Home
Das Absterben des Staates in Jugoslawien: Von der Partisanenrevolution zum Marktsozialismus
Das Absterben des Staates in Jugoslawien: Von der Partisanenrevolution zum Marktsozialismus
Description
321
Gal Kirn Das Absterben des Staates in Jugoslawien: Von der Partisanenrevolution zum Marktsozialismus Das sozialistische Jugoslawien als politische, ideologische und kulturelle Entität wird vornehmlich in einer geschichtsrevisionistischen Perspektive interpretiert, die das Land vom Gesichtspunkt seines tragischen und gewaltsamen Auseinanderbrechens aus als ein homogenes, von Tito geführtes Monster dämonisiert.1 Jugoslawien sei eine totalitäre Diktatur gewesen, geprägt durch Gewalt und Personenkult als Teil einer düsteren Vergangenheit, die es zu vergessen gelte.2 Dieser Vergangenheit, die in der Zeit der Bürgerkriege in den 1990er Jahren zusätzlich mittels der rassistischen Konstruktion eines »dunklen Balkans« charakterisiert wird, wurden die neuen National- bzw. nationalistischen Staaten vor dem strahlenden Horizont einer europäischen Zukunft als einzige Alternative gegenübergestellt.3 Dieser dominanten Strömung stellte sich subkulturell eine »Jugo-Nostalgie« entgegen, die die Vergangenheit idealisierte und Tito zum großen Führer heroisierte, der ein »gutes Leben« in sozialer Sicherheit garantiert habe.4 Beide Strömungen, die im Alltagsleben und in politischen Diskursen durchaus gegenwärtig sind, trugen zur Vereinfachung der Geschichte bei. Aus theoretisch-kritischer Perspektive wurde eine andere Position bedeutsam, die den jugoslawischen Sozialismus (oder auch jeden anderen) als eine staatskapitalistische Formation betrachtet, die sich als unfähig erwies, eine Alternative zum Kapitalismus zu entwickeln. Alle diese Sichtweisen – ob kritisch, subkulturell oder dem Mainstream zugehörig – zeigen sich im negativen oder positiven Sinne fasziniert von der Dimension des repressiven sozialistischen Staates. 1 Zur makro-historischen Rolle und ideologischen Funktion des Geschichtsrevisionismus siehe Losurdo 2015. Losurdo zeigt dort, dass nicht nur der Kommunismus, sondern auch das jakobinische und alles revolutionäre Erbe seit den 1970er Jahren unter heftigen Beschuss der westlichen Geschichtsschreibung geraten sind. Mit dieser Methode wird nicht nur der Zusammenhang von Faschismus und Liberalismus im vergangenen Jahrhundert verschleiert, sondern auch der Boden bereitet für das »Ende der Geschichte« und für die Gleichsetzung von Kommunismus und Faschismus. 2 So geht der vorherrschende politische und journalistische Diskurs, dies ist die neue Linie der Museen; in meiner Heimat Slowenien wird diese Linie geprägt durch einen think-tank um die Zeitschrift Nova Revija, der eng mit den konservativen Parteien und der katholischen Kirche verbunden ist. In der Praxis bedeutet diese Linie Rehabilitierung der im Zweiten Weltkrieg agierenden lokalen faschistischen Heimatschutzverbände in Slowenien (der Ustascha in Kroatien, der Tschetniks in Serbien usw.) als die eigentlichen Opfer von »totalitärer Gewalt« und als Menschen und Gruppen, mit denen man sich, um vom Trauma der kommunistischen Spaltung der Nation befreit in die Zukunft gehen zu können, versöhnen muss. 3 Eine treffende Kritik des post-jugoslawischen orientalistischen und rassistischen Diskurses s. bei Močnik 1999. 4 Hierzu s. Velikonja 2009. Erst in jüngerer Zeit gibt es eine wohlmeinendere Annäherung an den historischen Einfluss des Sozialismus in Kulturstudien, die den Lebensalltag zum Gegenstand haben. Ein gutes Beispiel sind die Forschungen des Geschichtsinstitutes in Pula (Kroatien). DAS ARGUMENT 317/2016 ©
322
Gal Kirn
Dagegen sieht der folgende Text die Einmaligkeit des jugoslawischen Weges im »Absterben des Staates«. Dabei geht es nicht nur um einen theoretischen Bezug auf Marx und Lenin, sondern darum, die sehr zweideutigen Formen dieses Absterbens zu untersuchen. Zuerst wird dieser Prozess positiv in der Abfolge von drei Brüchen der Partisanenrevolution 1941–45, 1948–61 und 1955–61 behandelt; zweitens wird er von einem kritischen Standpunkt aus als liberales »Absterben des Staates« in der »Marktreform« nach 1965 untersucht. Jugoslawien erweist sich als der historische Ort, an dem diese drei partisanenhaften Brüche (partisan ruptures) die Wirkung politischer Skandale entfalteten: erstens die Realisierung der einzigen erfolgreichen selbständigen antifaschistischen Revolution in Europa während des Zweiten Weltkriegs; zweitens der in der Kritik am Stalinismus bestehende erste Bruch in der internationalen Arbeiterbewegung; und drittens die Entwicklung Jugoslawiens als des einzigen europäischen Staates, der maßgeblich in der Bewegung der Blockfreien mit ihrer Kritik an den imperialistischen Blöcken beteiligt war. Anschließend wird die Dynamik der sozialistischen Übergangsformation als eine spannungsreiche Kombination von kommunistischen und kapitalistischen Elementen analysiert.5 Statt den Sozialismus als homogene Einheit zu betrachten, die a priori auf Staatskapitalismus oder Totalitarismus hinauslaufen muss, geht es darum, seine positiven und regressiven Tendenzen auf dem Feld der realen Kämpfe vor dem Hintergrund sich verändernder Beziehungen zwischen Partei und Staat und der Integration der jugoslawischen Wirtschaft in verschiedene regionale und globale kapitalistische Konstellationen zu untersuchen. Der erste Bruch: Der Freiheitskampf der Partisanen (1941– 45) Das alte Vorkriegskönigreich Jugoslawien war an der Peripherie des kapitalistischen Systems angesiedelt und so etwas wie eine »halbfaschistische Diktatur«, getragen von der serbischen Krone, in der die drei Stämme (Slowenen, Kroaten und Serben) mit Notwendigkeit zu einer jugoslawischen Nation zusammenschmelzen würden.6 Das politische Bild eines neuen Jugoslawien entstand im Zweiten Weltkrieg, als der Volksbefreiungskampf den ersten Bruch vollzog. Er war nicht einfach nur eine antifaschistische Organisation, ein Kampf gegen die Besatzung, sondern markierte einen radikalen Bruch mit entscheidenden Auswirkungen auf die Ausformung eines neuen politischen Subjekts, das die Volksmobilisierung vorantrieb und schließlich 5 Grundlage sind die Forschungsresultate von Theoretikern des (jugoslawischen) Sozialismus wie Lebowitz 2012, Samary 1988, Suvin 2014. 6 Einen guten Überblick über »Jugoslawismus« und die nationale Frage zwischen den beiden Weltkriegen s. bei dem ansonsten liberalen Historiker Banac 1984. Wie Banac richtig darstellt, war der Jugoslawismus integraler Bestandteil der frühen Positionen der KP; erst gegen Ende der 1930er Jahre wurde die Klassenfrage mit der nationalen Emanzipation verbunden. 1937 trat Tito an die Spitze der KP, die entlang der nationalen Linien des Kampfes für Gleichheit reorganisiert wurde. Dies vor allem – neben den Kämpfen und Streiks der Arbeiter – ließ die kommunistischen Organisationen zu den organisatorisch und ideologisch machtvollsten im Zweiten Weltkrieg und beim Entwerfen eines neuen Jugoslawiens werden. DAS ARGUMENT 317/2016 ©
