Chartisten und Fundamentalisten: Wie Booms und Crashs entstehen – Ökonomische Analyse und rechtliche Konsequenzen. In: German Working Papers in Law and Economics, Vol. 2011, Article 2.

June 5, 2017 | Author: Peter Weise | Category: Finance, Economics, Financial Economics, Financial Crisis
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German Working Papers in Law and Economics Volume 

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Chartisten und Fundamentalisten: Wie Booms und Crashs entstehen ¨ Okonomische Analyse und rechtliche Konsequenzen Peter Weise Universit¨at Kassel

Abstract In diesem Aufsatz soll erkl¨art werden, wie aus dem Zusammenspiel von zwei unterschiedlichen Anlagestrategien, n¨ amlich Chartisten und Fundamentalisten, Booms und Crashs entstehen k¨onnen. Dazu leiten wir eine Differentialgleichung her, welche die Auswirkungen der Nachfrage der Chartisten und Fundamentalisten auf einen Leitindex wie beispielsweise den Dax und dessen R¨ uckwirkungen auf die Nachfrage wiedergibt. Anhand dieser Differentialgleichung k¨ onnen wir analysieren, unter welchen Bedingungen Crashs und Booms auftreten k¨onnen. Anschliewerden Vorschl¨ age gemacht, wie man mithilfe gesetzlicher Regelungen das Entstehen von Krisen m¨oglicherweise verhindern und die Auswirkungen von Booms und Crashs minimieren kann.

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Weise: Chartisten und Fundamentalisten

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Chartisten und Fundamentalisten: Wie Booms und Crashs entstehen Ökonomische Analyse und rechtliche Konsequenzen Peter Weise Chartisten und Fundamentalisten: Wie Booms und Crashs entstehen Ökonomische Analyse und rechtliche Konsequenzen Abstract In diesem Aufsatz soll erklärt werden, wie aus dem Zusammenspiel von zwei unterschiedlichen Anlagestrategien, nämlich Chartisten und Fundamentalisten, Booms und Crashs entstehen können. Dazu leiten wir eine Differentialgleichung her, welche die Auswirkungen der Nachfrage der Chartisten und Fundamentalisten auf einen Leitindex wie beispielsweise den Dax und dessen Rückwirkungen auf die Nachfrage wiedergibt. Anhand dieser Differentialgleichung können wir analysieren, unter welchen Bedingungen Crashs und Booms auftreten können. Anschließend werden Vorschläge gemacht, wie man mithilfe gesetzlicher Regelungen das Entstehen von Krisen möglicherweise verhindern und die Auswirkungen von Booms und Crashs minimieren kann.

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1. Einleitung In den letzten Jahrzehnten sind viele wirtschaftliche Krisen entstanden. Es gab Immobilien-, Technologie-, Währungs-, Rohstoff-, Anleihe-, Banken-, Schulden-, Staats- und andere Krisen. So unterschiedlich sie im einzelnen auch waren, eine Gemeinsamkeit hatten alle: Spekulativ über ihren wahren Wert getriebene Vermögenspapiere fielen unter starken Verlusten auf ihren wahren Wert wieder zurück. Dahinter steckt eine mathematisch erklärbare Ursache. Diese herauszuarbeiten ist Ziel dieses Aufsatzes. Im folgenden soll erklärt werden, wie aus dem Zusammenspiel von zwei unterschiedlichen Anlagestrategien, nämlich Chartisten und Fundamentalisten, Booms und Crashs entstehen können. Dazu leiten wir eine Differentialgleichung her, welche die Auswirkungen der Nachfrage der Chartisten und Fundamentalisten auf einen Leitindex wie beispielsweise den Dax und dessen Rückwirkungen auf die Nachfrage wiedergibt. Anhand dieser Differentialgleichung können wir analysieren, unter welchen Bedingungen Crashs und Booms auftreten können. Anschließend werden Vorschläge gemacht, wie man mithilfe gesetzlicher Regelungen das Entstehen von Krisen möglicherweise verhindern und die Auswirkungen von Booms und Crashs minimieren kann.

2. Übliche Erklärungen Niedrige Zinsen und Geld- und Kreditschwemme, große Handelsbilanz-, Leistungsbilanz- und Haushaltsdefizite, Kompliziertheit der Wertpapiere wie Derivate, fehlende Durchgriffshaftung bei den Schuldnern, Gier der Spekulanten und Anleger, zu geringe Eigenkapitalbasis, fehlende Kontrolle, diese und andere Gründe sind für das Platzen der Blasen genannt worden. Abgesehen davon, dass bei dieser Ursachenanalyse zumeist nicht zwischen den eigentlichen Ursachen wie falscher Risikoanalyse, den Verstärkern wie Schulden, Krediten und Verflechtungen und dem Umfeld wie niedrigen Zinsen und geringem Eigenkapital unterschieden wird, bleibt unklar, ob diese Ursachen notwendig oder hinreichend für das Entstehen der Krisen sind, ob alle Ursachen zusammenkommen müssen, um eine Krise zu erzeugen, oder ob nur einige genügen. Diese Erklärungen überzeugen daher nicht. Betrachten wir kurz die drei letzten großen Krisen: die Technologie-Krise, die Immobilien-Krise und die Schulden-Krise. In der Technologie-Krise stieg der Nemax in einem halben Jahr von etwa 3500 auf knapp 10000 im März 2000, um dann bis zum Jahre 2002 auf ca. 400 zurückzufallen; der spekulativ überzogene Marktwert übertraf den wahren Wert der in diesem Index gelisteten 50 Unternehmen um das 25fache. Ursache hierfür war die horrende Einschätzung von Wachstumschancen für zumeist neugegründete Technologiefirmen. Da diese zunächst keine Gewinne vorzuweisen hatten und somit traditionelle, auf den fundamentalen Unternehmungswert abzielende Kennzahlen wie Kurs-Gewinn-Verhältnis u. ä. nicht anwendbar waren, wurden eigens neue, auf das zukünftige Wachstum gegründete Kennzahlen erfunden. Diese dienten ausschließlich zur Begründung spekulativer Transaktionen. Die Folge war eine Unternehmensbewertung, die unter fundamentalen Gesichtspunkten um viele Größenordnungen zu hoch war. Als die Spekulationsblase platzte, fielen die spekulativ überhöhten Werte auf die fundamentalen zurück. Am Anfang der Subprime-Immobilienblase stand eine Falschbewertung. Amerikanische Banken wurden von der Politik bedrängt, Immobilienkredite zu Sonderkonditionen an Arme zu vergeben, mit Beleihungsquoten von 100% und mehr anstatt der üblichen 60%. Da vergleichbare Kredite vorher in dieser Form nicht vergeben worden waren, gab es keine entsprechenden Kreditausfallstatistiken, auf die sich eine korrekte Risikoanalyse hätte beziehen können. So nahm man die vorliegenden Statistiken für Immobilienkredite an Reiche für Beleihungshttp://www.bepress.com/gwp/default/vol2011/iss1/art2

