Jörg Hackmann Danzig und Stettin – zwischen Rekonstruktion, Moderne und Postmoderne. Der Wiederaufbau zweier historischer Stadtzentren in Nordpolen im Vergleich∗ Vortrag auf der Tagung: Historismen in der Moderne. Vergangenheit als Träger von Identität und Ideologie in der Architektur des 20. Jahrhunderts, FU Berlin, 25.11.2000.
Die Fragestellung nach Historismen im Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg hat in Polen in nunmehr über einem halben Jahrhundert nichts von ihrer Aktualität verloren, im Gegenteil, man kann mit einigem Recht behaupten, dass sie im letzten Jahrzehnt erheblich an Bedeutung gewonnen hat. Neue historische Stadtzentren entstehen in den Gebieten, die bis 1945 ein Teil des preußisch-deutschen Osten gewesen waren. Jan Salm, Architekturhistoriker aus Łódź, hat mit Bezug auf das frühere Ostpreußen von einer „dritten Welle“ des Wiederaufbaus gesprochen.1 Aus diesem Befund lässt sich heuristisch ein strukturierendes Schema gewinnen: Nach deutschen Ansätzen zur Sanierung wie Denkmalpflege2 bis 1941 folgte eine Phase des Wiederaufbaus in der Volksrepublik Polen und schließlich in jüngster Zeit eine neue Konjunktur, nun freilich unter den Prämissen sich neu formierender städtischer Mittelschichten. Alle drei Wellen, so läßt sich anknüpfend an Jan Salm als Hypothese formulieren, sind in starkem Maße mit Problemen von Identitätsbildungen verknüpft. Die Wahl der architektonischen Formensprache wie der urbanistischen Konzepte können, so wird hier als Hypothese angenommen, als Aussagen über das Selbstverständnis wie die Weltsicht des Auftraggebers, in den hier betrachteten Fällen vor allem von staatlichen
∗ Der Vortrag ist seinerzeit nicht publiziert worden. Zu diesem Themenbereich habe ich inzwischen veröffentlicht: Wind vom Meer. Danzig und Stettin in der polnischen politischen Kultur nach 1945, in: Norbert Götz, Jan-Hecker Stampehl, Stephan Michael Schröder (Hg.), Vom alten Norden zum neuen Europa: Politische Kultur im Ostseeraum, Berlin 2010, 151-169; Historische Topographien: Wiedergewonnene Geschichte zwischen Lübeck und St. Petersburg, in: Christian Pletzing, Martin Thoemmes (Hg.), Im Gedächtnis von Zeit und Raum. Festschrift für Dietmar Albrecht (Colloquia Baltica, 10), München 2007, 169-187; Zwischen Zerstörung und Rekonstruktion: Beobachtungen zu historischen Altstädten zwischen Lübeck und Narva nach 1945, in: Jan Hecker-Stampehl, Aino Bannwart, Dörte Brekenfeld, Ulrike Plath (Hg.), Perceptions of Loss, Decline and Doom in the Baltic Sea Region – Untergangsvorstellungen im Ostseeraum, (The Baltic Sea Region: Nordic Dimensions – European Perspectives, 1), Berlin 2004, 371-397. Die Angaben zur Forschungsliteratur sind hier nur teilweise aktualisiert worden. Zu Danzig s. jetzt insbesondere Jacek Friedrich, Neue Stadt in altem Gewand. Der Wiederaufbau von Danzig 1945–1960 (Visuelle Geschichtskultur, 4). Wien 2010; zu Stettin: Jan Musekamp, Zwischen Stettin und Szczecin: Metamorphosen einer Stadt von 1945 bis 2005, Wiesbaden 2010. Von Jan Salm erschien inzwischen: Odbudowa miast wschodniopruskich po I wojnie światowej. Zagadnienia architektoniczno-urbanistyczne. Olsztyn 2006. Für Hinweise und vielfältige Hilfe danke ich Bogdana Kozińska, Stettin, sowie Wiesław Gruszkowski und Jacek Friedrich, Danzig. 1 Jan Salm, Trzecia fala, in: Borussia 1999, 223-230; s. auch ders., Zur Kontinuität kleiner historischer Ortschaften in Nordostpolen, in: Mare Balticum 1999, 63-75. 2 Dieses Thema ist, soweit ich sehe, für die historisch ostdeutschen Städte bislang nur wenig erforscht, hinzuweisen wäre als auf Otto Kloeppel, Danzig am Scheideweg 1628 – 1928, in: Ostdeutsche Monatshefte 8, 1928, H. 12, der sich freilich aber vor allem gegen moderne Eingriffe in die Danziger Rechtstadt wandte. Im Kontext dieser Studie wäre insbesondere von Interesse, inwieweit dabei spezifisch „deutsche“ Konzeptionen geäußert wurden, etwa anknüpfend an Wilhelm Pinder; s. dazu Lars Olof Larsson, Nationalstil und Nationalismus in der Kunstgeschichte des zwanziger und dreißiger Jahre, in: Lorenz Dittmann (Hg.), Kategorien und Methoden der deutschen Kunstgeschichte 1900-1930,
2 Institutionen und gesellschaftlichen Verbänden, gedeutet werden. Dabei geht es jedoch nicht nur um das Phänomen der Selbstdarstellung, sondern mindestens ebenso wichtig ist der Aspekt des Entwerfens und Propagierens einer neuen kollektiven Identität. I. Am Ende des Zweiten Weltkriegs waren zahlreiche Städte in den neu gezogenen Grenzen des nach Westen verschobenen Polen erheblich zerstört, Wilna und Lemberg als alte polnische Metropolen lagen nun außerhalb seiner Grenzen. Von den Zentren Polens hatten einzig Krakau und Thorn nur geringe Zerstörungen erlitten.3 Am schmerzhaftesten für die polnische Nation war jedoch die systematische deutsche Zerstörung Warschaus nach dem Aufstand von 1944. Unter diesen Prämissen war die Frage des Wiederaufbaus der historischen Stadtzentren nicht in erster Linie eine Sachentscheidung der professionellen Denkmalpflege, sondern eine politische Entscheidung, die wir als Identitätspolitik bezeichnen können. Der polnische Generalkonservator Jan Zachwatowicz hatte den Vorrang der Identitätsstiftung vor der reinen Lehre einer nicht rekonstruierenden Denkmalpflege bereits 1945 klar als Dilemma beschrieben: „Die Erfahrungen der letzten Jahre haben uns deutlich die Bedeutung der Denkmäler für die Nation gezeigt. Die Deutschen, die uns als Nation vernichten wollten, zerstörten auch [die] Denkmäler unserer Geschichte. [...] Wir werden sie rekonstruieren, wir werden sie von Grund auf wieder[auf]bauen, um den nächsten Generationen, wenn nicht die authentische Substanz, do doch wenigstens die genaue Form dieser Denkmäler [...] zu übermitteln. [...] Das Bewusstsein unserer Pflicht gegenüber den jüngeren Generationen erfordert die Wiederherstellung dessen, was vernichtet wurde, die volle Wiederherstellung, allerdings durchaus bewusst der Tragik dieser denkmalpflegerischen Fälschung.“4 Wenn die Denkmalpflege hier in einen politischen Zusammenhang gestellt wurde,5 der der Selbstbehauptung der sich nun zwangsläufig neu definierenden polnischen Nation diente, dann verband sie sich zugleich mit Fragen des modernen Wiederaufbaus, der nicht zuletzt in der entstehenden Volksrepublik und dem aufkommenden Stalinismus zu einem Mythos des Neubaus wurde.6 So stand in Warschau die von Zachwatowicz betriebene Rekonstruktion von Stadtansichten Canalettos aus der Zeit der
Stuttgart 1985, 169-184. Für Danzig ist aufschlußreich: Erich Volmar, Danzigs Bauwerke und ihre Wiederherstellung. Ein Rechenschaftsbericht der Baudenkmalpflege, Danzig 1940. 3 S. dazu Wiktor Zin (Hg.), Zabytki urbanistyki i architektury w Polsce. Odbudowa i konserwacja, Bd. 1: Miasta historyczne, hg. v. Wojciech Kalinowski, Warszawa 1986. 4 Jan Zachwatowicz, Program i zasady konserwacji zabytków, in: Biuletyn Historii Sztuki i Kultury 1946, Nr. 1-2, 48-52, hier mit geringen Korrekturen zit. nach Konstanty Kalinowski, Der Wiederaufbau historischer Stadtzentren in Polen, in: Deutsche Kunst und Denkmalpflege 47, 1989, 102-113, hier 105107; vgl. auch Adam S. Labuda, Das deutsche Kunsterbe in Polen. Ansichten, Gemeinplätze und Meinungen nach dem Zweiten Weltkrieg, in: Deutschland und seine Nachbarn 20, 1997, 5-23. 5 Am Rande sei angemerkt, daß Zachwatowicz gute Beziehungen zu Bolesław Bierut, dem Vorsitzenden der Polnischen Arbeiterpartei hatte. Zu Zachwatowicz s. jetzt: Andrzej Rottermund (Hg.), Wie Phönix aus der Asche... Prof. Jan Zachwatowicz zum 100 Geburtstag, Warschau 2000. 6 Das gilt insbesondere für Warschau und bezog auch den Neubau der Altstädte mit ein. In diesem Zusammenhang ist auch der Transport von Ziegeln zerstörter Städte (einschließlich des TannenbergDenkmals bei Neidenburg / Nidzica) zum Wiederaufbau Warschaus zu nennen.