Das Absterben des Staates in Jugoslawien
323
ein neues, föderales und sozialistisches Jugoslawien schuf, das nicht von außen aufgepfropft wurde. Zweifellos sieht sich die KP in ihrer offiziellen Geschichtsschreibung als Führungskraft im Volksbefreiungskampf – und das ist angesichts der organisatorischen Leistungen der kommunistischen Kräfte auch legitim –, aber es wäre dennoch falsch, die Entwicklung des Volksbefreiungskampfes als eine geradlinig kommunistische, unumgänglich in einen sozialistischen Staat mündende zu betrachten. Vielmehr war eine Vielzahl von antifaschistischen und demokratischen Kräften in den Volksbefreiungsfronten und Komitees vereinigt, die noch keineswegs eine einheitliche Vorstellung von der Zukunft hatten. Am Vorabend des Krieges (im April 1941) hatte die KP in Jugoslawien gerade einmal 3000 Mitglieder, während der Volksbefreiungskampf vor allem von den Bauern getragen wurde, die im alten Jugoslawien mehr als 75 Prozent der Bevölkerung ausmachten und gegen Ende des Krieges massenhaft in die KP eintraten. Die Erfahrungen des Krieges, die Wechsel in der Strategie und in der Organisation des breiten Volkswiderstands änderten die ideologische und politische Formierung der KP ebenso, wie die Begegnung der Massen mit den kommunistischen Ideen Veränderungen bei denen bewirkten, die bis dahin keine kommunistischen Überzeugungen hatten. Erinnert werden muss zugleich an die Brutalität der faschistischen Okkupation: Am Partisanenkampf teilzunehmen war gleichbedeutend mit einer Begegnung mit dem Tod. Die Zahl der Getöteten, Hingerichteten, Deportierten spricht eine klare Sprache: Neben der jüdischen, polnischen und sowjetischen Bevölkerung ist es die jugoslawische, die am schwersten betroffen war. Um die Härte des Kampfes zu verstehen, genügt aber noch nicht die Zahl der Opfer, sondern es muss das Wissen dazu kommen, dass die Partisanenbewegung nicht nur gegen die Okkupation der Nazis und Faschisten kämpfen musste (Jugoslawien war geteilt zwischen Italien, Ungarn, Deutschland, Rumänien und Bulgarien), sondern auch gegen die politischen Kräfte des alten Jugoslawien, namentlich gegen die faschistischen Kollaborateure, die Ustascha, die Heimwehren oder die Tschetniks, die angeblich die jugoslawische Exilregierung repräsentierten, die strategisch mit den Nazis zusammenarbeitete. Das führte zu dem gewaltigen (moralischen) Paradox, dass diejenigen, die sich als die größten Patrioten darstellten, in Ausführung der Befehle der faschistischen Okkupanten entweder dabei halfen oder selbst direkt Hand anlegten, Angehörige ihrer eigenen Nation hinzurichten. Es ist keine Übertreibung zu sagen, dass alle politischen Formationen außerhalb der Partisanenbewegung vereint waren im Prinzip des ethnischen Hasses, dessen Verwirklichung einerseits die Bildung ethnisch gesäuberter Regionen zur Voraussetzung hatte und andererseits eine offen antikommunistische und gegen die Partisanen gerichtete Ideologie. Es hätte nach dem Krieg kein Jugoslawien gegeben, wenn eine der Nicht-Partisanen-Formationen den Bürgerkrieg gewonnen hätte. Im Gegensatz zu diesen Variationen eines lokalen Faschismus beschränkte sich die Partisanenbewegung nicht darauf, militärische Gegenwehr zu organisieren, sondern setzte einen politischen Prozess in Gang, in dem das Volk Jugoslawiens als ein Subjekt angesehen wurde, das sich dem ethniDAS ARGUMENT 317/2016 ©
324
Gal Kirn
schen Hass und der ethnischen »Reinheit« widersetzte und sich solidarisch mit allen antifaschistischen Kampfgemeinschaften zeigte. Das politische Prinzip basierte nicht auf ethnischer Zugehörigkeit, sondern auf einer Vielfalt von Kämpfen um die antifaschistische und nationale Emanzipation wie auch um die Emanzipation der Frauen, der Minderheiten und der Klassen.7 Auch wenn dieser erste partisanenhafte Bruch ganz neue politische Vorstellungen und Formen hervorbrachte, darf nicht übersehen werden, dass einige seiner ursprünglichen Inspirationen und Quellen schon in den Prinzipien der »Einheitsfront« und des »revolutionären Krieges«) bei Lenin und Dimitroff vorkamen. Aber trotz ihrer Verbindung mit der internationalen kommunistischen Bewegung entwickelte der Volksbefreiungskampf seine eigenen politischen Modalitäten und passte die allgemeinen Prinzipien seiner besonderen Behandlung der Klassen- und der nationalen Frage an (vgl. Kardelj 1937). Ganz entscheidend war in dieser Hinsicht das zweite Treffen des Antifaschistischen Rates des Volksbefreiungskampfes Jugoslawiens im November 1943, das Delegierte von lokalen, regionalen und nationalen Komitees des Volksbefreiungskampfes versammelte. Auf diesem Treffen wurde eine provisorische Regierung gebildet, die bald zur einzigen und höchsten exekutiven Autorität in Jugoslawien wurde. Das Interregnum der Exilregierung in London war damit beendet; die Resolution des Treffens, die weit verbreitet wurde, enthielt bereits die Schlüsselideen für das neue Jugoslawien: Schaffung eines föderalen Jugoslawien mit dem Recht der Nationen auf Selbstbestimmung;8 antifaschistische Räte als die einzigen legitimen Organisationen der Volksregierung und Verwaltung; Wahl des Nationalen Komitees der Volksbefreiung Jugoslawiens zur zeitweiligen Regierung; Ernennung Titos zum Marschall und schließlich Abberufung der jugoslawischen Exilregierung und Verweigerung einer Rückkehr von König Petar Karadjordjević bis zu einer Volksabstimmung über eine neue Verfassung. Die Annahme dieser Resolution war ein wirklicher Bruch, ein zuvor völlig undenkbarer Sprung, der erfolgte, ohne auf die Stellungnahme der Alliierten zu warten. Der Bruch bezog seine Autorisierung aus sich selbst, aus seiner eigenen politischen Logik der Unabhängigkeit. Die internationale Anerkennung folgte eine Woche später auf der Konferenz von Teheran, allerdings mit einigen kritischen Einschränkungen. Aus strategischen 7 In diesem Zusammenhang sollten wir dem formalistischen Konzept Carl Schmitts vom »Partisanen«, dessen wichtigstes Bestimmungsmerkmal seine »tellurische« (ethnische!) Zugehörigkeit sein soll (2004), äußerst kritisch gegenüberstehen. Im Gegensatz zu Schmitts Auffassungen erwies sich der Partisanenkampf in Jugoslawien, den Schmitt nur ein einziges Mal in einer Gleichsetzung der Tschetniks mit Titos Partisanen erwähnt, als fähig, eine politische Entität jenseits des Bezugs zu den ethnischen Kämpfen der Vorkriegszeit zu schaffen. 8 Der dunkle Punkt der Partisanenbewegung und des neuen Jugoslawien war die Frage Albaniens und des Kosovo. Die Albaner wollten zu Albanien gehören; die KP Jugoslawiens wollte die Frage bis nach dem Krieg offen halten. Im Kosovo gab es im Februar 1945 den einzigen Fall von bewaffnetem Widerstand gegen die Partisanenmacht, und die Kosovo frage blieb ein wesentlicher Streitpunkt zwischen der KPJ und Albanien (vgl. Magaš 1993, 33f; Ramet 2006, 155f) – Eine Möglichkeit zur Vereinigung der Albaner bestand in der Idee einer Sozialistischen Balkan-Konföderation, aber dieser Prozess kam zu einem Ende, als ihn Stalin 1947/48 blockierte (vgl. Karamanić 2009). DAS ARGUMENT 317/2016 ©
