Walter Leonhardt: Das Geheimnis des Dieselgate-Abgasskandals
Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung.........................................................................................................................................2 2. Schwarzer Schwan und Listigkeit....................................................................................................3 3. Volkswagen.......................................................................................................................................5 Amerikas medial-politischer Paranoid Style...................................................................................8 Blitz und Donner............................................................................................................................10 Das Meinungsjournalismusphänomen ..........................................................................................11 Schlussfolgerung............................................................................................................................12 4. Literaturverzeichnis........................................................................................................................15
Der Autor ist Sicherheitsberater und Strategieanalyst. Von Volkswagen versteht er nichts, da er Saab-Fahrer ist.
Veröffentlichungsdatum: 20.10.2016; letzte Überarbeitung: 22.01.2017
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1. Einleitung Alle Nachrichten, die man seit mehr als einem Jahr über Volkswagen sieht, hört oder liest, haben in direkter oder indirekter Weise ausschließlich mit dem VW-Abgasskandal zu tun, der inzwischen ironischerweise „Dieselgate“ genannt wird.1 Damit reiht sich der Volkswagen-Skandal in die Reihe prominenter Skandale ein, die mit der Watergate-Affäre 1972 ihren Anfang nahm und über „Muldergate“2 und „Nannygate“3 im „Dieselgate“ seinen vorläufigen Höhepunkt fand. Und „Gate“Skandale gibt es viele – allein US-Präsident Bill Clinton verursachte vier Stück davon.4 „Gate“-Skandale zeichnen sich dadurch aus, dass sie aus der Rückschauperspektive skandalträchtig inszeniert werden.5 Das zugrunde liegende Phänomen nennt sich Rückschaufehler oder „HindsightBias“ und besagt, dass man eingetretene Ereignisse von der Gegenwart zurück in die Vergangenheit verfolgt und hierbei verkennt, dass für nachträglich Beschuldigte das eingetretene Ereignis nur eine von vielen Zukunftsmöglichkeiten und mit Sicherheit nicht die wahrscheinlichste gewesen ist.6 Der Rückschaufehler wurde bereits in unzähligen Studien in verschiedensten Branchen festgestellt, 7 wobei der menschliche Hang zum Lernen aus Erfahrung, nachträgliche Voreingenommenheit 8 sowie die menschliche Kontrollillusion Ursachen hierfür sind. 9 Damit stellt jeder „Gate“-Skandal einen Schwarzen Schwan dar, wobei „der Schwarze Schwan“ eine Metapher für einen statistischen Ausreißer10 ist, der erstens auf unsere Wirklichkeit enorme Auswirkungen hat, und zweitens aufgrund des Rückschaufehlers ermöglicht, um „im Nachhinein Erklärungen für sein Eintreten zu konstruieren, um es erklärbar und vorhersagbar zu machen. Die drei Attribute sind also Seltenheit, massive Auswirkung und Vorhersagbarkeit im Rückblick (allerdings nicht in der Vorausschau).“11 1 Vgl. hierzu Sonnenberger 2016; siehe auch Schwarzer 2016 2 „Muldergate“ beschreibt den Versuch des südafrikanischen Informationsministeriums, in- und ausländische Pressevertreter, Politiker und Gewerkschaftsführer mithilfe teurer Geschenke und finanzieller Vorzüge gegenüber dem damals in Südafrika herrschenden Apartheidsregime freundlich zu stimmen (vgl. Unbekannter Autor 1979: 146-150). Der Skandal wurde nach Südafrikas damaligen Informationsminister Connie Mulder benannt (vgl. ebd. 146). 3 Die von US-Präsident Bill Clinton ins Amt berufene Generalstaatsanwältin Zoe Baird hatte zwei illegale Einwanderer in ihrem Haushalt beschäftigt und hierfür keine Sozialabgaben an den Staat abgeführt (vgl. Schudson 2004: 1231f.). 4 Vgl. Schudson 2004: 1234 5 Vgl. Schudson 2004: 1233 6 Vgl. Roberto/Grechenig 2014: 5 7 Vgl. Roberto/Grechenig 2014: 11-16 8 Dieses Phänomen wird auch als „schleichender Determinismus“ bezeichnet und bedeutet, dass man aus der Rückschau betrachtet die Vorteile des Gewinners bzw. die Eintrittswahrscheinlichkeit eines Ereignisses höher als die Vorteile des Verlierers bzw. die Nichteintrittswahrscheinlichkeit eines Ereignisses gewichtet und nachträglich „das hätte man wissen müssen“ behauptet (vgl. Roberto/Grechenig 2014: 17). 9 Vgl. Roberto/Grechenig 2014: 16-18 10 Ein Ausreißer ist eine festgestellte Beobachtung, die außerhalb der regulären Erwartung liegt (vgl. Taleb 2015: 2). 11 Vgl. Taleb 2015: 1f.
