Christian Fandrych & Maria Thurmair (2011): Textsorten im Deutschen. Linguistische Analysen aus sprachdidaktischer Sicht. Tübingen: Stauffenburg Verlag, 379 Seiten

May 24, 2017 | Author: Krisztián Majoros | Category: German Language, Text Linguistics, German Linguistics
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des liegt vor allem in seinem umfassenden Charakter und in seinem folgerichtigen Gedankengang. Die exemplarischen Baumdiagramme in fast jedem Kapitel veranschaulichen sehr gut die theoretischen Grundlagen. Das Buch bietet also Studierenden, Lehrenden, Wissenschaftler oder sonstigen an Linguistik Interessierten einen kompakten Überblick zu den jüngsten Entwicklungen im Bereich der Grammatiktheorie. Helga Pető-Szoboszlai Helga Pető-Szoboszlai Universität Debrecen Graduiertenkolleg Sprachwissenschaft Pf. 47 H-4032 Debrecen [email protected]

Christian Fandrych & Maria Thurmair (2011): Textsorten im Deutschen. Linguistische Analysen aus sprachdidaktischer Sicht. Tübingen: Stauffenburg Verlag, 379 Seiten* Die Zielsetzung der von Christian Fandrych und Maria Thurmair vorgelegten Monographie ist eine umfassende, empirisch basierte Beschreibung 20 ausgewählter Textsorten aus einer kommunikationsorientierten, textgrammatischen und didaktischen Perspektive. In dieser funktional-textlinguistischen Untersuchung werden in erster Linie grammatische Strukturen akzentuiert, deren Funktion oft nur textsortenspezifisch adäquat zu erklären sei (vgl. S. 15). Die Autoren skizzieren die Richtungen der Textsortenklassifikation, die im Grunde genommen deduktiv oder empirisch-induktiv verlaufen kann, und untersuchen Vorstellungstexte, Reiseführer, Audioguides, Lexikonartikel, Leserbriefe, Diskussionsforen, Studienbewertungen, Wetterberichte, Horoskope, Bedienungsanleitungen, Ordnungen, Arztfragebogen, *

Die vorliegende Publikation enstand mit Unterstützung der Forschungsstelle für Theoretische Linguistik der Ungarischen Akademie der Wissenschaften und des Projekts TÁMOP 4.2.2/B-10/1-2010-0024. Das Projekt wurde im Rahmen des Entwicklungsplans Neues Ungarn verwirklicht und teilweise durch den Europäischen Sozialfonds (ESF) sowie den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) finanziert.

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Beschwerden, Anzeigen, Beratungstexte, Tagebücher, Chats, Glückwunschtexte, Kondolenztexte und sprachspielerische Kurzformen "auf empirischer Basis und in funktionaler Absicht" (S. 15). Es wird nicht kategorisch zwischen Textsorte und Diskurs unterschieden, unter den dargestellten Textsorten findet man neben den Audioguide-Texten beispielsweise auch transkribierte Radiosendungen. In die Analyse werden somit bestimmte mündliche Realisierungsformen einbezogen, der Hauptakzent liegt aber auf der Untersuchung geschriebener Texte. Die detaillierte Aufarbeitung der 20 recht unterschiedlichen Textsorten auf insgesamt über 300 Seiten macht den Hauptteil des Buches aus. Diesem geht ein einführendes Kapitel voraus, in dem außer der Einordnung des Werkes in die textlinguistische Forschung einige theoretische Grundlagen, das Korpus selbst, und auch das methodische Vorgehen der Analyse vorgestellt werden. Im abschließenden dritten Kapitel werden die linguistischen und didaktischen Erträge der Untersuchung zusammengefasst. Als ein theoretisches Problem ergibt sich im ersten Kapitel die Explikation des Textsortenbegriffs. In der textlinguistischen Forschung besteht bekanntlich nach wie vor kein Konsens selbst über den Textbegriff, dementsprechend kann man auch nicht über eine einheitliche, allgemein akzeptierte Textsortenklassifikation sprechen. Die Autoren stützen sich dabei auf Fachliteratur, in der bereits Einigkeit darüber herrsche, dass Textsorten als typische Kombinationen von situativen Faktoren, funktionalen und strukturellen Eigenschaften zu beschreiben seien. Demgemäß können größere Gruppen von Texten durch charakteristische Merkmale gebündelt werden. Diese textsortenkonstitutiven und textsortenspezifischen Merkmale werden im Werk empirisch-induktiv erarbeitet (vgl. S. 16). Die Analyse von Fandrych und Thurmair lässt sich demnach eindeutig in die empirisch-induktiven Richtung der Textsortenklassifikation eingliedern, eine "stringente und umfassende Klassifikation von Textsorten und eine entsprechende theoretische Begründung" wird aber im Buch nicht als Ziel gesetzt (vgl. S. 24). Entsprechend der Vielfalt der im Werk thematisierten Textsorten liegt ein sehr heterogenes Korpus der Untersuchung zugrunde, das von den Autoren selbst zusammengestellt wurde, und aus qualitativ und quantitativ voneinander sehr unterschiedlichen Texten besteht. Über das Korpus erfährt man, dass nicht alle Texte in elektronischer Form vorliegen und dass die Anzahl der untersuchten Texte pro Textsorte starken Schwankungen unterliege. In diesem Sinne kann die Ausgewogenheit des Korpus infrage gestellt werden. Das Korpus