Das Absterben des Staates in Jugoslawien
325
Gründen – der Möglichkeit von Invasionen auf dem Balkan und imperialen Interessen für die Nachkriegszeit – hatten die Alliierten eine lange Zeit die Tschetniks als Repräsentanten der Exilregierung unterstützt, wodurch die Partisanen von Beginn an gezwungen waren, sich autonom zu organisieren.9 Diese politische Unabhängigkeit und die Entwicklung neuer politischer Formen »erzeugten eine widerspruchsvolle Einheit von Staatsapparat und gegen den Apparat gerichteten Formen der Organisation der Massen und der direkten Demokratie« (Pupovac 2006, 20). Der »Anti-Apparat« der Partisanen koexistierte mit dem allmählichen Absterben der kollaborativen und der alten royal-bürgerlichen Politikformen; sein Gerüst wurde gebildet von den lokalen Komitees des Befreiungskampfes, die angeleitet wurden von nationalen Räten, die sowohl in den nur zeitweilig befreiten Zonen – wie etwa im September 1941 die Republik Užice – als auch in den dauerhaft befreiten Gebieten und sogar tief hinter den feindlichen Linien in den okkupierten städtischen Zentren tätig waren. Dort organisierten die Partisanen im Untergrund ein paralleles politisches und kulturelles Leben mit eigenen Zeitungen, Radiostationen, einem Netzwerk von Informanten usw.10 Zwei Organisationen erlangten besondere Bedeutung, weil sie neue Partisanen mobilisierten und Kampagnen zur Alphabetisierung, zur Grundschulbildung und zur Emanzipation entwickelten: die Antifaschistische Frauenfront (vgl. Milinović/Petakov 2010; Jančar-Webster 1990) und die Allianz der Antifaschistischen Jugend Jugoslawiens (Suvin 2014), die bis in die frühen 1950er Jahre hinein aktiv blieben. Diese Beispiele zeigen die Vielfalt der politischen Kräfte und Strömungen, die den antifaschistischen Kampf trugen. Dieser Bruch war nicht einfach die Erfüllung eines antifaschistischen Beschlusses,11 sondern er realisierte sich in neuen politischen Formen, Kämpfen und Praxen, die eine gut funktionierende kulturelle Infrastruktur mit Partisanentheatern, Forschung- und Bildungszentren, politischen Meetings und Diskussionen, Krankenhäusern und mit der Sicherung von Primärproduktion und Handel schufen (Erhebung einer Steuer für die nationale Befreiung, Beschlagnahme des Eigentums der Okkupanten). Unter diesen Bedingungen florierte überraschend – und im Gegensatz zu Ciceros inter armes musae silent – die »Partisanenkunst«: Gedichte, Grafik, Theater, 9 Es waren nicht die Briten allein, die die royalistischen Kräfte, Mihailovićs Tschetniks, unterstützten. Auch die Komintern wies die Partisanen an, sich in ihrem Kampf mit den Tschetniks zu vereinen – jenen Tschetniks, die den Kampf meist gegen sie selbst und gegen die lokale Bevölkerung nicht-serbischer Ethnien führten. 10 Zur Doppelherrschaft in Ljubljana vgl. Komelj 2009a, zur kulturellen Emanzipation und Rolle der Künste Komelj 2009b, zum illegalen Netzwerk für Partisanenkinder Štrajnar 2004. 11 Zweifellos wuchs der Einfluss der KP im Volksbefreiungskampf, und gegen Ende des Krieges wuchs ihre Mitgliedschaft geradezu lawinenartig, aber dies geschah nicht, weil die Partei hergebrachten Prinzipien folgte, sondern weil sie ihre Politik im Volk selbst verankerte. Ihr Kampf war einmal strategisch angelegt (gerichtet auf die Schaffung einer neuen politischen Entität von sozialistisch-utopischer Dimension), ein andermal taktisch (keine Erwähnung von »Revolution« oder »Jugoslawien«), aber immer auf den Widerstand gerichtet. Das Beispiel des slowenischen Befreiungskampfes zeigt, wie eine breite Koalition von linken Gruppierungen in einer Befreiungsfront vereinigt wurden. Erst 1943, mit der Dolomitendeklaration, erklärten sich die Gruppen mit der Führung durch die KP »einverstanden«. DAS ARGUMENT 317/2016 ©
326
Gal Kirn
Malerei, und dies alles unter Beteiligung vieler Nicht-Intellektueller und namenlos gebliebener Kulturschaffender.12 Miklavž Komelj hat die historisch beispiellose Hervorbringung von Kunst durch die Massen treffend analysiert: »Es war nicht notwendig, dass die Massen, die sich erstmals artikulierten, dies mit revolutionären Slogans taten; sie wurden Teil des revolutionären Prozesses einfach dadurch, dass sie sich überhaupt äußerten. Der Befreiungskampf brachte mit sich die Freiheit, sich zu äußern, und er brachte sie denen, denen dieses Recht bisher verwehrt war. Sie kämpften für dieses Freiheit, und sie begannen, sie mit Leben zu erfüllen.« (Komelj 2009a, 104f) Der Volksbefreiungskampf vollzog einen Bruch, der eine spezifische revolutionäre Massenkunst und politische Formen der Massendemokratie vor einem kommunistischen Horizont hervorbrachte. Er leitete einen Prozess der sozialen Revolution ein, der zu neuen Klassenbeziehungen und zum Übergang in ein sozialistisches Jugoslawien führte. Dass Jugoslawien einer der wenigen Staaten war, die sich aus eigener Kraft von der Nazi-Okkupation befreien konnten, war entscheidend für die Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg. Die politischen Fähigkeiten der sozialistischen Führung, unter wechselnden Umständen handeln zu können, sind dabei der eine Aspekt; der andere ist das aus diesem Umstand erwachsende Vermächtnis der Partisanen, ihre Erfahrungen und der starke Rückhalt im Volk. Ohne all dies wären die beiden anderen Brüche der Partisanenrevolution nicht möglich gewesen. Der zweite Bruch: die anti-stalinistische Selbstverwaltung (1948 – 61) Der jugoslawische Sozialismus ist vor allem für sein Modell der (Arbeiter)Selbstverwaltung – samoupravljanje – berühmt. Ihren stürmischen Beginn kann man als zweiten Bruch der Partisanenrevolution bezeichnen: Der Bruch mit Stalin 1948 eröffnete den Weg zu einem unabhängigen Sozialismus, der nicht vom Zentrum des sozialistischen Lagers aus geführt und kontrolliert wurde, und hinterließ in der Periode der Entkolonialisierung in einigen anderen kommunistischen Bewegungen Spuren. Der Konflikt zwischen der KP Jugoslawiens und Stalins Führung der internationalen kommunistischen Bewegung existierte schon im Zweiten Weltkrieg; er verschärfte sich dann rasch, zum einen, als Jugoslawien eine politische Kooperation mit Albanien und Bulgarien anstrebte, um eine sozialistische Balkanföderation zu bilden, zum anderen, als es seine Grenzen für die materielle Hilfe an die griechischen Kommunisten im Bürgerkrieg gegen die vom Westen gestützten bürgerlichen Kräfte offen hielt (vgl. Stefanos 1980; Samary 1988). 1948 kam es zum berüchtigten Kampf um das Kominform-Büro, und die jugoslawische Führung, die sich dem ökonomischen Druck nicht beugen wollte, wurde aus dem sozialistischen 12 Worte wurden in dem Moment zu Waffen, da die Massen sich an der künstlerischen Praxis beteiligten und traditionelle literarische Formen in Frage gestellt wurden. Allein in Slowenien legt eine Sammlung von mehr als 10 000 Gedichten in vier umfangreichen Bänden Zeugnis von der immensen literarischen Produktion meist anonymer und unbekannt gebliebener Dichter ab. DAS ARGUMENT 317/2016 ©