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2. Schwarzer Schwan und Listigkeit Sofern der Dieselgate-Skandal ein Schwarzer Schwan ist, hätte man diesen mithilfe der „Three Principles of Serendipity“ - Klugheit, Scharfsinn und Gewitztheit -, mit einer höheren Wahrscheinlichkeit doch vorab identifizieren und entkonfligierend handeln können.12 Gleichzeitig stellen die drei Serendipätsprinzipien auch die wesentlichen Elemente zur StrategemErkennung dar.13 Ein Strategem ist ein nicht moralisch neutraler 14 Ausdruck für eine „List“.15 Eine List bzw. ein Strategem stellt „ein bewusst, mit Schläue eingesetztes außergewöhnliches Problemlösungsmittel“ dar, durch dessen Einsatz etwas erreicht werden soll, was auf normalem Weg nur schwer oder überhaupt nicht erreichbar ist.16 Die Chinesen haben 36 Strategeme ausformuliert 17, und dieses ausformulierte Wissen ermöglicht, dass man selbst mit geringerer Wahrscheinlichkeit ein Opfer von strategemischer Listigkeit wird18. Denn der größte Unterschied zwischen chinesischer und Europas moderner Listigkeit besteht darin, dass Chinesen List weiterhin unverschämt praktizieren und darüber ohne falsche Scham reden, während Europäer im Gegensatz zu früher unverschämt List praktizieren, sich selbst und anderen gegenüber aber ihr Verhalten totzuschweigen versuchen.19 Die moralische Scheuklappe macht das Abendland besonders listanfällig. Die schleichende Moralisierung lässt sich bis zu Carl von Clausewitz zurückführen, der Listanwendung als Zeichen von Schwäche und für zunehmende Verzweiflung ansieht: „Je schwächer aber die Kräfte werden, welche der strategischen Führung [des Feindes] unterworfen sind, um so zugänglicher wird diese der List sein, so daß dem ganz Schwachen und Kleinen, für den keine Vorsicht, keine Weisheit mehr ausreicht, auf dem Punkt, wo ihn alle Kunst zu verlassen scheint, die List sich als die letzte Hilfe desselben anbietet.“20 Der Einsatz von Listigkeit ist für Clausewitz und seither für Europäer gleichbedeutend mit dem Eingeständnis, dass eigene Mittel erschöpft und ein Krieg quasi verloren ist.21 Dabei geht der Begriff der „List“ auf das altgermanische Wort „lis“ zurück und bedeutet „wissen“.22 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22
Vgl. Lindner 2012: 6; siehe auch Senger 2001: 171 Vgl. Senger 2001: 171-176 Vgl. Senger 1996: 21 Vgl. Senger 2001: 9 Vgl. Senger 2001: 13 Vgl. Senger 1996: 23 Chinesen wenden Strategeme in erster Linie defensiv an, da für diese eine stabile Defensive Grundlage jeder Offensivfähigkeit ist (vgl. Holmes 2000: 2). So sagte auch Sun Tzu, dass die erste Sorge des fähigen Führers die Rechtschaffenheit seiner eigenen Kräfte ist, bevor er in der Welt konkurrieren kann (vgl. Holmes 2000: 3). Vgl. Senger 2001: 36f. Sun/Senger 2011: 133 Vgl. Sun/Senger 2011: 135 Vgl. Senger 1996: 21
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In Asien sieht man selbst Strategie als List im Sinne von Täuschungen an, damit mit geringstem Einsatz der größtmögliche Vorteil erzielt wird. 23 In Europa dagegen besitzt die List seit Ende des Achtzehnten Jahrhunderts kaum noch öffentlichen Wert. Dabei zeichnete noch ein Friedrich der Große seine Husaren bei Übungen für die verschlagensten Manöver aus und ließ gefälschte Manöverberichte veröffentlichen, damit Forscher im Auftrag ausländischer Regierungen sich über Sinn, Zweck und Sinnzweck der beschriebenen Übungen den Kopf zerbrachen.24 nachdem er sich zuvor an Spielregeln hielt und dafür teuer durch Blut und Niederlagen bezahlte.25 Dadurch lässt sich wiederum logisch erklären, warum Europäer im Vergleich zu anderen Völkern besonders List-anfällig sind26: Der amerikanische Geostratege und Gründer des texanischen Think Tanks STRATFOR, George Friedman, sagte, dass die Vereinigten Staaten von Amerika eine sehr junge Nation sind und ebenso wie ein vor zuviel Kraft strotzender Heranwachsender dazu tendieren würden, unverhältnismäßig emotional auf Geschehnisse zu reagieren, an die man sich wenige Jahre später kaum noch erinnern könne.27 China ist im Vergleich dazu eine uralte Kultur. Deren Zivilisationsgeschichte lässt sich auf mindestens 5.000 Jahre zurückdatieren, während Amerika in heutiger Form erst vor 400 Jahren zu existieren begann.28 Den europäischen Raum wiederum kann man zeitlich zwischen den Heranwachsenden und den alten weisen Mann einordnen, sodass der Europäer so gesehen der Mann im besten Alter ist, der augenblicklich dem Karrierehöhepunkt entgegenstrebt oder den Zenit bereits überschritten und den Abstieg noch nicht wahrgenommen hat. Für Menschen im besten Alter bzw. auf dem Höhepunkt ihrer Karriere ist es typisch, dass sie entweder vergessen oder ausgeblendet haben, wieviel Dreck sie fressen und wieviel miese Tricks sie auf ihrem Weg nach oben anwenden mussten, um überhaupt in die heutige Position zu gelangen. Man weiß nicht mehr bewusst, dass man selbst nur ein Emporkömmling ist, sondern sieht sich als rechtmäßig Etablierter in seinem Amte an. Da man sich aber bei allem bewussten Vergessen unbewust weiter erinnern kann und Konkurrenz im Nacken nicht mag, muss man mithilfe moralischer Verbote verhindern, dass anderen ein ähnlicher Aufstieg wie der eigene gelingt. 29 Aufgrund des eigenen gesellschaftlich anerkannten Status nimmt man sich selbst als stark, mutig und ehrenhaft dar, sodass jeder, der einen Etablierten mithilfe listiger Mittel attackiert, als schwach, feige und ehrlos wahrgenommen werden muss, weil der etablierte Siegertyp keine intellektuelle Neugierde verspürt. Neu23 24 25 26 27 28 29
Vgl. hierzu Yagyu 2008: 17: siehe hierzu auch Yagyu 2008: 113 Vgl. Kugler 2011: 168f. Vgl. Kugler 2011: 116f. Vgl. hierzu Senger 2001: 25-32; siehe auch Pache 2016: 58f.; siehe auch Pache/Langenberg 2016: 69-71 Vgl. Friedman 2009a: 48 Vgl. Senger 2008: 35 Vgl. hierzu Schmitt/Medem 1991: 116f.; siehe auch Cleary 1993: 18f.
