Conviva satur: Mündlichkeit, Schriftlichkeit und Patronage in den sermones des Horaz. Forthcoming in Poetica

May 26, 2017 | Author: Alexander Kirichenko | Category: Augustan Poetry, Orality-Literacy Studies, Horace, Patronage (History), Roman Satire, Latin poetry, The Ars Poetica, Verse epistles, Roman Epistolography, Latin poetry, The Ars Poetica, Verse epistles, Roman Epistolography
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Conviva satur: Mündlichkeit, Schriftlichkeit und Patronage in den sermones des Horaz

Alexander Kirichenko Trier/Berlin [email protected]

This article shows that in Horace’s sermones (the Satires, the Epistles, and the Ars poetica) the social dynamics of Roman patronage provides a metaphorical basis for an innovative (meta-)poetic discourse. It argues that the progression from the orality of the Satires to the epistolarity of the Epistles encodes an intricate dialectics between freedom and dependence (ethical, aesthetical, and political alike) and thereby reflects on the way Horace’s poetry produces meaning.

Einleitung Die beiden Gattungen der Hexametergedichte des Horaz – die Satiren und die Episteln – weisen bekanntlich eine Reihe formaler, stilistischer und thematischer Gemeinsamkeiten auf.1 Die Trennlinie zwischen beiden Gattungen wird auch dadurch verwischt, dass einige Satiren sich direkt an einen konkreten Adressaten (Maecenas) wenden und darum fast wie Briefe wirken, während einige Episteln keine eindeutigen epistolaren Merkmale enthalten und – genauso wie die Satiren – sich selbst als sermones bezeichnen.2 Auch antike HorazKommentare betonen, dass der Unterschied zwischen den Satiren und den Episteln rein terminologischer Natur sei und sich ausschließlich darin manifestiere, dass sich der Dichter in den Satiren an anwesende, in den Episteln hingegen an abwesende Adressaten wende.3

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Zu den Satiren und Episteln als zwei verschiedenen Gattungen von sermones siehe De Pretis 2004, 99-107; Cucchiarelli 2010. 2 Z.B. Hor. epist. 2.1.250-251 nec sermones ego mallem / repentis per humum quam res componere gestas etc. 3 Porph. Hor. epist. 1.1 Flacci epistularum libri titulo tantum dissimiles a sermonum sunt. nam et metrum et materia verborum et communis adsumptio eadem est. in sermonibus autem vult intelligi quasi apud praesentem se loqui, epistulas vero quasi ad absentes missas. Vgl. Ps-Acro Hor. epist. 1.1. Wulfram 2008, 105.

 

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Dieser scheinbar unwesentliche Unterschied zwischen den beiden Arten der horazischen sermones hat jedoch weitreichende Konsequenzen. Sowohl die Satiren als auch die Episteln sind zwar sorgfältig komponierte Poesiebücher, die veröffentlicht werden, um eine breite Leserschaft zu erreichen.4 In der Fiktion der jeweiligen Subgattung inszenieren sie sich jedoch als private – betont unpoetische – Kommunikationen,5 die sich entweder mündlich (die Satiren) oder schriftlich (die Episteln) gestalten. Das Ziel dieses Aufsatzes besteht darin, die Bedeuting des Übergangs von der mündlichen zur schriftlichen Kommunikation in den sermones zu beleuchten. Während die umfangreiche Forschungsliteratur zur Mündlichkeit und Schriftlichkeit in der klassischen Literatur sich vor allem mit den ursprünglichen Produktions- und Rezeptionsbedingungen verschiedener literarischer Gattungen befasst,6 geht es mir dabei keineswegs darum, zu bestimmen, ob Horaz die Satiren und/oder die Episteln als Leseoder als Rezitationstexte konzipiert hat.7 Mein Hauptanliegen ist vielmehr, die Entwicklung der auktorialen Selbstinszenierung von der fingierten Mündlichkeit hin zur fingierten Epistolarität8 als eine metapoetische Reflexion über die unmittelbare Wirkung und die posthume Nachwirkung seiner – selbstbewusst schriftlichen – Dichtung zu untersuchen. Mein weiteres Ziel besteht darin, die Bedeutung dieser Selbstinszenierung in ihrem (literatur-)historischen Kontext zu erörtern: Ich werde zeigen, dass sie nicht nur die zeitgenössischen Machtverhältnisse widerspiegelt, sondern auch dazu dient, ein panegyrisch anmutendes Bild der Epoche zu verewigen und gleichzeitig einen genuin römischen poetischen Diskurs zu begründen.                                                                                                                 4

Neuere Forschung hat gezeigt, dass jedes der vier Bücher der horazischen sermones (Satiren 1-2 und Episteln 1-2) wie ein typisch ‚augusteisches’ – eine in sich schlüssige semantische und ästhetische Einheit bildendes – Poesiebuch konzipiert ist. Siehe z.B. Zetzel 1980, Knorr 2004 und Gowers 2012, 15-20 (Satiren 1); Muecke 1993, 8-9 und Freudenburg 2001, 71-82 (Satiren 2); Mayer 1994, 49-51; Porter 2002; De Pretis 2004; Trinacty 2012; McCarter 2015 (Episteln 1); Kilpatrick 1990 (Episteln 2 und die Ars Poetica); Harrison 2008 (Episteln 2 und die Ars Poetica als ein Buch). 5 Horaz betont wiederholt, dass er seine sermones nicht als Dichtung betrachtet: z.B. serm. 1.4.38-62; epist. 1.1.1-19, 2.2.24-54; AP 304-308. 6 Die Forschung zur Mündlichkeit und Schriftlichkeit in der klassischen Literatur ist wahrhaftig unübersichtlich. Hervorheben könnte man vor allem die der klassischen Literatur gewidmeten Beiträge der insgesamt über 140 Bände umfassenden ScriptOralia-Reihe (z.B. Kullmann – Reichel 1990; Vogt-Spira 1990 und 1993; Benz 2001) sowie die Serie Orality and Literacy in the Ancient World (z.B. Worthington 1996; Watson 2001; Worthington – Foley 2002; Cooper 2007; Minchin 2012; Scodel 2014). Siehe auch Lentz 1990; Thomas 1992; Mackay 1999. Zum Verhältnis zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit als Kommunikationsformen im Allgemeinen siehe z.B. Ong 1982; Havelock 1986. 7 Dazu siehe z.B. Lefèvre 1993. 8 Während ältere Forschung die Episteln mehrheitlich als ‚echte’ Briefe betrachtete (z.B. Fraenkel 1957, 413), geht man heutzutage (spätestens seit Williams 1968, 7-24) von ihrem fingierten Charakter aus. Zur Forschungsdiskussion siehe Wulfram 2008, 110-121.

 

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Es ist allgemein bekannt, dass nicht nur die sermones, sondern auch das gesamte übrige poetische Oeuvre des Horaz in der traditionellen Begrifflichkeit der literarischen Patronage zutiefst verwurzelt ist.9 Die literarische Patronage – die enge Verbindung zwischen einem Dichter und einem mächtigen Gönner – wird seit den ersten Anfängen der klassischen Dichtung ununterbrochen thematisiert.10 Dass ein Dichter davon augehen muss, dass er von einem aristokratischen Patron materielle Unterstützung dafür erhält, dass er diesem unsterblichen Ruhm verleiht, wird bereits bei Homer als selbstverständlich vorausgesetzt11 und auch in der archaischen griechischen Lyrik – vor allem bei Pindar und Simonides – immer wieder mit Nachdruck betont.12 Später – in der hellenistischen Epoche – stellt Theokrit das von ihm angestrebte Verhältnis mit dem syrakusischen Tyrannen Hieron sogar explizit als eine Art materielle Transaktion dar, bei der der laudandus sich verpflichten muss, als Gegenleistung für eine durch Dichtung erlangte poetische Unsterblichkeit ‚die bedürftigen Chariten’ des Dichters großzügig zu beschenken.13 Während die römische Dichtung der republikanischen und der augusteischen Epoche, die unter der Patronage solch politisch einflussreicher Figuren wie Scipio Africanus des Jüngeren, Asinius Pollios, des Messala und des Maecenas entstand, die ökonomische Komponente der Abhängigkeit der Dichter weitgehend zu überspielen tendiert,14 wird die materielle Abhängigkeit der Dichter zu einem der zentralen Themen der kaiserzeitlichen Poesie – vor allem bei Statius, Martial und Juvenal15 – und spielt weiterhin eine

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Zur zentralen Rolle der Patronage in der Dichtung des Horaz siehe Gold 1987, 114-141; Damon 1997, 105145; Oliensis 1998; Bowditch 2001; Ganter 2015, 147-202. 10 Zur literarischen Patronage in der klassischen Antike im Allgemeinen siehe Gold 1987. 11 Zum Bild der ‚Hofdichter’ bei Homer siehe Bremer 1991, 44-46. 12 Zu den ökonomischen Motiven der archaischen griechischen Lyriker siehe z.B. Gentili 1984, 203-231; Bremer 1991, 47-54; Morgan 2007; Hornblower 2009, 39-44. Zum Einfluss des Simonides auf Horaz’ Poetik der Patronage siehe Barchiesi 1995. 13 Theokrit, Id. 16.5-21, bes. 5-7 τίς γὰρ τῶν ὁπόσοι γλαυκὰν ναίουσιν ὑπ᾿ ἠῶ / ἡµετέρας Χάριτας πετάσας ὑποδέξεται οἴκῳ / ἀσπασίως, οὐδ᾿ αὖθις ἀδωρήτους ἀποπέµψει; Dazu siehe Hunter 1996, 77-109; Kyriakou 2004; González 2010. Zu Theokrit als ‚Hofdichter’ im ptolemäischen Alexandria siehe Griffiths 1979. Vgl. Gold 1987, 15-38. 14 Zum generellen Verschweigen des ökonomischen Aspekts der literarischen Patronage in der augusteischen Dichtung (mit der Ausnahme des Horaz und – später – Ovids), die einen starken Kontrast zur expliziten Hervorhebung dieses Motivs in der post-augusteischen kaiserzeitlichen Dichtung bildet, siehe z.B. White 1978, 74-78. Zur literarischen Patronage innerhalb des sogenannten ‚Scipionenkreises’ (2. Jahrhundert vor Chr.) siehe Hanchey 2013; in der späteren Republik: Williams 1982; Gold 1987, 73-109; im octavianischen / augusteischen Rom im Allgemeinen (Asinius Pollio, Messala, Maecenas): Gold 1987, 111-172; White 1993. Zu einzelnen augusteischen Dichtern siehe z.B. Bright 1978, 38-65 (Tibull), Cairns 2008 (Vergil), Heyworth 2007 (Properz). 15 Zur literarischen Patronage in der domitianischen Zeit (Statius und Martial) siehe Nauta 2002, Rühl 2015. Vgl. White 1978, 76-77, 85-89. Zu Juvenal siehe Damon 1997, 173-193.

 

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vergleichbar wichtige Rolle im poetischen Selbsverständnis späterer Epochen der westlichen Literaturgeschichte – vom Mittelalter bis hin in die Neuzeit.16 Wie ich in diesem Aufsatz demonstrieren werde, besteht die Besonderheit des Horaz vor allem darin, dass er – im Gegensatz zu vielen seiner poetischen Vorgänger und Zeitgenossen und in Antizipation einiger seiner Nachfolger17 – die materielle Realität der Patronage nicht einfach explizit anerkennt, sondern diese zum grundlegenden Fundament seiner Poetik macht. Bekanntlich spielte das System der Patronage in Rom – im Vergleich zu anderen Gesellschaften – eine geradezu übermächtige Rolle, indem es nicht nur das Verhältnis zwischen Dichtung und Macht, sondern auch das gesamte soziale Gefüge nachhaltig prägte.18 Völlig im Einklang mit diesem gesellschaftlichen System stilisiert sich auch Horaz als einen – sozial niedriger gestellten – ‚Freund’ des Maecenas (und später des Augustus), der dem Patron durch seine Dichtung gebührende Dankbarkeit erweist.19 Doch durch die Betonung der für die römische Patronage typischen Machtverhältnisse kreiert Horaz nicht nur ein panegyrisches Bild seiner Gönner, sondern etabliert auch einen innovativen – in der sozialen Realität Roms verwurzelten – (meta)poetischen Diskurs. Innerhalb dieses Diskurses spielt die Entwicklung von der fingierten Mündlichkeit der Satiren hin zur fingierten Epistolarität der Episteln insofern eine besonders wichtige Rolle,                                                                                                                 16

Die Forschungsliteratur zum Mäzenatentum in verschiedenen Epochen der europäischen Literatur (sowie in anderen literarischen Traditionen) ist außerordentlich umfangreich. Für einen allgemeinen Vergleich zwischen den antiken und den späteren – vor allem mittelalterlichen – Formen der literarischen Patronage siehe White 1978, 78-79. Zur Patronage im Mittelalter siehe z.B. Bumke 1986; Hasler 2011; in der italienischen Renaissance: Martines 2001, 13-36 (zur Patronage der Künste siehe Hollingsworth 1994); in der frühen Neuzeit: Griffin 1996 (England); Mousnier – Mesnard 1985 (Frankreich). Zum Phänomen des mécénat in Frankreich vom Mittelalter bis heute siehe die Beiträge in Marchal 2006. 17 Man denke vor allem an die zentrale Rolle der materiellen Abhängigkeit der Dichter für verschiedene Aspekte der Poetik der neronischen und der domitianischen Schriftsteller (Persius, Petron, Martial und Statius). Dazu siehe Seo 2009; Kirichenko 2014; Kirichenko, im Druck a. 18 Es ist in diesem Zusammenhang von besonderer Bedeutung, dass Dionysios von Halikarnass, der in seinen in der augusteischen Epoche entstandenen Antiquitates Romanae die römische Geschichte und das römische Staatswesen den griechischsprachigen Bewohnern des Imperiums verständlich zu machen suchte, das allumfassende System der Patronage als eine genuin römische (angeblich bereits durch Romulus selbst eingeführte) – aus der griechischen Perspektive heraus jedoch eher erklärungsbedürftig wirkende – Institution darstellte: Dion. Hal. ant. 2.9-11. Vgl. Ganter 2015, 1-2. Zur fundamentalen Bedeutung der Patronage für verschiedene Aspekte des römischen Staatswesens und der römischen Kultur siehe vor allem die bahnbrechende Studie von Richard Saller: Saller 1982, bes. 1: „First, [patronage] involves the reciprocal exchange of goods and services. Secondly, to distinguish it from a commercial transaction in the marketplace, the relationship must be a personal one of some duration. Thirdly, it must be asymetrical, in the sense that the two parties are of unequal status and offer different kinds of goods and services in the exchange – a quality which sets patronage off from friendship between equals” und 38: “The question is: what provides stability in societies with enormous centrifugal pressures (including unequal distributions of goods and services amongst various classes) pulling them apart? The answer for both is patronage and the patronal ideology.” Siehe auch Verboven 2002; Ganter 2015. 19 Zu den rhetorischen Strategien der Überlappung zwischen den Kategorien der Freundschaft und der Patronage siehe White 1978; Saller 1982, 7-39; Saller 1990.