3 Sachsenkönige7 neben der monumentalen stalinistischen Architektur des Kulturpalastes von 1955 (Architekt: Lev Rudnev) und der Marszałkowska Dzielnica Mieszkaniowa.8
II. Die Ausgangslage in den „wiedergewonnenen Gebieten“9 im Westen und Norden Polens differierte jedoch von der Warschauer Situation, der deutschen Zerstörung den polnischen Wiederaufbau entgegenzusetzen, wie es Zachwatowicz propagiert hatte. Hier ging es denjenigen, die sich um die Integration dieser Gebiete in den neuen polnischen Zusammenhang bemühten, darum, die „Polonität“ dieser Region aufzudecken oder sie zu „reslavisieren“. Die Annahme, daß polnische Wurzeln in Kultur, Sprache und Herkunft der Bevölkerung unter deutscher Herrschaft erhalten geblieben waren, erforderte eine Definition dessen, welche Elemente in der Kultur und Geschichte der Regionen als polnisch zu betrachten seien.10 Daß die Konstruktion historischer Bezüge eine zentrale Rolle in der Legitimation des nun polnischen Besitzstandes bildeten, macht schon die offizielle Bezeichnung der ehemals deutschen Regionen als „Ziemie Odzyskane“ deutlich. Damit verband sich die klare Abgrenzung von all dem, was als Ausdruck Preußens galt.11 Hier sollen nun Danzig und Stettin als zwei gegensätzliche Typen12 dessen skizziert werden, wie sich diese polnische Identitätspolitik architektonisch manifestierte und im Wiederaufbau der historischen Stadtzentren bis in die siebziger Jahre durchsetzte. Im Mittelpunkt der Betrachtung steht in beiden Fällen die historische Altstadt, im Falle Stettins das Suburbium unterhalb des Schlosses sowie die südlich anschließende Siedlung ursprünglich von deutschen Kaufleuten, die 1243 zur deutschrechtlichen Stadt 7
Zur Inszenierung des Wiederaufbaus der Warschauer Altstadt s. Piotr Biegański, O problemach odbudowy staromiejskich zespołów, in: Architektura 1951, N. 3/4, 110-119. 8 Zu den Plänen für Warschau s. Jerzy Gieysztor, Centralny Plac Warszawy, in: Architektura 1954, H. 7/8, 166-188 (zum Kulturpalast und Umgebung); s. auch Krzysztof Stefański, Architektura polska 1949-1956, in: Kwartalnik Architektury i Urbanistyki 27, 1982, 13-104; zum allgemeinen Hintergrund s. die Forderung von Bolesław Bierut nach dem Bau von Arbeiterwohnungen in den Innenstädten und den Slogan: „Lud wejdzie do śródmiejścia“, vgl. Wojciech Włodarczyk, Socrealizm. Sztuka polska w latach 1950-1954, Kraków 1991. 9 Mit diesem Begriff (polnisch: Ziemie Odzyskane) wurden die 1945 vom Deutschen Reich an Polen abgetretenen Gebiete bezeichnet. 10 Diese Praxis ist deutlich zu sehen in der Tätigkeit des West-Instituts in Posen in den Jahren bis 1949, s. die Zeitschrift des Instituts, Przegląd Zachodni, dazu Jörg Hackmann, Strukturen und Institutionen der polnischen Westforschung (1918-1960), in: Zeitschrift für Ostmitteleuropaforschung 50, 2001, 230255. 11 Wichtig sind die Schriften Zygmunt Wojciechowskis, vor allem: Polska - Niemcy. Dziesięć wieków zmagania (Prace Instytutu Zachodniego 3), Poznań 1945; vgl. in diesem Zusammenhang auch Andreas Lawaty, Das Ende Preußens in polnischer Sicht. Zur Kontinuität negativer Wirkungen der preußischen Geschichte auf die deutsch-polnischen Beziehungen (Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin 63), Berlin 1986. 12 Die dritte wichtige Altstadt in diesem Zusammenhang ist Breslau, mit deren Wiederaufbau sich Gregor Thum, Die fremde Stadt. Breslau 1945, Berlin 2003, befaßt hat. Ohne eine gründlichen Betrachtung Breslaus vornehmen zu wollen, scheint es mir möglich, sie auf der Skala der hier skizzierten Typisierung zwischen Rekonstruktion und Mißachtung der historischen Strukturen einzuordnen. Im folgenden wird auf Breslau am Rande eingegangen, s. vor allem Edmund Małachowicz, Stare Miasto we Wrocławiu. Rozwój urbanistyczno-architektoniczny, zniszczenia wojenne i odbudowa, WarszawaWrocław 21985.
4 zusammengefasst wurden.13 Für die Stadttopographie ist der Höhenunterschied wichtig, der die Altstadt in eine Oberstadt und eine Unterstadt an der Oder teilt. Gegen Kriegsende war dieser Stadtbereich praktisch völlig zerstört. Im Falle Danzigs steht die Rechtstadt im Mittelpunkt; sie war als Lokationsstadt nach 1227 neben der eigentlichen Altstadt, die aus dem Suburbium der nicht mehr vorhandenen Burg hervorgegangen war, entstanden und bildete seit dem 14. Jahrhundert das Zentrum der alten Stadt.14 Vor allem durch Bombenangriffe und Artilleriebeschuß vor der Einnahme durch die Rote Armee im März 1945 wurden Recht- und Altstadt weitestgehend zerstört. Angesichts dieser Zerstörungen ist es nicht verwunderlich, dass in der unmittelbaren Nachkriegszeit Stadtplaner und Architekten an leitender Stelle in den nun neuen Stadtverwaltungen tätig waren: Piotr Zaremba in Stettin und Władysław Czerny in Danzig sind hier zu nennen. Im folgenden soll versucht werden, den Wiederaufbau in beiden Städten – trotz der damit verbundenen Problemen – auf zwei Typen zu reduzieren.
