aller Polen treten für ein Mehrparteiensystem und Meinungsvielfalt ein.196 Auch das interpersonale Vertrauen in einer Gesellschaft ist für den Aufbau einer funktionierenden und integrierten Zivilgesellschaft von besonderer Bedeutung. Hier lässt sich in Hinblick auf Polens Kultur feststellen, dass lediglich 9-14% der Polen bereit sind gegenüber ihren Mitmenschen Vertrauen aufzubringen. Der Vergleichswert liegt im europäischen Durchschnitt bei etwa 32%.197 Das politische Vertrauen in Parteien lag im Jahr 2003 in Polen bei gerade einmal 8% (der EU-15-Durchschnitt lag bei 15%). Auch das Vertrauen in den öffentlichen Dienst und Verwaltung lag mit 24% deutlich niedriger als im europäischen Vergleich (46%). Das Vertrauen in die Regierung (14%) und das Parlament (13%) lagen im Jahr vor der Aufnahme Polens in die EU deutlich unter dem EU-Durchschnitt von 31% bzw. 35%.198 An der Spitze des politischen Vertrauens lagen in 2002 der Staatspräsident (75%), die Armee (70%), Polizei (64%) und lokale Behörden mit 52%.199 Aus dem hier vorgebrachten Ausschnitt der Ergebnisse der politischen Kulturforschung über die politische Kultur Polens lässt sich ein, im Vergleich zu den Ergebnissen im dritten Kapitel ein differenzierteres Bild zeichnen. Kommt die Europäische Kommission begleitend zum Beitrittsprozess in ihren beobachtenden Fortschrittsberichten hinsichtlich der demokratischen Stabilität in Polen abschließend zu einem überwiegend positiven Ergebnis, so lassen die hier dargestellten Befunde über die Einstellungen und Orientierungen der polnischen Bürger gegenüber der Demokratie, ihrem politischen System, Akteuren und Institutionen auch Zweifel aufkommen. Zwar besteht in Polen ein gewisses
Grundvertrauen
und
Unterstützung
für
die
Demokratie
als
grundlegendes Ordnungsmodell, andere Faktoren der politischen Kultur sind
196
Vgl. Plasser, Fritz; Ulram, Peter; Waldrauch, Harald: Politischer Kulturwandel in Ost-Mitteleuropa. Theorie und Empirie demokratischer Konsolidierung. Opladen 1997, S. 136. 197 Vgl. Wiede, Johann: Politische Kultur und Zivilgesellschaft in Polen nach 1989, in: Gemeinschaft für studentischen Austausch in Mittel- und Osteuropa (Hrsg.): Schriftenreihe der GFPS e.V., Ausgabe Nr. 2, Freiburg 2014, S. 10. 198 Vgl. Europäische Kommission (Hrsg.): Candidate Countries Eurobarometer 2003. Public Opinion in the Candidate Countries. Brüssel 2003, S. 26. 199 Vgl. Matthes, Claudia-Yvette; Ziemer, Klaus: Das politische System Polens, in: Ismayr, Wolfgang (Hrsg.): Die politischen Systeme Osteuropas. Wiesbaden 2006, S. 234.
65
4. Performanzbewertung: die Ergebnisse der EU-Beitrittsverhandlungen im Vergleich zu Studienergebnissen der politischen Kulturforschung
aber im Vergleich zu Werten der westeuropäischen Staaten deutlich niedriger verbreitet und ausgeprägt.