 

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als dadurch eine eigenartige Dialektik zwischen Abhängigkeit und Freiheit entsteht, die weiterhin auf solche abstrakteren Bereiche wie persönliche Ethik, intertextuelles Gedächtnis und literarischen Ruhm projiziert wird. Während die ‚mündlichen’ Gespräche der Satiren eine bedingungslos enge Bindung des Dichters an seinen Patron zum Ausdruck bringen, symbolisiert die durch die Schriftlichkeit der Episteln betonte Distanz eine Freiheit, die nur dank dem bereits erbrachten Klientendienst erlangt werden konnte. Dieses Zusammenspiel zwischen Abhängigkeit und Freiheit wird wiederum zu einer sowohl philosophisch als auch ästhetisch wirksamen Metapher, denn erst dadurch kommt die raffinierte Ironie besonders deutlich zur Geltung, mit der Horaz nahelegt, dass seine sowohl ethische als auch poetische Autonomie nur in Abhängigkeit von literarischen Vorbildern und das postume Überleben seiner unverwechselbaren Dichtung nur in Abhängigkeit von der Gunst der künftigen Leser ermöglicht werden kann. Konkret werde ich in den folgenden vier Abschnitten zeigen, 1) dass die fingierte Mündlichkeit des ersten Satirenbuchs dazu dient, die räumliche Untrennbarkeit und die gegenseitige Abhängigkeit zwischen Maecenas, dem großzügigen Patron, und Horaz, seinem in jeglicher Hinsicht zufriedenen Klienten (vgl. serm. 1.119 conviva satur, „gesättigter Gast“), als eine selbstlose – wahrhaftig philosophische – Freundschaft zu inszenieren und dadurch den Patron als Inbegriff des in der Sammlung propagierten ethischen Ideals darzustellen; 2) dass das zweite Satirenbuch sich vor allem mit der ideologischen Wirkung befasst, die dieses ‚mündlich’ vermittelte Bild entfaltet, wenn es in Form eines schriftlichen Texts einem breiteren Publikum zugänglich gemacht wird und dadurch eine Übertragung des für den Freundeskreis des Maecenas erschaffenen enkomiastischen Konstrukts auf das gesamte – von Octavian beherrschte – Imperium unterschwellig andeutet; 3) dass im ersten Buch der Episteln die epistolare Form gewissermaßen als die greifbarste – geradezu archetypische – Manifestation der Kommunikation zwischen dem Autor und dem Leser eines schriftlichen Texts fungiert, wobei die partielle Emanzipation des Klienten von seinem Patron als Metapher für die partielle Unabhängigkeit eines frei zirkulierenden schriftlichen Texts von seinem Autor dient; und schließlich 4) dass im zweiten Buch der Episteln und in der Ars poetica die Begrifflichkeit der Patronage auf die Transformation eines poetischen Oeuvres in einen potentiell immerwährenden Klassiker projiziert wird, wobei das posthume Überleben des Dichters (gleichsam sein ewiges Leben als conviva satur) sowohl mit der von ihm selbst zu

 

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bewirkenden Verewigung des Patrons als auch mit der (fast ‚mündlich’ anmutenden) unmittelbaren Wirkung seiner Dichtung auf künftige Leser aufs engste verbunden ist.

1. Satiren 1 In einer der Episteln bezeichnet Horaz seine Satiren als Bionei sermones (epist. 2.2.60) – im Geiste des Kynikers Bion verfasste philosophische Predigten.20 Vor allem in den ersten drei Satiren des ersten Buchs – den sogenannten Diatribensatiren – präsentiert sich Horaz als einen solchen kynischen Prediger, der das ethische Ideal einer perfekt ausbalancierten Genügsamkeit (vgl. das allgegenwärtige Wortspiel satis – satur)21 – im Umgang mit Geld, Sex und Freundschaft – propagiert,22 während er all diejenigen verspottet, die dieses Ideal noch nicht verinnerlicht haben. Diese Predigten sind höchst eigenartig, und zwar nicht nur weil Horaz eine kynisch anmutende Maske aufsetzt, um größtenteils epikureisch anmutende Inhalte zu vermitteln.23 Eine kynische Diatribe – wie wohl jede andere Form des öffentlichen philosophischen Sprechens – verfolgt in der Regel ein protreptisches Ziel, das darin besteht, die Zuhörer zur philosophischen Position des Sprechers zu bekehren.24 In seiner Selbstinszenierung hingegen spricht Horaz vor Gleichgesinnten – Maecenas und dessen Freundeskreis –, die nicht nur keiner Bekehrung bedürfen, sondern auch wie eine Gemeinschaft dargestellt

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Zu Bion siehe Kindstrand 1976. Zum ‚bionischen’ Hintergrund der Satiren des Horaz vgl. Moles 2007, 165-168; Gowers 2012, 13. 21 Freudenburg 2001, 15-51; Gowers 2012, 15-20. 22 Vgl. Hor. serm. 1.1.61-62 at bona pars hominum decepta cupidine falso / ‚nil satis est’ inquit, ‚quia tanti quantum habeas sis’; 1.2.28-30 nil medium est. sunt qui nolint tetigisse nisi illas / quarum subsuta talos tegat insita veste; / contra alius nullam nisi olenti in fornice stantem; 1.3.25-27 cur in amicorum vitiis tam cernis acutum / quam aut aquila aut serpens Epidaurius? Die Forschungsliteratur zur ‚Mitte’ in den Diatribensatiren ist unübersichtlich. Siehe z.B. Fraenkel 1957, 76-86; Lefèvre 1975; Ferri 1993, 33-57; Freudenburg 1993, 110-114 und 2001, 27-44; Gigante 1999; Henderson 1999, 173-201; Dufallo 2000; Knorr 2004, 41-70; Schlegel 2005, 25-30; Plaza 2006, 273-279; Gibson 2007, 19-42; Hooley 2007, 38-45; Kemp 2009; Sharland 2010, 115-156; Kirichenko, im Druck b. 23 Zum Epikureismus des horazischen Sprechers siehe Ferri 1993, 33-57; Plaza 2006, 273-279; Hooley 2007, 42-45; Kemp 2009; Sharland 2010, 151-156; Gowers 2012, 120-121. Zum Zusammenspiel der kynischen und der epikureischen Elemente in den Satiren siehe Moles 2007, 168. 24 Vgl. Dio Chrysostomus’ Darstellungen der öffentlichen Auftritte des Diogenes in Or. 8 und 9. Zur Wirkung der kynischen Rhetorik siehe Branham 1996, bes. 101-103. Zum antiken Topos der Bekehrung zur Philosophie vgl. Kirichenko 2010, 87-105.

 

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werden, die das propagierte ethische Ideal bereits komplett verkörpert.25 Wie die in der Poetik des archaischen griechischen Jambus verwurzelten Epoden26 scheinen also auch die Satiren in erster Linie das Ziel zu verfolgen, eine möglichst klare Grenze zwischen der lächerlichen Außenwelt und dem idealisierten inneren Kreis zu ziehen, in dem der Dichter nun auch selbst einen festen eigenen Platz besitzt.27 Im Gegensatz zum jambischen Sprecher der Epoden, der vor allem durch eine nach außen gerichtete Aggression das Zusammengehörigkeitsgefühl innerhalb der eigenen Gruppe verfestigt,28 benutzt Horaz in den Satiren die Maske eines kynischen Predigers – einer sozial marginalisierten Figur, die für sich die Narrenfreiheit erkämpft, die gesamte Menschheit zu belehren,29 – um zu verdeutlichen, dass seine eigenen inneren Eigenschaften dem hohen ethischen Standard seines Patrons haargenau entsprechen. So zerstreut Horaz die Ängste hypothetischer – sich außerhalb des eingeschworenen Freundeskreises befindender – Kritiker vor poetischen Schmähungen, indem er beteuert, dass er nicht in der Öffentlichkeit, sondern nur vor Freunden auftritt.30 Dabei betont er, dass seine Darstellungen menschlicher Laster keineswegs der Verspottung dienen, sondern anhand konkreter Beispiele Verhaltensmuster illustrieren, die er selbst zum Zwecke seines eigenen ethischen Fortschritts zu vermeiden gelernt hat.31 Das Bild, das dank dieser Selbstinszenierung entsteht, etabliert eine umfassende strukturelle Analogie zwischen dem Adressanten und dem Hauptadressaten der Satiren: So wie Maecenas immer nur die richtigen Freunde um sich herum versammelt, so wählt auch Horaz immer nur die richtigen ethischen Vorbilder, nach denen er seine eigene Persönlichkeit in Einklang mit den moralischen Ansprüchen des Maecenas bringt (vgl. serm. 1.6.45-111). Dabei vermittelt er seinem Patron in persönlichen Gesprächen von                                                                                                                 25

Vgl. Hor. serm. 1.9.49-51 ‚domus hac nec purior ulla est / nec magis his aliena malis. nil mi officit’ inquam, / ‚ditior hic aut est quia doctior.’ 26 Vgl. Johnson 2012, bes. 6: „Through an impressive variety of episodes, Horace’s Epodes presents a unified drama in which the iambicist first acknowledges that he and his people are perpetuating a cycle of blame, shame, and vengeance.“ 27 Hor. serm. 1.9.51-52 est locus uni / cuique suus [sc. innerhalb des Maecenas-Kreises]. Vgl. Fraenkel 1957, 112-118; Rudd 1966, 74-85; Du Quesnay 1984, 52-53; Henderson 1993; Schmitzer 1994, 25-30; Oliensis 1998, 24; Schlegel 2005, 118; Gowers 2012, 303-304. 28 Vgl. Mankin 2010; Johnson 2012. 29 Vgl. Branham 1996; Long 1996. Zum Leben des Bion als einer typisch kynischen Biographie siehe Kindstrand 1976, 3-20. Zum bionischen Hintergrund der Autobiographie des Horaz im ersten Buch der Satiren siehe Williams 1995; Moles 2007, 166-167. 30 Hor. serm. 1.4.71-74 nulla taberna meos habeat neque pila libellos, / quis manus insudet vulgi Hermogenisque Tigelli. / nec recito cuiquam nisi amicis, idque coactus, / non ubivis coramve quibuslibet. Vgl. serm. 1.10.81-91. 31 Hor. serm. 1.4.120-126 sic me [sc. pater] formabat puerum dictis, et sive iubebat / ut facerem quid, ‚habes auctorem quo facias hoc’ / ... sive vetabat ... Vgl. Oliensis 1998, 24-26.

 

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Angesicht zu Angesicht stets den Eindruck, er sage genau das, was dieser ohnehin stillschweigend denke, wodurch der Patron selbst – auf eine höchst unaufdringliche und darum besonders überzeugende Weise – als Inkarnation des vom Klienten inszenierten philosophischen Ideals erscheint.32 Diese Inszenierung eines scheinbar völlig ungezwungenen – ausschließlich auf inneren Gemeinsamkeiten basierenden – philosophischen Freundschaftsbundes vermag jedoch nicht das höchst komplexe gegenseitige Abhängigkeitsverhältnis zu vertuschen, das zwischen den beiden besteht.33 Dabei dient gerade die fingierte Mündlichkeit der Gedichte dazu, mithilfe des archetypisch ‚satirischen’ Wortwitzes (vgl. satur – satura)34 diese tiefgreifende gegenseitige Abhängigkeit zu konzeptualisieren. Denn das Verhältnis zwischen Maecenas und Horaz ließe sich als in doppelter Hinsicht ‚mündlich’ verstehen. Die Tatsache, dass Horaz den mit demjenigen eines gesättigten Gasts vergleichbaren Zufriedenheitszustand (serm. 1.1.119 conviva satur)35 nur dank Maecenas verwirklichen kann, hängt unmissverständlich damit zusammen, dass er im wörtlichen Sinne des Wortes ein conviva satur des Maecenas ist (vgl. serm. 1.6.47 convictor), der vom Meister ausgiebig ‚gefüttert’ wird.36 Als Gegenleistung dafür, dass er vom Patron die Grundlage für ein mehr als komfortables Leben erhält,37 steht er diesem stets zu Diensten und lobt das Leben an der Seite des Patrons als die Erfüllung des angestrebten ethischen Ideals. So schildert Horaz in Satire 1.5 sich selbst als einen treu ergebenen Klienten, der, als er seinen Patron auf einer wichtigen politischen Mission nach Brundisium begleitet, so tut, als sei er für die wichtigen Angelegenheiten der Mächtigen völlig blind, und stattdessen – wie ein

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Dieser Eindruck entsteht bereits in den ersten Versen von serm. 1.1 (1-3 qui fit, Maecenas, ut nemo, quam sibi sortem / seu ratio dederit seu fors obiecerit, illa / contentus vivat, laudet diversa sequentis?), in denen eine Art Komplizenschaft zwischen dem Sprecher und dem Adressaten etabliert wird, die sich allein von der übrigen im Gedicht verspotteten Menschheit klar abzusetzen scheinen. Vgl. Freudenburg 2001, 15-23. Bedeutend ist auch die Parallele zwischen der verbalen Zurückhaltung des Horaz bei der ersten Begegnung mit Maecenas (serm. 1.6.57 infans namque pudor prohibebat plura profari) und beim Rezitieren der Satiren (vgl. serm. 1.1.14 ne te morer, 120 iam satis est, vgl. serm. 1.3.63-65). Nicht zuletzt danke dieser Zurückhaltung erreicht der Sprecher die ersehnte Stellung eines amicus des Maecenas garantiert (vgl. serm. 1.6.61-62 iubesque / esse in amicorum numero). 33 Zur allgemeinen Tendenz in Rom, das Abhängigkeitsverhältnis der Patronage als amicitia darzustellen, siehe Saller 1982, 11-15 (bes. 11: „This tendency did not produce any levelling effect or egalitarian ideology in the hierarchical Roman society“). 34 Zum kulinarischen Ursprung des Begriffs satura (lanx satura etc.) siehe Gowers 1993b, 109-126. 35 Vgl. Lucr. 3.938-939 cur non ut plenus vitae conviva recedis / aequo animoquw capis securam, stulte, quietem? Freudenburg 2001, 33-35. 36 Vgl. Damon 1997, 129-132; Turpin 1998; Bowditch 2001. 37 Hor. serm. 1.6.111-131. Vgl. epod. 1.31-32 satis superque me benignitas tua / ditavit.