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quoten von 60%. Statt einer vermutlichen und tatsächlichen Ausfallwahrscheinlichkeit von etwa 20% rechnete man nur mit einer Ausfallwahrscheinlichkeit von ca. 1%. Die Kredite wurden verkauft, gebündelt und verbrieft und als Wertpapiere an den Kapitalmarkt gebracht. Rating-Agenturen, die entweder die dazu gehörigen Prospekte nicht richtig gelesen oder verstanden oder bewusst getäuscht haben, weil sie auch die Wertpapiere mitgestaltet hatten, vergaben exzellente Noten, zum Teil Triple A. Nachdem die Kredite mehrmals wiederverbrieft und neu strukturiert worden waren, war überhaupt nicht mehr durchschaubar, wie hoch die Risiken wirklich waren. Als vermeintlich sichere Wertpapiere mit überdurchschnittlicher Rendite wurden sie aber stark nachgefragt. Tatsächlich war die Risikoprämie viel zu gering und der Preis zu hoch, die Preise waren spekulativ verzerrt. Als schließlich bekannt wurde, wie hoch der wahre Wert dieser Papiere wirklich war, platzte die Blase, mit den bekannten Folgen. Investoren, die rechtzeitig verkauft hatten oder auf das Ende der Immobilien-Hausse spekuliert hatten, machten Gewinne. Investoren, die am Ende diese Papiere besaßen, mussten so hohe Abschreibungen vornehmen, dass einige insolvent wurden. Investoren, welche die Prospekte studiert hatten, ließen die Finger von diesen Papieren und haben erst gar nicht gekauft. Ebenso wenig haben Investoren gekauft, die nicht nur auf die höhere Rendite der Subprime-Papiere geschaut, sondern eine korrekte Risikoanalyse durchgeführt hatten und nach der alten und empirisch gut abgesicherten Investorenregel gehandelt haben: „It is bad business to accept an acknowledged possibility of a loss of principal in exchange for a mere 1 or 2 per cent of additional yearly income“ (Graham, B., The Intelligent Investor, New York 1965, S.113). Hätten alle so gehandelt, hätte es keine Blase gegeben. In der Schulden-Krise haben sich Staaten über ihre Leistungsgrenze hinaus verschuldet. Die Möglichkeiten, die Schulden durch reale Wirtschaftstätigkeit weiterhin bedienen zu können, waren nicht mehr gegeben. Die Zinsen, die für Anleihen zu zahlen waren, spiegelten aber die hohe Insolvenzanfälligkeit nicht wider. Auch hier waren die entsprechenden Preise spekulativ verzerrt. Das zeigte sich sofort, als Gerüchte über eine mögliche Zahlungsunfähigkeit einiger Staaten aufkamen. Die Preise für Kreditausfallversicherungen stiegen so stark an, dass eine weitere Bedienung der Schulden fast unmöglich wurde. Das Gemeinsame an diesen drei Krisen, so unterschiedlich sie im einzelnen auch sein mögen, ist das Auseinanderdriften von wahrem oder fundamentalem Wert eines Assets und seinem spekulativ überzogenen Wert. Wenn die Spekulationsblase platzt, nähert sich der spekulativ überzogene Wert dem wahren Wert abrupt wieder an und unterschreitet ihn sogar zumeist. Sowohl das Auseinanderdriften der beiden Werte als auch ihre abrupte Annäherung müssen demnach exakt erklärt werden. Dies wird zumeist nicht hinreichend beachtet. So behaupten manche Experten, dass für die Krisen die Spekulanten verantwortlich seien. Sie spekulierten beispielsweise mithilfe von Kreditausfallversicherungen auf die Zahlungsunfähigkeit eines Landes hinsichtlich seiner Staatsanleihen und würden dadurch erst diese Zahlungsunfähigkeit hervorrufen. Andere Experten erklären die Krise durch jahrelanges Schuldenmachen des Staates, das erst durch die Spekulanten aufgedeckt und sichtbar gemacht würde. Alle übersehen aber den Tatbestand, dass in dem Zeitraum vor der Krise die Spekulanten den tatsächlichen Wert der Staatsanleihen über ihren wahren Wert getrieben hatten. Die am Markt gehandelte Insolvenzmöglichkeit einiger Staaten wurde zunächst viel zu niedrig eingepreist, um anschließend wieder überschätzt zu werden. Das Entstehen der Krise ist somit lediglich die Korrektur der Spekulation auf die Zahlungsfähigkeit. Eine überzeugende Erklärung muss demnach folgende drei Fragen beantworten: Warum divergieren wahrer und tatsächlicher Wert eines Assets? Warum schlägt irgendwann eine Spekulation in eine Gegenspekulation um? Welches sind die grundlegenden Mechanismen für die Entstehung von Crashs und Booms? Diese Erklärung soll im folgenden anhand eines vergleichsweise einfachen mathematischen Modells versucht werden.