III. In Stettin dominierte von Anfang an die Intention eines gesellschaftlichen und architektonischen Umbaus.15 Gleich zu Beginn seiner Tätigkeit in Stettin war Zaremba als erster Stadtpräsident mit dem Anspruch aufgetreten, die Stadt umzugestalten und die Mißstände der deutschen Zeit zu beseitigen:16 Stettin, so Zarenba, sei künstlich auf Berlin und Hamburg hin ausgerichtet gewesen, es habe sich nicht entsprechend seiner geographischen Lage entwickeln können, und es habe sich von seinem natürlichen Hinterland – Polen – abgewandt.17 Deutlich negativ war die Einschätzung der alten Bebauung und Stadtstruktur als nicht modern und nicht funktional: Zaremba kritisierte 13
Gerard Labuda (Hg.), Dzieje Szczecina, 4 Bde., Szczecin 1971-1998; Jan Piskorski u.a., Stettin. Kurze Stadtgeschichte, Poznań 1994. 14 Edmund Cieślak (Hg.), Historia Gdańska, 4 Bde., Gdańsk 1982-1998; Jerzy Stankiewicz, Bohdan Szermer, Gdańsk. Rozwój urbanistyczny i architektoniczny oraz powstanie zespołu Gdańsk-SopotGdynia, Warszawa 1959, 19-60; s. auch noch das stellenweise veraltete Buch von Erich Keyser, Baugeschichte Danzigs, Köln-Wien 1971. 15 So Piotr Zaremba, Planowanie rozwoju przestrzennego Szczecina, in: Przegląd Zachodni 15, 1959, Bd. 2, 360-370, hier 362. 16 So der Anspruch der ersten polnischen städtebaulichen Konzeption für Stettin von 1946, an der Zaremba beteiligt war; s. Piotr Zaremba, Halina Orlińska, Urbanistyczny rozwój Szczecina. Poznań 1965, 96; vgl. dazu und zum folgenden Jörg Hackmann, Stettin: Zur Wirkung der deutsch-polnischen Grenze auf die Stadtentwicklung nach 1945, in: Georg Stöber, Robert Maier (Hg.), Grenzen und Grenzräume in der deutschen und polnischen Geschichte. Scheidelinie oder Begegnungsraum? (Studien zur internationalen Schulbuchforschung 104), Hannover 2000, 217-234. 17 So explizit: Piotr Zaremba, Kierunki rozwoju przestrzennego regionu ujścia Odry, in: Przegląd Zachodnio-Pomorski 1965, H. 1-2, 101-108, hier 104; s. auch Zaremba, Orlińska, Urbanistyczny (wie Anm. 16), 81-88 (auch zum folgenden). Die These von der einseitigen Ausrichtung nach Berlin ist von der bisherigen Literatur immer wieder wiederholt worden, vgl. etwa Tadeusz Białecki, Szczecin. Rozwój miasta w Polsce Ludowej, Poznań 1977, 99 f.; vorsichtiger allerdings jetzt Stanisław Latour, Janusz Lisek, Rozwój urbanistyczny i architektoniczny miasta, in: Dzieje Szczecina (wie Anm. 13), Bd. 4: 1945-1990, hg. von Tadeusz Białecki, Zygmunt Silski, Szczecin 1998, 225-249, hier 225; vgl. auch Halina Orlińska, Stanisław Latour, Szczecin, in: Zabytki urbanistyki, Bd. 1 (wie Anm. 3), 439-448. In diesem Zusammenhang ist interessant, daß in den Formulierungen für eine internationale Ausstellung in Hastings von 1946 das Argument der Abgrenzung von Berlin nicht zu finden ist, s. Piotr Zaremba, Studium rozwoju szczecińskiej aglomeracji. Część 1: Analiza strukturalna i zasięg przestrzenny, in: Przegląd Zachodnio-Pomorski 1967, H. 1, 51-68, hier 55.
5 die schlechte Straßenanbindung der Brücken, den ungünstigen Verlauf der Eisenbahnlinien und die zu enge Bebauung der Innenstadt; die Stadt habe kein modernes Zentrum gehabt, die Altstadt sei eng und finster gewesen. Dagegen setzte die Arbeitsgruppe für den ersten polnischen Plan zur Stadtentwicklung Stettins eine neue Konzeption der Stadtplanung: Die Entwicklungsachse der Stadt sollte von Berlin abund dem polnischen Hinterland und dem Meer zugewandt werden, dabei sollten „mutige“ Lösungen für die neuen Verkehrsbedürfnisse durchgesetzt werden.18 Trotz dieses ideologischen Anspruchs waren diese Pläne keineswegs so neu, denn Überlegungen zur Neuordnung der Altstadt waren auch schon von dem letzten deutschen Stadtbaudirektor Hans Reichow angestellt worden.19 Erst durch die Kriegszerstörungen und die Übernahme des privaten Grundbesitzes als „nachdeutsches Eigentum“ durch den polnischen Staat verfügte die polnische Stadtplanung nun jedoch über eine entscheidende Voraussetzung, um die Altstadt neuzugestalten. Das erste urbanistische Projekt der Stadtverwaltung war eine mehrspurige Oder-UferStraße, die „Arteria nadodrzańska“, die das Behördenzentrum (ursprünglich die deutsche Provinzialverwaltung, ab 1945 die polnische Wojewodschaftsverwaltung) an der Hakenterrasse / Wały Chrobrego mit dem Bahnhof verbinden sollte. Sie wurde bereits in den ersten Plan zur Stadtentwicklung aufgenommen und von 1947 bis 1949 realisiert, wobei die Trasse zum Teil auf dem Gelände und den Trümmern der Altstadt verlief.20
Trasa Nadodrzańska, Quelle: Piotr Zaremba, Halina Orlińska, Urbanistyczny rozwój Szczecina. Poznań 1965, S. 103
Das bereits in der Vorkriegszeit21 diskutierte Problem, daß die Lange bzw. HansaBrücke / most Długi keine direkte Anbindung an die Breite Straße / ul. Wielka (heute ul. kard. Wyszyńskiego) hatte und sich damit nicht für die Aufnahme größerer Verkehrsströme in Ost-West-Richtung eignete, wurde 1958-1960 durch eine breite Schneise vom Berliner Tor / Brama Portowa zur Oder gelöst, deren Straßenbreite
18
Zaremba, Orlińska, Urbanistyczny (wie Anm. 16), 96 f.; vgl. auch Białecki, Szczecin (wie Anm. 17), 100 f. 19 Hans Bernhard Reichow, Gedanken zur städtebaulichen Entwicklung des Groß-Stettiner Raumes, Stettin 1940; vgl. Hackmann, Stettin (wie Anm. 16). 20 Zaremba, Orlińska, Urbanistyczny (wie Anm. 16), 103, 159, Skizze 42; vgl. auch Bronisław Sekula, Odbudowa i rozbudowa miast i osiedli Pomorza Zachodniego w latach 1945-1965, in: Przegląd Zachodnio-Pomorski 1965, H. 3, 5-92, hier 16.
6 allerdings nicht von der Langen Brücke aufgenommen wurde. Zusammen mit der Trasa Zamkowa,22 einer Autobahn-ähnlichen Oderquerung nördlich des Schlosses und einer geplanten, aber nicht realisierten ähnlichen Lösung23 an der Langen Brücke südlich der Altstadt, wurde die Altstadt eindeutig einer explizit modernen Verkehrsplanung untergeordnet, die nun die propagierte Anbindung über die Oder nach Polen gewährleisten sollte.