4.2 Rumänien
In der kulturhistorischen Perspektive nimmt Rumänien eine besondere Stellung in Osteuropa ein. So unterscheidet sich Rumänien durch den überwiegend orthodoxen Glauben von Westeuropa und durch das romanische Erbe vom slawisch geprägten Osteuropa. Der größte Teil Rumäniens bekennt sich zur rumänisch-orthodoxen Kirche, ein anderer ist konfessionell an die griechischkatholischen Kirche gebunden und ein weiterer, nicht zu vernachlässigender Teil der Bevölkerung gehört dem Protestantismus an.200 Boia verortet Rumänien kulturgeographisch und historisch zwischen der Balkanhalbinsel und Russland, bzw. der ehemaligen Sowjetunion. 201 "Die andauernde
Grenzlage
hatte
zwei
widersprüchliche
und
zueinander
komplementäre Auswirkungen: auf der einen Seite eine relative Isolierung, eine Übernahme unterschiedlicher Modelle in abgewandelter Form sowie die Erhaltung traditioneller Strukturen und einer bodenständigen Mentalität, auf der anderen Seite eine außerordentliche ethnische und kulturelle Durchmischung, [...]."202 Aus dieser historischen Perspektive schlussfolgert Boia, dass eine Polarisierung der Denkrichtungen zwischen westlicher Öffnung und zugleich nationalistischer Isolation Rumänien im Modernisierungsprozess der letzten zwei Jahrhunderte tiefgreifend geprägt hat.203 Auch die postkommunistische Transformationserfahrung ist für die rumänische politische Kultur im besonderen Maße prägend gewesen: die Loslösung Rumäniens vom Einfluss der Sowjetunion führte unter Nicolae Ceauşescu zu 200
Vgl. Marga, Andrej: Spannungsfelder europäischer Identitätsbildung in Osteuropa und methodische Aufgaben. Eine rumänische Perspektive, in: Erdödy, Gábor (Hrsg.): Transformationserfahrungen. Zur Entwicklung der politischen Kultur in den EU-Kandidatenländern. Baden-Baden 2003, S. 175. 201 Vgl. Boia, Lucian: Historische Wurzeln der politischen Kultur Rumäniens, in: Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.): Aus Politik und Zeitgeschichte. Rumänien und Bulgarien, Ausgabe 27. Bonn 2006, S. 14. 202 Ebd., S. 15. 203 Vgl. Ebd.
66
4. Performanzbewertung: die Ergebnisse der EU-Beitrittsverhandlungen im Vergleich zu Studienergebnissen der politischen Kulturforschung
einem System des totalitären und nationalen Kommunismus mit massiver Repression.204 In Folge der Unausweichlichkeit politischer Änderungen brach das Regime im Dezember 1989 viel schneller als erwartet zusammen. Neben den
offensichtlich
benötigten
institutionellen
Voraussetzungen
für
eine
erfolgreiche Transformation boten die wirtschaftliche Situation und die psychologische Vorbereitung der Bevölkerung auf den sozialen Wandel ein trostloses Bild.205 Das Land lag hinter seinen Nachbarn beträchtlich zurück und wies einen der geringsten europäischen Lebensstandards auf. „Der repressive Charakter des Ceauşescu-Regimes hatte offene Diskussionen über politische, wirtschaftliche und soziale Alternativen zur offiziellen Linie der kommunistischen Führung nahezu völlig verhindert.“206 Infolgedessen war die rumänische Gesellschaft sehr schlecht auf pluralistische Meinungsvielfalt vorbereitet. Auch die darauffolgende politische Blockade und Polarisierung durch den Nationalen Rettungsfront (FSN, Frontual Salvării Naţionale) und die sog. ‚historischen Parteien‘ „behinderte die Entwicklung einer pluralistischen politischen Kultur im Rumänien nach Ceauşescu.“207 Auch Gabanyi misst dem Transformationsprozess eine große Bedeutung bei: so habe der Übergang zu Demokratie und Marktwirtschaft zu zunehmender Resignation, Pessimismus und Apathie geführt. Transformation wird bis 1993 positiv und seitdem immer stärker negativ beurteilt. Und obwohl die Ziele der wirtschaftlichen Stabilität und politischer Normalität sowie sozialem Frieden nicht wirklich ausreichend erreicht worden sind, beurteilt die Mehrheit der Rumänen die Demokratie als solche durchweg positiv.208 So gaben 1998 rund zwei Drittel der Rumänen an, Demokratie sei auf jeden Fall vorzuziehen und weniger als ein Viertel sprachen sich für ein Einparteiensystem aus. Lediglich 12% präferierten für ein Militärregime und ebenso viele Rumänen wünschten
204
Vgl. Murgescu, Bogdan: Rumänien, in: Heydemann, Günther; Vodička, Karel (Hrsg.): Vom Ostblock zur EU. Systemtransformation 1990-2012 im Vergleich. Göttingen 2013, S. 263f. 205 Vgl. Murgescu, Bogdan: Rumänien, in: Heydemann, Günther; Vodička, Karel (Hrsg.): Vom Ostblock zur EU. Systemtransformation 1990-2012 im Vergleich. Göttingen 2013, S. 264. 206 Ebd., S. 265. 207 Ebd. 208 Vgl. Gabanyi, Annelie Ute: Das politische System Rumäniens, in: Ismayr, Wolfgang (Hrsg.): Die politischen Systeme Osteuropas. Wiesbaden 2006, S. 583.