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3. Chartisten und Fundamentalisten Man kann zwei verschiedene Anlagestrategien unterscheiden, die von zwei Investorengruppen angewendet werden, den Chartisten und den Fundamentalisten. Im folgenden wollen wir diese Strategien begründen und erläutern. Einerseits gibt es direkte Anlagen in Realkapital, das heißt im wesentlichen die Gründung von Unternehmungen. Das Realkapital ermöglicht die Produktion von Gütern und Dienstleistungen. Deren Nutzenschätzungen bestimmen den Wert des Realkapitals. In jedem Moment gibt es einen, wenn auch oft schwer einschätzbaren, wahren Wert des Realkapitals, der langfristig nicht über- oder unterschritten werden kann. Andererseits gibt es auch Anlagen in Wertpapiere, die gedeckt sind durch Immobilien, Rohstoffe, Unternehmen, Währungen und andere Vermögensklassen. Bei diesen Anlagen geht es nicht mehr um die reale Wertschöpfung von Kapital, sondern nur noch darum, ob die Spekulation mit Finanzvermögen möglichst rentabel ist. Die Anleger spekulieren auf fallende oder steigende Preise, sie verkaufen oder kaufen. Die Folge ist, dass die Marktwerte dieser Vermögensklassen über die wahren Werte steigen können. Damit stehen dann Forderungen dem Kapitalstock gegenüber, die von diesem nicht mehr in vollem Umfang gedeckt sind. Sogenannte Immobilien- , Rohstoff-, Aktien-, Staatsschulden- oder Währungsblasen entstehen, die, so unterschiedlich sie im Einzelfall auch sein mögen, alle eines gemeinsam haben: Die Marktpreise dieser Vermögensklassen steigen über ihren wahren Wert, das heißt, den Wert, der durch den Kapitalstock gedeckt ist, und werden irgendwann wieder auf den wahren Wert zurückfallen, wobei sie diesen zumeist infolge einer Gegenspekulation zunächst unterschreiten. Denn nur Güter und Dienstleistungen verschaffen letzten Endes einen Nutzen, nicht aber Geld oder Wertpapiere. Diese Spekulanten handeln wie Chartisten, das heißt, sie spekulieren auf steigende oder fallende Preise, auf Hausse oder Baisse, und zwar minütlich, stündlich, täglich oder wöchentlich und monatlich, und rund um den Globus. Sie erwarten für die Zukunft höhere beziehungsweise niedrigere Preise als die aktuellen und halten die aktuellen Preise deshalb für zu niedrig beziehungsweise zu hoch, so dass ein Kauf beziehungsweise Verkauf lohnend ist. Am Markt gibt es aber auch die eher der Realwirtschaft verhafteten Fundamentalisten, die auf den wahren Wert der Vermögensklassen, den allerdings keiner exakt kennt und den man daher in einer gewissen Bandbreite schätzt, achten und dann, wenn der Marktwert zu weit über dem wahren Wert liegt, verkaufen (und im umgekehrten Fall kaufen). Während die Chartisten selbstverstärkend die Blase erzeugen, sind die Verkäufe der Fundamentalisten oder das Auftreten von Gegenspekulanten dann der Auslöser für das Platzen der Blase; die Spekulation geht nämlich nicht mehr auf und wird folglich abgebrochen und in eine Gegenspekulation verwandelt. Zwar existiert in jedem Moment des Spekulationsprozesses ein Gleichgewicht insofern, als die Informationen der Spekulanten in Marktpreise umgesetzt werden, aber die Gleichgewichte sind lediglich transitorisch, bis das letzte Gleichgewicht verschwindet, und der gesamte Spekulationsprozess in ein neues, weit davon entferntes Gleichgewicht springt. Es ist wie beim allmählichen Aufblasen eines Luftballons, der irgendwann einmal platzt und nur noch eine kaputte Hülle ist, oder wie im Märchen von des Kaisers neuen Kleidern, die immer durchsichtiger werden und schließlich aus nichts bestehen, bis schließlich ein kleines Kind das konformistisch erzeugte Beobachtungsgleichgewicht mit dem Ausruf „aber er hat ja gar nichts an“ zerstört und ein neues etabliert. So ist es auch beim Rating, wenn erkannt wird, dass das Triple A in Wahrheit gerade einmal ein D ist. Geben wir ein Beispiel, um diesen Spekulationsprozess anschaulich zu machen. Ein Winzer möchte einen Wein anbauen. Er geht zu einer Bank und beantragt einen Kredit. Dieser wird ihm gewährt, und der Winzer produziert seinen Wein. Ein Kredit ist in eine reale Investition transformiert worden und wird gedeckt durch die Erträge des Weingutes. Die Produktionskosten betragen 1 Euro, verkauft werden soll der Wein für 2 Euro, was in etwa seinem wahren Wert im Vergleich zu den Konkurrenzprodukten entspricht. Nun gewinnt er, als alleiniger