Stettin, Trasa Zamkowa (Zustand 1986), Foto: Jörg Hackmann
Ein denkmalpflegerischer Umgang mit der Stettiner Altstadt hatte zunächst keine Erfolgsaussichten, auch wenn es Stimmen gab, die ihn anmahnten.24 Selbst der Wiederaufbau bedeutender Baudenkmale wie des Schlosses der pommerschen Herzöge, des alten Rathauses und der Jakobi-Kirche setzte eindeutige Zeichen der Moderne. An der Nordseite der Jakobikirche und der Schaufassade des Rathauses wurde die architektonische Struktur in vereinfachten Formen aufgegriffen, ihre moderne Ausführung wurde durch die Sichtbarkeit von Beton und Glasbausteinen demonstriert. Noch deutlicher fiel der moderne Eingriff in der Gestaltung des Schlossinnenhofes auf, wo ein fensterloser Stahlbetonriegel vor den Südflügel gesetzt wurde.25
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S. Reichow, Gedanken (wie Anm. 19), 85 f. Geplant seit den 1960er Jahren, fertiggestellt erst in den 90er Jahren; die Idee einer Hochbrücke an dieser Stelle findet sich auch schon bei Reichow, Gedanken (wie Anm. 19), 36, 83 f. 23 S. die Präsentation des Wettbewerbs: Konkurs na projekt węzła komunikacyjnego przy moście długim w Szczecinie, 3.6.1968 (in den Beständen des Muzeum Historii Miasta Szczecina). 24 So wurde, entgegen Bemühungen der amtlichen Denkmalpflege, die Altstadt nicht als Stadtdenkmal betrachtet, s. Ewa Stanecka, Konserwatorstwo na terenie województwa szczecińskiego w pięćdziesięcioleciu, in: 50 lat polskich badań nad sztuką Szczecina i Pomorza Zachodniego. Materiały z seminarium 28-30 wrzesień 1996, Szczecin 1996, 65-67; dagegen erwähnt Małachowicz, Stare Miasto (wie Anm. 12), 138, Pläne, daß Stettin in den 50er Jahren rekonstruiert werden sollte. 25 S. dazu Stanisław Latour, Ochrona i konserwacja zabytków, in: Dzieje Szczecina, Bd. 4 (wie Anm. 17), 691-707. 22
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Stettin, Schlossinnenhof (Zustand 1986), Foto: Jörg Hackmann
Zugleich aber erhielt das Schloß eine Renaissanceattika zurück, die unabhängig von ihrer fachlichen Berechtigung durch ikonographische Belege auch als Ausweis der Polonität des Schlosses, dessen Greifendynastie mit den polnischen Piasten verwandt war, gelesen werden sollte. Symbolisierte das Schloß in seiner Außenansicht den historisch polnischen Charakter Pommerns, so ergab sich zusammen mit der stadtplanerischen Frage des Stadtpanoramas vom rechten, „polnischen“ Oderufer aus die Forderung, es als städtebauliche Dominante der Altstadt sichtbar zu machen und insbesondere das Terrain des alten Suburbiums zur Oder hin nicht aufzubauen. Die Pläne zum Wiederaufbau der Altstadt gliederten diese in zwei deutlich getrennte Teilbereiche entlang des Geländeabfalls zur Oder hin. In einem ersten Abschnitt von 1956-1960 wurde die obere Altstadt nach einem Wettbewerb, den eine Gruppe Stettiner Architekten um W. Furmańczyk gewonnen hatte, neu aufgebaut. Im Bereich zwischen Jakobi-Kirche und Schloß orientierte man sich unter Verzicht auf die alte Zentrumsfunktion an den Kriterien des modernen Wohnungsbaus (Licht, Luft, Sonne, Grünflächen) und mußte keine Rücksicht auf die alte Parzellenteilung nehmen.26 Es sollte bewusst auf Archaismen verzichtet werden und stattdessen Grundstrukturen des historischen Ortes aufgegriffen werden. Dazu zählten die Bauhöhe (bis zu fünf Geschosse), der Verzicht auf Flachdächer, das Andeuten kleinteiliger Hausstrukturen durch Betonung vertikaler Gliederungen. Das Straßennetz wurde in Grundzügen – nicht zuletzt durch die Nutzung der vorhandenen Leitungs- und Kanalisationsnetze bedingt – beibehalten. Dieses Projekt wurde mehrfach ausgezeichnet und, als „sozialistische
26
Zaremba, Orlińska, Urbanistyczny (wie Anm. 16), 109; eine Beschreibung des realisierten Projekts bei Bronisław Sekula, Przegląd realizacji architektonicznych Szczecina, in: Architektura 1961, H. 11/12, 412.
8 Rekonstruktion“ international präsentiert, so etwa 1963 auf der Sitzung des RGW in Berlin.27
Wiederaufbau der Stettiner Altstadt, Quelle: Bronisław Sekula, Odbudowa i rozbudowa miast i osiedli Pomorza Zachodniego w latach 1945-1965, in: Przegląd Zachodnio-Pomorski 1965, H. 3
Für die Bebauung der Unterstadt dagegen wurden seit 1955 verschiedene Modelle28 präsentiert, die sich zwischen einer Wiederherstellung der Blockstrukturen (nach dem noch zu beschreibenden Danziger Modell) oder aber dem Bau von vier Hochhäusern mit einem Flachbau nach Norden zum Schloß hin bewegten. In den siebziger Jahren kam die Idee einer Parklandschaft zwischen den monströsen Oderquerungen auf. Bis Anfang der achtziger Jahre befand sich auf dem Gelände der Unterstadt an dauerhafter Architektur allein das Gebäude des Rathauses und ein Hotelgebäude.
27
Sekula, Odbudowa (wie Anm. 20), 17-19, s. a. Stanisław Latour, Bronisław Sekula, Problemy rewaloryzacji zabytkowych zespołów miejskich województwa Szczecińskiego, in: Konserwacja zabytków i rewaloryzacja miast po II wojnie światowej. Materiały z międzynarodowej konferencji naukowej, Szczecin 1987, 47-53. Das Gebäude von Miastoprojekt in der ul. Staromłyńska (Luisenstraße) verdeutlicht übrigens den Wiederaufbau: Vor dem Krieg befand sich in dem Gebäude das Hotel „Preußenhof“, es wurde nach dem Krieg in vereinfachter Form (u.a. ein Geschoß niedriger) wiederhergestellt. 28 Die Abfolge der Planungen von 1955-1976 ist dokumentiert in Plänen im Bestand des Muzeum Historii Miasta Szczecina, in der Akte: Biuro studiów i projektów rozwoju przestrzennego województwa. Szczecin-Podzamcze, koncepcje urbanistyczne, Mat. St. Miasta 17/1142/76.
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Plan für die Bebauung der Stettiner Altstadt, Quelle: Piotr Zaremba, Halina Orlińska, Urbanistyczny rozwój Szczecina. Poznań 1965, S. 103
IV. In Danzig hatte sich im Gegensatz zu Stettin bereits unmittelbar nach Kriegsende eine äußerst lebhafte Diskussion darüber entfaltet, wie mit der historischen Stadt zu verfahren sei.29 Die Diskussion oszillierte zwischen der Forderung nach einem Wiederaufbau „im historischen Geist“, wie sie Władysław Czerny und Jan Kilarski bereits 1945 forderten, und der Forderung nach einer völlig neuen Bebauung, die etwa Edmund Osmańczyk damit begründete, daß die Danziger Kultur antipolnisch gewesen sei. Daraus folgerte er, die Aufgabe Polens müsse es sein, die Stadt als polnisches Hafenzentrum neuzubauen.30 Diese beiden konträren Positionen in der unmittelbaren Nachkriegszeit waren jedoch beide einer Rhetorik verpflichtet, die den Aufbau des
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S. dazu Jacek Friedrich, Die Diskussion über den Wiederaufbau von Danzig in den Jahren 1945-1948, in: Mare Balticum 1999, 24-34; s. auch Lech Krzyżanowski, Gdańsk, in: Zabytki urbanistyki, Bd. 1 (wie Anm. 3), 95-104. Zu berücksichtigen sind in diesem Kontext die biographischen Hintergründe der Architekten und Denkmalpfleger, s. dazu die Sammlung von Erinnerungsberichten: Izabella Trojanowska, Izabella Greczanik-Filipp (Hg.), Wspomnienia z odbudowy Głównego Miasta, 2 Bde., Gdańsk 1997, sowie Janusz Ciemnołoński, Jan Borowski – architekt i konserwator z Ziemi Wileńskiej, in: Wilno – Wileńszczyzna, Bd. 1, Białystok 1992, 423-482. 30 Nach Friedrich, Diskussion (wie Anm. 29); ein prägnantes Zitat finden sich bei Henryk Tetzlaff, Czy i gdzie Gdańsk powinien być odbudowany?, in: Dziennik Bałtycki 25.7.1947: „[...] na miejscu dawnego centrum handlowego Gdańska, na miejscu jego krętych i ciasnych uliczek wybudujemy nowoczesną dzielnicę mieszkalną z szerokimi, pełnymi słońca i powietrza arteriami komunikacyjnymi, z ogrodami i zieleńcami, rozciągającymi się szeroko nad malowniczymi kanałami i wodami dawnego śródmieścia. [...] Tak odbudowane miasto Gdańsk, ‚niegdyś nasze’, które znowu stało się ‚naszym’ przyniesie nam więcej uznania w oczach świata, niż gdybyśmy mieli dźwignąć z gruzów niewątpliwie romantyczne, niewątpliwie pięknie, ale obce, przestarzałe jego średniowieczne kształty.” Hier zit. nach Wiesław Gruszkowski, Spór o odbudowę Gdańska ze zniszczeń 1945 roku, in: Marian Mroczko (Hg.), Gdańsk w gospodarce i kulturze europejskiej, Gdańsk 1997, 141-179, hier 151. Vgl. auch: Zestawienie propozycji lokalizacji nowego centrum społecznego Gdańska według różnych autorów na przestrzeni lat 1950-1952, in: Architektura 1953, Nr. 8, 196.