 

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typischer sympotischer Unterhalter38 – ausschließlich von amüsanten Nebensächlichkeiten berichtet.39 Dagegen stellt er in Satiren 1.6 und 1.9 sein Leben mit Maecenas als Inbegriff der ‚goldenen Mitte’ dar, denn trotz seiner niedrigen Abstammung40 erhält er einen seinen inneren Eigenschaften gebührenden Platz in der ‚Mitte’ der römischen Gesellschaft, wobei er die aristokratische Muße – die wichtigste Voraussetzung für ein wahrlich philosophisches Leben – genießt, ohne dabei aristokratische Pflichten erfüllen zu müssen.41 In der Fiktion des ersten Satirenbuchs erfolgt die Selbstinszenierung des Dichters zwar anhand spontaner mündlicher Äußerungen, die angeblich nur für die Ohren des Maecenas und seines engsten Freundeskreises bestimmt sind. Der besondere Wert dieser Selbstinszenierung besteht jedoch vor allem darin, dass sie einem breiteren Publikum in Form eines sorgfältig konstruierten schriftlichen Texts vorgelegt wird und somit das im Grunde enkomiastische Bild des Maecenas der Außenwelt zugänglich macht. Bezeichnenderweise reflektiert Horaz über die literarische Beschaffenheit dieses Texts mit ähnlicher Detailfreude wie über die Konstruktion seiner Persönlichkeit und über die Zusammensetzung des Maecenas-Kreises. In Satiren 1.4 und 1.10 definiert er das Verhältnis zu seinen poetischen Vorgängern – in erster Linie zu Lucilius, dem Urvater der römischen Satire.42 Den ungezwungen harschen Umgang des Lucilius mit den Lastern seiner Zeitgenossen empfindet Horaz als durchaus nachahmenswert.43 Für unbefriedigend erklärt er nur die Form der lucilischen Satiren, die ihm unnötig verbos und völlig ungeschliffen vorkommen.44 Dabei positioniert er sich zwei weiteren poetischen Vorbildern gegenüber. Dadurch, dass er die berühmte                                                                                                                 38

Horaz stellt dabei eine auffällige Analogie (die Gemeinsamkeiten sichtbar macht, indem sie sie ostentativ vertuscht) zwischen sich selbst und den zwei scurrae (= Parasiten) her, die in serm. 1.5.51-70 für die Unterhaltung bei Tisch sorgen: Oliensis 1998, 26-30. Siehe auch Turpin 1998. 39 Vgl. Fraenkel 1957, 105-112; Ehlers 1985; Gowers 1993a und 2012, 182-186; Freudenburg 1993, 201205; Fedeli 1994, 412; Reckford 1999; Cucchiarelli 2001; Plaza 2006, 262-268; Hooley 2007, 52-55; Schmitzer 2009. Zu serm. 1.5 als einer Illustration der in serm. 1.4 vertretenen literaturtheorerischen Haltung siehe Cucchiarelli 2001, 17-21; Freudenburg 2001, 51-58; Schlegel 2005, 59-76. 40 Hor. serm. 1.6.6 ut me, libertino patre natum, 45-46 nunc ad me redeo libertino patre natum, / quem rodunt omnes libertino patre natum; vgl. Williams 1995. 41 Horazens wiederholte Betonung der Tatsache, dass er von einem Freigelassenen abstammt, wird mit seiner müßigen Existenz in philosphischer Genügsamkeit kontrastiert (111-131), die er in der Fiktion des Gedichts ausschließlich seinem Patron verdankt. Vgl. Fraenkel 1957, 101-105; Rudd 1966, 36-53; Du Quesnay 1984, 43-52; Oliensis 1998, 34-36; Freudenburg 2001, 58-71; Schlegel 2005, 51-58; Plaza 2006, 283-287; Hooley 2007, 55-57; Gowers 2012, 212-219. 42 Gowers 2012, 6-11. 43 Hor. serm. 1.4.1-13. Vgl. Oliensis 1998, 19; Cucchiarelli 2001, 25-55; Freudenburg 2001, 17-18; Delignon 2006; Ferris-Hill 2015, 3-17. 44 Hor. serm. 1.4.9-10, 12 nam fuit hoc vitiosus: in hora saepe ducentos, / ut magnum, versus dictabat stans pede uno / ... / garrulus atque piger scribendi ferre laborem.

 

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programmatische Passage aus dem Apollon-Hymnos des Kallimachos adaptiert (Lucilius fließe wie ein schlammiger Fluss dahin, sodass seine Gedichte einiges enthielten, was man gerne entfernen würde),45 deutet er darauf hin, dass er die lukilische Satire in Einklang mit dem kallimacheischen Ideal der ästhetischen Reinheit bringen will. De Behauptung des Horaz hingegen, dass der poetische Effekt einer Passage aus den Annalen des Ennius46 völlig unbeschadet bliebe, selbst wenn man die Wortfolge komplett veränderte und aus Ennius disiecti membra poetae (62) machte, lenkt die Aufmerksamkeit darauf, dass die Bedeutung seiner eigenen Dichtung von der genauen Position jedes einzelnen Wortes bestimmt wird.47 Somit erscheinen die perfekt strukturierte innere Einheit und das Fehlen von jeglichem Überfluss als die wichtigsten formalen Eigenschaften der horazischen Dichtung. Auffällig ist dabei, dass diese Eigenschaften eine deutliche Analogie zu den ethischen Prinzipien bilden, auf denen die in den Satiren geschilderte Welt basiert. Dass Horaz an anderen Stellen ähnliche auf Kallimachos zurückgehende poetologische Metaphern verwendet, um sowohl den Prozess der ethischen Selbstverbesserung als auch die Umgangsformen innerhalb des Maecenas-Kreises zu beschreiben, macht diese Analogie noch greifbarer.48 Als Folge werden Ethik und Poetik zu unzertrennlichen, gleichermaßen voneinander abhängigen Elementen. Einerseits wirkt das in den Satiren geschilderte ethische Ideal wie ein rein poetisches Konstrukt, das nur dank einer kallimacheisch inspirierten Poetik überhaupt erst zustande kommen kann. Anderseits stellt Horaz die kallimacheische Poetik seiner Satiren als Produkt der zeitgenössischen – von Maecenas maßgeblich geprägten – ethischen Entwicklung dar: Denn wenn Lucilius sich plötzlich „in unserer Zeit“ vorfände, so Horaz in Satire 1.10, dann schriebe er genauso kallimacheisch wie Horaz selbst.49                                                                                                                 45

Hor. serm. 1.4.11 cum flueret lutulentus, erat quod tollere velles. Vgl. Call. h. 2. 108-109 Ἀσσυρίου ποταµοῖο µέγας ῥόος, ἀλλὰ τὰ πολλά / λύµατα γῆς καὶ πολλὸν ἐφ᾿ ὕδατι συρφετὸν ἕλκει. Scodel 1987; Freudenburg 1993, 158-160 and 2001, 45-46; Oliensis 1998, 22; Zetzel 2002, 40-45; Gowers 2012, 157. 46 Hor. serm. 1.4.60-61‘postquam Discordia taetra / Belli ferratos postis portasque refregit. Vgl. Ennius, Ann. Frr. 225-226 Skutsch. 47 Vgl. Freudenburg 1993, 147: “In claiming that the verses of comedy and satire, when metathesized, possess nothing to mark them as distinctly poetic, the satirist implies that his satires are nothing, if not arrangement.” Cf. Oberhelman – Armstrong 1995; Oliensis 1998, 23; Gowers 2012, 167. 48 Hor. serm. 1.1.55-56 magno de flumine mallem / quam ex hoc fonticulo tantundem sumere. vgl. serm. 1.9.49 domus hac nec purior ulla est. Gowers 2012, ad loc. Vgl. Freudenburg 2001, 37-44. 49 Hor. serm. 1.10. 67-71 sed ille [sc. Lucilius], / si foret hoc nostrum fato delapsus in aevum, / detereret sibi multa, recideret omne quod ultra / perfectum traheretur, et in versu faciendo / saepe caput scaberet vivos et roderet unguis. Vgl. Du Quesnay 1984, 27-32; Keane 2006, 111-113; Hooley 2007, 64-67; Gowers 2012, 304-309.

 

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Die Verschmelzung zwischen Form und Inhalt spiegelt dabei gewissermaßen die Verschmelzung zwischen dem Adressanten und dem Adressaten der Satiren wider: So wie Horaz vorgibt, genau die richtigen Worte für das unausgesprochene ethische Ideal des Maecenas gefunden zu haben, so bildet die äußere Form der Satiren ihren Inhalt ikonisch nach.50 Somit konstruiert Horaz im ersten Satirenbuch eine partielle Analogie zwischen der Schriftlichkeit seines Texts und der fingierten Mündlichkeit der im Text geschilderten Kommunikation. So wie die virtuelle Verschmelzung zwischen dem Adressaten und dem Adressanten der Satiren zur Glaubwürdigkeit des enkomiastischen Porträts des Maecenas maßgeblich beitragen soll, so soll wohl auch die Analogie zwischen der Form und dem Inhalt des dem Leser vorgelegten schriftlichen Texts dessen ideologische Wirkung erhöhen: Denn der Text ‚tut’ schließlich genau das, was er ‚sagt’, während der scheinbar spontane umgangssprachliche Ton der Satiren dazu dient, die ‚faktische’ Wahrhaftigkeit dieses ideologischen Konstrukts zusätzlich zu untermauern. Die strukturelle Analogie zwischen den ethisch ‚reinen’ Umgangsformen innerhalb des Maecenas-Kreises und der ‚kallimacheischen’ Poetik des Texts scheint vor allem das Ziel zu verfolgen, jeden empfänglichen Leser die Anziehungskraft des propagierten ethischen Ideals virtuell erleben zu lassen, was wiederum – analog zu einem unterbewusst wirkenden Werbespot – zur Erweiterung des Kreises der Anhänger des Maecenas (und somit auch Octavians) beitragen soll.51

                                                                                                                50

Der Begriff Ikonizität (eine Analogie zwischen Form und Inhalt) geht auf die semiotische Theorie von Charles Sanders Peirce zurück: De Cuypere 2008. Vgl. Kirichenko 2016a. Am deutlichsten ist das ikonische Verhältnis zwischen Form und Inhalt in Satiren 1.2 und 1.3. Um die Bedeutung des Strebens nach dem ‚goldenen Mittelmaß‘ im Umgang mit Sex hervorzuheben, lässt Horaz in serm. 1.2 den imaginären Austausch zwischen einem frustrierten Ehebrecher und dessen Penis direkt in der Mitte des Textes beginnen – nämlich im ersten Vers der zweiten Hälfte dieses aus 134 Versen bestehenden Gedichts (serm. 1.2.68ff. huic si muttonis verbis mala tanta videnti / diceret haec animus etc.). Ähnlich wird in serm. 1.3 das Ideal von aequabilitas im Umgang mit Freunden in der formalen Gestaltung des Gedichts widergespiegelt. In den ersten 18,5 Versen (1-19a) wird der berüchtigte Sänger Tigellius Hermogenes beschrieben, dessen Widersprüche ihn zum Inbegriff innerer Zerrissenheit machen (18-19 nil fuit umquam / sic impar sibi), während die letzten 18,5 Verse des Gedichts (124b-142 si dives, qui sapiens est … vivam te rege beatus) einen Stoiker karikieren, dessen schlicht unrealisierbare Vorstellung von innerer Einheit ihn der Lächerlichkeit preisgibt. Zwischen diesen beiden Extremen befindet sich sowohl räumlich als auch konzeptuell die erstrebenswerte ‚Mitte‘ – der epikureische Sprecher des Horaz, der selber nur vitia minora (20) besitzt und der bereit ist, ähnlich erträgliche Vergehen anderer mit Verständnis hinzunehmen. Vgl. Kirichenko, im Druck b. Von besonderer Bedeutung ist dabei die Tatsache, dass dieses Konzept in der epikureischen Poetik des Philodem antizipiert zu sein scheint: Armstrong 1995; Porter 1995; Fuhrer 2003. Zur Relevanz dieses Aspekts der epikureischen Poetik für die Satiren des Horaz siehe Oberhelman – Armstrong 1995. 51 Vgl. Du Quesnay 1984.