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gierde könnte nämlich den Sieg kosten.30
Wenn ein Europäer listiges Verhalten sowohl qualitativ („ist nur was für Schwächlinge!“) als auch ethisch-moralisch („ist nur was für Feiglinge!“) entwertet und für ihn nicht sein kann, was nicht sein darf, muss er listenblind sein, weil er sich ansonsten zuvor eingestehen müsste, warum der Gegner das Spiegelbild seiner selbst ist31 – und genau das kann er nicht! Daraus schlussfolgere ich, dass man sich von europäischer Listenlogik abwenden und asiatischem Strategemdenken zuwenden kann.
3. Volkswagen Bezüglich des Volkswagen-Abgasskandals lässt sich als erstes feststellen, dass nicht nur Volkswagen, sondern die gesamte Dieselmotorenentwicklung der große Verlierer ist: Die Kosten, mit denen sich der Volkswagen-Konzern aufgrund des Skandals konfrontiert sieht, werden voraussichtlich zwischen 20 und 26 Milliarden Euro betragen. 32 Ebenso ist die Zukunft des Dieselmotors augenblicklich in eine Sackgasse geraten, weil der neue Trend die Entwicklung von Elektromotoren sind und bei Volkswagen mit dem Verlust von 25.000 Jobs gerechnet wird. 33 Lukas Bay vom Handelsblatt verkündet daher bereits prophetenhaft, dass der Dieselmotor mittelfristig aussterben wird.34 Will man die Schuldfrage klären, kann man entweder der herrschenden Medienmeinung folgen und davon ausgehen, dass nicht nur Volkswagen sondern auch das Bundesverkehrsministerium seit 2014 über die ICCT-Studie informiert gewesen sind, laut welchem Volkswagen in bestimmten Fahrzeugmodellen Manipulationssoftware verbaute, um Käufer zu täuschen, da es eine deutliche Diskrepanz zwischen Labor- und Realabgaswerten gab.35 Deutsche Behörden sollen damals im Angesicht der absehbaren Bedrohung alle vorhandenen Augen zugedrückt haben, während der VW-Konzern munter weiter trickste.36 Das erscheint aber unlogisch, wenn man bedenkt, dass erstens Volkswagens Dieseltechnologie im Vergleich zu anderen Fahrzeugherstellern – ganz besonders den amerikanischen – sowieso sauberer ist37, und zweitens der Autobauer angeblich in den meisten Fällen durch 30 31 32 33 34 35 36 37
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Manipulationssoftware entstandene Schäden durch Softwaremanipulation reparieren kann. 38 Drittens ist für Realmessungen die dem Testvorgang zugrunde gelegte Fahrweise ausschlaggebend, sodass eine erhebliche Labor-Realtestabweichung schon dadurch „fabriziert“ werden kann, dass man die den meisten Tests zugrundegelegte extrem defensive Fahrweise durch offensiveres Bremsbeschleunigen ersetzt.39 Würde das Problem dagegen einfach an der Versottung liegen 40, erscheint mir zumindest unverständlich, warum Volkswagen (1,6) im Realtest erheblich niedrigere Stickoxidwerte als BMW abliefert (5,8), auch wenn hier ein VW Golf und ein BMW X1 und damit quasi Äpfel mit Birnen verglichen werden.41 Wenn viertens VW-Konzernchef Matthias Müller angibt, dass als Konsequenz des neuen Softwareupdates mit einer möglicherweise um drei bis fünf Km/h verminderten Höchstgeschwindigkeit zu rechnen ist,42 kann das in Bezug auf ein Land der (auf maximal 120 km/h Höchstgeschwindigkeit) begrenzten Möglichkeiten kein ausschlaggebendes Hindernis sein, auf notwendige Maßnahmen zu verzichten, sofern man nicht davon ausgeht, dass einer der weltgrößten Autokonzerne seit Jahrzehnten nicht nur die amerikanische Verbrauchermentalität missverstanden43, sondern noch nicht einmal begriffen hat, dass in die USA Produkte exportierende ausländische Unternehmen von amerikanischen Gerichten bei Schadensfällen wie amerikanische Produzenten oder Händler behandelt werden.44 Betrachtet man dann allerdings, dass der Hauptunterschied zwischen europäischer und amerikanischer Regulierungsphilosophie darin besteht, dass der Europäer typischerweise sofort bei Abzeichnung von Problemen agiert, während der Amerikaner erst nachträglich auf entstandene Probleme reagiert45, liegt die Wahrscheinlichkeit nahe, dass bezüglich des Abgasskandals überhaupt kein greifbares Problem vorlag – beispielsweise, weil laborexperimentelle Abgasoptimierung Usus bei allen Autohersteller ist -, stattdessen ein Problem durch PR-Agenturen medial inszeniert worden