10 historischen Stadtzentrums, gleich ob als Rekonstruktion oder völligen Neubau, und den polnischen Charakter der Stadt in eins setzte.31 Die Entscheidung zugunsten der ersten Position, die 1947 auf einer Tagung der polnischen Denkmalpfleger in Danzig fiel, begründete Jan Zachwatowicz so: „Die große Aufgabe besteht darin, das alte Danzig an die Erfordernisse der Moderne anzupassen. Danzig ist von polnischer Kultur durchtränkt. Dank der Tatsache, daß es einst für verschiedene europäische Kulturen das Tor nach Polen war, gibt es hier zahlreiche europäische Kulturdenkmäler. Es handelt sich nicht nur um polnische Kulturdenkmäler, deswegen dürfen wir unsere Hochschätzung nicht nur auf jene Objekte beschränken, die unmittelbar mit Polen verbunden sind.“32 Damit transzendierte er die enge polonitätszentrierte Diskussion und brachte so die Denkmalpflege in eine ganz zentrale Position zur Begründung der polnischen Identität der Stadt. Das Gründungsdokument des Danziger Wiederaufbaus war die Unterschutzstellung als städtebauliches Denkmal vom 11.11.1947.33 Seine Ausführung freilich beruhte nicht allein auf den Sachentscheidungen der Denkmalpflege, sondern da zur Realisierung des Wiederaufbaus allein der Betrieb für Arbeitersiedlungen in Frage kam,34 auf einer vielfachen Interaktion zwischen den Ansprüchen modernen Wohnungsbaus wie der Denkmalpflege. In den retrospektiven Stellungnahmen der Beteiligten erscheint diese Verbindung von Moderne und Denkmalpflege heute vielfach als Sachzwang, der den Vertretern des Wiederaufbaus der Rechtstadt keine andere Alternative ließ.35 Eine Betrachtungsweise, die den Wiederaufbau als passiven, regionalen Widerstand gegen Neubaupläne aus Warschau oder aber als Orientierung allein an denkmalpflegerischen Sachentscheidungen darstellt, ist freilich schon durch das Ende der Volksrepublik geprägt. Ihr läßt sich als Hypothese eine Konzeption jener Jahre gegenüberstellen, die in dem Wiederaufbau eine erwünschte oder zumindest tolerierte gesellschaftspolitische Neuorientierung sah. Aus der Synthese von alt und neu schien das moderne Danzig zur Bewahrerin der fortschrittlichen Traditionen des historischen Prozesses zu werden.
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Deutlich wird das nicht zuletzt bei Czerny, der als Vertreter des Wiederaufbaus auf das Terrain des einstigen Deutschordensschlosses ein Hochhaus setzen wollte, zu seinem Plänen von 1945/46 s. Gruszkowski, Spór (wie Anm. 30), 154 f. Vgl. auch: Zestawienie propozycji lokalizacji nowego centrum społecznego Gdańska według różnych autorów na przestrzeni lat 1950-1952, in: Architektura 1953, Nr. 8, 196. 32 Zit. nach Friedrich, Diskussion (wie Anm. 29); zu den Planungen von 1947-1948 s. Gruszkowski, Spór (wie Anm. 30), 155-159; Stankiewicz, Szermer, Gdańsk (wie Anm. 14), 269-278; sowie Bohdan Szermer, Gdańsk – przeszłość i współczesność, Warszawa 1971, 99-104. Für die unrbanistische Konzeption der Innenstadt fanden 1950 und 1951 zwei Wettbewerbe statt, ebd. 98. 33 Abgedruckt in: Artur Kostarczyk (Hg.), Gdańsk pomnik historii (Teka Gdańska 3), Gdańsk 1998, 8. 34 Der Wohnungsbau war dem Zakład Osiedli Robotniczych untergeordnet, der im Mai 1948 die Danziger Direktion für den Bau von Arbeitersiedlungen (DBOR) ins Leben rief und zugleich neben privaten Bauherrn auch die Wohnungsbaugenossenschaften eliminierte, vgl. dazu: Jacek Friedrich, Metamorfozy kamienicy w Gdańsku połowy XX wieku (Vortrag in Danzig im November 2000); auch in Breslau wurde der Wiederaufbau der Altstadt durch DBOR durchgeführt, s. Małachowicz, Stare Miasto (wie Anm. 12). 35 Etwa bei Wiesław Gruszkowski, Der Wiederaufbau von Danzig und das regionale Bewußtsein, in: Mare Balticum 1999, 19-23; s. auch Trojanowska, Greczanik-Filipp (Hg.), Wspomnienia (wie Anm. 29).
11 Dieser Historismus, der zwischen alt und neu keine prinzipielle Differenz sah, war ein Kennzeichen der frühen Volksrepublik.36 Der Wiederaufbau Danzigs kann als Teil einer Identitätspolitik verstanden werden, die hier auf die Wiederherstellung bzw. Verbesserung des Stadtbildes zielte und so vom Vorteil der Verbindung Danzigs mit Polen zeugte. Aus diesem Ansatz ergibt sich die Gliederung der Häuser in eine Fassadenkulisse und dahinter befindliche Wohnungsblöcke. Begünstigt wurde diese Entwicklung dadurch, dass die Parzellenstruktur des Grundbesitzes ihre Bedeutung verloren hatte und sich wie im Stettiner Fall als „nachdeutsches Eigentum“ nun in staatlicher Hand befand. Dazu kam, dass auch die Brandmauern als Ausdruck der Parzellengliederung weitgehend zerstört waren beziehungsweise bei der Enttrümmerung bis auf die Fundamente reduziert worden waren. Der Wiederaufbau der Wohnhäuser in der Rechtstadt war also, von den Fassaden abgesehen, ein Neubau, der den von der 1948 eigens für den Aufbau der Rechtstadt gegründeten Direktion für den Bau von Arbeitersiedlungen vorgegebenen Plandaten und Normen unterlag.37 Der Wohnungsbau durfte gemessen an der Kubatur nicht teurer sein als sonst üblich. Das führte zwangsläufig zur Verwendung vorgefertigter Elemente und zu großräumigen Baumaßnahmen. Zudem ist zu berücksichtigen, dass die Anfänge des Wiederaufbaus in Hochzeit des Stalinismus in Polen fiel, und etwa ein Maurer, der 1951 Direktor der Baubetriebe wurde, feststellte, auch unter schwierigen Bedingungen, d.h. bei Baudenkmalen, ließen sich die Normen weit übertreffen.38 Zugleich war bei dieser Form des Vorgehens die vollständige Rekonstruktion einfacher als die Restaurierung und Einbeziehung erhaltener Bauteile, von dekorativen Elementen der Fassaden und Beischlägen abgesehen, die von den Denkmalpflegewerkstätten mit großem Aufwand wiederhergestellt wurden.39 Für den Aufbau der Häuser hatte Władysław Czerny schon frühzeitig das Prinzip propagiert, auf den alten Fundamenten zu bauen, um dadurch zum Einhalten der Stadtstruktur gezwungen zu werden.40 Tatsächlich wurde dieses Prinzip in Danzig jedoch in vielen Fällen durch das Einbringen von Stahlbetonfundamenten ersetzt.41 Diese Rahmenbedingungen und Prämissen prägten den Wiederaufbau der Rechtstadt. Die Haustiefen der giebelständigen Häuser von früher zum Teil bis zu 22 m und mehr wurden auf ca. 13,5 m reduziert, und zugleich wurde die dreigliedrige Hausstruktur aus Diele, Treppenanlage, Stube auf einen modernen Wohnungszuschnitt verkürzt, was neben der Aufgabe der Dielen dazu führte, nun insbesondere durch die Anlage
36
Vgl. dazu beispielsweise: Mieczysław Suckocki, Historyzm jako podstawa twórczości kulturalnej, in: Przegląd Zachodni 2, 1946, 2-8. 37 S. Odbudowa Gdańska w projektach zakładu osiedli robotniczych, in: Architektura 1949, Nr. 11/12, 327; und auch Biegański, O problemach (wie Anm. 7). 38 Nach Friedrich, Metamorfozy (wie Anm. 34). 39 Eine Quellenübersicht über die Arbeit der Danziger Denkmalpflege enthält: Staatliches Unternehmen Werkstätten für Denkmalpflege (Hg.), Katalog der PKZ-Dokumentationen der Denkmäler West- und Nordpolens 1951-1993, Warszawa 1995, 170-224. 40 Władysław Czerny, Krytyka projektowania Gdańska, in: Architektura 1955, Nr. 2, 52-54. 41 Mitteilung von Wiesław Gruszkowski, Sopot.