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Teilnehmer, bei einem Weinfest in Bremerhaven eine Bronzemedaille, was seinen Marktwert auf 3 Euro steigen lässt. Spekulanten werden auf den Wein aufmerksam und beginnen, in der Hoffnung auf steigende Preise, mit ihm zu handeln. Der Preis steigt auf 4 Euro. Nun bekommt er eine lobende Erwähnung in einem Fachjournal, das dem Bruder des Winzers gehört. Der Preis steigt auf 5 Euro. Von der von der Winzergenossenschaft gegründeten Ratingfirma „Independent“ erhält er die Goldmedaille. Der Preis steigt auf 6 Euro. Händler bilden Weinsortimente aus verschiedenen Weinen und legen diesen Wein als Attraktion bei. Der Preis steigt auf 7 Euro. Investoren geben Wertpapiere mit diesem Wein als Anlageobjekt aus, verweisen auf die bisherige hohe Wertentwicklung und versprechen eine hohe Rendite. Der Preis steigt auf 8 Euro. Bei Ökotest erhält der Wein, weil er schadstofffrei ist, ein „sehr gut“ und wird auch als Kirchenwein empfohlen. Der Preis steigt auf 9 Euro. Schließlich erhält er sagenhafte 95 Punkte von einem Weinpapst, der nebenher Mitinhaber des Weinguts ist. Der Preis steigt auf 10 Euro. Nun möchte ein Weinkenner den Wein probieren. Er entkorkt die Flasche und sagt „pfui Deibel, der Wein schmeckt ja wie eine Glykol-Auslese zu 1,99 Euro“, womit er den Nagel auf den Kopf trifft. Das wird publik, und der Preis stürzt von 10 auf 2 Euro oder sogar darunter ab. Was ist passiert? Die Spekulanten haben als Chartisten auf steigende Preise von 2 bis 10 Euro gesetzt, ein Weinkenner als Fundamentalist hat schließlich den wahren Wert des Weines korrekt mit 2 Euro beziffert. Die Weinblase ist geplatzt. Wer hat gewonnen, wer verloren? Wer hat sich richtig, wer sich falsch verhalten? Welche Anlagestrategie war gut, welche schlecht? Warren Buffett ist zu Sonderkonditionen bei 0,80 Euro pro Flasche in das Weingut eingestiegen und verdient bei einem Verkaufspreis von 2 Euro prächtig. Alle diejenigen, die zwischen 2 und 9 Euro eingestiegen und spätestens bei einem Preis von 10 Euro wieder ausgestiegen sind, haben mehr oder weniger verdient. Nouriel Roubini warnte bei einem Preis von 4 Euro vor einem Platzen der Weinblase. Alle, die auf ihn gehört haben, blieben entweder dem Markt fern und haben dadurch nichts gewonnen, aber auch nichts verloren, oder sie spekulierten mit Leerverkäufen auf Baisse und haben verloren. Mehrere Banken kauften nach reiflicher Überlegung die Weinpapiere zu einem Preis von 10 Euro und haben erhebliche Abschreibungen zu verkraften. Der Superinvestor stieg bei 2 Euro ein und spekulierte auf Hausse, verkaufte bei 10 und spekulierte anschließend auf Baisse, und bewies, dass man, anders als es die Theorie der effizienten Kapitalmärkte behauptet, mit Spekulationen Geld verdienen kann. Er gilt seitdem als Guru der Branche. Nur die reale Investition in das Weingut hat einen Nutzwert geschaffen, nämlich den Wein, die folgenden finanziellen Investitionen bezogen sich auf erwartete Preissteigerungen und waren Wetten, die sich für manche lohnten, für andere nicht. Der reale Kapitalstock blieb unverändert, er wurde, gemessen am Ertragswert, zeitweise viel zu hoch bewertet. Die Unterscheidung zwischen Chartisten und Fundamentalisten hat eine lange Tradition. Beispielhaft seien zwei Autoren angeführt, die diese Unterscheidung zum Mittelpunkt ihrer Überlegungen über die Wirkungen von Anlagestrategien gemacht haben. So trennt Graham exakt das Investment (entspricht der Fundamental-Strategie) von der Spekulation (entspricht der Chartisten-Strategie) (siehe Graham, B., The Intelligent Investor, New York 1965 (1949)), und Zeeman benutzt diese Unterscheidung zur Modellierung eines Börsenmodells, das auf ähnlichen Annahmen fußt wie das hier vorliegende, mithilfe der Katastrophentheorie (siehe Zeeman, E. C., On The Unstable Behaviour Of Stock Exchanges, Journal of Mathematical Economics, Vol. 1, 1974, S. 39 – 49). Das Entstehen von Crashs und Booms analysiert in einem mathematischen Modell ebenfalls mit Hilfe der Katastrophentheorie Weise, P., Gesellschaftliche Evolution und Selbstorganisation, in: Ökonomie und Gesellschaft, Jahrbuch 19, Marburg 2006, S. 226 ff. Einen detaillierten Vergleich der beiden Strategien gibt Stöttner, R., Finanzanalyse, München/Wien 1989.

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4. Das Modell Zeigen wir anhand eines Modells, welche Konsequenzen die Wechselwirkung von Chartisten und Fundamentalisten aufweisen können. Ein Teil der Chartisten richtet seine Nachfrage am Trend des Dax aus, das heißt, das Verhalten dieser Chartisten hängt von der Entwicklung des Dax ab. Bei steigendem Trend kaufen sie, bei sinkendem Trend verkaufen sie. Ihr Motto lautet: The trend is your friend. Es gibt aber auch Chartisten, die darauf setzen, dass sich ein Trend umkehrt und in die Gegenrichtung läuft. In jedem Moment sind beide Gruppen am Markt. Je nachdem, welche Gruppe stärker ist, geht der Dax in die eine oder andere Richtung. Fundamentalisten hingegen reagieren auf externe börsenrelevante Signale. Sind diese ihrer Meinung nach positiv, so kaufen sie, sind sie negativ, so verkaufen sie. Ihr Verhalten hängt nicht von der Entwicklung des Dax ab. Sowohl die Chartisten als auch die Fundamentalisten reagieren auf Informationen und Signale. Die Fundamentalisten verarbeiten die Informationen und Signale derart, dass sie den wahren Wert des Dax zu bestimmen suchen und solange kaufen oder verkaufen, bis der wahre Wert erreicht ist. Die Chartisten verarbeiten die Informationen und Signale derart, dass sie einen Trend bestimmen und diesem Trend solange folgen, wie er intakt ist. Wenn ein Teil der Chartisten die Meinung hat, dass der Trend nicht von Dauer ist, spekulieren sie auf einen Gegentrend. Seien x der Wert der Abweichung von einem Referenzwert des Dax, der auf Null normiert ist, (im folgenden kurz Dax genannt), a die Stärke der Überschuss-Nachfrage (im folgenden kurz Nachfrage genannt) der Chartisten, die auf einen Gegentrend setzen, b die Stärke und Richtung der Nachfrage der Chartisten, die auf einen Trend setzen, und c die Stärke und Richtung der Nachfrage der Fundamentalisten. Die Veränderung des Dax aufgrund der Nachfrage der Chartisten, die auf einen Trend setzen, sei dx/dt = bx Dies bedeutet, dass die Nachfrage dieser Chartisten gemäß dem Term bx proportional zur Wachstumsrate des Dax ist. Sie spekulieren auf ein Weiterlaufen des Trends. Ein positives b bedeutet, dass eine Erhöhung oder eine Senkung von x verstärkt, ein negatives b, dass eine Erhöhung oder Senkung abgeschwächt wird. Je größer b absolut ist, desto stärker ist die Nachfrage der Chartisten, die auf einen Trend setzen. Die Veränderung des Dax aufgrund der Nachfrage der Chartisten, die auf einen Gegentrend setzen, sei dx/dt = –ax3 Dies bedeutet, dass die Nachfrage dieser Chartisten auf eine Umkehrung des Trends setzt. Dieser Teil der Chartisten gewinnt mit einem Ansteigen von x in der Zeit immer mehr an Gewicht. Ausgedrückt wird dies durch den Term –ax3. Der Parameter a ist immer positiv. Je größer a ist, desto stärker ist diese Nachfrage. In der Summe verändert sich der Dax aufgrund der Nachfrage der Chartisten folglich gemäß dx/dt = –ax3 + bx Im Spekulationsgleichgewicht, das heißt, wenn die Nachfrage der Chartisten, die dem aktuellen Trend folgen, gleich der Nachfrage der Chartisten, die auf einen Gegentrend spekulieren, ist, gilt dx/dt = 0. Daraus folgt x = √b/a als Abweichung vom ursprünglichen Referenzwert. Die Höhe der Abweichung des Dax von seinem Referenzwert, x, hängt also von der Parameterkonstellation b/a ab, das heißt von der relativen Stärke der Trend-Chartisten gegenüber den Gegentrend-Chartisten. Ist b vergleichsweise hoch, entsteht ein Trend, ist a vergleichsweise hoch, verharrt der Dax bei seinem Referenzwert. Die Veränderung des Dax aufgrund der Nachfrage der Fundamentalisten sei dx/dt = c