Das Absterben des Staates in Jugoslawien
327
Lager ausgeschlossen. Konfrontiert mit einer schwierigen internationalen Lage – vom griechischen Bürgerkrieg über die Triest-Frage (Grenze mit Italien) bis hin zur wirtschaftlichen Isolierung – war Jugoslawien ein weiteres Mal auf sich selbst zurückgeworfen. Die Selbstverwaltung wurde zunächst entworfen als Gegenmodell zum »stalinistischen« Modell des Sozialismus, das kein »Absterben des Staates« in die Wege leitete, sondern Bürokratisierung und eine immer stärkere staatliche Monopolisierung der Wirtschaft hervorbrachte. Dagegen berief man sich auf die Schriften von Marx und z.T. von Lenin, die die Rolle von Arbeiterräten (Sowjets) als Lebensfrage der Bewegung hin zum Kommunismus herausgearbeitet hatten. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass dieser alternative Pfad zum Sozialismus sich erneut als »Sozialismus in einem Land« vollzog. Zudem wurde die Selbstverwaltung, die in der Perspektive des Absterbens des Staates entwickelt wurde, von einem sozialistischen Staat und seinen neuen politischen Institutionen eingeführt und stark gelenkt. Weniger ironisch, aber immer noch paradox genug ist das Hauptergebnis dieses partisanenhaften Bruches: die Einführung eines neuen Eigentumstyps, der formal eigentlich als »Nicht-Eigentum« gedacht war: gesellschaftliches Eigentum. Die Schaffung dieses Eigentums sowie seine Ausdehnung auf verschiedene Gebiete (auf das Wohnen und überhaupt auf den sozialen Sektor) bedeutete, dass die Kritik am Stalinismus sich nicht auf das Diskursive beschränkte, sondern zur materiellen Wirklichkeit in den gesellschaftlichen Beziehungen wurde. Selbstverwaltung mit gesellschaftlichem Eigentum war ein weiterer Schritt weg von der Verstaatlichung der Produktionsmittel und der damit zusammenhängenden Machtkonzentration im Staat, die von den Theoretikern der jugoslawischen Kommunisten als ein Haupthindernis auf dem Weg zum Kommunismus betrachtet wurde.13 Die Einführung gesellschaftlichen Eigentums bedeutete, dass niemand und jeder für das Management der Produktionsmittel Verantwortung trug. Jeder sollte über die Löhne und die Akkumulation von (gesellschaftlichem) Kapital mitentscheiden und darüber hinaus auch am Gebrauch und der Organisation der kulturellen und sozialen Infrastruktur teilhaben. Die Selbstverwaltung wurde zuerst in der Wirtschaft in verschiedenen Betrieben getestet und erhielt später die Weihe der marxschen Maxime von der »Assoziation der Produzenten«. Wenn wir anerkennen, dass die frühen jugoslawischen Theorien der Selbstverwaltung viel aus Marx‘ Der Bürgerkrieg in Frankreich und Lenins Staat und Revolution entnommen hatten, sollten wir zugleich genau darauf achten, welche wichtigen Wendungen und Neubewertungen sich vollzogen, als die Selbstverwaltung nicht nur in Gesetzestexte, sondern in die ökonomische, politische und ideologische Praxis übersetzt wurde. Die Ausdehnung der Arbeiter-Selbstverwaltung auf die Gesamtgesellschaft war widerspruchsvoll und hatte sehr unterschiedliche Wirkungen: 13 Die Schlüsselrolle unter den Theoretikern der Selbstverwaltung spielte nicht – wie heute allgemein angenommen wird – der spätere Chefideologe der Partei Edvard Kardelj, sondern Boris Kidrič, der schon 1948 auf dem 5. Parteitag der KPJ die Neuorientierung der jugoslawischen Politökonomie diskutierte. DAS ARGUMENT 317/2016 ©
328
Gal Kirn
Schaffung von Arbeiterräten, die tatsächlich die Teilhabe der Arbeiter erst an der Wirtschaft, später auch im öffentlichen und kulturellen Sektor sicherten; Dezentralisierung des Staatsapparats, womit die Übertragung der Macht auf die Ebene der einzelnen Republiken und auf die lokale Ebene (Kommunen) übertragen wurde; aber dann auch das unerwartete Aufkommen eines neuen Regulationsregimes, das durch Marktflexibilität und eine daran sich anschließende Integration in kapitalistische Finanz- und Wirtschaftskreisläufe gekennzeichnet war.14 In den frühen 1960er Jahren endeten die radikalsten und progressivsten Experimente dieses Sonderweges. Dennoch blieb die Selbstverwaltung das Markenzeichen eines unabhängigen Pfades zum Sozialismus innerhalb des internationalen Kommunismus, einer Abspaltung, die das Idealbild des »real existierenden Sozialismus« in Frage stellte. Auch das ist ein Grund dafür, die jugoslawische Erfahrung als eine wichtige Quelle der revolutionären Vergangenheit zu betrachten. Der dritte Bruch: Die Bewegung der Blockfreien als Alternative zum Kalten Krieg (1955 – 61) In den meisten Büchern zur Geschichte wird die Zeit von 1945 bis 1990 als die Ära des Kalten Krieges bezeichnet. Das ist irreführend, denn es gab – wenn dieser Term noch einen politischen Wert haben sollte – einen »dritten Weg«. Der Beitritt zu den blockfreien Staaten geschah nicht, um Neutralität zu predigen, sondern basierte auf einer klaren politischen Orientierung: nicht eingebunden zu sein in einen der imperialistischen Blöcke und deren jeweilige Vorstellung von der Welt. Soweit die Partisanenrevolution eine gewisse weltweite Wirkung entfaltete, bestand sie v.a. im jugoslawischen Beitrag zur Idee der Bewegung der blockfreien Staaten in Bandung 1955 und dann auf der ersten Konferenz in Belgrad 1961. Auch wenn sich diese Bewegung nicht in die militärischen oder inneren Angelegenheiten anderer Länder einmischte, setzte sie sich doch für die Fortsetzung der Entkolonialisierung ein und produzierte damit einen Riss in der Landkarte des Kalten Krieges mit ihren neokolonialistischen Farben. Die Blockfreien engagierten sich für eine nicht-imperialistische Weltordnung mit einer gerechten Organisation der internationalen Beziehungen; wichtigstes Forum dieser Welt sollte – abgesehen von den an wechselndem Ort stattfindenden Konferenzen der Blockfreien – die UNO sein (vgl. Rubinstein 1970; Prashad 2007). In dieser Zeit beteiligte sich die jugoslawische Wirtschaft stärker an längerfristig angelegten Planungen der Infrastruktur und der Wirtschaft der gerade erst unabhängig gewordenen nichtpaktgebundenen Länder. Jugoslawien entsandte 14 Einer neueren Studie von Vladimir Unkovski-Korica (2014, 108-34) zufolge war das Modell der Selbstverwaltung schon von seinem Beginn an auf eine Integration in den kapitalistischen Weltmarkt gerichtet. Allerdings war das damals nur das erste Aufscheinen einer Idee, denn Jugoslawien blieb ökonomisch und politisch isoliert, und die Frage der massenhaften Zustimmung und Mobilisierung überwog bei weitem die der wirtschaftlichen Spontaneität, die erst in den 1960er Jahren an Gewicht gewann. DAS ARGUMENT 317/2016 ©