12 gemeinsamer Treppenhäuser parzellenübergreifend zu bauen.42 Damit entstanden nun Häuser ohne Türöffnung zur Straße und stattdessen mit Erschließungen vom Blockinneren aus.43
Quelle: Józef Vogtman, Adaptacja zabytkowych domów mieszkalnych, Warszawa 1953, S. 26, 58
Zudem wurde die gesamte Blockinnenbebauung bis auch ganz wenige Ausnahmen radikal beseitigt und zu Innenhöfen mit sozialen Funktionen (Kindergärten, Spielplätzen, Grünflächen) umgestaltet.44 Damit verband sich ein weitgehendes Neuentwerfen der rückwärtigen Giebel, die nun der Ausrichtung der giebelständigen Häuser zur Straße hin ein Gegenstück zur neuen betonten Hofsituation entgegensetzten.
42
Józef Vogtman, Adaptacja zabytkowych domów mieszkalnych, Warszawa 1953; s. auch Jerzy Stankiewicz, Uwagi o odbudowie zespołu zabytkowego Gdańska, in: Ochrona Zabytków 12, 1959, Nr. 3/4, 153-172; Odbudowa Gdańska w projektach zakładu osiedli robotniczych, in: Architektura 1949, Nr. 11/12, 335; und Grzegorz Bukal, Kaminieca Gdańska po 1945 r., in: Janusz Bogdanowski (Hg.), Miasto historyczne w dialogu ze wspólczesnością. Gdańsk 2002. Nadbałtyckie Centrum Kultury (Hg.), Miasto historyczne w dialogu ze współczesnością, Gdańsk (im Druck). Zu den Problemen des Wiederaufbaus s. auch Stanisław Bobiński, Problemy i trudności odbudowy Gdańska, in: Rocznik Gdański 13, 1954; 202-213; und Friedrich, Metamorfozy (wie Anm. 34). 43 Vgl. Vogtman, Adaptacja (wie Anm. 42), 58, dort auch zahlreiche Zeichnungen und Abbildungen, passim. 44 Hier wäre ein Vergleich mit dem Lübecker Wiederaufbau interessant, s. in diesem Zusammenhang: Friedrich Krauss, Der Anteil des historischen Bestandes am Charakter einer Stadt. Dargestellt für München, untersucht an den Städten Lübeck, Danzig und Riga mit Plänen und Bildern, München 1948; vgl. Friedhelm Fischer, Lübeck: Kleinod im ökonomischen Windschatten, in: Klaus von Beyme u.a. (Hg.), Neue Städte aus Ruinen. Deutscher Städtebau der Nachkriegszeit, München 1992, 98-116; s.a. Harald Bodenschatz, 120 Altstadterneuerung in Lübeck, in: Jahrbuch Stadterneuerung 1992. 37-70. Vgl. auch Ingrid Bock, Der Wiederaufbau von Nürnberg – Vergleiche mit Danzig, in: Dokumentation der Jahrestagung 1986 in Danzig. Thema: Probleme des Wiederaufbaus nach 1945, Bamberg 19915478, sowie allgemein: Werner Durth, Niels Gutschow, Träume in Trümmern. Planungen zum Wiederaufbau zerstörter Städte im Westen Deutschlands 1940-1950, 2 Bde., Braunschweig-Wiesbaden 1988.
13 Die Grundrisse in dem ersten Block des Wiederaufbaus zwischen Langgasse und Hundegasse zeigen deutlich den Charakter der Veränderungen.45
Quelle: Józef Vogtman, Adaptacja zabytkowych domów mieszkalnych, Warszawa 1953, S. 44
Nur an ausgewählten Stellen wurden Elemente früherer Flügel, Quergebäude oder Umfassungsmauern rekonstruiert.46 Ebenso wurde weitgehend auf eine Bebauung der engen Querstraßen verzichtet, was zum Teil heftig kritisiert wurde.47 Mit dieser Sanierung der Wohnverhältnisse ging eine „Korrektur“ des Stadtbilds einher, etwa in der Straßengestaltung des Damms (Grobla) I-IV, die nun, früheren Vorschlägen Otto Kloeppels folgend,48 den Blick auf das nördliche Querschiff der Marienkirche freigab.
45
Vogtman, Adaptacja (wie Anm. 42); zum Wiederaufbau insgesamt s. Lech Krzyżanowski, Historical centre of Gdańsk. Reconstruction and role within the conurbation, in: Kwartalnik Architektury i Urbanistyki 12, 1967, Nr.2, 7-30. 46 Hier wäre vor allem das Uphagenhaus in der ul. Długa / Langgasse 12, sowie eine Hofbebauung in der ul. Chlebnicka / Brotbänkengasse zu nennen. 47 S. Stankiewicz, Uwagi (wie Anm. 42), 159. 48 Vgl. Otto Kloeppel, Danzig am Scheidewege, in: Ostdeutsche Monatshefte 8, 1928, 891-909.