67
4. Performanzbewertung: die Ergebnisse der EU-Beitrittsverhandlungen im Vergleich zu Studienergebnissen der politischen Kulturforschung
sich eine Rückkehr zum kommunistischen Regime.209 Im Jahr 2000 beurteilte eine überwiegende Mehrheit von 89% der Rumänen die Performanz der Demokratie als schlecht oder sehr schlecht.210 Unter den Unterstützern antidemokratischer Alternativen befürworteten 70% eine Expertenregierung, 36% einen Führer, 32% eine Einparteiensystem und 25% eine Diktatur.211 Der
Anteil
der
Rumänen,
welche
im
politischen
System
keine
Einflussmöglichkeiten auf politische Entscheidungen für sich sehen, lag im Jahr 2000
bei
27%.
Im
Vergleich
zu
anderen
mittelosteuropäischen
Transformationsstaaten liegt dieser Wert zwar noch auf einem vergleichsweise niedrigen Niveau, jedoch trauen sich auch 42% aller Rumänen selbst keine Kompetenz in politischen Fragen zu. Hinzu kommt, dass rund 12% aller Rumänen die nationalen Politiker für korrupt halten.212 Innerhalb von zehn Jahren stieg der Wert des Vertrauens in das Parlament auf über 35%, sank daraufhin jedoch kontinuierlich auf einen abermaligen Tiefpunkt von 20% im Jahr 2007 ab und lag im Jahr 2008 bei rund 23%.213 Auch das Vertrauen in die Justiz sank nach 1989/90 (48%) auf zwischenzeitlich unter 30% und pendelt sich seit dem Beginn des neuen Jahrtausens in etwa auf diesem Niveau ein. 214 Allgemein genießen die Polizei (46%) und die Armee (86%) das größte politische Institutionenvertrauen in Rumänien (Stand 2000).215 Hinsichtlich der Bewertung der Verfassung können sich 40% der Rumänen im Jahr 2000 der Meinung anschließen, diese sei nur ein „Stück Papier“ und 58% gaben an, die Verfassung sei nur für Politiker wichtig. Etwas widersprüchlich wirkt die Angabe, dass dennoch 86% der rumänischen Bevölkerung angaben, 209
Vgl. Pickel, Gert; Pickel, Susanne: Politische Partizipation und politische Einstellungen der osteuropäischen Transitionsstaaten im Vergleich, in: Frankfurter Institut für Transformationsstudien (Hrsg.): FIT Discussion Papers, Ausgabe Nr. 4, Frankfurt an der Oder 2000, S. 10. 210 Vgl. Jacobs, Jörg; Pickel, Gert: Der soziokulturelle Unterbau der neuen Demokratien Osteuropas, in: Jacobs, Jörg; Müller, Olaf; Pickel, Gert; Pollack, Detlef (Hrsg.): Osteuropas Bevölkerung auf dem Weg in die Demokratie. Repräsentative Untersuchungen in Ostdeutschland und zehn osteuropäischen Transformationsstaaten. Wiesbaden 2006, S. 40. 211 Vgl. Ebd., S. 45. 212 Vgl. Ebd., S. 49. 213 Vgl. Braun, Daniela: Politisches Vertrauen in neuen Demokratien. Wiesbaden 2013, S. 199. 214 Vgl. Ebd., S. 204. 215 Vgl. Jacobs, Jörg; Pickel, Gert: Der soziokulturelle Unterbau der neuen Demokratien Osteuropas, in: Jacobs, Jörg; Müller, Olaf; Pickel, Gert; Pollack, Detlef (Hrsg.): Osteuropas Bevölkerung auf dem Weg in die Demokratie. Repräsentative Untersuchungen in Ostdeutschland und zehn osteuropäischen Transformationsstaaten. Wiesbaden 2006, S. 47.
