Warum sind Nationen reich oder arm? Welche Entwicklungspfade spielen hier eine zentrale Rolle und wie lassen sich globale Asymmetrien abmildern? Dieser Frage sind zwei renommierte Wirtschaftswissenschaftler aus den USA nachgegangen. Von Christoph Rohde Warum Nationen scheitern ist der Titel einer umfangreichen Untersuchung, die die Wirtschaftswissenschaftler Daron Acemoglu vom MIT Massachusetts und James A. Robinson von der Harvard University durchgeführt haben. Die Ergebnisse dieser 15 Jahre dauernden, empirisch unglaublich dichten Studie haben die Autoren in eine Institutionentheorie gepackt, die aus der Fülle von Daten eine kohärente Argumentation macht. Die Autoren zeigen, dass Staaten sich trotz ähnlicher Ausgangssituationen häufig völlig unterschiedlich entwickelt haben und nennen plausible Gründe für diese Entwicklungen, ohne in einen theoretischen Fundamentalismus zu verfallen. Von inklusiven und extraktiven Institutionen Acemoglu und Robinson beginnen ihre Untersuchung damit, dass sie in den Sozialwissenschaften populäre monovariable Ursachen für Armut und Unterentwicklung in diversen Weltregionen in Frage stellen. Weder seien es die geographischen Bedingungen eines Landes noch deren kulturelle Affinitäten oder die sicherheitspolitisch-strategische Lage, die exklusiv über Wohl und Wehe einer Nation entscheide. Noch sei die koloniale Unterjochung von Staaten eine erschöpfende Erklärung für die dauerhafte Rückständigkeit bestimmter Regionen, auch wenn dieser Faktor in einigen Fällen eine gewichtigere Rolle gespielt hat als in anderen. Symbolisch für unterschiedliche Entwicklungspfade steht für die Autoren die Stadt Nogales; ein Teil dieser Stadt liegt in Arizona und ist hoch entwickelt; der andere, durch einen Zaun abgetrennte Teil liegt in Mexiko und ist verarmt und von Korruption durchsetzt. Die Wissenschaftler zeigen, wie Mexiko durch die Kolonialmächte zu einer politischen Herrschaftsstruktur geführt wurde, die eine kleine Herrschaftselite privilegierte. Trotz einiger Emanzipationsversuche habe sich diese „extraktiv“ – im Sinne von ausschließend - genannte Form der Herrschaft durch das Aufrechterhalten von Großgrundbesitz und Industriekartellen verstetigt. Ganz anders verhielt sich der Prozess bei der Gründung der nordamerikanischen Kolonien wie Maryland oder Carolina im 17. Jahrhundert. Hier ließen sich die Siedler nicht in starre Hierarchien zwängen, sondern bauten politische und ökonomische Institutionen auf, die sich durch ein hohes Maß an Partizipation und Eigeninitiative auszeichneten. Mehrfach wurden Versuche der Kolonialmächte zur Durchsetzung extraktiver Herrschaftsformen niedergeschlagen. Hinzu kam die Entwicklung eines zuverlässigen Eigentums- und Patentrechts, das die Anreize der Bevölkerung zum eigenen Unternehmertum erheblich erhöhte. So entstand ein institutionelles Geflecht an politischen, rechtlichen und wirtschaftlichen Institutionen, das sich gegenseitig in Krisen stabilisierte. In Mexiko hingegen konnte sich die Kultur der Monopolisierung von Unternehmen und der diese unterstützende politische Willkür bis in die Gegenwart halten. Die großen historischen Emanzipationsgeschichten Eine der Stärken des Buches ist es, dass die Autoren nicht behaupten, eine Blaupause für den Aufbau stabiler Nationen anbieten zu können. Sie zeigen, dass es in hohem Maße historische Kontingenzen waren, die die Entwicklungsphasen von Nationen respektive Regionen mitbestimmt haben – sei es die Existenz starker Persönlichkeiten oder glücklicher militärischer Siege. Dennoch gibt es prägende
Ereignisse, die nachhaltige Entwicklungspfade gerade in der westlichen Welt ermöglicht haben. Dazu gehört der „schwarze Tod“, die Pest des 13. Jahrhunderts in England, welcher dazu führte, dass aus dem Arbeitskräfteüberschuss ein Arbeitskräftemangel wurde. Durch die damit verbundene verbesserte Verhandlungsposition der Arbeitnehmer konnten sich ständische Vertreter gegen die Großgrundbesitzer organisieren und sukzessive Formen der Herrschaftsteilung entwickeln – die Magna Carta von 1215 und die Glorious Revolution von 1688 stehen für historische Schritte zur Entmachtung des Monarchen und für die immer weitergehende Ermächtigung des Parlaments im Sinne der Bill of Rights. Zahlreiche historische Beispiele zeigen, warum sich einige Staaten in Richtung inklusiver Institutionen entwickelten und andere politische Abhängigkeitssysteme über eine lange Zeit konservierten – mit Folgen, die bis in die Gegenwart reichen. Zentralisierung der Verwaltungsstrukturen und politische Gewaltenteilung Die politischen Revolutionen, die nachhaltig zum Aufbau inklusiver Institutionen führten, weisen, so Acemoglu und Robison, einige strukturell ähnliche Entwicklungen auf. Beispielsweise zeigen die Prozesse in England und den USA im 19. Jahrhundert und in Botswana nach der Unabhängigkeit des Jahres 1966, dass breite Bevölkerungskreise an den politischen Prozessen beteiligt wurden. Der Prozess der Selbstbefähigung (Empowerment) führte zu einer pluralistischen Gesellschaft, die eine konstruktive Abhängigkeit der einzelnen Gesellschaftsteile voneinander bewirkte und die Machtübernahme durch ausbeuterische Eliten verunmöglichte. Mit „Empowerment“ ist die Strategie gemeint, den Großteil der Bevölkerung über dessen politische Einflussmöglichkeiten aufzuklären. Die wachsende Rolle der Medien und der Aufbau von Gesellschaftsschichten mit breiter Bildung spielt hier die zentrale Rolle. Allerdings gibt es in Bezug auf den Aufbau stabiler Institutionen, so die Autoren, keine Einbahnstraße zum Guten. Gerade der „Arabische Frühling“ zeige, dass Staaten, die jahrhundertelang von extraktiven Institutionen beherrscht wurden, nicht von heute auf morgen diese Veränderungen schaffen. Andere Transformationsversuche wie in der Ukraine führen nach kurzen demokratischen Phasen ab Ende 2004 zu einer Renaissance autokratischer Strukturen. Universalhistorische Analyse zur Urteilsbildung Die Untersuchung zeichnet sich durch eine Fülle von gut informierten Fallstudien aus, die dem Leser ein eigenes Urteil in Bezug auf globale politische Entwicklungen ermöglichen. Denn die Verfasser kennen die aktuelle Situation in den von ihnen dargestellten Staaten aus eigener Erfahrung, was zu einem erheblichen Glaubwürdigkeitsgewinn führt. Durch die bewusst gewählte multiperspektivische Analyse werden einseitige neoliberale oder globalisierungskritische Attitüden und simplifizierende Lösungsansätze vermieden. Das Buch ist für ein breites Publikum verständlich geschrieben. Es bleibt zu wünschen, dass es eine größere Leserschaft findet.
Daron Acemoglu/James A. Robinson: Warum Nationen scheitern: Die Ursprünge von Macht, Wohlstand und Armut. S. Fischer Verlag. 2013, 608 Seiten, gebunden. 24,99 Euro.
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