 

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2. Satiren 2 Die im ersten Buch etablierte Analogie zwischen zwei kommunikativen Grundstrukturen – zwischen der Kommunikation, die in der fiktionalen Welt der Gedichte inszeniert wird, und der Kommunikation zwischen dem Text und dem Leser – täuscht jedoch nicht darüber hinweg, dass es einen gewaltigen Unterschied zwischen einem vertraulichen Gespräch unter Freunden und einem veröffentlichten – nicht nur wohlgesinnten, sondern auch skeptischen Lesern zugänglichen – Buch gibt. Genau auf diesen Unterschied macht das einige Jahre später publizierte zweite Buch der Satiren aufmerksam.52 Die meisten dieser sermones gestalten sich zwar auch als mündliche Gespräche. Doch im Gegensatz zum ersten Buch, in dem der Dichter sich immer in Reichweite seines Patrons befindet, wird das Verhältnis zwischen den beiden im zweiten Buch durch eine räumliche Distanz bestimmt: Horaz hält sich nun außerhalb Roms auf seinem eigenen Anwesen auf (serm. 2.3 und 2.6) und unterhält sich nicht mehr mit dem Patron, sondern mit einer Reihe anderer Gesprächspartner, oder er gibt den Inhalt mitgehörter und imaginärer Gespräche wieder. Der räumliche Abstand zwischen dem Patron und dem Klienten wird dabei gewissermaßen mit der Publikation des ersten Buchs gleichgesetzt, denn viele kritische Äußerungen der Gesprächspartner des Horaz scheinen sich direkt mit dem ihnen wohl aus dem früheren Buch bereits bekannten Selbstporträt des Dichters auseinanderzusetzen. Ironischerweise führt diese doppelte Trennung (zwischen dem Patron und dem Klienten und zwischen dem Autor und dem Text) dazu, dass das im ersten Buch erschaffene ideologische Konstrukt, das nun in Form eines frei zirkulierenden schriftlichen Texts aus einer distanzierten Außenperspektive betrachtet wird, nicht mehr so eindeutig wirkt, wie es die fingiert mündlichen Auftritte des ersten Buchs haben erscheinen lassen.53 In Satire 2.3 weicht zum Beispiel die Darstellung einer harmonischen Verschmelzung zwischen Horaz und Maecenas einer wesentlich weniger attraktiven Sichtweise des glühenden stoischen Konvertiten Damasippus, der den Dichter wie einen strebsamen Klienten beschreibt, der seinem Patron so offensichtlich nacheifert, dass man fast Angst bekommen könnte, er würde vor Anstrengung gleich platzen.54 Ähnlich wird                                                                                                                 52

Vgl. Freudenburg 2001, 71-82. Zum zweiten Buch der Satiren als „a shattered mirror which reflects only fragmentarily and partially the images of the first book“ siehe Sharland 2010, 171-173. Vgl. Oliensis 1998, 90. 54 Hor. serm. 2.3.307-324, insb. 312-313 an, quodcumque facit Maecenas, te quoque verum est / tantum dissimilem et tanto certare minorem? Vgl. Damon 1997, 105; Oliensis 1998, 55; Hooley 2007, 78-81; Sharland 2010, 225-260. 53

 

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ihm auch in Satire 2.7 von seinem Sklaven Davus vorgeworfen, es gebe für ihn keine größere Freude als zu einem Bankett bei Maecenas eingeladen zu werden,55 wobei er sich wie die karikaturenhafte Quintessenz all der Laster entpuppt, die er selbst im ersten Buch so wortgewandt angeprangert hat.56 Und in Satire 2.6 betrachtet schließlich auch Horaz selbst seine frühere Existenz an der Seite des Patrons als ein stressiges und erniedrigendes Leben eines Untergebenen, das dazu noch alle anderen mit Neid erfüllte,57 und betont dabei ausdrücklich den offensichtlichen Kontrast zwischen einer zwar satten, dafür aber sklavenhaften Parasitenexistenz in der Stadt und einem zwar bescheidenen, dafür aber freien Leben auf dem eigenen Stückchen Land.58 Die Tatsache, dass das Stückchen Land, auf dem sich Horaz selbst im Moment aufhält, ein Geschenk des Maecenas ist, zeigt aber mit kaum zu übersehender Ironie, dass das frühere Parasitenleben sich für den geduldigen Klienten durchaus ausgezahlt hat.59 Andere Satiren des zweiten Buchs befassen sich zwar nicht explizit mit dem im ersten Buch vorgestellten autobiographischen Konstrukt. Auf unterschiedliche Art und Weise werfen sie aber alle ein erhellendes Licht darauf, wie dieses Konstrukt in der Außenwelt wahrgenommen werden könnte. Die lange Vorlesung des Tiresias über die Erbschleicherei als die zuverlässigste Methode eines raschen sozialen Aufstiegs könnte im Nachhinein auch das erste Satirenbuch als eine Gebrauchsanweisung zum satten Parasitenleben erscheinen lassen.60 Die Satiren 2.2 und 2.4 scheinen noch expliziter mit dem kulinarischen Ursprung des Gattungsbegriffs satura zu spielen,61 wobei sie die kulinarische Metapher, die im ersten Satirenbuch auf das wahrhaftig glückliche philosophische Leben angewandt wurde (serm. 1.119 conviva satur), auf ihre wörtliche Bedeutung reduzieren. Laut diesen beiden Satiren erreicht man das ethische Ideal                                                                                                                 55

Hor. serm. 2.7.32-35 iusserit ad se / Maecenas serum sub lumina prima venire / convivam: ‚nemon oleum fert ocius? ecquis / audit?’ cum magno blateras clamore fugisque. Damon 1997, 132-134. 56 Vgl. insbesondere die Darstellung des Horaz als eines Erotomanen, der nach aritstokratischen Matronen verrückt ist (Hor. serm. 2.7.53-71) – eine Darstellung, die die moralische Entrüstung von Satire 1.2 als heiße Luft entlarvt. Vgl. Oliensis 1998, 54-55; Sharland 2010, 261-316. 57 In Satire 2.6 wird das Leben an der Seite des Maecenas im Nachhinein nur mit Stress (38-39 ‚imprimat his, cura, Maecenas signa tabellis.’ / dixeris ‚experiar:’ ‚si vis, potes’ addit et instat), sinnentleertem Smalltalk (44-45 ‚hora quota est?’, ‚Thrax est Gallina Syro par?’, / ‚matutina parum cautos iam frigora mordent’ ) und Neid (47-48 per totum hoc tempus subiectior in diem et horam / invidiae noster) assoziiert. Vgl. Fraenkel 1957, 138-144; Oliensis 1998, 46-51; Bowditch 2001, 142-154; Hooley 2007, 75-78. 58 Dieser Kontrast wird in der Fabel über die Stadt- und die Landmaus ausdrücklich betont, die Cervius – ein Nachbar des Horaz – am Ende der Satire erzählt: serm. 2.6.77-117. 59 Vgl. Oliensis 1998, 90; Bowditch 2001, 142-154. 60 Freudenburg 1993, 99: „Did our hero sell out and pander his way to the top, as Tiresias said he should?“ Vgl. Damon 1997, 118-121; Oliensis 1998, 57; Keane 2006, 116-117; Plaza 2006, 72-77. 61 Gowers 1993b, 109-126; Muecke 1995, 9-11.

 

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ausschließlich dadurch, dass man unterschiedlichen diätetischen Vorschriften folgt: Für Ofellus, den bäuerlichen Sprecher von Satire 2.2, gilt der Verzicht auf dekadentes Essen zugunsten einer ausreichenden Menge an Brot und Gemüse als Synonym moralischer Aufrichtigkeit,62 während Catius in Satire 2.4 im Gegenteil das exquisite kulinarische Raffinement mit philosophischer Glückseligkeit gleichsetzt.63 Dabei weisen beide Satiren bedeutungsvolle Parallelen zur programmatischen Satire 1.4 auf:64 Während der ungeschliffene Autodidakt Ofellus wie eine jener exemplarischen Figuren wirkt, die Horaz in dieser Satire – den Ermahnungen seines Vaters folgend – zur Verfestigung seiner eigenen ethischen Prinzipien nachahmt,65 erinnert der pedantische Fokus auf die Provenienz und die Zusammensetzung der Ingredienzien in den von Catius rezitierten anonymen ‚Hedyphagetica’ an die Grundprinzipien sowohl der ethischen Selbstverbesserung als auch der poetischen Praxis, die Horaz im ersten Satirenbuch wiederholt hervorhebt.66 Noch deutlicher wird die Analogie zwischen der horazischen Satire und einem kulinarischen Rezept in Satire 2.8. 67 Die bis ins kleinste Detail geplante Zurschaustellung seiner fast übertrieben ‚kallimacheisch’ wirkenden kulinarischen Gelehrsamkeit endet für den Gastgeber Nasidienus bekanntlich in einem bitteren Fiasko, als ein Vorhang auf den Tisch herunterfällt und ein Gericht, das aus einem schwanger gefangenen Aalweibchen und Scampi besteht, die gemeinsam in einer aus unzähligen exotischen Ingredienzien zubereiteten Sauce schwimmen, unwiderruflich zerstört (42-53).68 Bezeichnenderweise serviert Nasidienus anschließend, nachdem er seine Niedergeschlagenheit überwunden hat, unter anderem discerpta membra gruis (86-87) – „zerstückelte Glieder eines                                                                                                                 62

Um die Predigt des Ofellus über die Vorzüge des vivere parvo (1) besser verstehen zu können, müssen seine Zuhörer impransi (7) sein und sich generell von lances mensasque nitentis (5) fernhalten; der Rest der Satire besteht in einer Gleichsetzung zwischen der philosophischen und der kulinarischen Genügsamkeit. Vgl. Rudd 1966, 161-173; Gowers 1993b, 134; Plaza 2006, 293-295. 63 Die von Catius zitierte Vorlesung über Kochkunst stellt für ihn eine wahre Offenbarung dar, die zu einer philosophisch anmutenden Bekehrung zum ‚guten Leben’ führt: serm. 2.4.1-3 non est mihi tempus aventi / ponere signa novis praeceptis, qualia vincent / Pythagoran Anytique reum doctumque Platona. Siehe auch 95, wo Horaz die von Catius rezitierten Kochrezepte als vitae praecepta beatae beschreibt. Vgl. Classen 1978; Gowers 1993b, 135-161. 64 Vgl. Knorr 2004, 182-188. 65 Muecke 1993, 114. Zum „derived moralizing discourse“ in serm. 2.2 siehe Sharland 2010, 197-224. 66 Vgl. Gowers 1993b, 143: „Catius’ gastronomic system encodes the same aesthetics of decorum, purity, and economy, uses the same terms of seasoning, scale, and texture that Horace himself prescribes for writing satire. Catius’ summary of the prescriptions – res tenuis tenui sermone peractas (9) – cannot fail to remind us of Horace’s own Callimachean principles.“ Siehe auch 145-156 für einen detaillierten Vergleich zwischen der kulinarischen Terminologie des Catius und der ästhetischen Terminologie des Horaz. Vgl. Coffta 2001, 43-49; Ferris-Hill 2015, 113-115. 67 Vgl. Oliensis 1998, 60-62; Freudenburg 2001, 117-124. 68 Gowers 1993b, 172-175.

 

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Kranichs.“ Diese symbolträchtige Verdrängung einer homogenen Mischung durch einen Haufen unzusammenhängender Fragmente69 evoziert unter anderem den in Satire 1.4 mit Nachdruck betonten Kontrast zwischen der Dichtung des Horaz, die aus einer überraschend harmonischen Kombination von Lucilius, Kallimachos und weiteren erlesenen Ingredienzien besteht, und den disiecti membra poetae, die übrigbleiben, nachdem man die Wortfolge in einem Satz aus Ennius’ Annalen durcheinanderbringt.70 Diese durchgehende Parallelisierung zwischen Satire und Essen lässt die Publikation der Satiren wie eine Art Einladung zu einem metaphorischen Bankett erscheinen, bei dem die Gefahr besteht, dass man als Leser das im ersten Buch inszenierte ethische Programm wie ein rein utilitäres – je nach persönlichem Geschmack nachahmungs- oder verabscheuungswürdiges – Rezept für den sozialen Aufstieg eines gierigen Klienten zum conviva satur betrachtet. In der ersten – programmatischen – Satire des zweiten Buchs begegnen wir jedoch einem radikal anderen Bild, das sich zur Konzeptualisierung der ideologischen Wirkung des im ersten Satirenbuch erschaffenen Artefakts wesentlich besser zu eignen scheint als die kulinarisch-satirische Metaphorik. Aus Satire 2.1 wird auch ersichtlich, dass das sowohl ästhetische als auch ethische Programm des ersten Buchs in der Welt außerhalb des eingeschworenen Maecenas-Kreises auf irritierende Missverständnisse stößt. Als Horaz sich beim Juristen Trebatius über die Vorwürfe seiner Kritiker beschwert, er verstoße gegen die von Lucilius vorgegebenen Gattungsgesetze,71 denkt Trebatius – berufsbedingt – , dass es sich um gesetzeswidrige Schmähgedichte handelt, die zu einer Strafverfolgung führen könnten.72 Darum empfiehlt                                                                                                                 69

Vgl. Freudenburg 1995. Oliensis 1998, 62: „The poem opens a door to the satiric kitchen, as it were, showing us how Horace prepares his poetic effects, and exposing his poetic sprezzatura for the calculated, cultivated illusion that it is.” Vgl. Gowers 1993b, 175; Coffta 2001, 49-54. Im zerstückelten Kranich sieht Gowers (1993b, 176) das Bild eines „tragic sparagmos” und vergleicht es mit Virgils Beschreibung des zerstückelten Körpers des Aristaeus in Georg. 4.527. Zum in Stücke gerissenen Dichter in Hor. serm. 1.4.62 als „the image of an Orphean sparagmos” siehe Gowers 2012, 169. Es besteht auch eine bedeutende Analogie zwischen der Zerstückelung des Ennius, des Inbegriffs des römischen Epos, und der Zerstückelung des Kranichs, eines epischen Vogels schlechthin. Zum Kranich als epischem Vogel siehe Manolaraki 2012, bes. 290-291 mit Beispielen aus vorvergilischen Epen. 71 Hor. serm. 2.1.1-2 sunt quibus in satura videar nimis acer et ultra / legem tendere opus. Zur Ambiguität der beiden Begriffe (nimis acer: zu aggressiv, wie Lucilius in serm. 1.4.1-11, oder zu „poetisch“, wie acer spiritus in serm. 1.4.46; ultra legem: gegen das Verleumdungsgesetz oder gegen das von Lucilius etablierte Gattungsgesetz?) siehe Muecke 1993, ad loc. 72 Hor. serm. 2.1.21 tristi laedere versu und 80-81 sed tamen ut monitus caveas, ne forte negoti / incutiat tibi quid sanctarum inscitia legum. Für antike Zeugnisse zu Trebatius, dem Juristen des Julius Caesar, siehe Muecke 1993, 100; Liebs 2010, 15-17. Zur das gesamte Gedicht prägenden Ambiguität zwischen dem juristischen Gesetz des Trebatius und der literarischen Gesetzmäßigkeit des Horaz siehe Leeman 1983; Muecke 1995; Tatum 1998; Freudenburg 2001, 104-108; Plaza 2006, 39-42; Gebhardt 2009, 73-75; Lowrie 70

