Buchbesprechung: Drews Frauke (2013) \"Die Königin unter den Beweismitteln? Eine interdisziplinäre Untersuchung des (falschen) Geständnisses Berlin\"

August 17, 2017 | Author: K. Kotsoglou | Category: Legal Psychology, Strafrecht, Rechtspsychologie
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wahrte jegliche Teilnahme an einer Therapie, liegt es in seinem alleinigen Verantwortungsbereich, wenn ihm mangels Therapiefortschritten keine günstige Legalprognose gestellt werden kann. Die Sicherungsverwahrung ist in diesem Fall nicht wegen Unverhältnismäßigkeit zu beenden. Der Sicherungsverwahrte hat grundsätzlich auch keinen Anspruch auf eine Therapie außerhalb der Einrichtung für Sicherungsverwahrte. OLG Nürnberg Beschluss vom 22.09.2014 – 1 Ws 276/14

Fehlende Rechtsgrundlage für Fesselung eines Maßregelpatienten § 63 StGB; §§ 5 S. 2, 17 Abs. 3, 18, 21 MRVG NW Leitsatz: Eine Fesselung im Rahmen einer Vorführung, allein aus allgemeinen Sicherheitserwägungen oder zur Vorbeugung einer möglich erscheinenden Flucht, ist bei nach § 63 StGB untergebrachten Maßregelpatienten mangels Vorhandenseins einer entsprechenden Gesetzesgrundlage unzulässig. OLG Hamm Beschluss vom 23.09.2014 – 1 Vollz (Ws) 411/14

Fortdauer der Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus §§ 63, 20, 67 d Abs. 2, 6 StGB Leitsätze: 1. Die Beurteilung, ob eine Störung (noch) derart schwerwiegend ist, dass eine schwere andere seelische Abartigkeit i. S. d. § 20 StGB vorliegt, ist eine Rechtsfrage, die allein vom Gericht durch eine Bewertung der – in der Regel mit Hilfe eines Sachverständigen – festgestellten Ausprägungen der Störung zu beantworten ist. 2. Die Voraussetzungen einer Erledigung der Unterbringung in einem psychiatrischem Krankenhaus wegen Weg-

falls der Anordnungsvoraussetzungen oder Fehleinweisung müssen mit Sicherheit festgestellt werden. Zweifel wirken sich insoweit grundsätzlich zulasten des Verurteilten aus. 3. Eine Erledigung der Maßregel wegen einer fehlerhaften Bewertung einer anderen seelischen Abartigkeit i. S. d. § 20 StGB als schwer, kommt, da es sich um einen Rechtsfehler handelt, nicht in Betracht. 4. Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit der weiteren Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist der Grund ihrer Dauer insbesondere dann zulasten des Untergebrachten zu berücksichtigen, wenn Vollzugslockerungen aufgrund seines Verhaltens nicht möglich sind und eine Entlassung daher nicht vorbereitet werden kann. OLG Braunschweig Beschluss vom 24.09.2014 – Ws 206/12, Ws 198/13

Sicherungsverwahrung; Gewährung vollzugsöffnender Maßnahmen § 53 Abs. 2 SVVollzG NW Leitsätze: 1. Bei § 53 Abs. 2 SVVollzG NW handelt es sich um eine Vorschrift des zwingenden Rechts, nicht um eine Ermessensvorschrift. 2. Es ist keine tatbestandliche Voraussetzung für die Gewährung von vollzugsöffnenden Maßnahmen nach dieser Vorschrift, dass diese dem Vollzugsziel dienen. 3. Zur Frage, wann »konkrete Anhaltspunkte« für das Vorliegen von Gründen für eine Versagung von vollzugsöffnenden Maßnahmen vorliegen können. OLG Hamm Beschluss vom 30.09.2014 – 1 Vollz (Ws) 367/14

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Drews F (2013) Die Königin unter den Beweismitteln? Eine interdisziplinäre Untersuchung des (falschen) Geständnisses Berlin u. a.: Lit Verlag, 308 S., 34,90 €

I.