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Dies bedeutet, dass die Nachfrage der Fundamentalisten unabhängig vom Dax exogen bestimmt ist. Informationen, die positiv oder negativ aufgenommen werden, resultieren in einer Mehr- oder Mindernachfrage, bis der wahre Wert gefunden ist. Bei c > 0 steigern die Fundamentalisten ihre Nachfrage aufgrund positiv aufgenommener Nachrichten, bei c < 0 senken sie die Nachfrage aufgrund negativ aufgenommener Nachrichten. Die Veränderung des Dax aufgrund der Nachfrage von Chartisten und Fundamentalisten ist dann die Summe der zwei Nachfragekomponenten, also dx/dt = –ax3 + bx + c Betrachten wir diese Differentialgleichung im folgenden etwas näher. Wir müssen dabei, wie oben bereits angedeutet, zwei Fälle unterscheiden, nämlich den Fall, dass b < 0, und den Fall, dass b > 0. Nehmen wir zunächst an, dass b < 0. In diesem Fall haben der erste und der zweite Term der Differentialgleichung sowohl für ein negatives x als auch ein positives x das gleiche Vorzeichen. Beide Terme addieren sich also zu einer gleichen Wirkung. Es existiert für jeden Wert von x ein einziges und stabiles Gleichgewicht (siehe dazu Abbildung 1).

c0

-x*

x0

dx/dt

x*

-x

x

-dx/dt Abbildung 1 Ein positiver Wert für c verschiebt den Graphen der Gleichung nach oben und damit zu einem Gleichgewicht mit positivem x (Punkt x*); ein negativer Wert für c verschiebt den Graphen der Gleichung nach unten und damit zu einem Gleichgewicht mit negativem x (Punkt –x*). Bei c = 0 liegt das Gleichgewicht bei x = 0 (Punkt x0). Ökonomisch bedeutet dies, dass die Spekulation stabilisierend wirkt. Eine Fluktuation um den Referenzwert des Dax führt zu gegengerichteten Transaktionen der Spekulanten: Steigt der Dax, so spekulieren die Chartisten auf Baisse, sinkt er, so spekulieren sie auf Hausse. Das heißt, dass die Spekulanten keinen dauerhaften Trend, dem man folgen könnte, erwarten. Der Kurs des Dax wird durch die Fundamentalisten bestimmt. Ein wahrer Wert des Dax besteht, auf dessen Veränderung die Spekulanten stabilisierend reagieren. Informationen, die einen höheren oder niedrigeren Dax-Wert rechtfertigen würden, werden von den Fundamentalisten in eine höhere oder niedrigere Nachfrage umgesetzt. Eine Spekulationskrise kann nicht auftreten. Die Situation ändert sich, wenn wir den Fall b > 0 betrachten. In diesem Fall haben der erste und der zweite Term der Differentialgleichung sowohl für ein negatives x als auch ein positives x das entgegengesetzte Vorzeichen. Beide Terme addieren sich also nicht mehr zu einer gleichen Wirkung, sondern ziehen in unterschiedliche Richtungen. Es existiert nun nicht mehr für jeden Wert von x ein einziges und stabiles Gleichgewicht, sondern das ursprüngliche

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Gleichgewicht ist nun instabil, und es existieren zwei weitere stabile Gleichgewichte (siehe dazu Abbildung 2). Die Abbildung zeigt beispielhaft die Veränderung des Dax x für die Werte c = 0 und b > 0 in Abhängigkeit vom Wert des Dax. Es gibt drei Gleichgewichte, nämlich –x*, x0 und x*. Die beiden äußeren Gleichgewichte sind stabil, das innere ist instabil. Dies bedeutet, dass eine kleine Fluktuation um das instabile Gleichgewicht x0 dazu führt, dass eines der beiden äußeren Gleichgewichte –x* oder x* erreicht wird. dx/dt