68
4. Performanzbewertung: die Ergebnisse der EU-Beitrittsverhandlungen im Vergleich zu Studienergebnissen der politischen Kulturforschung
die Verfassung sei die Grundlage ihrer Gesellschaft und immerhin 75% konnten erkennen, dass die Verfassung Bürgerrechte schütze.216Als ein weiteres Indiz für eine sich entwickelnde politische Kultur schätzt Metzeltin den sich wandelnden Umgang mit Minderheiten und Stereotypen in der rumänischen Gesellschaft ein. Auch die sich neu bildendende plurale und breite Medienlandschaft kann als Indiz einer sich immer mehr dem europäischen Standard annähernden politischen Kultur gewertet werden.217 Aus den hier vorgestellten Ergebnissen der politischen Kulturforschung für das südosteuropäische Rumänien lassen sich im Vergleich zu der Anwendung der politischen
Beitrittsbedingungen
der Kopenhagener Kriterien durch
die
Europäische Kommission im Rahmen der Aufnahme Rumäniens einige Aspekte ergänzen. So kommt die Europäische Union auf Empfehlung der Kommission nach Beendigung der Beitrittsverhandlungen zu dem Schluss, dass Rumänien alle Kriterien und insbesondere auch die politischen Beitrittsbedingungen erfüllt und somit für die Aufnahme in Union bereit sei. Die hier vorgestellten Ergebnisse
der
politischen
Kulturforschung
zeigen
jedoch,
dass
die
demokratischen Einstellungen in der rumänischen Bevölkerung bei Weitem noch
nicht
dem
europäischen
Maß
der
übrigen
mitteleuropäischen
Mitgliedsstaaten entsprechen. Zumindest scheinen Zweifel, begründet auf einer fehlenden notwendigen demokratischen Stabilität durch eine entsprechende politische Kultur in Rumänien (noch) nicht voll entwickelt ist, angemessen.
216
Pickel, Gert: Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, in: Jacobs, Jörg; Müller, Olaf; Pickel, Gert; Pollack, Detlef (Hrsg.): Osteuropas Bevölkerung auf dem Weg in die Demokratie. Repräsentative Untersuchungen in Ostdeutschland und zehn osteuropäischen Transformationsstaaten. Wiesbaden 2006, S. 85. 217 Vgl. Metzeltin, Michael: Politische Kultur in Rumänien. Eine historische Skizze, in: Mosser, Alois (Hrsg.): Politische Kultur in Südosteuropa. Identitäten, Loyalitäten, Solidaritäten, Frankfurt am Main 2006, S. 239ff.