Es ist wohl nicht übertrieben zu sagen, dass das Problem von Fehlurteilen uns seit jeher beschäftigt. Von Socrates über N. Sacco und B. Vanzetti bis O. J. Simpson hält uns die Vorstellung eines unschuldig Verurteilten (und umgekehrt) in Atem. Eng damit verbunden ist der Begriff eines falschen Geständnisses. Die rechtshistorische und beweisrechtliche Forschung zeigt uns, dass, immer wenn sich ein Strafrechtssystem von Geständnissen stark abhängig macht, nicht nur die körperliche Integrität und die prozessualen Rechte des Angeklagten leiden, sondern vielmehr die »Wahrheit« bzw. die Sachverhaltsfeststellung gefährdet wird. Etwa zu Zeiten der Geltung der Carolina wurde relativ früh klar, dass dem Peiniger gelingen konnte, während der Befragung jede Aussage (nach Belieben bzw. nach Bedarf ) aus dem Angeklagten herauszupressen. Den wichtigsten Beitrag in Richtung Folterabschaffung leistete dem entsprechend nicht das Humanitätspathos, sondern ein beweisanalytisches Argument, das selbst Friedrich der Große betont haben soll: Folter sei als »une affaire de tempérament« untauglich zur Wahrheitsfindung (zitiert nach Schubart-Fikentscher 1949, 114). Denn es war nicht die Inferenzkraft des Beweismaterials, sondern die »Muskelkraft« und die »Nervenreizbarkeit« derjenige Parameter, der das Beweisergebnis bestimmte (beide Begriffe verwendet Beccaria 1876, 12. Kap.). Es verwirre alle menschlichen Verhältnisse, »wenn man fordert, dass [...] der Schmerz der Prüfstein der Wahrheit werde, als ob ihr Kriterium in den Muskeln und Fibern eines Unglücklichen zu suchen wäre«, führt Beccaria aus (Beccaria 1876, 27). Die Folter war also nicht nur als Zivilisationsbruch, als grausame Methode gescheitert. Vielmehr bestand der Grund für ihre allmähliche Entmythologisierung in der Einsicht, dass Folter ein ineffizientes »Wahrheitserforschungsmittel« (Beccaria a. a. O.) ist. Denn sie konnte als medium eruendae

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veritatis die Richtigkeit des Geständnisses nicht garantieren. »Zwischen Schuldigen und Unschuldigen verschwindet jeder Unterschied eben durch das Mittel, das angewendet wird, um einen solchen aufzufinden.« (Beccaria 1876, 28) Beccaria bringt meisterhaft auf den Punkt, dass just die Sachverhaltsfeststellungsmethode die Ursache des Problems war. Um das Strafverfahrenssystem vor dem Kollabieren zu bewahren, entstand eine Methode (Tortur), die verfahrensabschließende Geständnisse generieren konnte (Langbein 1978, 4 f. et passim). Beccarias sys­ temimmanente Kritik läuft darauf hinaus, dass die Zufügung von Schmerzen die Zahl der Geständnisse und dadurch die Zahl der Verurteilungen zum Maximum hinaufschraubt. Das so gewonnene (herausgepresste) Geständnis verlor also sein Differenzierungspotenzial und konnte nunmehr die tatsächliche Schuld nicht diagnostizieren. Die Folter scheiterte also – um mit dem Bundesverfassungsgericht zu sprechen – an der »Zuverlässigkeit« der Beweisführung (BVerfG­E 70, 209, 308), nicht an der ohnehin nicht feststellbaren Verfehlung der Wirklichkeit. Heutzutage erleben wir – jedenfalls nach Meinung einer nicht geringen Zahl von Autoren – eine strukturell ähnliche Situation. Um die Effektivität der »bereits an die Grenze der Überlastung« (BVerfG JZ 2013, 676) heranreichenden Strafjustiz zu bewahren, wird das verfahrensabschließende Geständnis im Rahmen der Verständigung gemäß § 257 c StPO (erneut) in den Vordergrund gerückt. Und ähnlich wie damals entstehen die sog. »Alford pleas«, nämlich das prozessuale Schuldanerkenntnis bei gleichzeitiger Unschuldsbeteuerung,1 die auch als guilty-but-not-guilty pleas bekannt sind. II.