-x*

x0

x*

-x

x

-dx/dt Abbildung 2 Ökonomisch bedeutet dies, dass die Spekulanten eine Erhöhung oder Senkung des Dax verstärken und auf Hausse oder Baisse spekulieren, während ein Teil der Spekulanten eine Trendumkehr erwartet und dagegen setzt, bis wieder ein Gleichgewicht bei einem höheren beziehungsweise niedrigeren Wert des Dax erreicht ist. Wahrer und spekulativ verzerrter Wert des Dax divergieren. Dies kann nun eine Gefahrenquelle für eine Spekulationskrise sein. Denn irgendwann werden sich wahrer und spekulativ verzerrter Wert wieder aneinander annähern. Auf welche Art und Weise dies geschieht, hängt ökonomisch von den Handlungen der Fundamentalisten und Chartisten und mathematisch von den Veränderungen der Parameter ab. Ist der Wert für a sehr klein, so ist der Trend relativ dauerhaft, denn es gibt keine Spekulanten, die auf eine Trendumkehr setzen. Dann werden aber die Fundamentalisten verkaufen, wenn der aktuelle Wert von x zu weit über dem wahren Wert liegt, und kaufen, wenn er zu weit darunter liegt. Der Graph in der Abbildung wird verschoben. Ein positiver Wert für c verschiebt den Graphen der Gleichung nach oben; ein negativer Wert für c verschiebt den Graphen der Gleichung nach unten. Steigt c vergleichsweise stark, kann das Gleichgewicht –x* verschwinden. Befindet sich das System gerade in diesem Gleichgewicht, und c steigt, so dass das Gleichgewicht verschwindet, springt das System zum Gleichgewicht x* (siehe die Abbildung 3). Ökonomisch bedeutet dies, dass ein Boom stattfindet. Der Dax steigt abrupt von einem niedrigen Wert auf einen hohen. Die Spekulation hat auf einen niedrigen Wert des Dax gesetzt, aber durch die Käufe der Fundamentalisten geht diese Spekulation nicht mehr auf. Der Dax springt auf einen höheren Wert. Wahrer und spekulativ verzerrter Wert des Dax nähern sich sprunghaft aneinander an. Aber das muss nicht unbedingt so sein. Denkbar wäre auch das Einsetzen einer Gegenspekulation und das Abschwächen der Trendspekulation. Die Spekulanten hören auf, auf Baisse zu spekulieren, und spekulieren stattdessen auf ein Steigen des Dax. Dann kommt es zu einem allmählichen Steigen des Dax-Wertes. Ein abruptes Springen von einem Gleichgewicht in das

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andere wird vermieden, und die Entwicklung des Dax-Wertes verläuft gleichmäßig und stetig. Dieser stetige Verlauf entspricht dann der Parameterkonstellation von Abbildung 1. Wahrer und spekulativ verzerrter Wert des Dax nähern sich stetig aneinander an. Das heißt: Wenn wahrer und spekulativ verzerrter Wert des Dax stark divergieren und wenn die Spekulanten auf Baisse spekulieren, führt eine Erhöhung der Nachfrage der Fundamentalisten zu einem abrupten Steigen des Dax, also zu einem Boom. Wenn hingegen die Spekulanten aufhören, auf Baisse zu spekulieren, und stattdessen auf einen höheren Wert des Dax spekulieren, nähern sich der wahre und der spekulativ verzerrte Wert stetig aneinander an, und ein Boom entsteht nicht. dx/dt

-x*

x*

-x

x

-dx/dt Abbildung 3 Wenn der Wert des Parameters für die Nachfrage der Fundamentalisten c sinkt, verschiebt sich der Kurvenverlauf nach unten. Sinkt c vergleichsweise stark, kann das Gleichgewicht x* verschwinden. Befindet sich das System gerade in diesem Gleichgewicht, und c sinkt, so dass das Gleichgewicht verschwindet, springt das System zum Gleichgewicht –x* (siehe Abbildung 4). dx/dt

-x*

x*

-x

x

−dx/dt Abbildung 4 Ökonomisch bedeutet dies, dass ein Crash stattfindet. Der Dax sinkt abrupt von einem hohen Wert auf einen niedrigen. Die Spekulation hat auf einen hohen Wert des Dax gesetzt, aber durch die Verkäufe der Fundamentalisten geht diese Spekulation nicht mehr auf. Der Dax

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springt auf einen niedrigeren Wert. Wahrer und spekulativ verzerrter Wert des Dax nähern sich sprunghaft aneinander an. Aber das muss nicht unbedingt so sein. Denkbar wäre auch das Einsetzen einer Gegenspekulation und das Abschwächen der Trendspekulation. Die Spekulanten hören auf, auf Hausse zu spekulieren, und spekulieren stattdessen auf ein Sinken des Dax. Dann kommt es zu einem allmählichen Sinken des Dax-Wertes. Ein abruptes Springen von einem Gleichgewicht in das andere wird vermieden, und die Entwicklung des Dax-Wertes verläuft gleichmäßig und stetig. Dieser stetige Verlauf entspricht dann der Parameterkonstellation von Abbildung 1. Wahrer und spekulativ verzerrter Wert des Dax nähern sich stetig aneinander an. Das heißt: Wenn wahrer und spekulativ verzerrter Wert des Dax stark divergieren und wenn die Spekulanten auf Hausse spekulieren, führt eine Senkung der Nachfrage der Fundamentalisten zu einem abrupten Sinken des Dax, also zu einem Crash. Wenn hingegen die Spekulanten aufhören, auf Hausse zu spekulieren, und stattdessen auf einen niedrigeren Wert des Dax spekulieren, nähern sich der wahre und der spekulativ verzerrte Wert stetig aneinander an, und ein Crash entsteht nicht. Die kritische Parameterkonstellation für das Umspringen erhält man, wenn man die erste Ableitung der Differentialgleichung bildet und gleich null setzt, und den erhaltenen Wert für x wieder in die Differentialgleichung einsetzt, und diese gleich Null setzt. Man hat für das Umspringen von x* auf –x* c = –(b/2)√b/2a und für das Umspringen von –x* auf x* c = (b/2)√b/2a. Das heißt, dass bei gegebenem b ein Crash entsteht, wenn c unter diesen kritischen Wert sinkt, die Fundamentalisten also verkaufen, und dass bei gegebenem b ein Boom entsteht, wenn c über diesen kritischen Wert ansteigt, die Fundamentalisten also kaufen. Diese lösen dann den Crash beziehungsweise Boom aus, während die Chartisten die instabile Situation verursachen. Aber auch die Chartisten können einen Crash oder einen Boom auslösen, wenn durch ihr Verhalten die kritische Parameterkonstellation unter- oder überschritten wird. Ein Crash entsteht, wenn bei gegebenem c der Parameter b sinkt, die Nachfrage der Chartisten also zurückgeht; ein Boom entsteht, wenn bei gegebenem c der Parameter b steigt, die Nachfrage der Chartisten also steigt.