38 Vgl. Gerhard/Breitlinger 2015: 1 39 Vgl. Unbekannter Autor 2015 40 Versottung beschreibt das Phänomen, dass „beim chemischen Prozess, bei dem Dieselabgase durch Harnstoff von Stickoxiden befreit werden, [...] durch Kohlenwasserstoff, Kondenswasser und Ruß auf die Dauer ein Schleim [entsteht]. Er setzt den Motorleitungen und Komponenten der Abgasreinigung zu. Um das zu vermeiden, fährt die Motorelektronik die Abgasreinigung bei kalten Temperaturen herunter oder setzt sie sogar ganz aus. Dank dieser Lösung, "Thermofenster" genannt, bleiben zwar die Leitungen frei und werden die Bauteile geschützt, aber die Abgase werden eben auch nicht von Stickoxiden gereinigt“ (vgl. Harloff 2016). 41 Vgl. Harloff 2016; vgl. hierzu Unbekannter Autor 2015 42 Vgl. Gerhard/Breitlinger 2015: 2 43 Siehe hierzu Unbekannter Autor 2007 44 Vgl. hierzu Ermert 2011: 138 45 Vgl. hierzu Mildner/Schmucker 2010
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und – biblisch gesprochen –46 „die Sache durch das Wort entstanden“ ist.47 Bedenkt man desweiteren, dass der Think Tank „Deutsche Bank Research“ noch 2011 ihren Anlegern gegenüber konstatierte, dass Diesel- und Hybrid-Fahrzeuge in den nächsten Jahren ihren Marktanteil im US-Automarkt ausbauen und „von einem Anstieg des Marktanteils von Diesel-Pkw würden vor allem deutsche Hersteller profitieren“ werden, müssten die Idioten nicht nur bei Volkswagen und der Bundesregierung, sondern gleichzeitig auch bei der Deutschen Bank Research zu suchen sein48, wobei dann die Frage interessant ist, wieso ein idiotischer Think Tank im Jahr 2015 als zweitbester Best-for-Profit Think Tank der Welt gelistet wird. 49 Und auch Bosch muss der prominenten Riege deutscher Idioten zugerechnet werden, da diese sogar noch 2013 von zukünftig zehn Prozent Diesel-Marktanteil für die USA ausgegangen sind.50 Geht man stattdessen davon aus, dass laborexperimentelle Abgasoptimierung beim Testen von Dieselmotoren internationaler Standard und Deutsche keine Idioten sind, lässt sich relativ einfach erklären, warum amerikanische Gerichte in diesem Fall aktiv geworden sind: George Friedman sagt, dass Amerika angesichts innenpolitischer Wirtschaftsprobleme zum Schutz des Binnenmarktes jederzeit Maßnahmen in die Wege leiten könnte, wobei er explizit die Erhöhung von Importzöllen anspricht.51 Solch ein Schritt erscheint aber eher unwahrscheinlich, weil er für eine voneinander in weitem Maße abhängigen Weltwirtschaft zu risikobehaftet ist. 52 Fakt ist allerdings, dass in den Vereinigten Staaten erstens seit über einem Jahr Wahlkampf herrscht und zweitens der industrielle „Rostgürtel“53 der USA besonders stark von Auslandsjobverlagerung und industriellen Importgütern betroffen sind.54 Amerikanische Dieseltechnologie hinkt der europäischen Technik weit hinterher, weshalb die von einem Abgasskandal betroffenen Unternehmen keine amerikanischen Autokonzerne, sondern ausländische Unternehmen sind.55 In der für den amerikanischen Markt wichtigsten Fahrzeugklasse – den sogenannten „Light Vehicles“ -, bieten amerikanische Hersteller laut einer Bosch-Studie erst seit dem Jahr 2013 „nach langer Zeit wieder Selbstzünder an“, und neben Volkswagen hätte Bosch bei Light Vehicle-Diesel dauerhaft am meisten profitiert, da Bosch neben Die46 47 48 49 50 51 52 53
Vgl. hierzu Graf 2012: 149 Vgl. hierzu Gerhard/Breitlinger 2015: 3 Vgl. Heymann 2011: 1; siehe auch ebd. 7f. Vgl. McGann 2016: 107 Vgl. Reiling 2013 Vgl. Friedman 2009b: 68 Vgl. Fischer et al. 2016: 48f.; siehe auch ebd. 51 Der Begriff „Rust Belt bezeichnet die traditionellen Industrieregionen der USA, wozu die Bundesstaaten Illinois, Indiana, Michigan, Ohio und Pennsylvania hinzugezählt werden (vgl. Fischer et al. 2016: 40). 54 Vgl. Fischer et al. 2016: 41 55 Vgl. hierzu Haisenko 2015: 1