Die Frage, wie es denn möglich ist, dass selbst ohne Anwendung physischer Gewalt bzw. nach der Abschaffung der Folter und insbesondere nach der Einführung einer ganzen Reihe von prozessua­len Garantien sowie der Kriminalisierung der Willensfreiheitsbeeinträchtigung (§§ 240, 343 StGB, vgl. § 136 a StPO) sehr oft von auf falschen Geständnissen basierenden Fehlurteilen berichtet wird, motiviert die von Dirk Fabricius betreute Dissertation, die Frauke Drews der J. W. Goethe-Universität Frankfurt/Main vorgelegt hat. Der Titel ist provokativ, ja änigmatisch: »Die Königin unter den Beweismit-

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teln? Eine interdisziplinäre Untersuchung des (falschen) Geständnisses«. Erste Fragen drängen sich bereits auf. Was hat es mit dem Fragezeichen auf sich? Ist die Autorin im Begriff, eine (begrüßenswerte) »Majestätsbeleidigung« der reginae probationum zu begehen? Und warum wird das Wort »falschen« eingeklammert? Inwiefern unterscheidet sich die Semantik eines »Geständnisses« von derjenigen eines »(falschen) Geständnisses«? Im Folgenden möchte ich zeigen, dass der hohe Erkenntniswert dieser Dissertation ausgerechnet mithilfe dieser Zeichen (»?«, »()«) zu codieren ist. III.

Drews reagiert im Grunde auf die Diagnose, dass die Rechtspraxis »von der Droge Absprache«2 abhängig geworden ist und setzt dagegen ausgerechnet ein rechtspsychologisches Therapieangebot ein. Ihr Ziel ist, das Phänomen des Vorkommens »falscher Geständnisse und darauf basierender Fehlurteile im modernen Strafprozess« (S. 12) interdisziplinär zu untersuchen. Nur so lasse sich ein »mit einer wahren Vielfalt von Bedeutungen aufgeladen(es) Phänomen bewältigen« (S. 15). Drews zufolge ist es keine überraschende oder gar neue Erkenntnis, »dass unwahre Geständnisse abgegeben werden können« (S. 117). Das Problem liegt indes auf der Hand: Der Autorin ist klar, dass aus der Sicht der Strafprozessrechtsbzw. Sachverhaltsfeststellungsdogmatik nur um den Preis einer begrifflichen Inkohärenz die Rede von einem (im materiellen Sinne) »Fehlurteil« und einem »falschen Geständnis« sein kann. (Beweis-)Kriterium eines Strafurteils ist nicht die »Wirklichkeit«, sondern das Ergebnis der »bestmöglichen Beweisaufklärung« (BVerfGE 70, 209, 308 f.) bzw. die »volle Überzeugung des Richters« (BGHSt 10, 208). Mit anderen Worten: Um ein Urteil zu fällen, muss der Tatrichter (nur) seine vernünftigen Zweifel ausschließen, nicht die Wirklichkeit treffen. Und das, was am Ende als volle Überzeugung des Richters steht, das legt (aus juristischer Sicht) den Wahrheitsgehalt der Anklage fest – nicht umgekehrt. Wie Drews anmerkt: »Maßstab für die Bestimmung des ›wahren‹ Sachverhalts« 1 Vgl. Supreme Court of the United States, Urteil vom 23.11.1970 – 400 US 25 (North Carolina v. Alford), Rn. 28 f.; ausführlich dazu bei Bibas 2003; sehr kritisch dazu Alschuler 2003, 1412 ff. 2 Ausdrücklich so bei Weigend 1999, 63.