 

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er, Horaz solle das Schreiben poetischer Beleidigungen, die Trebatius passenderweise als mala carmina bezeichnet,73 unterlassen und stattdessen – nur in diesem Punkt dem Beispiel des Lucilius folgend74 – sich auf das Verfassen von Enkomien auf Octavian konzentrieren.75 Was wäre aber, fragt Horaz, wenn es sich bei den Satiren nicht um mala, sondern um bona carmina handelte, die dazu noch Octavian gefielen?76 Die Autorität des Octavian würde dann laut Trebatius die Angriffe der Kritiker der Lächerlichkeit preisgeben und somit ungültig machen.77 Dieser merkwürdige Austausch, in dem die Gesprächspartner konsequent aneinander vorbei reden, verdeutlicht unter anderem den gewaltigen Unterschied zwischen einem mündlichen Vortrag und einem schriftlich veröffentlichten Buch: Die – vor allem semantische – Sicherheit der mündlichen Auftritte wird in der Fiktion des ersten Buchs durch die gemütliche Intimität des engen Freundeskreises gewährleistet, der sich von der Außenwelt scharf abgrenzt; für einen frei zirkulierenden schriftlichen Text hingegen besteht der Unterschied zwischen Innen und Außen nicht mehr: Ein veröffentlichtes Buch gehört der gesamten großen Außenwelt, in der es leicht missverstanden wird und in der, wie sich herausstellt, nur der Princeps selbst die schützende Rolle eines Patrons übernehmen kann.78 Das notgedrungen viel distanziertere – ‚schriftliche’ – Verhältnis zu Octavian ließe sich mithilfe einer kulinarisch ‚mündlichen’ Metapher wohl kaum ausdrücken. Stattdessen übernimmt Horaz ein Bild aus dem Bereich des religiösen Kults – der Domäne der unüberbrückbar distanzierten Kommunikation schlechthin –, indem er die Satiren mit einer Votivtafel vergleicht (Hor. serm. 2.1.30-34):                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                               2009, 332-348. Vgl. auch Rudd 1966, 128, auf den die vielzitierte Bezeichnung von serm. 2.1 als „the most brilliant piece of shadow-boxing in Roman literature“ zurückgeht. 73 Hor. serm. 2.1.82-83 si mala condiderit in quem quis carmina, ius est / iudiciumque. Vgl. Freudenburg 2001, 104-106. 74 Hor. serm. 2.1.10-12 und 16-17 aude / Caesaris invicti res dicere, multa laborum / praemia laturus. ... / ... attamen et iustum poteras et scribere fortem, / Scipiadam ut sapiens Lucilius. 75 Hor. serm. 2.1.10-11 aut, si tantus amor scribendi te rapit, aude / Caesaris invicti res dicere. 76 Hor. serm. 2.1.83-84 esto, siquis mala; sed bona siquis / iudice condiderit laudatus Caesare? Cucchiarelli 2001, 111-118; Freudenburg 2001, 93-100; Hooley 2007, 69. 77 Hor. serm. 2.1.86 solventur risu tabulae, tu missus abibis. Muecke 1993, ad loc. 78 Besonders bezeichnend ist dabei der Kontrast zwischen der rein privaten, dem breiten Publikum unzugänglichen ‚Freundschaft’ zwischen Lucilius und seinen Patronen (Scipio Africanus und Laelius: serm. 2.1.71-74 quin ubi se a vulgo et scaena in secreta remorant / virtus Scipiadae et mitis sapientia Laeli, / nugari cum illo et distincti ludere, donec / decoqueretur holus, soliti) und der demonstrativen Zurschaustellung des anvisierten Verhältnisses zwischen Horaz und Octavian. Horaz scheint mit dieser Darstellung den Übergang vom pluralistischen Patronat der Republik zum ‚autokratischen’ System der Kaiserzeit zu antizipieren, in dem der Kaiser als der einzige wahre Patron fungiert. Es ist besonders bemerkenswert, dass unter den neuen gesellschaftlichen Bedingungen nur Octavian die für einen Patron zentrale Funktion des Rechtsbeistands erfüllen kann: Wallace-Hadrill 1990, insb. 81-84 („Autocracy and Patronage“). Vgl. Freudenburg 2001, 71-108.

 

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ille velut fidis arcana sodalibus olim credebat libris neque, si male cesserat, usquam decurrens alio neque, si bene; quo fit ut omnis votiva pateat veluti descripta tabella vita senis. sequor hunc … Dieser [sc. Lucilius] vertraute einst die Geheimnisse seinen Büchern wie treuen Freunden an und wendete sich nirgendwo anders hin, ob es ihm schlecht ging oder gut. Darum liegt nun das gesamte Leben des alten Mannes offen – wie auf einer Votivtafel dargestellt. Ich folge ihm ... Es wird in der Regel angenommen, Horaz betone durch diesen Vergleich nicht nur die inhaltliche Freiheit der Dichtung des Lucilius, sondern auch ihre an eine Votivtafel erinnernde ungezwungene ‚Kunstlosigkeit‘.79 Man könnte jedoch Horaz schwerlich unterstellen, er wolle gerade diesem – von ihm ansonsten mehrfach angeprangerten – Charakteristikum seines Vorgängers folgen (1.4.11-13 und 1.10.67-71, vgl. sequor hunc). Die Erwähnung einer Votivtafel lässt nicht nur an künstlerische Anspruchslosigkeit denken, sondern auch an die häufigsten Umstände, unter denen solche Tafeln geweiht wurden. Denn die meisten aus der Antike – direkt oder indirekt, unter anderem durch Horaz selbst80 – bekannten Votivtafeln drücken die Dankbarkeit des Weihenden für die durch eine Gottheit erfolgende Rettung aus einer Gefahr – in der Regel Schiffbruch oder Krankheit – aus.81 Diese Assoziation ist für die dramatische Situation insofern besonders relevant, als                                                                                                                 79

Z.B. Harrison 1987, 48; Knorr 2004, 177-178. Als Beispiel von Votivtafeln, auf denen Alltägliches mit relativer ‚Kunstlosigkeit‘ dargestellt ist, könnte man die auf das sechste vorchristliche Jahrhundert datierten Votivtafeln aus Penteskouphia in der Nähe von Korinth anführen, von denen einige Szenen aus dem Töpferalltag enthalten: Stissi 2002, 76-95. Es ist denkbar, dass Horaz (unter anderem) ähnliche visuelle Darstellungen im Sinne hat, wenn er schreibt, „das ganze Leben des Lucilius liege nun wie auf einer Votivtafel offen.“ 80 Hor. c. 1.5.13-16 me tabula sacer / votiva paries indicat uvida / suspendisse potenti / vestimenta maris deo. Santirocco 1986, 32-34; Davis 1991, 224-233; Pöschl 1991, 26-28; Sutherland 1995; Eicks 2011, 96-113. Vgl. AP 19-21 et fortasse cupressum / scis simulare: quid hoc, si fractis enatat exspes / navibus aere dato qui pingitur? Brink 1971, 99-100. 81 Vgl. Cic. nat. 3.89. Zu solchen Votivtafeln siehe Van Straten 1981. Vgl. Muecke 1993, 107. Es handelt sich dabei um kleine Gegenstände, die sich keineswegs dafür eignen, „ein ganzes Leben“ darzustellen. Vgl. Van Straten 1981, 97: „What is striking is the fact that the votive offerings given by sailors which have survived from Antiquity never provide a realistic reproduction of the dangers from which they have been saved.“ Harrison 1987, 48: „If the surviving evidence is trustworthy, the victims – and their savior(s) – seem to have been depicted conventionally on the votives, without much concern for realism or drama.“

 

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in der Fiktion des Gedichts Horaz sich durch die schriftliche Veröffentlichung seiner privaten ‚Plaudereien’ in eine große (je nach Sichtweise juristische oder literaturkritische) Gefahr – gewissermaßen in einen metaphorischen Sturm – begibt, am Ende jedoch, und zwar nur dank Octavian, vollkommen unversehrt bleibt.82 Als Folge verspricht das Gedicht – ohne es direkt auszusprechen –, genau das zu tun, wozu Horaz von Trebatius aufgefordert wird, nämlich poetische Enkomien auf Octavian zu verfassen: Denn dadurch, dass er den Princeps – auf eine höchst unaufdringliche Weise, ohne dass es servil wirkt – wie einen göttlichen Beschützer darstellt, scheint Horaz darauf hinzudeuten, dass er durchaus in der Lage wäre, das ursprünglich nur an den Maecenas-Kreis angewandte enkomiastische Konstrukt auch auf die Außenwelt – auf das gesamte von Octavian beherrschte Imperium – zu übertragen. Dieses Versprechen erfüllt Horaz schließlich einige Jahre später in den ersten drei Büchern der Oden.83 Das im ersten Buch der Satiren entworfene Konstrukt wird in den Oden zwar einer radikalen gattungsbedingten Transformation unterzogen: Der Dichter erscheint nicht mehr wie ein hungriger Klient, sondern wie ein selbstbewusster lyrischer vates;84 die Sicherheit, die der Hauptadressat – Augustus – garantiert, betrifft nicht den engen Freundeskreis, sondern das gesamte Imperium;85 von diesem beschützten Raum werden nicht nur moralisch suspekte Individuen, sondern auch barbarische Feinde des römischen Volks ferngehalten;86 und das Konstrukt als Ganzes wird nicht mit der aus einem persönlichen Anlass demütig geweihten Votivtafel verglichen, sondern – in Carmen 3.30 (exegi monumentum) – mit dem an einem öffentlichen Denkmal regelmäßig stattfindenden Ritual, das den Dichter selbst verewigen soll.87 Die Analogie zwischen der persönlichen Ethik, der Struktur der Gesellschaft und der poetischen Form wird jedoch

                                                                                                                82

Hor. serm. 2.1.60-62 und 79-83. Freudenburg 2001, 100-108. Zur Antizipation der Oden in den Satiren (und den Epoden) siehe Freudenburg 2006. 84 Vgl. Hor. c. 1.1.35, 1.31.2, 2.20.3. Die fast ‚priesterliche’ Autorität des Dichters wird vor allem in den Römeroden (c. 3.1-3.6) spürbar: Lyne 1995, 158-183; Lowrie 1997, 224-265; Syndikus 2010. 85 Dabei wird stets die Analogie zwischen dem eigenen privaten Leben und dem Imperium betont: siehe z.B. Hor. c. 1.17 und 1.21. Vgl. Krasser 1995, 71-74; Feeney 1998, 43; Lowrie 2009, 75-78. Mehr Beispiele findet man bei Oliensis 1998, 102-127 und Rimell 2015, 82-101. 86 Selbst der sich auf dem Anwesen des Horaz befindende Baum, der den Dichter bei einem Sturm beinahe umgebracht hätte, wird indirekt mit den barbarischen Feinden verglichen, die die Sicherheit Roms vergeblich bedrohen: c. 2.13 und 3.8. 87 Zum horazischen monumentum siehe Fowler 2000, 197-198; Lowrie 2009, 121-122. Zur Fähigkeit einer regelmäßig wiederkehrenden rituellen Handlung, die Illusion eines zeitlosen Kontinuums zu erzeugen, siehe Kowalzig 2007, 13-55. Zu den carmina als „rituals in ink“ siehe Barchiesi 2000. 83

 

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auch in den Oden mit der gleichen Eindringlichkeit postuliert wie im ersten Buch der Satiren.88 Die von Horaz in den Oden inszenierte Beziehung zwischen Augustus und dem römischen Volk reproduziert zwar das für Patronage charakteristische Machtverhältnis, unterscheidet sich aber davon in einigen grundlegenden Punkten. Denn im Gegensatz zum Maecenas des ersten Satirenbuchs, zu dem die Mitglieder des Freundeskreises in einem räumlich engen Abhängigkeitsverhältnis stehen, erscheint der Augustus der Oden wie eine Art Kultbild, das die Römer aus einer respektvollen Distanz voller Ehrfurcht anbeten.89 Ferner verändert die Übertragung des ursprünglich für den Maecenas-Kreis entwickelten enkomiastischen Konstrukts auf die Darstellung des gesamten Imperiums naturgemäß auch die Autorität des Horaz als sprechender Instanz.90 In den Oden spricht Horaz schließlich nicht mehr nur seine Freunde an, sondern auch ganz Rom. Im Gegensatz zu den Satiren wird deswegen die schriftliche Veröffentlichung nicht mehr als Gefahr für die Integrität dieser fingiert mündlichen Äußerungen aufgefasst: Die Veröffentlichung erscheint vielmehr als unabdingbare Voraussetzung dafür, dass diese – notgedrungen aus einer räumlichen Distanz erfolgende – Kommunikation überhaupt erst zustande kommen kann.91 Eine eindringliche Metareflexion über die Interaktion zwischen dieser autoritätsreicheren Dichtung und dem Leser findet dann im ersten Buch der Episteln statt.

3. Episteln 1 So wie das zweite Satirenbuch über die Publikation des ersten reflektiert, so werden im ersten Buch der Episteln die Oden – als abgeschlossenes Kunstwerk, das dem Princeps demütig überreicht werden kann, – aus einer zeitlichen und räumlichen Distanz                                                                                                                 88

Vgl. z.B. c. 3.4, wo der dem Dichter von den Musen garantierte Schutz mit der Sicherheit einhergeht, die die militärischen Siege des Augustus dem gesamten Imperium geben (vgl. Oliensis 1998, 109-110), oder c. 1.22, wo die beschützende Macht der Dichtung zu einem universalen Prinzip erhoben wird (17-24 pone me pigris ubi nulla campis / arbor aestiva recreatur aura, / quod latus mundi nebulae malusque / Iuppiter urget; / pone sub curru nimium propinqui / solis in terra domibus negata: / dulce ridentem Lalagen amabo, / dulce loquentem). Vgl. Krasser 1995, 74-77; Lowrie 1997, 189-194. 89 Vgl. z. B. Hor. cc. 1.2, 3.3, 3.14, 4.5, 4.15; epist. 2.1.16-17. 90 Vgl. Oliensis 1998, 156: „If Horace was a ‚somebody’ in the satires to the degree that he was, and was recognized as, Maecenas’ friend, his celebrity is no longer as dependent on his patron’s. The poet of Odes 3.30 has glory enough and to spare.“ 91 Zur bedeutungsstiftenden Spannung zwischen der fingierten Mündlichkeit und der literarischen Schriftlichkeit in den Oden siehe Barchiesi 2000; Lowrie 2009, 98-141.