5. Rechtliche Maßnahmen Durch diese Ausführungen soll nicht der Eindruck entstehen, dass die Spekulation an sich zu verteufeln ist und demnach verboten werden müsste. Der Spekulant übernimmt ja auch Risiken, die dann ein anderer nicht mehr tragen muss und erhöht durch diese Risikoübernahme die Wohlfahrt. So könnte sich beispielsweise ein Eisverkäufer gegen einen schlechten Geschäftsverlauf im Sommer dadurch versichern, dass er ein Wertpapier kauft, das ihm bei einem verregneten und kalten Sommer einen so hohen Ertrag erbringt, dass sein Geschäftseinbruch beim Eisverkauf gerade ausgeglichen wird. Derivate und Spekulanten, die auf den Verlauf des Sommers wetten und damit das Risiko tragen, ermöglichen ihm diese Versicherung. Der Wert seines Eisverkaufgeschäfts ist demnach höher, wenn es Derivate und Spekulanten gibt, als wenn es sie nicht gäbe. Derivate und Spekulanten erbringen folglich einen Nettozuwachs des Sozialprodukts. Die Gefahr dabei aber liegt, wie gezeigt, in einer hohen Wertberichtigung von Vermögenspapieren, wenn diese zu stark über ihren wahren Wert gestiegen sind, und der anschließenden Insolvenz der Schuldner. Was kann man tun, um dies zu verhindern? Aus unserem Modell folgen drei wesentliche Regulierungsbereiche: 1. Die Trennung der Aktivitäten von Fundamentalisten und Chartisten. 2. Geringere Anreize zu hochriskanten Spekulationen. 3. Bonitätserhalt bei Crashs. 1. Die rechtliche und wirtschaftliche Trennung der Marktbereiche „Geschäftsbank mit Kundeneinlagen auf dem Markt für Realkredite“ und „Investmentbank mit Eigenhandelsspekulahttp://www.bepress.com/gwp/default/vol2011/iss1/art2

Weise: Chartisten und Fundamentalisten

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tion auf dem Wertpapiermarkt“ (sogenannte Volcker-Regel). Auf dem ersteren Markt hat der Wettbewerb vor allem positive Auswirkungen für Dritte, auf dem letzteren Markt mit einer hohen Wahrscheinlichkeit negative. Durch geeignete Aufsichtsregelungen (auch für Schattenbanken und Hedgefonds) und ein auf die unterschiedlichen Marktbereiche zugeschnittenes Insolvenzrecht müssen beide Märkte reguliert werden. Auf dem ersteren Markt ist die wesentliche Aufgabe einer Bank, die Einlagen ihrer Kunden in Form von Ersparnissen als Kredite für Investitionen in Realkapital zu transformieren. Dazu nimmt sie im Passivgeschäft Kredite auf, wird also Schuldnerin, und vergibt im Aktivgeschäft Kredite, wird also Gläubigerin. Sowohl mit den Kundeneinlagen als auch mit den Krediten sollte sie dabei sorgfältig und vertrauenswürdig umgehen. Darüber hinaus erbringt sie unterschiedliche Dienstleistungen, vom Führen eines Depots bis zum Auflegen von Anleihen. Zu beachten dabei ist, dass nach der goldenen Bankregel die hereingenommenen Gelder mit der gleichen Fristigkeit wieder ausgeliehen werden sollten, wie sie den Kunden wieder zurückzuzahlen sind. Dafür zahlt sie dem Sparer einen (niedrigeren) Zins und verlangt vom Kreditnehmer ebenfalls einen (höheren) Zins. Verdient wird der Zins durch die höhere Wertgrenzproduktivität des Kapitals. Geld wird also in den produktiven Kapitalstock angelegt, dessen Erträge (zum Teil) die Sparer erhalten. Die Summe aller Ansprüche an den Kapitalstock entspricht dann dem Wert des Kapitalstocks. Dessen wahrer Wert ist der Ertragswert des Realkapitals. Die Bank ist also Kreditvermittler und Kredittransformator für reale Investitionen. Gäbe es nur Banken, die sorgfältig mit den Einlagen ihrer Kunden umgehen und lediglich Realkredite vergeben - auf dieses Kerngeschäft konzentrieren sich beispielsweise ethischökologische Banken, die weder auf eigene Rechnung spekulieren noch Kredite ihrer Kunden verbriefen und an Dritte verkaufen noch mit Bonifikationszahlungen kurzfristige Anreize für riskante Wetten geben -, befänden sich die Banken untereinander in einem Wettbewerb um die besten Zinsen und Konditionen, um die exakteste Ermittlung und Einschätzung der produktivsten Realinvestitionen sowie um die fundierteste Beratung ihrer Kunden. Passiv- und Aktivgeschäft wären im wesentlichen durch die goldene Bankenregel hinreichend liquiditätssichernd verbunden. In diesem Wettbewerb tragen die Banken zwar auch Risiken und können unter Umständen insolvent werden. Das Kreditrisiko der Banken läge in dem Risiko von Fehlinvestitionen, das Marktrisiko in Konsumpräferenz- und Technologieveränderungen, das Liquiditätsrisiko in Krisensituationen und in fehlenden Kundeneinlagen und das operationelle Risiko hauptsächlich in exogenen Ereignissen, nicht aber in internen falschen Anreizen. Doch wären die sogenannten systemischen Risiken vermutlich vergleichsweise gering, mit der Folge, dass Banken nur ihre eigenen Risiken tragen und bei Fehlentscheidungen ohne weitere Folgewirkungen den Markt verlassen könnten. Wenn die Banken hingegen mit Finanzvermögen spekulieren, stehen sie auch in einem Wettbewerb. Sie möchten eine möglichst hohe Rendite auf ihr Eigenkapital realisieren. Im Wettbewerb setzen sich diejenigen Banken durch, die besser spekulieren können, ohne aber Realkapital zu schaffen. Die dazu benötigten Fähigkeiten werden gefördert und belohnt, das Risikomanagement hemmt eher und wird weniger beachtet. Das Kreditrisiko liegt in der Zahlungsunfähigkeit anderer Banken, Versicherungen oder Staaten, das Marktrisiko in hohem Abschreibungsbedarf auf Wertpapiere, das Liquiditätsrisiko in dem Austrocknen des Refinanzierungsmarkts und das operationelle Risiko in starken Anreizen zu kaum kontrollierbaren Spekulationsgeschäften. Durch die Interdependenz der Banken entsteht darüber hinaus ein Wechselwirkungsrisiko (sogenanntes systemisches Risiko) für alle Banken zusammen, das jede einzelne Bank aber nicht richtig kalkuliert, da jede einzelne Bank davon ausgeht, sie könne sich gegebenenfalls am Geldmarkt refinanzieren. Viele Risikomanagementmodelle basieren auf dieser Annahme. Dadurch wird zumindest das Liquiditätsrisiko drastisch unterschätzt. Die Gefahr, dass dieser Wettbewerb somit zu negativen externen Effekten für Dritte