69
4. Performanzbewertung: die Ergebnisse der EU-Beitrittsverhandlungen im Vergleich zu Studienergebnissen der politischen Kulturforschung
4.3 Kroatien
Die politische Kultur auf dem Westbalkan und insbesondere in Kroatien ist tief geprägt von einer ideologisch-kulturellen und teilweise ethnischen Spaltung. Eine erste Konfliktlinie ist durch den Bürgerkrieg 1941-1945 zwischen dem Ustaša-Regime und der kroatischen Partisanenbewegung begründet: So weist Zakošek
darauf
hin,
dass
diese
Trennung
sich
in
die
politischen
Überzeugungen vieler kroatischer Familien etabliert habe. Familienmitglieder der früheren Anhänger des Ustaša-Regimes neigen auch heute noch zu eher nationalistischen
politischen
Einstellungen,
wohingegen
die
Familien-
angehörigen der früheren kommunistischen Partisanenbewegung auch heute noch
traditionelle
eher
anti-nationalistisch
und
links-liberale
politische
Überzeugungen teilen.218 Diese Polarisierung der kroatischen Gesellschaft wird durch zwei weitere Aspekte verstärkt: Zum einen die ethnische Spaltung der Bevölkerung in die Majorität der Kroaten und der serbischen Minderheit219, zum anderen der starke Einfluss der konservativen katholischen Kirche, „welche eine ausgeprägte Affinität
für die Ideologie des kroatischen Nationalismus
hat.“220 Als Gegensatz hierzu hat sich nicht zuletzt in urbanen Gebieten eine modernistisch-säkulare Schicht von liberal-antiautoritären und kosmopolitischen Bürgern gebildet. Die starke Polarisierung der kroatischen Gesellschaft führte zu einer traditionell hohen Wahlbeteiligung, welche durchschnittlich zwischen 69 und 85% liegt.221 Über die ideologisch-kulturellen Grenzen hinweg weist die politische Kultur Kroatiens eine Besonderheit auf: eine hohe und tiefe proeuropäische/westliche Orientierung lässt sich in allen gesellschaftlichen Schichten feststellen. So sprachen sich jeweils eine Mehrheit der Kroaten dafür aus, in den kommenden Jahren mehr Entscheidungen auf EU-Ebene zu treffen (56%) und neue Mitglieder in die EU aufzunehmen (64%).222 218
Vgl. Zakošek, Nenand: Das politische System Kroatiens, in: Ismayr, Wolfgang (Hrsg.): Die politischen Systeme Osteuropas. Wiesbaden 2006, S. 713f. 219 Vgl. Mappes-Niediek, Norbert: Kroatien. Das Land hinter der Adria-Kulisse. Berlin 2009, S. 143ff. 220 Zakošek, Nenand: Das politische System Kroatiens, in: Ismayr, Wolfgang (Hrsg.): Die politischen Systeme Osteuropas. Wiesbaden 2006, S. 713f. 221 Vgl. Ebd., S. 714. 222 Vgl. Europäische Kommission: Eurobarometer 2014. Die öffentliche Meinung in der europäischen Union, Ausgabe Nr. 81, Brüssel 2014, S. 153ff.
70
4. Performanzbewertung: die Ergebnisse der EU-Beitrittsverhandlungen im Vergleich zu Studienergebnissen der politischen Kulturforschung
Hinsichtlich der Toleranz stellt Kuntz auf Grundlage der Daten des World Values Survey und der European Values Study fest, dass sich im Zeitraum zwischen 1999 und 2008 z.B. durchweg mehr Kroaten bereit waren einen muslimischen, jüdischen, ausländischen oder ethnisch differenten Nachbarn zu akzeptieren.223 In Bezug auf das interpersonale Vertrauen lässt sich jedoch kein großer Fortschritt attestieren, denn im Jahr 1995 stimmten lediglich 22,2% der Aussage zu, den meisten Menschen könne man trauen. Über das Jahr 1999 (19,8%) bis hin zum Jahr 2008 (19%) hielt sich diese Einstellung in der kroatischen
Bevölkerung
auf
einem
vergleichsweise
niedrigen
Niveau.