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sel-Einspritzsystemen „auch Abgasnachbehandlung, Motorsteuerung, Keramikglühkerzen und Sensoren liefert.“56 Denn Europa ist für Selbstzünder der traditionelle Heimatmarkt, wo hohe Dieselmarktanteile und demnach geringe Wachstumschancen vorliegen. 57 Will man daher der eigenen Wirtschaft einen Vorteil verschaffen, liegt eine behördliche Untersuchung der öffentlichen Abgasvorwürfe gegen Europas Autokonzerne nahe, denn erstens arbeiten Behörden langsam, sodass die Zeit dazwischen durch mediale Spekulationen überbrückt werden kann, zweitens lässt sich – wenn Behörden im Interesse der Öffentlichkeit gegen Unternehmen ermitteln – immer etwas finden, das nach irgendeiner Rechtsprechung irgendwie und irgendwo verboten ist, sodass Volkswagens Zustimmung zum gerichtlichen Vergleich weniger an ein Schuldeingeständnis und mehr an ein Schutzgeld erinnert, das verhindern soll, dass angeheuerte Schläger VWs Ladeninventar zerstören. Daher kommt auch in Zukunft der dreckigste Diesel aus Amerika, während Volkswagen „bei großem Abgastest vergleichsweise gut abschneidet.“58 Einzig entscheidend ist aber, dass all das nach dem Abgasskandal für Amerikas Light Vehicle-Markt vorläufig keine Rolle mehr spielt: Der „Light-Vehicle“-Kunde kauft den Diesel nicht.59 Für diese Hypothese spricht der letzte Satz in einem FAZ-Artikel vom 12.10.2016 zu werten. Dieser besagt, dass Volkswagen zukünftig nicht alles „bis zur letzten Schraube ausreizen“ wolle, was bei den Kohlendioxid-Messungen technisch und rechtlich möglich ist.60
Amerikas medial-politischer Paranoid Style Der Watergate-Skandal gilt als „die Geburtsstunde der Pressemacht innerhalb Demokratien 61“ und Präsident Nixon als erstes prominentes Opfer einer neuen Variante der amerikanischen Paranoid Style-Politik. Der Begriff des „Paranoid Style“ beschreibt hierbei die Hebelwirkung, den Zorn und Anfeindungen kleiner Gruppen in der amerikanischen Politik besitzen. Hierbei wird den betreffenden Akteuren nicht paranoides Verhalten, sondern die Benutzung paranoider Sprache unterstellt, die mehr oder weniger „normale Menschen“ an paranoides Verhalten erinnern würde.62 Würde man einen Staat als einen geschlossenen Körper ansehen, wäre der Paranoid Style eine amerikanische Immunabwehrreaktion, die immer dann auftritt, wenn Amerikanern ein ausländisches 56 57 58 59 60 61 62
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System bekannt wird, von dem man befürchtet, dass es besser als ein inländisches System sein könnte, woraufhin man apokalyptisch anmutende Shitstorms auf das fremde Neue ablässt. Vor den Illuminaten fürchtete man sich beispielsweise Anfang des Neunzehnten Jahrhunderts, weil diese als Boten der Französischen Revolution galten.63 Das Mitte des Neunzehnten Jahrhunderts ins Visier geratene Habsburger Kaiser- und Königreich Österreich-Ungarn stand als Musterbeispiel für einen funktionierenden multiethnischen Staat64, und die Kommunisten Mitte des Zwanigsten Jahrhunderts vertraten eine dem einfachen amerikanischen Bürger attraktiv erscheinende Ideologie, während zeitgleich die unterentwickelte Sowjetunion enorme wirtschaftliche Wachstumsraten vorbrachte, die das entwickelte Amerika nicht hervorbringen konnte. Dasselbe gilt für die europäische Dieseltechnologie, die im Vergleich zu amerikanischen Selbstzündern um Jahrzehnte fortgeschrittener ist und gleichzeitig weniger verbraucht und trotzdem mehr Leistung anbietet. In all diesen Fällen wurden von Amerika Variationen des elften Strategems benutzt und entweder der Pflaumenbaum anstelle des Pfirsichbaumes verdorren lassen, oder der Pfirsichbaum anstelle des Pflaumenbaums gefällt.65 Daher wurden zum Schutz vor der Französischen Revolution stellvertretend Adam Weishaupts kleine Illuminatenvereinigung angegriffen, anstelle der Habsburger Dynastie die größere Katholische Kirche attackiert und „der böse Russe“ als Manifestation eines menschenverachtenden Kommunismus kreiert.66 Dadurch, dass man auf Volkswagen einschlägt, konnte wiederum Europas Vorsprung durch Technik entwertet werden, weil Europas Autokonzerne entmutigt und Amerikas Käufer vorläufig abgeschreckt sind. Das dreizehnte Strategem besagt hierbei, dass man durch auf Gras schlagen Schlangen aufscheucht. 