 

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betrachtet.92 Und so ist das Thema der ersten – an Maecenas gerichteten – Epistel des ersten Buchs die Weigerung des Dichters, noch mehr Gedichte zu schreiben93 – eine Weigerung, die wie eine selbstbefreiende Geste konzipiert und mit der Freilassung eines in die Jahre gekommenen Gladiators verglichen wird.94 Die Distanzierung vom engen – ‚mündlichen’ – Verhältnis zum Patron bedeutet gleichzeitig den Übergang zu einer selbstbewussten Schriftlichkeit. Obwohl der Prozess der ethischen Selbstverbesserung, dem sich Horaz stattdessen widmet, mit der dichterischen Tätigkeit kontrastiert zu werden scheint, lässt sich dieser Prozess vom Verfassen eines schriftlichen Texts nicht trennen. Das Schreiben von Episteln wird durch eine umfangreiche – höchst eklektische – Lektüre begleitet, die nicht nur die Schriften verschiedener philosophischer Schulen,95 sondern auch poetische Klassiker mit einschließt.96 Anhand dieser Lektüre – und nicht etwa, wie im ersten Satirenbuch, anhand der auf die Bauernweisheit seines Vaters zurückgehenden mündlichen Überlieferung (Hor. serm. 1.4.105-106) – versucht nun Horaz – mit wechselndem Erfolg –,97 sein eigenes unverwechselbares Ich zu konstruieren.98 Diese harte ethische Arbeit wird dabei indirekt mit dem Schreiben der horazischen Epoden parallelisiert, die konkrete griechische Vorbilder zu etwas bedingungslos Eigenem kreativ

                                                                                                                92

Hor. epist. 1.13.1-2 ut proficiscentem docui te saepe diuque, / Augusto reddes signata volumina, Vinni; 17 carmina. Vgl. Kilpatrick 1986, 14-18; Oliensis 1998, 185-191; Putnam 2003; De Pretis 2004, 172-174; McCarter 2015, 257-263. 93 Hor. epist. 1.1.1-4 prima dicte mihi, summa dicende Camena, / spectatum satis et donatum iam rude quaeris, Maecenas, iterum antique me includere ludo? / non eadem est aetas, non mens. 10-11 nunc itaque et versus et cetera ludicra pono: / quid verum atque decens curo et rogo et omnis in hoc sum. Kilpatrick 1986, 1-7; Lyne 1995, 186- 192; Freudenburg 2002a. 94 Hor. epist. 1.1.4-6 Veianius armis / Herculis ad postem fixis latet abditus agro, / ne populum extrema rediens exoret harena. Vgl. Bowditch 2001, 170-181; Porter 2002, 20-32; De Pretis 2004, 77-85; McCarter 2015, 25-42. 95 Zur Mischung aus epikureischen, stoischen, kynischen und sonstigen Elementen im ersten Buch der Episteln siehe Moles 2002. Vgl. Mayer 1986. Zum Einfluss des eklektischen Epikureismus des Philodem auf Horaz vgl. Armstrong 2004. Zu den möglichen epikureischen Wurzeln der epistolaren Didaktik im ersten Epistelbuch siehe Morrison 2007. 96 Hor. epist. 1.2.1-4 Troiani belli scriptorem, Maxime Lolli, / dum tu declamas Romae, Praeneste relegi; / qui quid sit pulchrum, quid turpe, quid utile, quid non, / planius ac melius Chrysippo et Crantore dicit. Zu Homer in epist. 1.2 siehe Keane 2011; Hunter 2014.Vgl. McCarter 2015, 67-92. 97 Vgl. Hor. epist. 1.8, wo der Dichter auf seine innere Zerrissenheit aufmerksam macht. Kilpatrick 1986, 3740; Lee-Stecum 2009, 18. 98 Hor. epist. 1.1.12-15 condo et compono quae mox depromere possim. / ac ne forte roges quo me duce, quo Lare tuter, / nullius addictus iurare in verba magistri, / quo me cumque rapit tempestas, deferor hospes. Moles 2002, bes. 157: „[I]ndividuals must make their own philosophical choices. They must balance one philosophical position against another. They must read and re-read the text, much of whose complexity derives from the poems’ kaleidoscopic shifts of viewpoint, which create an interactive dynamic which itself constitutes a kind of Socratic dialectic. And they must constantly interface this complex text with the complexities of life.” Vgl. Trinacty 2012, 57-58.

 

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umgestalten, statt diese gedankenlos zu kopieren.99 Die ‚jambische’ Aggression, mit der sich Horaz dabei von den „sklavenhaften Imitatoren“ der Griechen abgrenzt, verdeutlicht noch mehr den allumfassenden Drang nach Eigenständigkeit, der nun durch die schöpferische Schriftlichkeit der Dichtung symbolisiert zu werden scheint.100 Paradoxerweise ist also das – unverwechselbare und einzigartige – Ich des Dichters genauso intertextuell wie seine – unverwechselbare und einzigartige – Dichtung. Aber nicht nur die Abhängigkeit von philosophischen und literarischen Vorbildern, sondern auch die Abhängigkeit von Maecenas erscheint im ersten Buch der Episteln als die bestmögliche Form einer freien Selbstbestimmung. Das Schreiben von Briefen wird schließlich nur dadurch motiviert, dass Horaz sich fern von Rom auf seinem eigenen Anwesen aufhält, das er partout nicht mehr verlassen will.101 Denn im Gegensatz zum ersten Satirenbuch, in dem der Maecenas-Kreis als die Inkarnation des angestrebten ethischen Ideals gilt, wird nun das eigene Land als der einzig denkbare Ort dargestellt, an dem Horaz wirklich er selbst sein kann.102 Diese ländliche Idylle ist natürlich nach wie vor ein Geschenk des Patrons und erinnert somit daran, dass Horaz schließlich doch nur eine Kreatur des Maecenas ist.103 Seine Abhängigkeit vom Patron verpflichtet ihn jedoch nicht mehr zu einer bedingungslosen Anpassung, wie sie im ersten Satirenbuch – wenn auch subtil und unaufdringlich – inszeniert wurde. Ganz im Gegenteil: In den Episteln kann der Dichter dank seinem Patron die scheinbar uneingeschränkte Freiheit genießen, sich einer ungestörten ‚Sorge um sich’ zu widmen und dabei aus respektvoller Distanz mit seinen jüngeren Freunden, mit Maecenas selbst und sogar mit Mitgliedern der kaiserlichen Familie zu kommunizieren.104 Im Gegensatz zu den Satiren heben dabei die Episteln explizit ihren didaktischen Charakter hervor: Die Lektionen über die Dynamik der Patronage, die Horaz seinen                                                                                                                 99

Hor. epist. 1.19.21ff. libera per vacuum posui vestigia princeps, / non aliena meo pressi pede. qui sibi fidet, / dux reget examen. Parios ego primus iambos / ostendi Latio etc. Vgl. epist. 1.3.15-20. Oliensis 1998, 173-174; Freudenburg 2002a, 134-140; Porter 2002, 26-27; De Pretis 2004, 112-114; Lowrie 2009, 251-258; Glinatsis 2012; Trinacty 2012, 63-70. 100 Hor. epist. 1.19.19-20 o imitatores, servum pecus, ut mihi saepe / bilem, saepe iocum vestri movere tumultus! Zur Bedeutung der jambischen Tradition für Episteln 1 siehe Morrison 2006. Vgl. Hor. epist. 1.3.15-20: Trinacty 2012, 63-64. 101 Vgl. Hor. epist. 1.1 und 1.7. Kilpatrick 1986, 1-14; Gold 1987, 126-130; Lyne 1995, 143-155. 102 Hor. epist. 1.14.1 vilice silvarum et mihi me reddentis agelli etc. Vgl. 1.16.5-16. Kilpatrick 1986, 89-93; Bowditch 2011, 211-246. 103 Hor. epist. 1.7, insb. 16 tu me fecisti locupletem. Vgl. Kilpatrick 1986, 7-14; Damon 1997, 134-140; Bowditch 2001, 181-193; De Pretis 2004, 84-85; McCarter 2015, 124-160. 104 Kilpatrick 1986; Lee-Stecum 2009, 20-21. Das Empfehlungsschreiben für Septimius, das Horaz in epist. 1.9 an Tiberius schreibt, ist wohl das deutlichste Zeugnis seiner gestiegenen Autorität. Vgl. Kilpatrick 1986, 41-42.

 

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jüngeren Freunden erteilt, die im Begriff sind, dem von ihm selbst vorgelebten Aufstiegsmuster zu folgen, enthalten explizite Anspielungen auf die Satiren, die nun als Illustrationen allgemeiner – zur Sicherung der Stellung eines Klienten an der Seite seines Patrons – beitragender Regeln in Szene gesetzt werden.105 Genauso wie die Dichtung und das Leben des Horaz eine kreative Umgestaltung etablierter Klassiker der griechischen Literatur und Philosophie verkörpern, so wird auch das Klientenleben mit dem sklavenhaften Nachahmen explizit kontrastiert: Denn wie die poetische Kunst besteht wohl auch die Lebenskunst eines Klienten vor allem darin, seine offensichtliche Abhängigkeit wie die höchste Form der Freiheit erscheinen zu lassen.106 Horaz stellt sein poetisches Leben nicht wie ein originalgetreu nachzuahmendes Muster dar. Seine Selbstinszenierung ist vielmehr insofern paradigmatisch, als sie anschaulich demonstriert, wie jeder sich sein eigenes Leben in Anlehnung an literarische, philosophische, soziale und politische Autoritäten so zurechtlegen kann, dass es trotzdem als frei empfunden wird.107 Während also die fingierte Mündlichkeit des ersten Satirenbuchs eine virtuelle Verschmelzung – und somit auch gegenseitige Abhängigkeit – zwischen Horaz und Maecenas inszeniert, so symbolisiert die Epistolarität des ersten Buchs der Episteln eine Freiheit, die paradoxerweise nur durch diese tiefgreifende Abhängigkeit überhaupt erst erreicht werden kann. Besonders wichtig ist dabei die Tatsache, dass Horaz seine dank dem Dienst am Patron errungene Freiheit als Metapher für die Existenzbedingungen eines schriftlichen Texts benutzt, der zwar vom Autor erschaffen ist, sich jedoch von diesem

                                                                                                                105

Episteln 1.17 und 1.18 lesen sich wie Vorschriften eines erfahrenen Klienten an seine jüngeren Kollegen. Kilpatrick 1986, 43-55; Damon 1997, 134-140; Porter 2002; De Pretis 2004, 44-46; McCarter 2015, 190225. Es lassen sich dabei einige Parallelen zwischen diesen Vorschriften und den von Horaz in den Satiren geschilderten Erfahrungen feststellen: epist. 1.17.43-44 (coram rege sua de paupertate tacentes / plus poscente ferent) erinnert an Horaz’ unermüdliche Hervorhebung seiner eigenen Zufriedenheit im ersten Satirenbuch; epist. 1.17.52 (Brundisium comes aut Surrentum ductus amoenum) und epist. 1.18.20 (Brundisium Minuci melius via ducat an Appi) wirken wie klare Verweise auf serm. 1.5. Vgl. Oliensis 1998, 171-172. 106 Das Hauptthema von epist. 1.18 besteht darin, wie man als hierarchisch untergeordneter Klient den Anschein eines gleichgestellten amicus bewahrt und den Anschein eines den Patron in allem nachäffenden scurra (d.h. eines Parasiten) vermeidet (1-2 si bene te novi, metues, liberrime Lolli, / scurrantis speciem praebere, professus amicum). Zur Spannung zwischen amicitia und Parasitentum in diesem Brief siehe Bowditch 1994. Vgl bes. epist. 1.18.10-14 alter in obsequium plus aequo pronus et imi / derisor lecti sic nutum divitis horret, / sic iterat voces et verba cadentia tollit, / ut puerum saevo credas dictata magistro / reddere vel partis mimum tractare secundas. Die Ähnlichkeit dieses parasitären Verhaltens mit demjenigen der poetischen imitatores, servum pecus (epist. 1.19.19) liegt wohl auf der Hand. 107 Vgl. Moles 2002, 157: „Horace has fashioned a relativism which allows individual choice between philosophies: an original and creative philosophical move, and one based on a simple but profound psychological truth: individual personality greatly influences – and should influence – philosophical, political and intellectual choices.“

 

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nach der Publikation weitgehend emanzipiert.108 Der Kontrast zur Darstellung der Buchveröffentlichung in serm. 2.1 könnte dabei kaum größer sein: Während die Publikation der Satiren mit einer juristischen und/oder literaturkritischen Gefahr einhergeht, aus der dem Dichter nur der allerhöchste Patron des römischen Volks heraushelfen kann, wird die Veröffentlichung der Episteln als die endgültige Selbstbefreiung von jeglicher Art von Patronage konzipiert. Denn im letzten Gedicht der Sammlung wendet sich Horaz überraschenderweise an sein nach Aufmerksamkeit strebendes Buch, das mit einem freigelassenen Sklaven verglichen wird, der sich – wie ein Prostituierter – jedem anbietet, der ihn haben will.109 Es stellt sich dabei heraus, dass diese an Vertraute und enge Freunde adressierte Korrespondenz dazu prädestiniert sein soll, zunächst ein überall in Rom erhältlicher Bestseller110 und später ein an jeder Provinzschule fest zum Lektürekanon gehörender Klassiker zu werden111 und somit den Autor überall dort bekannt zu machen, wo man auf Latein lesen kann – nicht nur in Rom, sondern auch in Spanien oder Nordafrika.112 Dieses Bild wirft ein erhellendes Licht auf die Dialektik zwischen Abhängigkeit und Freiheit, die den gesamten Duktus des Buchs nachhaltig bestimmt. Seinen Ruhm hat Horaz zwar ausschließlich den im Auftrag des Maecenas – also eher unfreiwillig – verfassten Gedichten zu verdanken. Dieser Ruhm sorgt nun aber dafür, dass sogar seine privaten Briefe zu einem Klassiker werden können, wodurch eine unmittelbare Kommunikation mit dem Leser inszeniert werden kann, die von der Autorität des Patrons völlig unabhängig erscheint.