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ist außerdem von der Größe her nicht als repräsentativ zu bezeichnen, jedoch die der Analyse zugrunde liegenden Texte seien den Autoren zufolge "umfangreich genug, um daraus Textsortenkonventionen und typische Merkmale herausarbeiten zu können" (S. 25). Obwohl die Vielfalt der ausgewählten Textsorten den Umgang mit dem Korpus in erheblichem Maße erschwert und eine im korpuslinguistischen Sinne repräsentative Untersuchung praktisch ausschließt, ist sie aus der Sicht der Zielsetzung der Arbeit und hinsichtlich der Analysemethode doch motiviert. Allein die Tatsache, dass sich ein dermaßen heterogenes Untersuchungsmaterial durch die angewandte empirische Verfahrensweise beschreiben lässt, deutet darauf hin, dass die in der Analyse berücksichtigten Beschreibungsdimensionen (Kommunikationssituation, Textfunktion, Thema, Textstruktur und sprachliche Ausgestaltung) durchaus über eine textsortenübergreifende Relevanz verfügen. Auf diese zentralen Beschreibungsdimensionen und auf weitere Faktoren innerhalb dieser Dimensionen, wie z.B. Kommunikationsbereich, Textproduzent, Textrezipient etc., sowie auf die gut definierten Kriterien der Textsortenauswahl (Aktualität, Vielfalt an Kommunikationssituationen und Textfunktionen, mediale Vielfalt, Berücksichtigung der zentralen Sprachstrukturen, Berücksichtigung von häufig vernachlässigten Textsorten, Relevanz für Sprecher und Hörer bzw. für die kommunikative Praxis, und kontrastiv interessante Textsorte) wird im ersten, theoretischen Kapitel auch näher eingegangen (vgl. S. 17ff.). Um der Komplexität und der Heterogenität der im Buch thematisierten Textsorten und auch der neueren Kommunikationsformen, wie etwa Chats und Diskussionsforen Rechnung tragen zu können, werden in diesem ersten Teil auch Abgrenzungs- und Typologisierungsaspekte ausführlich diskutiert und neue Begriffe (wie z.B. Textarchitektur und Textverbund) eingeführt (vgl. S. 25ff.). Das Einführungskapitel schließen die Autoren mit einem eingehenden Überblick über die wichtigsten Textfunktionen, wobei sie drei große Textgruppen, wissensbezogene Texte, handlungsbeeinflussende bzw. handlungspräformierende Texte, und expressiv-soziale, sinnsuchende Texte unterscheiden, denen die exemplarisch angeführten Textfunktionen zuzuordnen seien. Der theoretischen Fundierung und der Darstellung des begrifflichen Instrumentariums folgen im zweiten Kapitel die konkreten Textsortenanalysen, die auf den zentralen Beschreibungsdimensionen basieren und im Wesentlichen aus vier systematisch aufeinander folgenden Schritten bestehen.