67 Bezüglich des Abgasskandals bedeutet es, dass alle Dieselanbieter dieselben Abgastests wie Volkswagen durchführten, weil diese „Tricks“ schlichtweg legal gewesen sind, sich aber nicht dazu öffentlich bekennen, um nicht ebenfalls an den öffentlichen Pranger gestellt und finanziell noch stärker als so schon bereits geschädigt zu werden. Dieses Verhalten erscheint aber unlogisch, weil Defensive wie ein Schuldeingeständnis wirkt und der gesamten Dieseltechnologieentwicklung im Sinne des neunzehnten Strategems das Brennholz unter dem Kessel wegzieht.68 Vor allem dann, wenn man über Abstraktionsfähigkeit besitzt und den Volkswagen-Abgasskandal mithilfe von Erkenntnissen aus der Blitz-und-Donnerforschung aus einer anderen Perspektive sieht. 63 64 65 66 67 68
Vgl. Hofstadter 1964: 78f. Vgl. Hofstadter 1964: 80f. Vgl. Senger 1992: 176-202 Vgl. Hofstadter 1964: 78-81 Vgl. Senger 1992: 261-251 Vgl. Senger 2004: 71-155
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Blitz und Donner Blitze sind natürliche Funkenentladungen. Diese heizen die Luft um sich herum auf bis zu 30.000 Grad auf und bringen Luftbestandteile zum Glühen, wodurch Blitze überhaupt erst sichtbar sind. 69 Donner ist das Geräusch, wenn die Luft aufgrund plötzlicher Ausdehnung beim Durchgang des Hauptblitzes die Schallmauer durchbricht.70 Vom Ursprungsort des Schallknalls ausgehend bewegt sich eine Druckwelle in alle Richtungen hin weg. Außerhalb seiner unmittelbaren Umgebung ist der Schallknall nicht mehr als Knall, sondern aufgrund der gestreckten Druckwelle nur noch als andauerndes Raunen und Rollen ohne feststellbare Lautstärkespitze zu vernehmen. Dieses physikalische Phänomen wird gemeinhin als Donnerhall bezeichnet. Sofern man davon ausgeht, dass die Medien bei Skandalen der Donner sind, der schallen, knallen und herumposaunen kann, müssen amerikanische Gerichte Blitzschleudern und die Klage einreichenden Anwälte Blitzschleuderer sein. Wenn Blitz und Donner an sich auch nicht todesgefährlich sind, so verursachen sie dennoch Furcht und Schaden, da Sie einerseits kulturübergreifend seit Urzeiten als Zeichen göttlichen Zorns gelten, andererseits bei Teil- und Schrittspannungstreffern Quelle schwerer und vielfältiger Verletzungen sind.71 Der Donner an sich ist nicht gefährlich, er besagt einfach nur, dass man sich in potenziellem Blitzeinschlagsgebiet befindet, wo ein Blitz in unmittelbarer Nähe einschlagen kann. Und sofern „man einige Hinweise beachtet, kann man das Risiko [vom Blitz getroffen zu werden] sehr gering halten.“72 Die Blitz-Autoren schlagen hierfür die Schutzsuche in geschlossenen Räumen, das Fernhalten von vereinzelt stehenden Bäumen und Strommasten sowie den Verzicht auf Reiten und Golfspielen während des Gewitters vor.73 Wenn man Automobilkonzerne als Bäume ansieht, kann eine Parallele zu den Union-Busting-Verhaltensregeln der Gewerkschaften gezogen werden, da Union Busting ebenfalls nach dem Blitz-und-Donner-Prinzip funktioniert.74 Hans-Martin Wischnath von der DGB Rechtsschutz GmbH empfiehlt Gewerkschaftsmitgliedern, die von Union Busting betroffen sind, die Einbindung der Gesamtbelegschaft, Kundenmiteinbeziehung und Einschaltung der Öffentlichkeit.75 So gesehen ist es 69 70 71 72 73 74 75
Vgl. Daub et al. 2006: 3 Vgl. Daub et al. 2006: 8 Vgl. Daub et al. 2006: 21-23 Vgl. Daub et al. 2006: 21 Vgl. Daub et al. 2006: 22f. Vgl. Leonhardt 2016: 3-5 Vgl. Wischnath 2014
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unlogisch, wenn vom Abgasskandal betroffene Automobilkonzerne einander im Regen stehen lassen, anstatt dass sie zusammenstehen, damit ein Blitz nicht mehr auf Einzelbäume, sondern auf sich gegenseitig Schutz bietende Wälder trifft.