4. Episteln 2 und die Ars Poetica

                                                                                                                108

Vgl. Oliensis 1998, 181; De Pretis 2004, 179-187. Hor. epist. 1.20.1-5 Vertumnum Ianumque, liber, spectare videris, / scilicet ut prostes Sosiorum pumice mundus. / odisti clavis et grata sigilla pudico; / paucis ostendi gemis et communia laudas, / non ita nutritus. fuge quo descendere gestis. Harrison 1988; Ferri 1993, 131-133; Oliensis 1998, 175-181; Trinacty 2012, 7275; McCarter 2015, 263-273. 110 Hor. epist. 1.20.9-12 quod si non odio peccantis disipit augur, / carus eris Romae donec te deserat aetas. / contrectatus ubi manibus sordescere vulgi / coeperis, aut tineas pasces taciturnus inertis. 111 Hor. epist. 1.20.17-18 hoc quoque te manet, ut pueros elementa docentem / occupet extremis in vicis balba senectus. 112 Hor. epist. 1.20.13 aut fugies Uticam aut vinctus mitteris Ilerdam. Harrison 1988; Ferri 1993, 131-137; Oliensis 1998, 175-181; Feeney 2002, 175; Trinacty 2012, 72-74. 109

 

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Die letzten drei Briefe – die beiden Episteln des zweiten Buchs und die Ars Poetica – erörtern etwas genauer die Grundmechanismen eines solchen Klassikerdaseins.113 Ironischerweise erweitert Horaz im Brief an Florus (Epistel 2.2) die im ersten Buch geäußerte Abneigung gegen jegliche weitere poetische Tätigkeit auf das Schreiben von Episteln.114 Um seine Befreiung von jeglicher Schreibepflicht zu betonen, zieht er eine weitere Verbindung zum ersten Buch der Episteln, indem er seine Situation mit derjenigen eines Sklaven vergleicht, der – abgesehen von der Tatsache, dass er einmal weggelaufen ist – insgesamt als ganz tüchtig gelten dürfte.115 Die darauf folgende Distanzierung von der eigenen Dichtung repliziert nicht einfach die im ersten Buch vorgeführte Selbstbefreiung durch die Hinwendung zum wahren – philosophischen – Leben.116 Die Darstellung seiner poetischen Vergangenheit erhält zusätzlich deutliche satirische Züge, denn aus seiner jetzigen philosophisch aufgeklärten Perspektive heraus erscheint sein früheres Dichter-Ich genauso lächerlich wie die grotesken Figuren, die er selbst im ersten Satirenbuch verspottete. Als junger Mann habe er eigentlich nur aufgrund finanzieller Not Gedichte geschrieben;117 nun sei er aber nicht nur zu alt für poetische Spielereien, sondern auch mit seiner bescheidenen finanziellen Situation vollkommen zufrieden.118 Als Dichter müsse man lautstark um Anerkennung ringen, indem man zum Beispiel einen Dichterkollegen als einen neuen Kallimachos oder gar einen neuen Mimnermos lobe, um im Gegenzug für einen neuen Alkaios gehalten zu werden;119 er aber wolle nun – schweigend – darüber nachdenken, wer er wirklich sei.120 Und schließlich gleiche man als Dichter einem

                                                                                                                113

Zur Möglichkeit, das zweite Buch der Episteln und die Ars Poetica als ein einziges Buch zu betrachten, siehe Harrison 2008. 114 Hor. epist. 2.2.20-24 dixi me pigrum proficiscenti tibi, dixi / talibus officiis prope mancum, ne mea saevus / iurgares ad te quod epistula nulla rediret. / quid tamen profeci, mecum facientia iura / si tamen attemptas? Zur politischen Bedeutung der recusatio in epist. 2.2 siehe Freudenburg 2002b. Cf. Johnson 1993, 1-3; Reckford 2002, 2-7; Günther 2010, 1-46. 115 Hor. epist. 2.2.2-4, 16 siquis forte velit puerum tibi vendere natum / Tibure vel Gabiis et tecum sic agat: „hic et / candidus et talos a vertice pulcher ad imos... / ... des nummos, excepta nihil te si fuga laedit.“ Kilpatrick 1990, 15-19. 116 Zum philosophischen Programm in epist. 2.2 siehe Kilpatrick 1990, 24-28. 117 Hor. epist. 2.2.50-52 decisis humilem pennis inopemque paterni / et Laris et fundi paupertas impulit audax / ut versus facerem. sed quod non desit habentem... Der Kontrast zu epist. 1.17.43, wo Horaz die Erwähnung der eigenen Armut vor dem Patron für kontraproduktiv erklärt, ist ziemlich auffällig. Vgl. McCarter 2015, 168. 118 Hor. epist. 2.2.52-54 sed quod non desit habentem / quae poterunt umquam satis expurgare cicutae, / ni melius dormire putem quam scribere versus? Vgl. serm. 2.1.7 sed nequeo dormire: In seiner Jugend musste er Gedichte schreiben, um einschlafen zu können. Jetzt hat er es nicht mehr nötig. 119 Hor. epist. 2.2.99-101 discedo Alcaeus puncto illius: ille meo quis? / quis nisi Callimachus? si plus apposcere visus / fit Mimnermus et optivo cognomine crescit. 120 Hor. epist. 2.2.144 quocirca mecum loquor haec tacitusque recordor.

 

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halluzinierenden Wahnsinngen;121 er aber sei nun ausschließlich auf seine geistige Gesundheit erpicht.122 Diese Distanz zur poetischen Tätigkeit dient jedoch keineswegs dazu, die Bedeutung seiner früheren Dichtung nachträglich zu schmälern. Vielmehr vermittelt Horaz dadurch den Eindruck, dass seine Zeit als Dichter in einer entfernten – nunmehr fast unwirklich erscheinenden – Vergangenheit liegt, sodass sein Werk bereits jetzt wie ein abgeschlossenes Corpus erscheint, dem man gar nichts mehr – nicht einmal einen weiteren Brief – hinzufügen kann und das somit fast als das Werk eines Klassikers zu betrachten wäre. Dass das Hauptziel eines solchen klassischen Werks in nichts Geringerem als Unsterblichkeit besteht, ist das Thema des Augustus-Briefs.123 Am Anfang des Briefs wird zwar ein ironischer Kontrast hergestellt, nämlich zwischen Augustus, der bereits zu Lebzeiten göttliche Ehren erhält, und Horaz, der sich darüber beschwert, dass man als lebender Dichter nicht als Klassiker gelten darf.124 Bei näherer Betrachtung wird jedoch ersichtlich, dass die Göttlichkeit des Augustus in einer Begrifflichkeit konzipiert wird, die auffällig an Horaz’ eigene Augustus-Panegyrik – in erster Linie im vierten Buch der Oden – erinnert. Der lebende Gott Augustus wird mit Romulus, Bacchus, den Dioskuren und Herkules kontrastiert (epist. 2.1.5-17), die erst nach dem Tod vergöttlicht wurden und deren Göttlichkeit in c. 4.8 allein der Dichtung zugeschrieben wird (22-34). Die Erwähnung der Altäre, an denen „wir“ Augustus verehren,125 sowie die Feststellung, „es werde nie etwas wie Augustus geben, noch habe es jemals etwas Vergleichbares gegeben,“ erinnern an zahlreiche Rituale zu Ehren des Princeps in den Oden und insbesondere an c. 4.2, wo behauptet wird, „das Schicksal und die Götter hätten der Welt nie etwas Besseres als Augustus gegeben, und sie würden es auch künftig nie tun.“126 Ferner befindet sich in der Mitte des Briefs ein indirekter Verweis auf das carmen saeculare – den wichtigsten Beitrag des Horaz zur Verfestigung des Gottmenschentums des Augustus.127 Und am Ende des Briefs listet Horaz schließlich in einer typischen                                                                                                                 121

Hor. epist. 2.2.126-128 praetulerim scriptor delirus inersque videri, / dum mea delectent mala me vel denique fallant, / quam sapere et ringi… Vgl. Kilpatrick 1990, 23-24. 122 Hor. epist. 2.2.143 ... sed [sc. utile est] verae numerosque modosque ediscere vitae. 123 Vgl. Kirichenko 2016b. 124 Brink 1982, 464-466; Kilpatrick 1990, 5-6. 125 Vgl. Hor. epist. 2.1.16 iurandasque tuum per numen ponimus aras und c. 3.14; 4.2.53-60; 4.5.29-40; 4.15.25-32. 126 Vgl. Hor. epist. 2.1.17 nil oriturum alias, nil ortum tale fatentes und c. 4.2.37-40 quo nihil maius meliusve terris / fata donavere bonique divi / nec dabunt, quamvis redeant in aurum / tempora priscum. 127 Hor. epist. 2.1.132-138 castis cum pueris ignara puella mariti / disceret unde preces, vatem ni Musa dedisset? / poscit opem chorus et praesentia numina sentit, / caelestis implorat aquas, docta prece blandus, /

 

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augusteischen recusatio die Taten des Augustus auf, die er vorgibt, mangels Talent nicht besingen zu können, wobei die Liste aber kein einziges Element enthält, das im vierten Oden-Buch nicht vorkommen würde.128 So entpuppt sich die als sicher geltende Göttlichkeit des Augustus als etwas, das nur dank Horazens Dichtung überhaupt erst existieren kann. Es stellt sich jedoch heraus, dass bei ihrem gemeinsamen Streben nach Unsterblichkeit Horaz und Augustus gleichermaßen voneinander abhängig sind. Das ewige Dasein des Augustus wird zwar nur dank der enkomiastischen Dichtung des Horaz möglich. Diese Dichtung kann aber ihre Funktion nur dann erfüllen, wenn sie – und zwar allein dank Augustus – den Status eines Klassikers erhält. Der Brief dient in erster Linie dazu, Horaz als einen noch lebenden Klassiker zu positionieren, und das geschieht unter anderem dadurch, dass Horaz sich mit bereits etablierten Klassikern der römischen Literatur misst.129 So wird dem Adressaten indirekt nahegelegt, dass Horaz der einzige zeitgenössische Dichter ist, der in die Sammlung der klassischen Werke in Augustus’ Bibliothek auf dem Palatin – für alle Ewigkeit – aufgenommen werden kann.130 Dass aber der wichtigste Ansporn für Augustus, die Werke des Horaz zu verewigen, darin besteht, dass er dadurch auch sich selbst verewigen würde, wird durch die Parallele zwischen Dichtung und bildender Kunst klar gemacht: Alexander der Große hatte zwar keine guten Dichter, die seine Taten gebührend besingen konnten, er handelte jedoch weise, als er nur den besten Künstlern – Apelles und Lysippos – erlaubte, seine idealisierten Porträts anzufertigen.131 Augustus hingegen hat gute Dichter, die diese Aufgabe viel besser als

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                              avertit morbos, metuenda pericula pellit, / impetrat et pacem et locupletem frugibus annum. / carmine di superi placantur, carmine Manes. Fraenkel 1957, 391; Oliensis 1998, 192; Feeney 2002, 181. 128 Hor. epist. 2.1.250-257 nec sermones ego mallem / repentis per humum quam res componere gestas / terrarumque situs et flumina dicere et arces / montibus impositas et barbara regna tuisque auspiciis totum confecta duella per orbem / claustraque custodem pacis cohibentia Ianum / et formidatum Parthis te principe Romam, / si quantum cuperem possem quoque. Vgl. c. 4.4.17-18; 4.14, bes. 11-12 arces / Alpibus impositas tremendis; 4.5, insb. 25 quis Parthum paveat…? 4.15, bes. 4-9 tua, Caesar, aetas / fruges et agris rettulit uberes / et signa nostro restituit Iovi / derepta Parthorum superbis / postibus et vacuum duellis / Ianum Quirini clausit. Zur recusatio in epist. 2.1 siehe Barchiesi 2001, 83-85; Lowrie 2002; Freudenburg 2014. 129 Vgl. Hor. epist. 2.1.73-75 inter quae verbum emicuit si forte decorum / si versus paulo concinnior unus et alter, / iniuste totum ducit venditque poema. Zur Kritik der kanonischen römischen Dichtung in epist. 2.1 siehe Brink 1982, 466-475; Kilpatrick 1990, 6-9; Citroni 2013. 130 Hor. epist. 2.1.216-218 si munus Apolline dignum / vis complere libris et vatibus addere calcar, / ut studio maiore petant Helicona virentem. Vgl. epist. 1.3.17 scripta, Palatinus quaecumque recepit Apollo: dazu Horsfall 1993, 61-62; Oliensis 1998, 193-194. 131 Hor. epist. 2.1.237-241 idem rex ille, poema / qui tam ridiculum tam care prodigus emit, / edicto vetuit nequis se praeter Apellen / pingeret aut alius Lysippo duceret aera / fortis Alexandri vultum simulantia.