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Die detaillierte Analyse jeder Textsorte beginnt mit einer allgemeinen Charakterisierung, unabhängig davon, ob es um eine etablierte oder eine weniger etablierte Textsorte, wie z.B. Vorstellungstexte geht. Dann werden die einzelnen Beschreibungsdimensionen der Reihe nach unter die Lupe genommen: So wird zunächst die Kommunikationssituation der spezifischen Textsorte bestimmt. […] Danach erfolgt die Bestimmung der dominierenden und gegebenenfalls weiterer Textfunktionen. […] Ein weiterer Analyseschritt ist die Charakterisierung der Textstruktur in makrostruktureller und mikrostruktureller Hinsicht. […] Hinzu kommt die Beschreibung inhaltlicher Aspekte und von typischen thematisch-textuellen Progressionen bzw. Textorganisationsprinzipien sowie die Beschreibung typischer textueller Strategien und Vorgehensweisen. […] Schließlich erfolgt die Beschreibung spezifischer inhaltlicher Merkmale: etwa (text-)grammatischer Strukturen (wie Passiv, Wortstellung, Tempus, Attribuierung, Pronominalisierung u. v. m.), aber auch stilistischer und lexikalischer Kennzeichen in ihrer Funktionalität […] (S. 33f.).

Fast alle Unterkapitel, die je eine Textsorte zum Gegenstand haben, enthalten einen Ausblick auf weitere "interkulturell besonders relevante Aspekte" der analysierten Textsorte. An dieser Stelle werden sie meistens im Kontext verwandter Textsorten dargestellt. Demgegenüber werden im Falle der Chatsprache im Ausblick Kommunikationsveränderungen angesprochen, während die Beschreibung der Beschwerdetexte mit der Schilderung der interkulturellen Dimension abgeschlossen wird. Im letzten Unterkapitel über sprachspielerische Kurzformen wird ihre Rolle im Sprachunterricht auch in Form eines Ausblicks erläutert. Die didaktischen Aspekte sind in der Argumentation fortwährend vor Augen gehalten. Die ohnehin sehr umfassenden und präzise aufgebauten Analysen, die ein breites Spektrum von Textsorten abdecken, und in die auch die neuesten, in der textlinguistischen Forschung bisher weniger thematisierten Textsorten einbezogen werden (die Autoren gehen sogar kurz auf die Online-Enzyklopädie Wikipedia ein), entbehren auch weiterführender Literaturhinweise nicht. Besonders aufschlussreich sind die bei jeder einzelnen Textsorte systematisch angeführten textsortenspezifischen sprachlichen Merkmale, die empirisch- induktiv entwickelt werden und in dem Buch durch ein ausgiebiges Beispielmaterial exemplifiziert werden. In diesem Rahmen untersuchen die Autoren rhetorische und Argumentationsstrategien, Referenzformen, sprachliche Handlungen, aber auch ausgewählte grammatische Strukturen und Konstruktionen, von denen hier zwei kurz hervorgehoben und angesprochen werden, ohne