Das Absterben des Staates in Jugoslawien
329
Ingenieure, Wirtschaftsfachleute und Kulturarbeiter in diese Länder und realisierte Investitionen zu zinsgünstigen Krediten, deren Rückzahlung durch Warenlieferungen (barter economy) möglich war. Diese Form eines von Solidarität getragenen wirtschaftlichen Austauschs kann als Keim für die Möglichkeit einer unabhängigen Entwicklung neuer Staaten in einem gerechteren internationalen Umfeld bezeichnet werden. Nach 1965 kam jedoch diese Entwicklung zu einem Ende. Der dritte partisanenhafte Bruch ist ambivalenter als die beiden ersten. War der erste auf die Überwindung der monarchistischen Ordnung und des faschistischen Okkupationsregimes gerichtet und der zweite gegen den Stalinismus und seine Staatswirtschaft, zielte der dritte auf eine Art »Modernisierung« sowie auf die Schaffung gerechter Bedingungen und gegenseitiger Hilfe für die entkolonisierten Staaten. Das nichtpaktgebundene Jugoslawien wollte mehr Staat als Antwort auf das neokoloniale »Absterben« des Staates, mit dessen Hilfe die neuen Länder wieder den ökonomischen und politischen Abhängigkeiten von ihren ehemaligen Kolonialmächten untergeordnet wurden. Dieser Bruch sollte also vor allem als Widerstand gegen das bipolare Denken, gegen die bipolare Vorstellung von der Welt gesehen werden – ein Widerstand, der sich auf kleine Inseln des Möglichen stützte und als gedanklicher, konzeptioneller Widerstand fortbestand. Betrachtet man die Periode von 1943 bis 1965 aus der Perspektive des Partisanenprojekts, zeigt sich ein reicher Schatz von Erfahrungen mit unterschiedlichen Auswirkungen: ein relativ erfolgreicher und eigenständiger antifaschistischer Widerstand bewerkstelligte den Übergang von einer peripheren halb-faschistischen Formation mit einer bäuerlichen und analphabetischen Bevölkerungsmehrheit zu einem halb-peripheren Industrieland, das sowohl an den kapitalistischen Westen als auch an den sozialistischen Osten angrenzte. Das sozialistische Jugoslawien setzte auf eine massive Industrialisierung mit starkem Wirtschaftswachstum. Dieses sollte dann wieder in die gesellschaftliche Infrastruktur investiert werden (tatsächlich erfolgten die meisten Investitionen im sozialen Wohnungsbau, Krankenhäusern, Schulen, Universitäten während der sozialistischen Periode), was wiederum zu substanziellen materiellen und erzieherischen Fortschritten bei großen Teilen der Bevölkerung führen sollte. In den ersten 20 Jahren konnte das neue Jugoslawien seine inneren Probleme noch lösen und auf den äußeren Druck der beiden Blöcke noch geschickt reagieren. Man kann daher argumentieren, dass die drei von der Partisanenpolitik vollzogenen Brüche in einer Kontinuität stehen. Sie erzeugten nicht nur politische Massenmobilisierungen, sondern beinhalteten auch eine neue Begegnung zwischen kommunistischem Denken und einer Politik, die sich gegen faschistische, bourgeoise und stalinistische Formen der Staatlichkeit richtete und zugleich die strategischen Asymmetrien eines bipolar strukturierten Neokolonialismus in Frage stellte. Allerdings erfolgte die sozialistische Entwicklung nicht ohne Widersprüche und Sackgassen.
DAS ARGUMENT 317/2016 ©
330
Gal Kirn
Marktsozialismus als Absterben der sozialistischen Gegenwart und der kommunistischen Zukunft Mitte der 1960er Jahre kam es im jugoslawischen Sozialismus zu einem gewissen Stillstand. Obwohl die sozialistische Industrialisierung einige positive Resultate erbrachte, gab es für die Führung wie für die Bevölkerung deutliche negative Signale: wachsende Arbeitslosigkeit, ein Mangel an Investitionen, Stagnation in einigen Wirtschaftsbranchen, illegale Streiks und Auswanderung. Die politische Diskussion über Lösungswege für diese Probleme nahm eine »liberale« Wendung: Der Markt sei der lebendigste Mechanismus, um die sozialistische Wirtschaft »selbstzuverwalten«. Das war richtig, aber welcher Preis war dafür zu zahlen? Die Texte aus dieser Zeit und v.a. die von Edvard Kardelj zeigen, wie tief die liberale Ideologie in die Selbstverwaltungsdebatte eingedrungen war. 1965 wurde zum entscheidenden Jahr: Die Marktreform wurde eingeleitet als Akt der Dezentralisation, der Entpolitisierung und der Demokratisierung. Unterstützt wurde die Reform von sehr verschiedener Seite: von Kreisen aus der engeren Parteiführung über liberale Strömungen bis hin zu Gewerkschaftsaktivisten. Sie kam in Worten daher wie Erweiterung des Selbstverwaltungsmodells und Fortsetzung des antistalinistischen Weges durch Überwindung der letzten Überbleibsel des »Zentralismus«. Das Absterben des Staates kippte um in eine naive liberale Marktideologie aus dem 19. Jahrhundert, der zufolge dieser Markt nicht nur die staatliche Bürokratisierung beseitigen werde, sondern auch Ungleichgewichte in der Verteilung der Güter, der Arbeitskraft und der Kredite, wovon am Ende das ganze »arbeitende Volk« profitieren würde. Freilich war das Absterben des Zentralismus und des sozialistischen Staates kein neutraler Prozess, sondern verlagerte die Macht hin zu den Wirtschaftsexperten und den Unternehmen. Indem die Unternehmen in wachsendem Maße die Investitionen und die Kapitalakkumulation kontrollierten, wurde das »unabhängige Kapital« gestärkt. Technokraten und Direktoren strebten nach einer tieferen Integration Jugoslawiens in das westliche kapitalistische System, da dies die ›sozialistische‹ Produktion beschleunigen (das heißt: zu Wachstum führen) würde. Dieser Kurs der Vermarktlichung des Sozialismus hatte zwei gewichtige negative Folgen: eine Verfestigung der Unterentwicklung (die Niederlage des Solidaritätsmodells) und eine intensivierte Ausbeutung mit gleichzeitigem Wachstum der Arbeitslosigkeit. Marktsozialismus dieser Art ist nicht auf Jugoslawien beschränkt, sondern Teil einer allgemeineren post-sozialistischen Wende, wie sie mit unterschiedlicher Intensität auch in anderen sozialistischen Ländern stattfand, so 1968 in der Tschechoslowakei und 1978 in China. Die Zerstörung des Solidaritätsmodells durch Verschuldung und Marktdisziplin Der Übergang zu einer »sozialistischen« Marktwirtschaft und zur ökonomischen Rationalität bedeutete, dass die Kriterien der Gleichheit einer Neubetrachtung unterzogen und die Institutionen der Umverteilung abgebaut werden mussten. Da DAS ARGUMENT 317/2016 ©
331
Das Absterben des Staates in Jugoslawien