 

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bildende Künstler erfüllen können.132 Da die einzigen Dichter, die Horaz explizit erwähnt, die bereits verstorbenen Vergil und Varius sind (epist. 2.1.247 dilecti tibi Vergilius Variusque poetae), meint er damit natürlich in erster Linie sich selbst: Er ist nun der Einzige, der noch in der Lage ist, ein angemessenes Bildnis des Princeps zu erschaffen, das alle Ewigkeit überdauern kann (vgl. epist. 2.1.264-267).133 Die posthume Verschmelzung zwischen Horaz und Augustus erinnert zu einem bestimmten Grad an die Schilderung der gegenseitigen Abhängigkeit zwischen Horaz und Maecenas im ersten Satirenbuch. Zusätzlich verstärkt wird die Verbindung zu den Satiren im Übrigen auch durch die Selbststilisierung des Briefs als ein „am Boden kriechender“ sermo.134 Doch obwohl der plaudernde Ton, der an die fingiert mündlichen sermones erinnert, auch im Augustus-Brief dazu dient, den Eindruck einer besonderen Vertraulichkeit zwischen dem Adressanten und dem Adressaten zu erwecken,135 bildet er hier einen deutlichen Kontrast zum Hauptanliegen der Epistel – nämlich zur Begründung einer gemeinsamen literarischen Unsterblichkeit, die ja nur mithilfe eines schriftlichen – in einer Bibliothek aufbewahrten – Texts gewährleistet werden kann.136 Es lässt sich jedoch nicht leugnen, dass ein solches ewiges Leben in der Bibliothek sich nur unwesentlich vom Tod unterscheiden würde.137 In der Ars poetica hingegen erschafft Horaz ein viel lebendigeres – überraschend ‚mündliches’ – Bild für das Überleben seiner Dichtung. Wie in den früheren Episteln betont Horaz auch in der Ars

                                                                                                                132

Hor. epist. 2.1.248-250 nec magis expressi vultus per aenea signa / quam per vatis opus mores animique virorum / clarorum apparent. 133 Zur Verschmelzung zwischen Horaz und Augustus am Ende des Gedichts siehe Feeney 2002, 185-187. Vgl. das vierte Buch der Oden: In c. 4.8 hebt Horaz z. B. wie in epist. 2.1 die Überlegenheit der Dichtung gegenüber der bildenden Kunst hervor und betont, dass das poetische Lob der Taten des laudandus mehr zu seiner Unsterblichkeit beiträgt als die Taten selbst: Thomas 2011, 185-186. Vgl. c. 4.9. Die restlichen Gedichte des Buchs lassen sich in drei Kategorien aufteilen: Gedichte über die schmerzhafte, durch nichts aufzuhaltende Vergänglichkeit der physischen Existenz (4.1, 4.7, 4.10, 4.11, 4.12, 4.13); Gedichte über Horaz selbst, der dank der Abfassung des carmen saeculare zu Lebzeiten den Status eines Klassikers erlangt hat (4.3, 4.6); und Gedichte über den angestrebten ewigen Ruhm des Augustus und seiner Familie, der nur dank Dichtung zu erlangen ist (4.2, 4.4, 4.5, 4.14, 4.15). 134 Hor. epist. 2.1.250-251 nec sermones ego mallem / repentis per humum quam res componere gestas. Vgl. 4 si longo sermone morer tua tempora, Caesar. 135 Vgl. die von Sueton überlieferte Anekdote, dass der Augustus-Brief als Reaktion auf die Beschwerde des Princeps entstanden sei, Horaz wolle ihm anscheinend keine Brief schreiben, um von der Nachwelt mit ihm nicht in Verbindung gebracht zu warden: Suet. De poetis 40, p. 46.9 – 47.1 Reifferscheid: „Irasci me tibi scito, quod non in plerisque eius modi scriptis mecum potissimum loquaris; an vereris ne apud posteros infame tibi sit, quod videaris familiaris nobis esse?” expressitque eclogam ad se, cuius initium est: Cum tot sustineas et tanta negotia solus etc. 136 Vgl. Lowrie 2009, 235-250, bes. 250: „In his retreat from the uneducated masses, Horace further embraces the relative safety of the judgement of posterity. The library figures this safe place.“ 137 Vgl. Oliensis 1998, 197.

 

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Poetica seine Abneigung gegen jegliche poetische Tätigkeit.138 Doch während im ersten Buch der Episteln diese Abneigung damit zusammenhing, dass Horaz sich von seinem Patron emanzipiert, um sein eigenes Ich im Einklang mit den strukturellen Grundprinzipien der poetischen Kunst zu konstruieren, geht er nun noch einen Schritt weiter, indem er das Machtverhältnis zwischen dem Patron und dem Klienten gewissermaßen auf den Kopf stellt: Denn er setzt nun die Maske eines grammaticus auf, der die Regeln des Gedichteschreibens Angehörigen einer gehobenen aristokratischen Schicht beibringt, die sich ja als potentielle Patrone des Dichters qualifizieren.139 Diese Situation pervertiert offensichtlich den in der früheren Dichtung des Horaz wiederholt inszenierten ‚Normalfall’, bei dem der Dichter wie ein Klient erscheint, der den Patron aus Dankbarkeit für dessen Unterstützung in seinen Versen verewigt.140 Während der gegenseitige Nutzen im Verhältnis zwischen dem Dichter-Klienten und dem nach Unsterblichkeit strebenden Patron auf der Hand liegt, erscheint die Figur eines dichtenden Patrons im sozialen Gefüge der horazischen Welt als schlicht und ergreifend widersinnig.141 Während das Ziel der Dichtung laut Horaz traditionell darin bestehe, die Welt – auf welche Art auch immer – zu verändern,142 scheint man im zeitgenössischen Rom nur aus einem einzigen Grund zu schreiben, nämlich weil es eine aristokratische Mode sei – da es ja in den entsprechenden Kreisen kaum jemanden gebe, der nicht dichten würde.143 Und im Gegensatz zur Dichtung, die – wie Horaz’ eigene Dichtung – dank einer gelungenen Kombination von Inhalt und Form (von utile und dulce) für immer überdauern soll,144 sind Gedichte, die man mithilfe der horazischen Vorschriften zur eigenen                                                                                                                 138

Hor. AP 306 munus et officium nil scribens ipse docebo. Zur Identität der Pisones siehe Frischer 1991, 52-59; Armstrong 1993. Zur Analogie zwischen der poetischen und der sozialen Performanz in der Ars siehe Oliensis 1998, 202-215. Vgl. Lowrie 2014; Geue 2014. 140 Zu Horaz im ersten Satirenbuch als einem sympotischen Unterhalter siehe Turpin 1998; Freudenburg 2001, 22-23. 141 Zur Ars Poetica als einem mit den parodischen Monologen des zweiten Satirenbuchs vergleichbaren sermo siehe Frischer 1991, 87-100; vgl. Brink 1971, 445-446. Zu den Verbindungen zwischen der Ars Poetica und den Satiren im Allgemeinen siehe Seeck 1995; Ferenczi 2014. 142 Hor. AP 391-407. Als Beispiele der direkten Wirkung der Dichtung auf die empirische Welt werden Orpheus und Amphion erwähnt, die die leblose Natur im wörtlichen Sinne zum Leben erweckten, sowie Homer und Tyrtaios, die mit ihren Versen Männer zum Kampf anspornten. 143 Hor. AP 379-384 ludere qui nescit, campestribus abstinet armis / indoctusque pilae discive trochive quiescit, / ne spissae risum tollant impune coronae: / qui nescit versus tamen audet fingere. quidni? / liber et ingenuus, praesertim census equestrem / summam nummorum vitioque remotus ab omni. Vgl. epist. 2.1 108117 mutavit mentem populus levis et calet uno / scribendi studio: pueri patresque severi / fronde comas vincti cenant et carmina dictant. […] scribimus indocti doctique poemata passim. 144 Vgl. Hor. AP 343-346 omne tulit punctum qui miscuit utile dulci, / lectorem delectando pariterque monendo. / hic meret aera liber Sosiis; hic et mare transit / et longum noto scriptori prorogat aevum. 139

 

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Selbstvergnügung verfasst, äußerst kurzlebig.145 Diese – betont schriftlichen – Erzeugnisse könnten zwar, in einer Schulblade sicher versteckt, ewig aufbewahrt werden, während sie dort auf den schönheitschirurgischen Eingriff eines Horaz-artigen Kritikers warten.146 Der ewige Ruhm bleibt ihnen aber verwehrt. Denn Horaz rät seinen aristokratischen Adressaten ausdrücklich davon ab, vor dem einzigen Publikum zu rezitieren, das sie für ihre Kompositionen wohl finden würden, nämlich vor ihren Klienten, denn diese würden in der Hoffnung auf eine materielle Belohnung alle Werke ihrer Patrone unabhängig von deren Qualität loben, sodass der Ruhm der Dichtung die kurze Dauer der vorgetäuschten Dankbarkeit vermutlich nicht überleben dürfte.147 Der aristokratische Dichter, der in dieser Passage geschildert wird, fungiert gewissermaßen als Inkarnation der poetischen Kunst, die Horaz in der Ars Poetica zu lehren vorgibt. Mit dieser Gestalt wird am Ende der Epistel die Figur des wahnsinnigen Dichters kontrastiert, der als die von jeglichen Zusätzen bereinigte Quintessenz des poetischen Talents gelten darf, das Horaz auch an anderen Stellen der Ars mit Wahnsinn gleichsetzt (AP 295-301, 323-332, 408-411).148 Im Gegensatz zum aristokratischen Amateur, der sich damit abfinden muss, dass seine poetischen Kostproben – von seinen Klienten dankend konsumiert – für immer verschwinden, ist das wahnsinnige Genie von seiner Unsterblichkeit geradezu besessen: Um unsterblich zu werden, zwingt dieser Dichter nämlich jeden, den er fangen kann, wie ein aus dem Käfig ausgebrochener rasender Bär zum Zuhören, bis er sich wie ein Blutegel mit dessen Blut vollgesogen hat.149 Es ist dabei besonders bemerkenswert, dass Horaz das Verhältnis zwischen dem leidenschaftlich nach Unsterblichkeit strebenden Dichter und dem Leser, der sich gegen                                                                                                                 145

Zur offensichtlichen Banalität der poetischen Lehren der Ars Poetica siehe Frischer 1991, bes. 61 und 68, wo das Gedicht „as a parody of pedantic critics and as an intentionally misleading ‚instruction booklet’ for poetasters on how to write good poetry“ und als „filled with advice and rules as useless as they are dull and jejune“ beschrieben wird. 146 Hor. AP 385-389 tu nihil invita dices faciesve Minerva; / id tibi iudicium est, ea mens. siquid tamen olim / scripseris, in Maeci descendat iudicis auris / et patris et nostras nonumque prematur in annum / membranis intus positis. Es ist auch bemerkenswert, dass der einzig geeignete Rezipient, den sich Horaz für die Gedichte seiner Adressaten vorstellen kann (AP 438-452), ein „Horaz-artiger“ Kritiker Quintilius ist, der an den – ansonsten unpublizierbaren – Texten solange herumtüfteln würde, bis sie halbwegs akzeptabel (‚horazisch’ genug?) geworden wären. Zu Quintilius als dem epikureischen alter ego des Horaz siehe Frischer 1991, 6668. Vgl. Armstrong 1993 und 2004. 147 Hor. AP 419-421, 426-428 ut praeco, ad merces turbam qui cogit emendas, / assentatores iubet ad luctum ire poeta / dives agris, dives positis in faenore nummis… / … tu seu donaris seu quid donare voles cui, / nolito ad versus tibi factos ducere plenum / laetitiae: clamabit enim ‘pulchre! bene! recte!’ 148 Frischer 1991, 66-68. 149 Hor. AP 472-476 certe furit ac velut ursus, / obiectos caveae valuit si frangere clatros, / indoctum doctumque fugat recitator acerbus. / quem vero arripuit, tenet occiditque legendo, / non missura cutem nisi plena cruoris hirudo.

 

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diese Leidenschaft nicht wehren kann, wie die – in einem kulinarisch-satirischen Sinne ‚mündliche’ – Verbindung zwischen einem Parasiten und seinem Wirt auffasst. Denn die Parallele zwischen den letzten Worten der Ars Poetica – plena cruoris hirudo150 – und dem im ersten Satirenbuch gezeichneten Bild eines conviva satur als Inbegriff des philosophisch erfüllten Lebens an der Seite eines großzügigen Patrons151 lässt nun auch einen nach Unsterblichkeit trachtenden Dichter wie einen nach Sättigung strebenden Klienten erscheinen. Die beiden karikaturenhaften – in der Begrifflichkeit der Patronage verwurzelten – Bilder, die Horaz erschafft, um eine reine Schriftlichkeit und eine reine Mündlichkeit zu veranschaulichen, verschmelzen schließlich zu einer komplexen Gestalt – zu einem einprägsamen Symbol der poetischen Ewigkeit. Das kunstvolle ‚Polieren’ des schriftlich fixierten Texts152 ist selbstverständlich eine unabdingbare Voraussetzung dafür, dass er als materielles Artefakt seinen Autor überdauern kann. Doch um dem Autor den Schein eines ewigen Lebens zu gewähren, muss der Text in der Lage sein, auf künftige Rezipienten eine unmittelbar ‚mündliche’ – irritierende und verstörende – Wirkung auszuüben, damit er sie immer wieder aufs Neue dazu zwingen kann, den Autor mit ihrem eigenen Blut am Leben zu erhalten. Literatur Armstrong, D. „The Addressees of the Ars Poetica.” MD 31 (1993), 185-230. Armstrong, D. „The Impossibility of Metathesis: Philodemus and Lucretius on Form and Content in Poetry.” In: Obbink 1995, 210-233. Armstrong, D. „Horace’s Epistles 1 and Philodemus.” In: Armstrong, D. – Fish, J. – Johnston, P.A. – Skinner, M.B. (Hgg.) Vergil, Philodemus, and the Augustans. Austin 2004, 267-298. Barchiesi, A. “Poetry, Praise and Patronage: Simonides in Book IV of Horace’s Odes.” CA 19 (1995), 4-47. Barchiesi, A. „Rituals in Ink: Horace on the Greek Lyric Tradition.” In: Depew, M. – Obbink, D. (Hgg.) Matrices of Genre: Authors, Canons, and Society. Cambridge, MA 2000, 167-182. Barchiesi, A. Speaking Volumes: Narrative and Intertext in Ovid and Other Latin Poets. London 2001. Benz, L. (Hg.) Scriptoralia Romana: Die römische Literatur zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit. Tübingen 2001. Bowditch, P.L „Horace’s Poetics of Political Integrity: Epistle 1.18.” AJP 115 (1994), 409426.                                                                                                                 150

Zum Blutegel als Metapher für den Parasiten siehe Brink 1971, 431; Oliensis 1998, 218. Oliensis 1998, 220. 152 Vgl. Hor. AP 291 limae labor et mora. 151

 

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