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Wiederaufbau des Blocks Długa, Pocztowa, Ogarna, Garbary. Quelle: Jerzy Stankiewicz, Bohdan Szermer, Gdańsk. Rozwój urbanistyczny i architektoniczny oraz powstanie zespołu Gdańsk-SopotGdynia, Warszawa 1959, S. 275
Die Denkmalpflege konzentrierte sich so, erneut weniger aus fachlichen Überlegungen,49 als vielmehr aus den politischen wie finanziellen Rahmenbedingungen, auf die Rekonstruktion der Fassaden, nur mit Ausnahmen weniger, bedeutender Bürgerhäuser, wie dem Uphagenhaus oder dem Löwenschloß in der Langgasse. Der Aufwand der Fassadenrekonstruktion differierte dabei deutlich zwischen dem Zentrum der Rechtstadt mit den Straßenzügen von Langem Markt (Długi Targ) und Langgasse (ul. Długa), Jopen- und Brotbänkengasse (ul. Piwna, ul. Chlebnicka) und schließlich der Frauengasse (ul. Mariacka) einerseits und den übrigen Straßenzügen andererseits. Aus dieser „Arbeitsteilung“ resultierte, dass die Fassadengliederung, selbst da wo sie, wie in den zentralen Straßenzügen, die unterschiedlichen Geschosshöhen in der Fenstergliederung aufnahm, mit der horizontalen wie vertikalen Gliederung in Wohneinheiten nicht mehr zusammenfiel. Deutlich zu sehen ist das an der Frauengasse, wo hinter aufwendig rekonstruierten Fassaden, über den stellenweise erneuerten Dielensituationen für die siebziger Jahre in Polen aufwendige Wohnungen entstanden.50 In dem hier skizzierten Wiederaufbau der Danziger Rechtstadt äußert sich ein mehrfaches Wechselverhältnis von Denkmalpflege und moderner Umgestaltung: die Rekonstruktion orientierte sich an Befunden wie ikonographischem Material und versuchte, analog zu den purifizierenden Bemühungen der deutschen Denkmalpflege der zwanziger und dreißiger Jahre,51 die Umbauten seit Ende des 19. Jahrhundert zu übergehen und stattdessen ursprüngliche bzw. die jeweils ältesten Zustände
49
S. hier etwa die kritischen Bemerkungen von Stankiewicz, Uwagi (wie Anm. 42); und ders., Odbudowa zabytkowych zespołów Gdańska po 1945 r., in: Ochrona Zabytków, 32, 1979, Nr. 3, -183. 50 Hinweis mit Zeichnungen bei Wiesław Gruszkowski, in: Dokumentation der Jahrestagung 1986 in Danzig (wie Anm. 44), 35. 51 Auch hier wäre ein Vergleich zu anderen Altstädte, etwa Lübeck interessant, vgl. dazu Bodenschatz, 120 Jahre (wie Anm. 44). Vgl. Volmar, Danzigs Bauwerke (wie Anm. 2), Abb. 9-64.
15 wiederherzustellen (wobei etwa beim Beispiel der „Danziger Diele“52 die Einheitlichkeit der Fassade aufgegeben wurde). Mitunter entstanden vollständige Kopien, wie im Falle der Fassade, die Schinkel 1821 hatte auf die Pfaueninsel bringen lassen.53 Damit verband sich ein politisch-didaktisches Moment, das zum einen die Stilabfolge von der Gotik bis zum Klassizismus aufzeigen und zum anderen das Goldene Zeitalter Danzigs während seiner Zugehörigkeit zur „Rzeczpospolita szlachecka“54 vermitteln wollte. Zugleich kam es jedoch in mehrfacher Hinsicht zu einer volkspolnischen Inbesitznahme: sie wird deutlich in der Fassadengestaltung des zentralen Raums am Langen Markt und der Langgasse durch Sgraffito und Fassadenbemalung, die sich eindeutig als neue ausgibt, und der sozrealistischen Volkskunst folgte.55
Danzig, Długi Targ / Langmarkt 35. Foto Jörg Hackmann
Auslöser dafür, so einer der beteiligten Denkmalpfleger, war der Druck der Danziger Künstler (unter Leitung von J. Żuławski) auf eine zeitgenössische Ausschmückung der Fassaden.56 Dieses Vorgehen kann gewissermassen als eine Fortsetzung der nationalromantischen Restaurierung von Kazimierz Dolny zu Beginn des 20. Jahrhunderts gesehen werden.57
52
Vgl. Stankiewicz, Odbudowa (wie Anm. 49). Vgl. Stankiewicz, Szermer, Gdańsk (wie Anm. 14), 67. 54 S. Stankiewicz, Szermer, Gdańsk (wie Anm. 14), 88-127. 55 Die Motive, soweit sie historisch zu verorten sind, entstammten vielfach Krakauer Vorbildern; vgl. auch die Innenausgestaltung des Rechtstädtischen Rathauses. 56 So Krzyżanowski, Gdańsk (wie Anm. 29), 99; vgl. auch Jerzy Stankiewicz, Der Wiederaufbau historischer Ensembles in Danzig nach 1945, in: Dokumentation der Jahrestagung (wie Anm. 44), 1419, hier 16, 18, sowie Stankiewicz, Szermer, Gdańsk (wie Anm. 14), 294, 296. 57 S. dazu Adam Miłobędzki, Kazimierz Dolny – wielość wizerunków, in: Nadbałtyckie Centrum Kultury (Hg.), Miasto historyczne w dialogu ze współczesnością, Gdańsk (im Druck). 53
16 Läßt sich hier das stalinistische Dogma von national – bzw. man könnte hier auch sagen: historisch58 – in der Form und sozialistisch im Inhalt erkennen, so drang die stalinistische Architektur, die, dem Vorbild der Marszałkowska Dzielnica Mieszkaniowa (MDM) folgend, ähnliches in Danzig59 wie Stettin60 außerhalb der mittelalterlichen Stadtzentren entstehen ließ, ebenso in die Rechtstadt ein. Deutlich zu sehen ist das vor allem an dem „stalinistischen Bürgerhaus“ an der Ecke der Jopengasse (Architekt Stanisław Holc),61 aber auch am Langen Markt mit dem Gebäude des Hotels „Jantar“ von Lech Kadłubowski, der auch der weitgehend erhaltenen historistischen Post in der Langgasse eine stalinistische Fassade verpasste, als deren Ausweis die kleinen Obelisken in der Giebelzone gelten können.
Danzig, ul. Kołodziejska 7/9, ul. Piwna 69. Foto Jörg Hackmann
Es war also in den fünfziger Jahren nicht allein das Ineinandergreifen von Denkmalpflege und Moderne, das die polnische Inbesitznahme der Rechtstadt prägte, darüber legte sich eine stalinistische Ästhetik der Macht, als deren größtes Positivum in Danzig gelten kann, dass ihre Realisierung die maßstäbliche Anpassung nicht aufgaben.62 Freilich darf die kulturelle Akzeptanz dieses stalinistischen Historismus
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S. Architektura 1953, Nr. 8, 200. Gdańska Dzielnica Mieszkaniowa (GDM) in Wrzeszcz / Langfuhr. 60 Śródmiejska Dzielnica Mieszkaniowa (ŚDM) am plac Grunwaldzki. 61 Zum Zustand vor 1945 s. das Foto in: Foto Marburg, Nr. 826 833. 62 Es gab freilich auch monumentale Pläne für einen Kulturpalast vor dem Hohen Tor, s. Stefan Lier, Konkurs na projekt urbanistyczno-architektoniczny fragmentu śródmieścia Gdańska, in: Architektura 1954, H. 7/8, 188-197. 59
17 nicht übersehen werden; sie blieb gewiß nicht auf die Baumeister beschränkt, deren Köpfe nach Vorbildern aus dem Wawel neben dem Grünen Tor verewigt wurden.63
V. Wenn, wie hier gezeigt, ab Anfang der fünfziger Jahre die gesellschaftspolitische Zielsetzung, modernen Wohnraum in historischen Stadtzentren zu schaffen, dominierte, dann muß es der ideologische Gegensatz von der polnischen Neuorientierung Stettins und der Rekonstruktion von Danzigs „goldenem (polnischen) Zeitalter“ gewesen sein, der in der Betrachtung des Wiederaufbaus zu zwei Typen führte, von denen der erste seine Modernität wie seine Bezüge zu den historischen Stadtstrukturen offen darstellt, während der zweite mit einem hohen denkmalpflegerischen Anspruch das Stadtbild rekonstruiert, in der inneren Gestaltung der Baukörper jedoch modernen Nutzungskonzepten folgt. Bevor dieser Befund von Historismen in der Moderne oder Moderne im Historismus abschließend auf die Identitätsfrage bezogen werden soll, wird hier zunächst noch die Aufhebung dieses Gegensatzpaares im Wiederaufbau der achtziger Jahre betrachtet. Obwohl Elbing mit dem Anspruch der „Retroversion“64 für diesen dritten Typ zentral ist, beschränke ich mich hier auf die Betrachtung Stettins: Anfang der achtziger Jahre wurde die Pläne zur Bebauung der bislang freien Fläche der Unterstadt erneut aufgegriffen. In dem Wettbewerb von 198365 setzte sich ein von Stanisław Latour projektiertes, weitgehend rekonstruierendes Modell durch, das in der Hausgliederung wie der Blockinnengestaltung die Danziger Moderne durch eine stärkere Beachtung der historischen Strukturen ablöst, freilich in einer Umgebung, die ihre modernen Spuren gar nicht verwischen kann (und die vollständige Wiederherstellung der Blöcke nicht mehr zuließ). Die zentrale Prämisse folgte dem Elbinger Modell, das freilich schon von Czerny 1955 für Danzig formuliert worden war, in der Errichtung des Neubaus auf den alten Fundamenten.66 Neben die Beachtung denkmalpflegerischer Prämissen in der Fassadengestaltung, bei Dachformen etc. trat nun das Entwerfen freier historisierender Elemente. Mindestens ebenso wichtig ist aber die abweichende Bauträgerschaft: An die Stelle einer staatlichen Wohnungsbauagentur trat nun eine Baugenossenschaft, in der – wenn auch in eng gesetzten Grenzen – der private Eigentümer der Immobilie zurückkehrt.