die Bundesinstitutionen nun als Bollwerke der Planwirtschaft und Überbleibsel des Stalinismus und des Zentralismus betrachtet wurden, drehte sich die ideologische Debatte vor allem um die Frage: wieviel Dezentralisierung, wieviel (mehr) Markt und wieviel (weniger) Staat? Der Antistalinismus wurde Teil des Problems, weil er die Klassendimensionen verschleierte. Er bildete den zentralen Bezugspunkt der liberalen Strömungen im Jugoslawischen Bund der Kommunisten und bei den Kommunisten in den Teilrepubliken. Aber die wirkliche politische Schlacht fand in den 1960er Jahren auf zwei anderen Ebenen statt: erstens auf der makroökonomischen bei der Frage nach der ^gleichen‹ Verteilung des Nationaleinkommens (welche Teilrepubliken sollten mehr leisten, und wer würde diesen Prozess kontrollieren?) und der Frage der Verwaltung auswärtiger Währungen durch die Nationalbank; und zweitens auf der mikroökonomischen Ebene, wo ein flexibleres System von Krediten und Preisen eingeführt und den neuen Finanzinstitutionen größere Autorität verliehen wurde, damit diese größere Marktdisziplin und Wettbewerb durchsetzen konnten. Die heftigste Auseinandersetzung gab es um den Status und die Zukunft des Investitionsfonds, der zentralen Bundesbehörde, die zuständig war für die Umverteilung des Nationalprodukts von den reichen in die armen Teilrepubliken und für Investitionen in große Industrieprojekte. Die Aktivitäten des Fonds kamen in der Zeit von 1947 bis 1956 vor allem der Entwicklung Bosnien-Herzegowinas und Montenegros und in etwas geringerem Maße auch des Kosovo zugute. Der Fonds praktizierte ein Solidaritätsmodell, das die Ungleichheiten zwischen den verschiedenen Teilen Jugoslawiens, wie sie im Königreich Jugoslawien vor dem Zweiten Weltkrieg geherrscht hatten, überwinden sollte. Die Marktreform zerstörte dieses Modell, der Fonds wurde aufgelöst. Da dieser Fonds die großen Finanzströme, die mit ausländischen Krediten verbunden waren, kontrolliert hatte, ging diese Kompetenz nun auf die Handelsbanken über.15 Diese bekamen eine entscheidende Rolle bei kurzfristigen Anleihen und den Investitionen in den Unternehmen und setzten damit die Maßstäbe für das finanzpolitische Handeln und die Marktdisziplin für die Unternehmen. Damit begann die Konkurrenz der Unternehmen untereinander, was die Verschärfung der Ausbeutung und die Vertiefung der Ungleichheiten zwischen den verschiedenen Teilrepubliken und Regionen zur Folge hatte. Da der IWF und die Weltbank umfangreiche Kredite nun direkt an die Banken in den verschiedenen Teilrepubliken ausreichen konnten, wurde die Bundesebene umgangen und außer Kraft gesetzt. Bei der Verwaltung der Unternehmen war vorgeschrieben, dass ein Belegschaftsrat zu bilden war, in dem die Arbeiter eine Mehrheit hatten; die Vorstände der Banken wurden jedoch ausschließlich von Finanzexperten und Direktoren gebildet, die die Arbeiter aus dem Modell der Selbstverwaltung herausdrängten. Die Banken wurden zu den entscheidenden Orten der wirtschaftlichen Macht; die gesellschaftliche Solidarität ging verloren, es 15 Welche große Rolle die Entstehung von Handelsbanken für die ganze Mission der sozialistischen Selbstverwaltung gespielt hat, hat besonders deutlich Suvin (2014) herausgearbeitet. DAS ARGUMENT 317/2016 ©
332
Gal Kirn
entstanden neue politische Koalitionen, die über die Arbeiter herrschten. Der Wirtschaftsliberalismus trug in der inneren politisch-ökonomischen Entwicklung einen klaren Klassencharakter, und der Eintritt in den globalen Finanzmarkt machte die jugoslawische Wirtschaft noch anfälliger für Währungsschwankungen, unterwarf sie einer Schuldenabhängigkeit, die der IWF von den späten 1970er Jahren an als Disziplinierungsmechanismus nutzte. Im Zuge dieser Auseinandersetzungen entstand eine neue politische Macht, die Technokratie. Diese nutzte nun das ganze komplexe Wechselspiel zwischen lokalen und regionalen politischen Eliten (mit Managern und Bankern an ihrer Seite), um gegen die zentralen Bundesbehörden anzugehen, die wiederum um ihren Einfluss auf die Entwicklung der »abgestorbenen« bzw. von den Teilrepubliken und den Markt verdrängten Staates kämpften. Jugoslawiens neues Wirtschaftssystem führte zu ungleicher Entwicklung mit Bevorteilung der reichen Teilrepubliken, die damit zugleich unabhängiger wurden, während die Abhängigkeit der armen von den geringer werdenden zentralstaatlichen Mitteln wuchs. So wurde › der am wenigsten entwickelte Kosovo, der aufgrund seiner schwachen Infrastruktur vornehmlich Rohstoffe in die reicheren Teilrepubliken lieferte, während der tiefen Wirtschaftskrise nach den Reformen von schärfsten politischen Spannungen und sozial-ökonomischen Umbrüchen heimgesucht. Das pro-Kopf-Einkommen im Kosovo fiel von 52 % des jugoslawischen Durchschnitts 1947 auf 33 % 1975 und 28 % 1979, und der Abstieg setzte sich auch in den 1980er Jahren weiter fort. Die Region wurde zum besonderen ideologischen Streitfall zwischen denen, die die Dezentralisierung vorantreiben wollten, und denen, die auf Rezentralisierung pochten. Die regionale Bürokratie im Kosovo investierte nicht in Formen der gesellschaftlichen Organisation, mit denen neue Beschäftigung gefördert werden könnte, sondern übersetzte das Problem der wirtschaftlichen Unterentwicklung in ein politisches, mit dem sich nationalistische Strömungen stärken ließen, die später von anderen politischen Eliten in ihrem Machtkampf gegen die Föderation genutzt wurden. Diese Machtkämpfe verschoben die Klassenantagonismen, die durch die Krise verstärkt worden waren. In Gegensatz zum Projekt Jugoslawiens als eines »NichtStaates«, der auf eine anhaltende Emanzipation des Volkes durch Selbstverwaltung in der Perspektive eines Absterbens des Staates orientierte, wurde der Kosovo zum »schwächsten Kettenglied« des sozialistischen Jugoslawien. Die Periode des Marktsozialismus trieb die Fragmentierung der Arbeiterklasse voran und verstärkte die negativen Wirkungen der sozialistischen Entwicklung. Mit der immer tiefer werdenden Kluft zwischen den armen Regionen im Süden und den reicheren Teilrepubliken im Norden verband sich zugleich eine wachsende Abhängigkeit von ausländischen Krediten.16
16 Die genaueste Studie zur Arbeitslosigkeit in Jugoslawien ist bis heute die von Woodward (1995) geblieben. DAS ARGUMENT 317/2016 ©
333
Das Absterben des Staates in Jugoslawien