Das Meinungsjournalismusphänomen Die Professorin für Neurowissenschaften am University College of London, Tali Sharot, fand heraus, dass Menschen normalerweise auf ein positives Erlebnis lieber ein wenig warten, anstelle dass sie es sofort erleben wollen und machte hierfür die Macht der Vorfreude verantwortlich; dass es Menschen also Vergnügen bereitet, sich ein kommendes Ereignis vorzustellen- 76 Wenn es dagegen um ein negatives Erlebnis wie Schmerzen geht, entscheiden sich die meisten Menschen umgekehrt und wollen die Sache so schnell wie möglich hinter sich bringen.77 Jetzt muss man sich überlegen, was für den Medienschaffenden das größtmöglich vorstellbare negative Erlebnis sein dürfte: Ich gehe davon aus, dass es die Angst ist, dass man „die große Story“ in Händen hielt und diese aufgrund des eigenen professionellen Skeptizismus 78 aus den Händen entglitt, sodass ein anderer von karrierefördernden Schlagzeilen profitierte. Denn selbst der rasende Reporter der Hintertupfinger Lokalnachrichten könnte insgeheim davon träumen, ein gefürchteter Enthüllungsjournalist wie Bob Woodward oder Seymour Hersh zu sein, der Präsidenten zu Fall bringt, Pulitzerpreise erringt und dessen Rolle von einem Robert Redford auf der großen Kinoleinwand verkörpert wird.79
Am Watergate-Skandal arbeiteten im Jahr 1972 allein in Washington mehr als 400 Journalisten, von denen 15 ein halbes Jahr lang ausschließlich mit der Sache beschäftigt waren. 80 Der Aufwand war enorm, die erzielten Erkenntnisse vergleichsweise bescheiden, doch als Ergebnis brachten sie einen Präsidenten zu Fall. Wie sieht aber die Situation des Recherchejournalismus heute aus? Heutzutage gibt es kaum noch zeit- und kostenintensiven Recherche-, sondern in erster Linie nur noch günstigeren Meinungsjournalismus81, was soviel bedeutet, alsdass Medienmacher einander so lange kopieren, bis eine von der Ursprungsmeldung stark abweichende bzw. widersprüchliche 76 77 78 79 80 81
Vgl. Sharot 2014: 147-149 Vgl. Sharot 2014: 149-153 Vgl. hierzu Leonhardt 1976: 8f. Vgl. hierzu Schudson 2004: 1234 Vgl. hierzu Schudson 2004: 1232f. Marie Luise Kiefer schreibt hierzu, dass laut Angaben des „Project for Excellence in Journalism“ amerikaweit im Jahr 2009 insgesamt 5900 Redaktionsstellen in den Medien gestrichen worden sind, womit seit dem Jahr 2001 ein Drittel aller damaliger Redaktionsstellen verschwunden sind. (vgl. Kiefer 2011: 6).
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Schlagzeile entstanden ist: Die Nachricht über eine Bosch-Dieselmarktstudie vom 06.08.2013 liest sich beispielsweise unter anderem bei Christiane Brünglinghaus, Gert Reiling sowie einem unbekannten Autor im Auto-Medienportal.net beinahe wortgleich, wobei aber nicht ersichtlich wird, wer der ursprüngliche Verfasser der Nachricht gewesen ist. Im Zweifel Bosch selbst.82 Dieses Phänomen umfasst hierbei nicht nur das bereits erwähnte Hintertupfinger Lokalblatt, sondern „selbst Qualitätsblätter stellen ihre Berichterstattung vom teuren Recherche- auf den preiswerteren Meinungsjournalismus um.“83 Dadurch steigt aber das Risiko, dass Journalismus seine Soll-Funktionen nicht mehr erfüllen kann. Eine Funktion des Journalsismus ist es, dass sich gesellschaftliche Verständigung an intersubjektiv erfahrbarer Wirklichkeit und „nicht etwa an realitätsfremden (fiktionalen) Selbst- und Fremdbildern oder Ideologien“ orientiert.84 Ansonsten verkommt Journalismus zu einem medialen „Stille Post“-Kinderspiel, was staatliche Medienlenkung insofern unnötig macht, da eine oft genug kopierte Ursprungsmitteilung sowieso widersprüchlich und damit konspirativ verwertbar wird.
Schlussfolgerung Volkswagen ist Opfer eines typisch amerikanischen Paranoid-Style-Shitstorms geworden, bei dem amerikanische Medien übertrieben skandalisieren und europäische Medien sich übertrieben empören. In dem Augenblick, als die ersten Meldungen in Amerikas Medien erschienen und die Skandalwelle ihren Anfang nahm, hätten Europas Dieselbauer einfach nur den Schulterschluss wagen und - sich gemeinsam zur Verwendung des legalen Abgastestsystems bekennend -, zusammenstehen müssen. In diesem Fall wäre die Sache wahrscheinlich nichts weiter als Randnotiz in den Medien geblieben und es wäre schnell wieder Ruhe auf dem weltweiten Dieselmarkt eingekehrt.
Alles hier Genannte dürfte der amerikanischen Regierung nicht unbekannt sein. Deshalb kann sie auch im Sinne des achten Strategems85 handeln und guten Gewissens neue Abgasgesetzgebungen beschließen, „die zukünftig eine verbrauchsorientierte Besteuerung vorsieht.“86 Denn es ist abseh82 83 84 85 86
Vgl. Brünglinghaus 2013; vgl. hierzu Reiling 2013; vgl. Unbekannter Autor 2013 Vgl. Kiefer 2011: 6 Vgl. Kiefer 2011: 8 „Sichtbar die Holzstege wieder instand setzen, heimlich nach Chencang marschieren“ (vgl. Senger 1992: 140-155). Vgl. Brünglinghaus 2013; vgl. hierzu Reiling 2013; vgl. Unbekannter Autor 2013