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auf alle von den im Buch ausgeführten Aspekte eingehen zu können. Für Passivkonstruktionen im Deutschen ist charakteristisch, dass sie das Geschehen agensabgewandt erscheinen lassen. Aus diesem Grund eignen sie sich den Autoren zufolge zur "ökonomisch-sachorientierten Beschreibung" in Lexikonartikeln, bzw. zur Schilderung einer Gegenposition oder einer verallgemeinerten Situation in Leserbriefen. Darüber hinaus sei z.B. der nicht-prozessuale, Charakter des Zustandspassivs in Studienbewertungen ausgenutzt, um den bewerteten Text als Resultat einer Handlung des Autors zu beschreiben und auf diese Weise zu bewerten (vgl. S. 112f., 131f., 160f.). Neben dem Genus verbi seien Fandrych und Thurmair zufolge auch die Tempusformen als wichtige morphosyntaktische Textsortencharakteristika zu bewerten. Da das Verhältnis grammatischer Tempora im Deutschen zur objektiven Zeit nicht geradlinig und unmittelbar ist, können die Tempusformen in den unterschiedlichen Textsorten spezifische Funktionen erfüllen. Horoskope seien beispielsweise grundsätzlich zukunftsbezogene Texte, trotzdem sei das vorherrschende Tempus in diesen Texten das Präsens, was daran liege, dass durch diese Tempusform möglich sei, sowohl gegenwartsbezogene als auch zukunftsbezogene, und auch allgemeingültige Aussagen zu machen (vgl. S. 179f.). In Bezug auf die Beratungstexte wird festgestellt, dass die Tempusformen eine wichtige textuelle und strukturierende Rolle spielen. Die Problemdarstellung erfolge in der Regel unter Zuhilfenahme der Tempusformen der Vergangenheit, wo sich die Tempusverteilung Perfekt und Präteritum, bzw. die Funktionen dieser Tempusformen im konkreten Kontext exemplarisch beschreiben und erklären lassen (vgl. S. 257f.). Solche und ähnliche "Phänomene aus dem Kernbereich der Grammatik" (S. 346) werden im dritten, abschließenden Kapitel noch einmal aufgegriffen und anhand mehrerer Beispiele erörtert. Auf dieser Grundlage plädieren die Autoren für eine textsortenbezogene Grammatik und versuchen auch den Grundriss einer solchen Grammatik zu skizzieren (vgl. S. 345ff.). Schließlich werden in der Zusammenfassung die didaktischen Erträge der Monographie zusammengestellt, was u.a. darin besteht, dass die Autoren aufgrund der korpusbasierten Arbeit typische Verwendungsweisen bestimmter sprachlicher Mittel aufzeigen, die sowohl in der Muttersprachendidaktik, als auch im Fremdsprachenunterricht Anwendung finden könnten. Sie betonen die Wichtigkeit der Textsortenkompetenz im Sprachunterricht und in der Landeskunde, sowie die Rolle der Musterhaftigkeit einzelner Textsorten in der Ausbildung bzw. im Trainieren verschiedener Fertigkeiten. Die angeführ-

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ten didaktischen Ziele können aber nur auf der Basis empirisch begründeter, differenzierter Textsortenanalysen erreicht werden. Da solche empirisch begründeten Arbeiten nach wie vor ein Desiderat in der textlinguistischen Forschung, wie auch in anderen Bereichen der Linguistik darstellen, ist das Buch von Fandrych und Thurmair als ein lückenfüllendes Werk zu bewerten. Krisztián Majoros Krisztián Majoros Universität Debrecen Graduiertenkolleg Sprachwissenschaft Pf. 47 H-4010 Debrecen [email protected]

Wolfgang Wildgen: Die Sprachwissenschaft des 20. Jahrhunderts: Versuch einer Bilanz. Berlin: de Gruyter, 2010, 221 Seiten* Das Buch von Wolfgang Wildgen ist der Beschreibung der Entwicklungen der Sprachwissenschaft des 20. Jahrhunderts gewidmet. Der Schwerpunkt wird "auf jene Entwicklungen gelegt, die (teilweise kontroverse) Positionen vertreten, die immer noch zur Debatte stehen, die also ein Potenzial für die Zukunft haben" (3). Die zusammenhängende Betrachtung der linguistischen Schulen bietet die Möglichkeit, eine Darlegung der historischen Grundlagen für die heutige und die zukünftige Sprachwissenschaft zu machen. Der Autor setzt sich zum Ziel, "eine noch aktuelle Problemgeschichte des Fachs zu entwickeln" (5), weil er erlaubt, sowohl vorhandene Lösungsansätze zu überblicken, als auch noch nicht bestrittene Wege zu diagnostizieren. Wildgen vermittelt also einen Überblick über linguistische Orientierungen bzw. Trends mit ihren Errungenschaften und Sackgassen, und regt die Arbeit derjenigen an, die sich mit der Sprachwissenschaft beschäftigen möchten. *

Die vorliegende Publikation entstand mit Unterstützung des Projekts TÁMOP 4.2.2/B-10/1-2010-0024. Das Projekt wurde im Rahmen des Entwicklungsplans Neues Ungarn verwirklicht und teilweise durch den Europäischen Sozialfonds (ESF) sowie den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) finanziert.



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