Der Kampf innerhalb der Unternehmen: Technokratie gegen Arbeiter gegen Arbeitslose Die sozialistischen Unternehmen waren keine neutralen Räume, regiert durch die eiserne Hand der Partei oder die Herrschaft der Selbstverwaltungsgesetze, sondern Orte scharfer politischer und ideologischer Auseinandersetzungen auf der einen und pragmatischer Koalitionen und wirtschaftlicher Aktivitäten auf der anderen. Jugoslawien war definiert als Staat des werktätigen Volkes, und es musste als solcher seine Entscheidung zu einer marktgesteuerten Selbstverwaltung legitimieren. Juristisch gesehen wurden die Arbeiterrechte durch die Marktreform gestärkt. Die Arbeiter waren nun gesetzlich dazu ermächtigt, über die Zukunft ihrer Unternehmen zu entscheiden und an den Diskussionen über die Kapitalakkumulation und die Lohnzahlungen teilzunehmen. In der Realität aber erzeugte die Marktreform erhebliche Machtverschiebungen in den Produktionseinheiten; die Technokratie gewann – selbst wenn sie numerisch in der Minderheit blieb – das politische Übergewicht in den Arbeiterräten (vgl. Musić 2011). Das Ziel der Arbeiterkontrolle über den Produktionsprozess blieb unerreicht; stattdessen gewann das Management in allen Entscheidungsprozessen die Oberhand, was seine Ursache zum Teil auch darin hatte, dass den Arbeitern die Zeit für politisches Engagement fehlte und sie insgesamt einer Entpolitisierung ausgesetzt waren. Im Weiteren wurde die ökonomische Rationalität wichtiger als die Arbeiterrechte. Die Ausbeutung wuchs, Klassenunterschiede verstärkten sich, führende Bürokraten und Technokraten gewährten sich Privilegien wie höhere Löhne und Renten, bessere Urlaubsmöglichkeiten und leichteren Zugang zu Krediten für den Hausbau (vgl. Samary, 170-89). Zwar war das Privateigentum beseitigt, aber das hinderte die herrschende Klasse nicht daran, persönliches Eigentum aufzubauen. Trotz all dieser wesentlichen ökonomischen Veränderungen wurden in der herrschenden Ideologie weiterhin Gleichheitsideale propagiert, sprach man von der Zusammenführung von Kapital und Arbeit unter der Kontrolle der Arbeiter. Viele Unterstützer der Marktreform glaubten, dass diese Aufgabe gerade durch die Dezentralisierung der Macht erreicht werden könnte. Eine von links kommende Kritik an der Monopolisierung der Macht durch den Bund der Kommunisten und die Staatsbürokratie setzte darauf, dass im Kontext der neuen dezentralisierten Wirtschaft Manager und Arbeiter eine neue Klassenkoalition bilden würden, aus denen neue Organisationsformen zur Wiederbelebung kommunistischer Politik erwachsen könnten. Aber diese politische Wette stützte sich auf die spontane These, wonach alle Arbeiter im Produktionsprozess kollektive Formen der Arbeiterdemokratie entwickeln würden. Ökonomisch gesehen waren Technokraten auch Arbeiter, und rechtlich gesehen besaßen sie nicht die Produktionsmittel. Wenn die Arbeitsbedingungen gut waren und den Arbeitern Macht gegeben war, würde es sich daher um eine echte Arbeiterdemokratie handeln. Die politischen Kämpfe offenbarten jedoch einen »unversöhnlichen Gegensatz zwischen den arbeitenden Menschen auf der einen und der Technokratie und Bürokratie auf der anderen Seite« (Bavčar u.a. DAS ARGUMENT 317/2016 ©
334
Gal Kirn
1985, 66). Die technokratische Fraktion gewann den Machtkampf in der Produktion, womit sich der Widerspruch zwischen Arbeit und Kapital als der entscheidende im Marktsozialismus erwies: »Die sozialistische Selbstverwaltung wurde zu einer Form der Kontrolle des Kapitalmanagements über die Arbeit« (ebd., 48). Arbeiterpolitik: Die technische Zusammensetzung des Kapitals, wilde Streiks und Arbeitslosigkeit Was geschah in diesen Kämpfen nun auf der Seite der Arbeiter? Waren sie zufrieden mit ihrer politischen Lage und ihren Repräsentanten in Politik und Wirtschaft? Der slowenische Soziologe Rastko Močnik hat die Lage treffend beschrieben: »Das Unternehmensmanagement repräsentierte für die Arbeiter den gesellschaftlichen Charakter der Arbeit, indem es die Form des gesellschaftlichen Eigentümers annahm: die Realität dieser Art ›Selbstverwaltung‹ führte zur Manipulation der Arbeiter durch das Management und dazu, dass die Arbeiter außerhalb der Mechanismen der Selbstverwaltung Widerstand leisteten.« (2010) Die Arbeiter wurden aus der Organisation des Produktionsprozesses und aus den Entscheidungen über strategische Fragen am Arbeitsplatz ausgeschlossen. Selbst wenn der Gewinn in den sozialistischen Unternehmen stärker sozialisiert und gerechter verteilt wurde als in kapitalistischen Konzernen, blieb doch unklar, wie die Arbeiter den Prozess der »Aneignung des Wertes« kontrollieren und steuern sollten. Rechtlich gesehen hatten sie die Möglichkeit der Einflussnahme auf die Unternehmensentscheidungen, namentlich in den Fragen des Lohnes und der Kapitalakkumulation, aber entweder waren sie nicht ausreichend über die neue Lage informiert, oder sie waren lediglich an der Erhaltung ihres Lohnniveaus interessiert, womit sie auf der reformistischen, zuweilen gar reaktionären Position einer gesicherten Arbeiterklasse verharrten. Den linken Unterstützern der Marktreform wurde schnell klar, dass sie das wachsende Macht-Netzwerk der Technokraten, lokalen Politiker und Banker unterschätzt hatten. Man sollte keine Illusionen darüber haben, dass die Arbeiter in den sozialistischen Betrieben unter viel besseren Bedingungen arbeiteten als die in den kapitalistischen Ländern; sie genossen, wie die soziologische Forschung zeigt, mehr Sicherheit mit all ihren sozialen Vorzügen, aber die Zahl der Arbeitsstunden in der intensiven Industrie blieb hoch. Und in einer Beziehung zeigte sich die fragmentierte und entpolitisierte Arbeiterklasse unfähig zu irgendeiner Form der Solidarität: nämlich gegenüber dem wachsenden Teil der arbeitslosen Bevölkerung. Diejenigen, die beschäftigt waren, mussten von ihrem individuellen Standpunkt und vom Standpunkt ihres Unternehmens daran interessiert sein, dass die Zahl der Neueinstellungen gering blieb, anders war weder ihr Lohnniveau noch die Wettbewerbsfähigkeit ihres Unternehmens am Markt zu erhalten. Die Schlüsselfrage, wer was und wie produziert, wurde nun sowohl von der Marktperversion der Selbstverwaltung als auch von der fragmentierten Logik der Arbeiter dominiert. Dies führte zu wachsender Arbeitslosigkeit und zu einem System der flexiblen Verträge, der Saisonarbeit und anderer prekärer Arbeitsbedingungen. Als die Arbeitslosigkeit in einigen Regionen kritisch DAS ARGUMENT 317/2016 ©
335
Das Absterben des Staates in Jugoslawien