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kann »letztlich nur eine (notwendigerweise subjektive) Überzeugung des Prüfenden« (S. 26) sein. Aus diesem Grund ist ein Perspektivenwechsel erforderlich. Die Autorin verlässt die Situation des Tatrichters (Ignoramus), wo man unter Unsicherheit argumentiert, und nimmt die Position des Wissenden ein. Das ist ein methodologisch korrekter Schritt. Den propositio­ nalen Gehalt (Wahrheitswert) einer Aussage festlegen zu können, ist eine sine qua non Voraussetzung für eine (sinnvolle, rechts-)psychologische Untersuchung. Um sinngemäß etwa von einer Pseudo­ erinnerung zu reden, braucht man einen Wahrheitswert von Aussagen, welcher epistemische Grenzen (vorübergehend) transzendiert. Ähnlich braucht die Autorin für die Beantwortung der zentralen Frage ihrer Arbeit einen sinnvollen Gebrauch der Wendung »objektiv falsche geständige Einlassungen« (etwa auf S. 117). Werden solche abgegeben? Wie häufig kommen sie vor? Was sind die psychologischen Motive dafür? Um diese Fragen beantworten zu können, muss man die Größe der Unsicherheit ausblenden. Der Übergang vom zweiten zum dritten Kapitel signalisiert eben diesen Perspektivenwechsel: Während Drews im zweiten Kapitel (S. 15 – 116) das Phänomen Geständnis in rechtshistorischer (bei der Carolina) und -dogmatischer (im Kontext der Urteilsabsprachen) Hinsicht untersucht sowie auf verschiedene psychologische Faktoren eingeht (S. 57 ff.), die für das Ablegen eines (falschen) Geständnisses ursächlich sein können, setzt sie sich im dritten Kapitel mit falschen Geständnissen auseinander. IV.

Von dem oben skizzierten Standpunkt aus befasst sich die Autorin mit dem Begriff »Geständnis«. Obwohl das »Geständnis« eo nomine in der Strafprozessordnung nur drei Mal vorkommt (§§ 254 Abs. 1, 257 Abs. 2, 4, 362 Nr. 4 StPO), durchdringt, so Drews (S. 37), das Konzept des Geständnisses die gesamte Struktur des Strafverfahrens. Es sei, öfter als man denkt, im Gesetzestext implizit anzutreffen oder werde gar vorausgesetzt (S. 39). Aus analytischer Sicht kann man also festhalten, dass die Autorin an die Grenzen der dogmatischen Ausarbeitung der Semantik von »Geständnis« stößt, denn wir verwenden (nur) einen Begriff, um Verschiedenes zu beschreiben. Und immer dann, wenn die analytische Funktion eines Wortes gering ist, liegt eine