Auch das zivilgesellschaftliche Engagement in der kroatischen Gesellschaft ist derzeit noch deutlich geringer ausgeprägt als in west- und mitteleuropäischen Gesellschaften: so lag das Prozentsatz der Kroaten, welcher sich in keiner Organisation/Verein etc. engagiert bei 61%.224 In Bezug auf die Bereitschaft zur politischen Partizipation gaben 1995 40,2% der Kroaten an, sie würden eine Petition unterschreiben und rund 50% würden einer Demonstration beiwohnen. Bis 1999 stiegen diese Werte weiter an (Petition: 56%; Demonstration: 56,7%), fielen bis 2008 jedoch wieder beinahe auf das Niveau von 1995 zurück.225 Konnten sich im Jahr 1995 noch über 80% der Kroaten der Meinung anschließen, das Land bewege sich in die richtige Richtung, fiel dieser Wert in den folgenden Jahren auf rund 65% zurück. 226 Die diffus-spezifische Unterstützung der Demokratie als Ordnungsmodell lag 95/96 im Vergleich zu mittel- und osteuropäischen Nachbarstaaten auf einem vergleichbaren Niveau zwischen „eher unzufrieden“ und „eher zufrieden“.227 Hingegen schätzen die Kroaten die Einhaltung der Menschenrechte in ihrem eigenen Land als
223
Vgl. Kuntz, Jennifer: Reentering Europe. The Post-Communist Transition of Croatian Political Culture, in: Politička misao, Jahrgang Nr. 48, Ausgabe Nr. 5. Zagreb 2011, S. 229. 224 Vgl. Ebd., S. 232. 225 Vgl. Ebd., S. 233. 226 Vgl. Westle, Bettina: Aspekte politischer Kultur im internationalen Vergleich. Legitimitätsvorstellungen und Legitimitätsurteile ‚Politische Ordnung‘, in: Gabriel, Oscar; Westle, Bettina (Hrsg.): Politische Kultur. Eine Einführung. Baden-Baden 2009, S. 332. 227 Vgl. Ebd., S. 334.
71
4. Performanzbewertung: die Ergebnisse der EU-Beitrittsverhandlungen im Vergleich zu Studienergebnissen der politischen Kulturforschung
besonders hoch ein. Inwiefern dies jedoch von objektiver Seite auch als realitätsnah bewertet wird, ist eher fraglich.228 Abstrahiert von der Bewertung des demokratischen Systems wurde auch das generelle Image der Demokratie als Ordnungssystem untersucht: demnach stimmten lediglich 75% der Kroaten der Aussage zu, dass in Demokratien die Wirtschaft nur schlecht funktioniere (Deutschland-W: 77%). Sogar nur 57% der Kroaten
konnten
sich
der
Aussage
anschließen,
Demokratien
seien
entscheidungsschwach, es gebe nur Zank und Streit. (Deutschland-W: 69%). Der Meinung, Demokratien brächten zwar Probleme mit sich, sie seien aber besser als jede andere Regierungsform konnten sich sowohl Westdeutsche als auch Kroaten mit dagegen jeweils 94% anschließen.229
Auch bezüglich der politischen Kultur Kroatiens lässt sich also festhalten, auch wenn nicht in einem so erheblichen Maße wie für Rumänien, dass es aufgrund der
hier
vorgebrachten,
ausschnittartigen
Ergebnisse
der
politischen
Kulturforschung Zweifel angebracht sind, ob die kroatische Gesellschaft in der Tat bereits ein ausreichendes Maß an demokratischer Stabilität garantieren kann. In vielen Punkten scheint die kroatische Gesellschaft dem europäischen Niveau
an
politischer
Kultur
weitaus näher,
als
andere
mittel-
und
osteuropäischen Transformationsstaaten gekommen zu sein. Zwar stützt die Mehrheit der Kroaten die Demokratie als solche, jedoch sind die Faktoren interpersonelles Vertrauen und Toleranz noch deutlich niedriger ausgeprägt.