wurde (in Mazedonien und im Kosovo Mitte der 1960er Jahre bis zu 25 %), musste die sozialistische Führung reagieren, und ab 1963 wurden bilaterale Abkommen mit westeuropäischen Ländern abgeschlossen, die eine legale Auswanderung ermöglichten. Es wurde der Status des »Gastarbeiters« geschaffen, mit dem die junge und arbeitslose jugoslawische Bevölkerung durch Disziplinierungsmechanismen der entsendenden und der empfangenden Seite in einen kapitalistischen Arbeitsmarkt eingegliedert wurde, in dem es stärkere Ausbeutung, weniger Sicherheit und mehr Kontrolle gab.17 Die Figur des »Gastarbeiters« hat die neue Art der Unterwerfungsmechanismen des Kapitals vorweg genommen, wie sie später als neoliberale Reform beim Abbau des Sozialstaates bekannt wurde. »Gastarbeiter« wurde auch der Name jener, die in Jugoslawien selbst ausgeschlossen wurden und keinen Zugang zum Apparat der Selbstverwaltung mehr erhielten. Die einen wurden also konsequent ausgeschlossen und die anderen vollständig in die Gemeinschaft der Selbstverwaltung integriert, was zu wachsender Entfremdung führte. Aber diese strukturellen Hindernisse hinderten die Arbeiter nicht daran, zu aktiveren Formen der Selbstorganisation überzugehen. Diese zeigten sich am deutlichsten in den wilden Streiks, von denen es Mitte der 1960er Jahre jährlich etwa 300 gab.18 Obwohl die sozialistische Führung und die meisten Medienberichte sich diesen »illegalen« Aktionen gegenüber feindlich verhielten, war die Führung dann angesichts eines wachsenden Druckes aus der selbstorganisierten Arbeit doch gezwungen, entweder lokale Parteifunktionäre abzusetzen oder einen konzilianteren Umgang mit den Protesten zu finden. Die meisten Proteste und Streiks betrafen ausbleibende Lohnzahlungen oder die Forderung nach höheren Löhnen. Seltener ging es um Forderungen nach einer stärkeren Rolle in der Verwaltung der Produktionsmittel, der Zusammenarbeit bei den Investitionsstrategien oder der Koordinierung zwischen verschiedenen Wirtschaftszweigen. Die Streiks blieben auf die jeweiligen Arbeitsplätze beschränkt, und die Bereitstellung von unabhängigem Kapital verhinderte eine allgemeinere Arbeiterbewegung oder eine Radikalisierung der Gewerkschaften. Die Idee eines föderal organisierten allgemeinen Arbeiterrates erlangte nie politisches Gewicht; die Arbeiter blieben in ihren Branchen und Teilrepubliken organisiert. Mit dem Übergang zum Marktsozialismus wurde eine langfristige Kontrolle der Vorgänge durch die Arbeiter immer weniger vorstellbar, und die herrschende Klasse im politisch-ökonomischen System wurde immer stärker von äußeren Kräften beherrscht. Die Periode des Marktsozialismus offenbarte scharfe Gegensätze zwischen den entwickelten und unterentwickelten Regionen, aber die am meisten Ausgeschlossenen waren die Arbeitslosen. Für sie gab es keine Möglichkeit der Teilhabe an irgendeiner sozialistischen politischen Infrastruktur. Ihr Leben beschränkte sich auf bloßen Überlebenskampf oder die Vorbereitung zur legalen oder illegalen Auswanderung. Vollbeschäftigung und Wohnen für alle, die Kernpunkte der sozialistischen 17 Eine gute historische Darstellung bietet Ivanović 2012. 18 Die umfassendste Darstellung der Streiks ist zu finden bei Jovanov 1979. DAS ARGUMENT 317/2016 ©
336
Gal Kirn
Nachkriegspolitik, wurden in den 1960er Jahren radikal untergraben, während das Aufkommen von nationalistischen und liberalen Ideologien innerhalb und außerhalb des politischen Apparates ein vom bisherigen radikal unterschiedenes Zukunftsbild hervorbrachten: das des Nationalstaates am kapitalistischen Horizont. Schluss Im Nachhinein zeigt sich, dass das einzige folgenreiche revolutionäre Ereignis im sozialistischen Jugoslawien aus drei » partisanenhaften Brüchen« (partisan ruptures) hervorgegangen ist. Das radikale Projekt begann mit einem Partisanenkampf, der zum revolutionären Krieg wurde und die sozialen Verhältnisse umwälzte. Es setzte sich im Bruch mit dem Stalinismus und der Politik der Blockfreiheit fort. Aber der Kern der Partisanenpolitik wurde um die Mitte der 1960er Jahre durch die Marktreform destabilisiert, die wiederum auf eine neue hegemoniale Konstellation verwies. Während die Krise der späten 1960er und 1970er Jahre eine systematischere und demokratischere sozialistische Planung erforderte, setzte die politische Führung nur auf eine Markt-(Er-)Lösung, was sich nach der Finanzkrise und der neoliberalen Wende von 1973–74 als besonders zerstörerisch erwies. »Abgestorben« sind in Jugoslawien nicht nur Faschismus, Monarchie, Kapitalismus und Stalinismus, sondern auch Kommunismus, Sozialismus, die Idee eines föderalen, transnationalen und solidarischen Jugoslawien selbst. Die Geschichte ist eine widerspruchsvolle Entwicklung, in der Rückschritte immanenter Bestandteil der Bewegung sind. Trotz mancher Unterschiede in Betrachtung und Bewertung scheint eine Neubetrachtung des widerspruchsvollen Weges Jugoslawiens von einigem Wert für das Verstehen der gegenwärtigen Krise der Europäischen Union zu sein. Aus dem Englischen von Wolfram Adolphi Literatur Banac, Ivo, The National Question in Yugoslavia, London 1984 Bavčar, Igor, Srečko Kirn u. Bojan Korsika, Delo in Kapital c SFRJ, Ljubljana 1985 Ivanović, Vladimir, Geburtstag pišeš normalno, Belgrad 2012 Jančar-Webster, Barbara, Women and Revolution in Yugoslavia 1941–1945, Denver 1990 Jovanov, Neca, Radnički štrajkovi u SFRJ, Belgrad 1979 Karamanić, Slobodan, »Balkan Socialist Confederation 1910–1948«, in: International Encyclopaedia of Revolution and Protest, hgg. v. Immanuel Ness, New Jersey 2009, 337ff Kardelj, Edvard, Razvoj slovenskega narodnega vprašanja, Ljubljana 1937 Komelj, Miklavž (2009a), Cities within a City, Ljubljana 2009 ders. (2009b), Kako misliti partizansko umetnost, Ljubljana 2009 Lebowitz, Michael, The Contradiction of Real Socialism, New York 2012 Losurdo, Dominico, War and Revolution, London 2015 Magaš, Branka, The Destruction of Yugoslavia, London 1993 DAS ARGUMENT 317/2016 ©
Das Absterben des Staates in Jugoslawien
337
Milinović, Daško, u. Zoran Petakov (Hg.), Partizanke: žene u NOB, Novi Sad 2010 Močnik, Rastko, 3 teorije: ideologija, nacija, institucija, Ljubljana 1999 ders., »Excess memory«, in: Transeuropennes. Revue international de pensée critique, 2016 (www) Musić, Goran, »Yugoslavia: Workers’ Self-Management as State Paradigma«, in: Azzelini, Dario (Hg.), Ours to Master and to Own: Workers’ Control from the Commune to the Present, Chicago 2011 Prashad, Vijay, The Darker Nations, New York 2007 Pupovac, Ozren, »Project Yugoslavia. The Dialectics of Revolution«, in: Prelom. Journal für Images and Politics, Nr.8, 2006, 9-21 Ramet, Sabrina, The Three Yugoslavias: State-building and Legitimation, 1918–2003, Bloomington 2006 Rubinstein, Alvin, Yugoslavia and Non-Aligned World, Princeton 1970 Samary, Catherine, Le marché contre l’autosugestion: l’expérience yougoslave, Paris 1988 Schmitt, Carl, The Theory of the Partisan, Michigan 2004 Stefanos, Sarafis, ELAS: Greek Resistance Army, London 1980 Štrajnar, Milena, in: Velagić, Tanja (Hg.), Ilegalčki: vojna Ljubljana 1941–1945 1-2, Ljubljana 2004 Suvin, Darko, Samo jednom se ljubi, Belgrad 2014 Unkovski-Korica, Vladimir, »Workers’ councils in the service oft he market: New archival evidence on the origins of self-management in Yugoslavia 1948–1950«, in: Europe-Asia Studies, 66. Jg. 2014, H.1, 108-34 Velikonja, Mitja, Titostalgia, Ljubljana 2009 Woodward, Susan, Socialist Unemployment. The Political Economy of Yugoslavia 1945–90, Princeton 1995
DAS ARGUMENT 317/2016 ©
Comments
Copyright © 2024 UPDOCS Inc.