Begriffsbildung sehr nahe. Um die Verästelung des logisch-grammatischen Geflechts der Verbindungen zwischen verschiedenen Referenzen, die sinngemäß unter den Begriff »Geständnis« fallen, zu erfassen, setzt sich Drews mit den Taxonomien diverser Autoren auseinander (S.  142 – 149). Nachdem Drews diverse Ansätze aus dem Bereich der Rechtspsychologie berücksichtigt, präsentiert sie eine eigene zweistufige Taxonomie falscher Geständnisse (S. 152 f.). Nach Ansicht der Autorin soll auf der ersten Ebene eine Einteilung in freiwillig (wissentlich falsch, etwa Vorteilsgeständnis), druckinduziert-konform (etwa aufgrund des physischen oder psychischen Drucks, um der Drucksitua­tion zu entkommen) und druckinduziert-internalisiert (etwa durch suggestive polizeiliche Vernehmungsmethoden) vorgenommen werden. Auf einer zweiten Ebene soll eine Qualifizierung falscher Geständnisse durch Gründe innerhalb oder »external« durch Gründe außerhalb des Strafverfahrens erfolgen. Die Einteilung der Autorin ist folgerichtig. Am Ende reden wir also nicht einfach von dem falschen Geständnis, sondern von (3x2=) 6 verschiedenen Konstellationen. Daran anschließend geht Drews auf diverse Risikofaktoren für die Entstehung falscher Geständnisse wie etwa personenbezogene Faktoren (S. 154 – 156), Alter (S. 159 – 162) – insbesondere im Hinblick auf die Konstellation einer druckinduzierten falschen geständigen Einlassung –, verschiedene Vernehmungstechniken (S. 182 – 194) etc. ein und präsentiert die Ergebnisse empirischer Studien über die Aussagekraft derselben Faktoren. Im Abschnitt »Vernehmungsmethoden« (S. 183 f.) zeigt die Autorin auf eine brisante Weise, wie die Anwendung bestimmter Vernehmungsmethoden die Aussage des Vernommenen beeinflusst und damit die generelle Geständnisbereitschaft entscheidend lenkt. Von hohem Erkenntniswert sind auch ihre Ausführungen (S. 216) bezüglich rechtstreuer Bürger (Drews verwendet den m. E. falschen Begriff »unschuldig«; unschuldig ist m. E. indes jemand, der [rechtskräftig] von einem Gericht freigesprochen wurde), die aufgrund ihres festen Glaubens an die Offensichtlichkeit ihrer tatsächlichen Unschuld sich kooperativ verhalten – was wiederum den Vernehmungsdruck erhöhen kann. Über die polizeiliche Vernehmung als Risikofaktor hinaus befasst sich die Autorin auch mit der Verständigung im Strafverfahren gemäß § 257 c StPO (S. 194 ff.).

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Sie macht aus psychologischer Warte auf zwei strukturelle Probleme der Verständigung im Rahmen des kontinental-europäischen Strafverfahrens aufmerksam. Erstens: Drews findet überraschend (S. 198 ff.), dass der Gesetzgeber nur dem Gericht ein Initiativrecht überträgt (§ 257 c Abs. 3 S. 1 StPO); denn das führe dazu, dass das Gericht suggerie­re, die Schuldfrage bereits positiv beschieden zu haben. Das setze wiederum den Angeklagten unter erheblichen Druck. Damit wird – lediglich aus einer anderen Warte – der ›Geburtsfehler‹ der strukturellen Unvereinbarkeit der Verständigung mit dem reformierten Inquisitionsprozess thematisiert. Zweitens: Die Autorin spricht das Problem der Sanktionsschere (sentencing differential) als druckvariierendem Faktor an (S. 199 – 201). In der einschlägigen Literatur wurde bereits klar herausgearbeitet, dass eine Verständigung ohne »Strafrabatt« praktisch nicht denkbar ist, denn kein Angeklagter würde freiwillig eine sichere Strafe einem offenen Verfahrensausgang vorziehen. Diesbezüglich setzt Drews eine einfache Strategie ein: Um empirische Daten einmal auf eine passende Weise zu verwenden (vgl. aber BVerfG JZ 2013, 687 f.) und das direkte Verhältnis zwischen Ausmaß der (vordergründigen) Strafmilderung und dem erzeugten Druck zu beleuchten, zieht sie empirische Studien heran. Die empirischen Ergebnisse, die sie präsentiert und anschließend rechtlich interpretiert, sind eindeutig: »Insgesamt zeigt sich damit bei geständnisdruckerzeugenden Vernehmungstechniken eine deutliche Erhöhung der Auftrittswahrscheinlichkeit falscher Geständnisse.« (S. 191) Drews geht, was die Übertragbarkeit dieser im Ausland erhobenen empirischen Daten auf das deutsche Strafverfahrenssys­ tem anbelangt, sehr vorsichtig vor. Mangels deutscher Studien vermeidet sie die These, die in den von ihr erwähnten Studien analysierten Phänomene beschrieben auch den deutschen Justizalltag. Geht man allerdings davon aus, dass psychologische Mechanismen im Grunde genommen menschliches Verhalten bzw. dessen Grundstrukturen beschreiben, dann scheint mir nicht ganz fernliegend zu sein, dass zuerst diejenigen, die diesen Schluss nicht ziehen wollen, die Argumentationslast tragen. V.