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S. die Abbildung in Stankiewicz, Szermer, Gdańsk (wie Anm. 14). S. Maria Lubocka-Hoffmann, Die neue Altstadt von Elbing / Elblag, in: Mare Balticum 1999, 59-62; vgl. auch die Pläne von Szczepan Baum und Ryszard Semka, in: Architektura 1980, Nr. 3, sowie Szczepan Baum, Der Wiederaufbau der Altstadt in Elbląg / Elbing, in: Dokumentation der Jahrestagung (wie Anm. 44), 48-51. 65 S. dazu den knappen Überblick von Janusz Nekanda-Trepka, Perspektiven der Stadtentwicklung für Stettin, in: Stettin. Ansichten aus fünf Jahrhunderten, Lüneburg 1991, 58-61. 66 S. Maciej Słomiński, Eugeniusz Gwidon Wilgocki, Szczecińskie Podzamcze. Staromiejska dzielnica nadodrzańska i jej odbudowy – kwartały VIV i XVII, Szczecin 1998; zu Danzig s. Czerny, Krytyka (wie Anm. 40). 64
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Historische und aktuelle bzw. geplante Parzellengliederung der Stettiner Altstadt. Quelle: Maciej Słomiński, Eugeniusz Gwidon Wilgocki, Szczecińskie Podzamcze. Staromiejska dzielnica nadodrzańska i jej odbudowy – kwartały VIV i XVII, Szczecin 1998
Rückwirkungen dieses postmodernen Perspektivenwechsels finden sich auch in Danzig, hier ist das Hotel „Hanza“ am Mottlauufer von Szczepan Baum zu nennen (1996), der auch für die Architektur Elbings weitgehend verantwortlich ist. Der Wandel in der öffentlichen Wahrnehmung der Architektur reicht jedoch noch weiter: Er richtet sich deutlich gegen die intentional moderne Architektur der Rechtstadt wie im Falle des Theaters auf dem Kohlmarkt (Architekt: Lech Kabłubowski) und hat zu einer deutlichen Neubewertung des „preußischen“ Danziger Historismus geführt. Das ist zu sehen an der Diskussion um die Neubebauung der Milchkannengasse und ihrer Verlängerung sowie in der Frage nach einer Rekonstruktion des „Danziger Hofs“ neben dem Hohen Tor.
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Danziger Hof. Foto: Foto Marburg, Nr. 826 806
An der Forderung nach der Wiederherstellung des Hotels im Stil der Danziger Neorenaissance scheiterte 1998 ein Architekturwettbewerb.67 Zudem gibt es nun eine Diskussion, wie mit dem Wiederaufbau der fünfziger Jahre zu verfahren ist.68 Dazu tragen sicher die angeführten Probleme der Innenhöfe bei, aber auch die Rückkehr des privaten Eigentümers, der nun Abgeschiedenheit innerhalb der Blöcke wünscht, ist hier anzuführen.69
VI. Dazu komme ich zum Schluß auf die Frage nach dem identitätstragenden Aspekten der Architektur. Zweifellos waren sowohl der Wiederaufbau Danzigs wie auch der Stettins zentral von polnischen Identitätspolitiken bestimmt. In beiden Fällen prägte die Intention, die Städte zu polnischen Städten „umzubauen“ die Strategien des Wiederaufbaus nach Kriegsende. Dabei waren sowohl der Historismus einer rekonstruierenden Denkmalpflege wie eine weitreichende Reduktion historischer Stadtstrukturen als Folie für modernen Mietwohnungsbau gangbare Wege. Diese polnischen Aneignungsstrategien waren nicht allein durch historische Bezüge geprägt, sondern die eigene Prägung des Wiederaufbaus wurde ebenfalls als eine historische wie 67
Die Wettbewerbsergebnisse bei Marek Lesiński, Targ o Węglowy, in: „30 dni“, Dezember 1998; vgl. auch Jacek Krenz, Metamorfozy miasta: trwanie/przetrwanie, tworzenie/odtwarzanie. Współczesna architektura Gdańska w dialogu z historią, in: Miasto historyczne (wie Anm. 42). 68 S. dazu von Seiten der Danziger Stadtverwaltung: Ryszard Gruda, Rozwój przezstrzenny śródmiścia Gdańska w zamierzeniach samorządu miasta, in: Miasto historyczne (wie Anm. 42); vgl. auch die in Nadbałtyckie Centrum Kultury (Hg.), Colloquia Millenaria, Heft 1, Gdańsk 1997, dokumentierte Diskussion. 69 Ein Projekt von Katarzyna Rembarz und Aleksander Piwek wurde auf einer Konferenz über das Bürgerhaus in Nordeuropa vom 16.-18.11.2000 in Danzig vorgestellt.
20 moderne Leistung verstanden, die zugleich die aktuelle Polonität der Städte legitimierte. Verbindendes Element von denkmalpflegerischem Historismus und Moderne war – neben dem skizzierten Einfluß des Stalinismus – zunächst eine deutlich antipreußische Einstellung, die den deutschen Historismus des 19. Jahrhunderts außer acht ließ.70 Wenn also der preußisch-deutsche Stadtbürger vor 1945 kein identitätsstiftender Bezugspunkt in der Volksrepublik Polen war, dann führte der Abtritt der Volksrepublik auch zum Verschwinden dieser ästhetischen Ablehnung, wie das Beispiel des „Danziger Hofs“ exemplarisch zeigt. An ihre Stelle trat nun ein Wiederaufleben regionaler Identitätsstrategien, die sich nun nicht zuletzt über die soziale Stellung innerhalb der Stadt und eine entsprechende architektonische Repräsentation definieren. Damit haben sich die Konnotationen der Architektur in den historischen Stadtzentren Polens erheblich gewandelt. Das Verdikt der klassischen Moderne in Polen gegen die historisierenden Stile Ende des 19. Jahrhunderts und zu Beginn des 20. Jahrhunderts71 findet kein Gehör mehr, im Gegenteil, ihre einst polnische Identität stiftende Wirkung wird auch von denjenigen nicht mehr geteilt, die die Moderne als ästhetisches Konzept weiterführen. 26316 Zeichen © Jörg Hackmann, 2000, 2015
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Das gilt notabene für Danzig und Stettin gleichermaßen: vgl. zu Danzig etwa Gruszkowski, Spór (wie Anm. 30), 144, wo er von einer „inwazja agresywnej pseudohistorycznej zabudowy handlowej na Główne i Stare Miasto” spricht; ähnlich deutlich bereits Czerny 1948 zum ehemaligen Reichsbankgebäude in Danzig, er sprach in diesem Zusammenhang von „preußischer Barbarei“, vgl. Labuda, Kunsterbe (wie Anm. 4), 12 f. Zu Stettin s. das Urteil von Zaremba, in: ders., Orlińska, Urbanistyczny (wie Anm. 16), 86-88, und öfter. 71 S. etwa zum Kohlmarkt: Krzyżanowski, Historical centre (wie Anm. 45), 26; vgl. auch Wiesław Gruszkowski, Oceny Gdańskiej architektury wilhelmińskiej w ciągu stułecia, in: Miasto historyczne (wie Anm. 42).