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bar, dass übereifrige Medienakteure aus reinem Eigennutz fortschrittliche ausländische Dieseltechnologie ins Visier nehmen werden, wodurch diese im Sinne des dritten Strategems mit dem Messer eines anderen getötet wird.87 Man muss verstehen, dass Amerikas Geschichte voll von Skandalisierung und leer von echter Empörung ist. Bevor europäische Autokonzerne die Dieselforschung und -entwicklung zurückfahren und leichtfertig ihren Vorsprung durch Technik verspielen, um sich zukünftig verstärkt dem Elektroautotrend zu widmen, sollte man sich fragen, woher dauerhaft all das für Elektroauto-Akkumulatoren88 notwendige Lithium herkommen soll, wenn bereits Tesla angibt, dass sie allein in naher Zukunft die aktuelle Weltjahresproduktion an Lithium benötigen würden und – sofern tatsächlich ein globaler Elektromotorenhype ausbricht –, „die zu aktuellen Marktpreisen erschließbaren [Lithium-] Vorräte in der Erde bis Mitte des Jahrhunderts [erschöpft sein dürften], auch wenn ein Teil des verbrauchten Lithiums recycelt werde-“89 China ist aktuell der größte Absatzmarkt für Elektrofahrzeuge, allerdings profitieren bislang nur einheimische Kleinwagenhersteller davon. Dabei kaufen Chinesen nicht Elektroautos einfach der Umwelt zuliebe, sondern weil in acht chinesischen Großstädten Nummernschilder für Benzinmotorfahrzeuge nicht vergeben, sondern verlost werden.90 Allerdings werden weder Chinesen noch Amerikaner so kurzsichtig sein und verkennen, dass vierzig Millionen Tonnen Lithiumressourcen91 viel zu wenig sind, um allzu viel in Elektrofahrzeuge zu investieren, da ansonsten dauerhaft nicht nur Elektroautos, sondern auch Glas und Keramik (sprich: Solarpanels), Klimaanlagen, Handys, Computer, Polymere und selbst Schmierfette deutlich teurer werden, weil in allen genannten Produkten ebenfalls Lithium verarbeitet wird.92 Der antike Philosoph Sophokles sagte zwar, „man soll den Tag nicht vor dem Abend loben“ 93, allerdings kann mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass hier auf das sechste Strategem zurückgegriffen und ein Ablenkungsmanöver inszeniert wird. Hierzu heißt es, dass es oft möglich ist, „den Gegner in eine schwierige Lage zu versetzen, in der er falsch urteilt und handelt, so dass er seine Überlegenheit und Initiative einbüßt.“94 In diesem Fall würde man der dürren 87 Vgl. Senger 1992: 62-87 88 Batterien sind genau betrachtet nicht-wiederaufladbare Energiespeichereinheiten. Wiederaufladbare Energiespeicher werden als „Akkumulatoren“ bezeichnet (vgl. Backhaus et al. 2011: 11). 89 Vgl. Stau 2016: 75 90 Vgl. Eckl-Dorna 2016: 1 91 Vgl. US Geological Survey 2016: 2 92 Vgl. US Geological Survey 2016: 1 93 Eigene Übersetzung. Der Originaltext lautet: „One must wait until the evening to see how the day has been“ (vgl. Coram 2004: 3f.). 94 Vgl. Senger 1992: 107
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Elektroauto-Zukunft eine schön verputzte Fassade aufsetzen und im Sinne des 29. Strategem den dürren Baum mit falschen Blättern schmücken.95 Daher ist dasselbe Geschehen zu erwarten wie im Falle der Evolution: „Es ist denkbar, dass dass die leicht erreichbaren Rohstoffe […] in der Tat besser verfügbar, aber nach einmaliger Verwendung verbraucht sind. Die Gußformen, die sich auf die Ausbreitung dieser Rohstoffe spezialisiert haben, werden sich eine Zeitlang explosionsartig vermehren, um bei Versiegen der Rohstoffvorräte in aller Stille auszusterben und genügsameren Varianten Platz zu machen.“96 Sollten die Europäer daher tatsächlich darauf reinfallen und zugunsten des Elektrofahrzeugs ihre Dieselentwicklung zurückfahren, würden sie ihr eigenes Grab schaufeln – 24. Stategem -97 indem sie ihren Vorsprung durch Technik aus der Hand geben, während Amerikas eigene Autoindustrie die tragenden Bauelemente im Inneren heimlich verändert – 25. Strategem -,98 und Europas Dieselvorsprung aufzuholen versucht. Später wird man zum allgemeinen Erstauenen die unerwartete Wiedergeburt des Diesels auf Amerikas „Light-Vehicle“-Markt erleben, wobei europäische Autos gegenüber technisch mittlerweile konkurrenzfähigen amerikanischen Fahrzeugen nur noch marginale Vorteile besitzen, sodass nicht mehr die Technik, sondern wieder nur Preis und Vermarktung ausschlaggebende Kaufargumente sind. Strategemisch gesprochen wurde damit zuletzt nicht der Dieseltechnologie, sondern nur den darin bis dahin marktführenden Europäern das Brennholz unter dem Kessel weggezogen, 19. Strategem.99 Diese Schlussfolgerung stimmt auch mit Rupert Wilkinsons vierter amerikanischer Urangst überein, die die feindliche Übernahme Amerikas und die daraus folgende amerikanische Abhängigkeit von Ausländern, egal ob diese Europäer, die Katholische Kirche oder die UNO sind, der vor allem die sogenannten „Blues“, weißen, protestantischen, ländlichen und suburbanen Mittelklasse im Mittleren Westen, Süden und Südwesten“ unterliegen.100 Franzosen als Chinesenähnliche Kultur hatten dagegen immer eine Vorliebe für Ausländer und deren Ideen, 101 womit der Strategemkreislauf am Anfangspunkt geschlossen ist.
95 Vgl. Senger 2004: 518-522 96 Vgl. Bayer 1996: 16 97 Vgl. Senger 2004: 307f. 98 Vgl. Senger 2004: 343-398 99 Vgl. Senger 2004: 71-155 100Vgl. Ostendorf 2011: 98 101Vgl. Jünger 1962: 75
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