Nach der Heranziehung empirischer Befunde wechselt die Autorin erneut die Perspektive (Kap. 5) und spricht aus pro-

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zessualer bzw. rechtlicher Sicht das Problem der Erkennbarkeit von falschen Geständnissen an. Das Wort »falsch« muss wieder eingeklammert werden. Wie Drews anmerkt: »die Fähigkeit zur Erkennung von Wahrheit und Täuschung liegt mit einer durchschnittlichen Rate von 54 Prozent nur leicht über der des Zufalls« (S. 225). Damit sind wir also erstens beim uralten Problem der Ununterscheidbarkeit zwischen wahren und falschen Aussagen, nämlich beim Problem des Erkenntnisskeptizismus, und zweitens beim sog. Problem der Konditio­ nalität. Das heißt, dass die Wahrscheinlichkeit eines Risikofaktors (RF) unter der Bedingung, dass das Eintreten eines falschen Geständnisses (FG) bereits bekannt ist (RF|FG), die eine Sache ist, die Wahrscheinlichkeit eines falschen Geständnisses unter der Bedingung, dass ein Risikofaktor vorliegt (FG|RF), allerdings eine ganz andere ist. Psychologen haben mit Ersterem zu tun, Juristen mit Letzterem. Den auch als prosecutor’s fallacy betitelten beweislogischen Irrtum begeht Drews selbstverständlich nicht. Vor einer Übertragung empirischer Ergebnisse auf die Fähigkeit, falsche Geständnisse zu erkennen, wird dementsprechend gewarnt (S. 231). Die Erkenntnisproblematik und die Einsicht, dass das, was für die Rechtspsychologie eine Ursache/einen Grund für falsche Geständnisse darstelle, für die Sachverhaltsfeststellungsdogmatik lediglich einen Indikator bedeute, solle dazu führen, dass unsere Reaktionsmechanismen eher auf den Bereich der Minimierung des Risikos eines falschen Geständnisses und eines darauf beruhenden Fehlurteils Wert legen: »alleiniger Garant für den zuverlässigen Schutz vor den direkten sowie indirekten Wirkungen und nachteiligen Folgen eines falschen Geständnisses stellt damit dessen Prävention dar« (S. 278). Für eine erfolgreiche Prävention macht die Autorin Vorschläge: Maßnahmen wie die elektronische Aufzeichnung der Vernehmung und der Hauptverhandlung sowie generell die Umstrukturierung der polizeilichen Beschuldigtenvernehmung, Schulungen zur Aussagepsychologie und zu falschen Geständnissen und vor allem die Beseitigung der Strafzumessungsfunktion eines Geständnisses – was, zumal die Sanktionsschere »zum Wesen der Urteilsabsprache« (Ignor 2006, 325) gehöre, eine Lahmlegung bzw. Außerkraftsetzung der gesamten Verständigungsregelung nach sich zöge.

VI.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Drews uns nicht einfach dazu bringt, erneut an herkömmliche Vernehmungstechniken sowie am Dealangebot samt dessen Teststärke (»Diagnostizität« nach ihrer Terminologie) zu zweifeln, sondern vielmehr dazu, uns anhand empirischer Daten Klarheit darüber zu verschaffen, worin dieses Gefährdungspotenzial besteht (exemplarisch auf S. 188). Kurz: Bei der hier rezensierten Arbeit handelt es sich nicht nur um eine gelungene Dissertation, sondern vielmehr um eine mus­terhafte interdisziplinäre Untersuchung. Die besondere Leistung der Arbeit der Autorin (man beachte, dass inhaltliche Trivialität nicht mit methodologischer Trivialität zu verwechseln ist), besteht just in der Einklammerung des Wortes »falscher« im Titel. Drews geht den ganzen Weg bis zur Empirie und dann zurück zur Sphäre des Sollens, ohne die unterschiedlichen Modi (Sein und Sollen) miteinander zu vermengen. Gegenüber einem möglichen Einwand fehlender rechtsdogmatischer oder empirischer Tiefe soll auf die Breite der behandelten Themen (Interdisziplinarität) verwiesen werden. Die Dissertation von Frauke Drews stellt die deutsch(sprachig)e Debatte erneut vor das Dilemma, sich ernsthaft mit der Beweiswürdigung und -analyse auseinanderzusetzen oder wie bisher auf den Common Sense der Tat­ richter abzustellen bzw. empirische Daten, die unsere bequemen Gewissheiten von Grund auf erschüttern, zu verdrängen. Literatur Alschuler A (2003) Straining at Gnats