228
Vgl. Ebd., S. 337. Vgl. Westle, Bettina: Aspekte politischer Kultur im internationalen Vergleich. Legitimitätsvorstellungen und Legitimitätsurteile ‚Politische Ordnung‘, in: Gabriel, Oscar; Westle, Bettina (Hrsg.): Politische Kultur. Eine Einführung. Baden-Baden 2009, S. 359. 229
72
5. Fazit
Mit Hilfe der in dieser Arbeit vorgenommenen Untersuchungen konnte gezeigt werden, auf welche Weise die Europäische Union ihre selbst gesetzten expliziten politischen Kriterien in den Erweiterungsrunden anwendet, um die demokratische Stabilität des Beitrittskandidaten zu bemessen. Um einen Vergleich mit den Ergebnissen der politischen Kulturforschung anstrengen zu können, wurde der theoretische Bezugsrahmen des Konzeptes der politischen Kultur eingehend erläutert sowie dessen methodische Schwachstellen und Vorteile detailliert dargestellt. Die politische Kulturforschung hat insbesondere nach dem wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Umbruch 1989/90 in Mittel-, Ost- und Südosteuropa im Rahmen der Transformationsforschung eine große Bandbreite an Forschungen angestrengt, um die sich neu bildenden demokratischen Gesellschaften und politischen Systeme zu erforschen. Leider ist auch zu konstatieren, dass im Rahmen der Forschungstätigkeiten Konjunkturwellen zu verzeichnen sind und daher langfristige Datenreihen wie die European Values Study eher die Ausmaße bilden.
Es konnte gezeigt werden, dass die Europäische Union in der Anwendung der Kopenhagener Kriterien in den Erweiterungsrunden das implizite Ziele verfolgt, lediglich stabile Demokratien in den Kreis der Union aufnehmen zu wollen und diejenigen Staaten, welche das Niveau bis dato noch nicht erreichen konnten mit Hilfe von unterschiedlichen Heranführungsprogrammen im Erreichen dieses Ziels zu unterstützen. Die Anwendung des politischen Kriteriums der Kopenhagener Kriterien durch die EU weist jedoch einige strukturelle Besonderheiten
auf:
So
werden
die
Begriffe
„Demokratie“
und
„Rechtsstaatlichkeit“ kaum ausdifferenziert und dementsprechend lässt sich die Anwendung z.B. in den Fortschrittsberichten der Kommission als vage und variabel beschreiben.
73
5. Fazit
Durch die breit ausformulierten Regeln der EU bieten einen enorm weiten Spielraum für die Auslegung der politischen Kriterien und leisten der Sorge Vorschub, dadurch demokratietheoretisch relevante Faktoren nicht in Betracht zu ziehen. Durch die Fokussierung auf zentrale staatliche Institutionen wie Parlament, Regierung und Judikative gibt die Europäische Union einem funktional-institutionalistischen Demokratieverständnis den Vorzug und lässt damit den Bürger als aktiven Teil des Politischen außen vor. Zwar ist es nachvollziehbar, dass die Europäische Union bei der Erstellung ihrer Kriterien
versucht
die
absehbare
institutionelle,
wie
historische
und
soziokulturelle Vielfalt der potentiellen Beitrittskandidaten nicht durch allzu strikte Vorgaben über die Ausgestaltung des institutionellen Rahmens und der demokratischen Prozesse einzuengen.