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German Working Papers in Law and Economics

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Vol. 2011, Paper 2

führt und ein Systemrisiko entsteht, ist folglich groß. Kommt es zur Finanzkrise, müssen die Staaten mit Beihilfen einspringen. 2. Risikoabhängige und nachhaltigkeitsfördernde Vergütungssysteme. Wer eigenes Geld investiert oder mit eigenem Geld spekuliert, hat ein großes Interesse, Chancen und Risiken der Geldanlage sorgfältig abzuwägen. Wer dies mit fremdem Geld tut, hat daran ein geringeres Interesse. Anreizsysteme für eine sorgfältige Geldanlage müssen dann die eigene Verlustgefahr ersetzen. Bei den bisher üblichen Bonifikationszahlungen im Investmentbereich wird das Risiko, und zwar sowohl das einzelwirtschaftliche als auch das gesamtwirtschaftliche, das die Banker eingehen, aber nicht korrekt berücksichtigt. Ein Banker, der bei einem negativen Erwartungswert seiner Anlage dennoch einen Erfolg hat, bekommt anteilig einen Bonus auf seinen Erfolg. Die Risikokosten werden ihm aber nicht in Rechnung gestellt, die werden lediglich pauschal in der Risikovorsorge der Bank berücksichtigt, und tritt das Risiko in Form eines Verlustes irgendwann tatsächlich einmal ein, werden die Boni nicht nachträglich gekürzt. Und das gesamtwirtschaftliche Wechselwirkungsrisiko wird überhaupt nicht berücksichtigt. Dadurch ist ein Anreiz gegeben, Risiken zu unterschätzen. Das operationelle Risiko würde somit durch ein verändertes risikoabhängiges und nachhaltigkeitsförderndes Vergütungssystem gesenkt. Für die Vergabe von Realkrediten wäre die Zahlung von Boni hingegen geradezu fatal, weil dadurch gänzlich falsche Anreize gesetzt werden. 3. Höheres Eigenkapital. Im Zuge der Spekulation können wahrer Wert und spekulativer Marktwert von Assets divergieren. Insolvenzen entstehen dann stets durch hohe Kursverluste bei Wertpapieren. Der Einlegerschutz im Passivgeschäft müsste daher durch Kontrolle der Risiken im Aktivgeschäft betrieben werden. Um eine Insolvenz vermeiden zu können, muss eine Bank (oder eine andere Institution oder ein Staat) die Möglichkeit haben, durch Liquidation ihrer Aktiva ihre Bonität zu sichern. Eine Voraussetzung hierfür ist die Einführung von Richtlinien, die ein höheres Eigenkapital vorschreiben. Dadurch würde das Liquiditätsrisiko deutlich gesenkt. Eine andere Maßnahme, die, allerdings auf kollektiver Ebene, ähnlich wirkt, ist die Bankenabgabe. Alle diese Vorschläge sind in der aktuellen Diskussion. Einige sind bereits teilweise umgesetzt oder zumindest angekündigt worden. Darüber hinaus gibt es unterstützende Maßnahmen, die allerdings nicht die eigentliche Ursache des Entstehens von Booms und Crashs betreffen, wie Einlagensicherungsvorschriften u.a.m., auf die hier aber nicht eingegangen werden soll.

6. Schluss Wir haben gezeigt, dass Spekulationsblasen, so unterschiedlich sie im einzelnen sein mögen, eine Gemeinsamkeit haben. Die Chartisten erzeugen durch ihre Strategie eine Unstetigkeit in der Kursentwicklung, wodurch ein Crash oder ein Boom entstehen kann. Eine Gegenspekulation kann dann zu einer Krise führen. Ein Crash kann entstehen, wenn die Chartisten erst spät ihre Nachfrage erhöhen, ein Boom kann entstehen, wenn sie dies frühzeitig tun. Die Fundamentalisten lösen dann im Regelfall den Crash aus, wenn sie verkaufen, und lösen den Boom aus, wenn sie kaufen. Wir haben außerdem Vorschläge gemacht, wie man das Entstehen von Krisen möglicherweise verhindern und die Auswirkungen von Krisen minimieren kann.

7. Literatur Graham, B., The Intelligent Investor, New York 1965 (1949). Stöttner, R., Finanzanalyse, München/Wien 1989. Weise, P., Gesellschaftliche Evolution und Selbstorganisation, in: Ökonomie und Gesellschaft, Jahrbuch 19, Marburg 2006, S. 171 – 283. Zeeman, E. C., On The Unstable Behaviour Of Stock Exchanges, Journal of Mathematical Economics, Vol. 1, 1974, S. 39 – 49. http://www.bepress.com/gwp/default/vol2011/iss1/art2



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