and Swallowing Camels: The Selective Morality of Professor Bibas. In: Cornell Law Review 88: 1412 – 1422 Beccaria C (1876) Über Verbrechen und Strafen. Ins Deutsche übersetzt von J Glaser, 2. Aufl., Wien: Manz Bibas S (2003) Harmonizing SubstantiveCriminal-Law Values and Criminal Procedure: The Case of Alford and Nolo Contendere Pleas. In: Cornell Law Review 88: 1361 – 1412 Ignor A (2006) Die Urteilsabsprache und die leitenden Prinzipien der StPO. In: Beulke W, Müller E (Hg.) Festschrift zu Ehren des Strafrechtsausschusses der Bundesrechtsanwaltskammer. Neuwied: Luchterhand, 321 – 334 Langbein JH (1978) Torture and Plea Bargaining. In: The University of Chicago Law Review 46: 3 – 22

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Schubart-Fikentscher G (1949) Goe-

thes sechsundfünfzig Strassburger Thesen vom 6. August 1771. Weimar: Verlag H. Böhlau Weigend T (1999) Eine Prozeßordnung für abgesprochene Urteile? In: Neue Zeitschrift für Strafrecht 19: 57 – 63 Kyriakos N. Kotsoglou

Deister A, Wilms B (2014) Regionale Verantwortung übernehmen. Modellprojekte in Psychiatrie und Psychotherapie nach § 64 b SGB V. Köln: Psychiatrie Verlag, 280 S., 34,90 €

Ein mutiges Buch, das von der Motivation und dem Beharrungsvermögen der Autoren zeugt, sich den technokratischen Entwicklungen im deutschen Gesundheitssystem zu stellen und für eine Behandlung psychischer Störungen zu kämpfen, die optimale Bedingungen für eine Wiederherstellung psychischer Gesundheit schafft. Die Zersplitterung im deutschen Gesundheits- und Sozialwesen hat hohe Barrieren entstehen lassen, die wirksam verhindern, dass international konsentierte Grundsätze bei der Behandlung psychischer Störungen umgesetzt werden: ambulant vor teilstationär vor statio­ när, so nah am Lebensfeld wie möglich, informelle Unterstützung (Familie, Freunde, Gemeinde) vor fachlicher Unterstützung, unterstützte Entscheidung statt ersetzender Entscheidung, Kontinui­ tät bei der Behandlung, Förderung der Selbsthilfe, flächendeckende hohe Behandlungsqualität für alle Bürger. In Skandinavien, Kanada, Australien und Großbritannien selbstverständliche Behandlungsformen wie multiprofessionelle gemeindepsychiatrische Teams und Hometreatment kamen in Deutschland nur in Verträgen der Integrierten Versorgung für Mitglieder einzelner Krankenkassen in einzelnen Regionen zum Tragen. Erst die Vereinbarungen über Regio­ nalbudgets in der Psychiatrie haben eine Perspektive für eine flexible, umfassende und faire Behandlung von Menschen mit psychischen Störungen eröffnet. Deister und Wilms zeigen verständlich und mit tiefem Einblick in den deutschen Regelungsdschungel, wie solche Regionalbudgets zustandekommen, welche Akteure dafür erforderlich sind, wel-



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