Aber für die Stabilität einer Demokratie ist es hingegen von außerordentlicher Bedeutung, dass ihr von ihren Bürgern entsprechend ausreichend Zuspruch, Unterstützung und Vertrauen entgegen gebracht wird. Nicht zuletzt liegt hier eine nicht unerhebliche Legitimationsquelle demokratischer Ordnungsmodelle. Für eine effektive Evaluation bietet sich hier die politische Kulturforschung an. Das Konzept der politischen Kultur eröffnet für die Beurteilung demokratischer Stabilität eine neue Perspektive indem es die kollektivierten Einstellungs-, Orientierungs-
und
Meinungsmuster
in
das
Blickfeld
der
empirischen
Untersuchung rückt und damit Aufschlüsse über die in der Bevölkerung vorhandenen Einstellungen gegenüber dem politischen System, dessen Institutionen und Akteure geben kann. Im vierten Kapitel dieser Arbeit konnte anhand exemplarisch ausgewählter Beispielländer gezeigt werden, zu welchen Ergebnissen die politische Kulturforschung
hinsichtlich
der
in
diesen
Ländern
vorhandenen
Einstellungsmuster gelangt. In Polen, Rumänien und Kroatien befürwortet die Majorität der Bevölkerung die Demokratie als grundsätzliches Ordnungsmodell. Jedoch lassen sich in den einzelnen Ländern durchaus auch Einstellungen finden die eine klare antidemokratische Haltung zeigen und deutliche Zweifel am Stand der Demokratisierung der osteuropäischen Gesellschaften zum
74
5. Fazit
Zeitpunkt der Aufnahme in die Europäische Union aufkommen lassen. Und ebenso sind dadurch auch Zweifel an der Geeignetheit der momentanen Beitrittskriterien der Europäischen Union hinsichtlich der demokratischen Stabilität angebracht, ob diese tatsächlich garantieren können, eine verlässliche Evaluation der Beitrittskandidaten hinsichtlich ihrer demokratischen Entwicklung zu bieten. Es scheint daher gegeben, nicht zuletzt aufgrund der in dieser Arbeit aufgeführten Untersuchungen, die aktuelle Praxis der Anwendung politischer Beitrittskriterien in der Europäischen Union zu reformieren. Und zwar dergestalt, dass zukünftig auch die Einstellungen und Haltungen der Bürger durch objektive Kriterien erfasst und somit in die Bewertung der Beitrittsreife herangezogen werden können. Auch wenn ein potentieller Beitrittskandidat natürlich nur in einem gewissen Maße in der Lage ist, die Einstellungen seiner Bürger aktiv beeinflussen zu können, wäre eine vervollständigtes Bild des Bewerberlandes für die gesamte Europäische Union ein potentieller Vorteil. Demnach ließe sich nicht nur eine funktionell-institutionalistische Bewertung der Demokratie im Bewerberland vornehmen, sondern auch die subjektive politische Seite des Bürgers in Augenschein nehmen.
Der in den Kopenhagener Kriterien implizit verwirklichte Anspruch der Europäischen Union, neben einem wirtschaftspolitischen Integrationsprojekt auch Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und den Frieden auf dem europäischen Kontinent zu befördern muss sich nicht zuletzt an der in den EU-Erweiterungen praktizierten Wirklichkeit messen lassen – gerade deshalb erscheint es notwendig für die EU der Realität des Konzeptes der politischen Kultur zu begegnen, es ernst zu nehmen und als wichtigen Faktor für die demokratische Stabilität anzuerkennen und für zukünftige Erweiterungen mit in die Anwendung der Kopenhagener Kriterien aufzunehmen. Auch im Hinblick auf die aktuellen potentiellen Beitrittskandidaten Kandidaten erscheint dies als ein notwendiges politisches Gebot der Stunde.
75
Literatur- und Quellenverzeichnis
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Eidesstattliche Versicherung
„Ich versichere hiermit, dass die Bachelorarbeit mit dem Titel
Zwischen Anspruch und Wirklichkeit – Das Kopenhagener Kriterium der demokratischen Stabilität im Rahmen der EU-Beitrittsverhandlungen und im Blick der politischen Kulturforschung. Eine vergleichende Analyse anhand ausgewählter Beispiele.
von mir selbst und ohne jede unerlaubte Hilfe angefertigt wurde, dass sie noch an keiner anderen Hochschule zur Prüfung vorgelegen hat und dass sie weder ganz noch in Auszügen veröffentlicht worden ist. Die Stellen der Arbeit – einschließlich Tabellen, Karten, Abbildungen usw. –, die anderen Werken dem Wortlaut oder dem Sinn nach entnommen sind, habe ich in jedem einzelnen Fall kenntlich gemacht.“
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Report "Das Kopenhagener Kriterium der demokratischen Stabilität im Rahmen der EU-Beitrittsverhandlungen und im Blick der Politischen Kulturforschung. Eine vergleichende Analyse anhand ausgewählter Beispiele. "