Grenzen als Herausforderung für die Demokratie Zu den Chancen der Internationalisierung des Rechts für die demokratische Inklusion
I.
Einleitung
Grenzen und Demokratie stehen in einem besonderen Verhältnis: Einerseits ist Demokratie auf gewisse Grenzen im territorialen wie auch im personellen Sinne angewiesen. Zugleich – und genau aus diesem Grund – können Grenzen selbst nicht demokratisch rechtfertigt werden. Ausgehend von diesem problematischen Verhältnis von Demokratie und Grenzen werde ich die Notwendigkeit und die Möglichkeiten demokratischer Inklusion thematisieren. Die Forderung nach demokratischer Inklusion enthält dabei ein dynamisches Moment der Einbeziehung von Personen über die formalen Grenzen von Staaten und Staatsbürgerschaften hinaus: Sie berücksichtigt einerseits die bestehenden Grenzen als Grundlage legitimierender Verfahren und ermöglicht es zugleich einen Anspruch auf Einbeziehung zu formulieren, der diese bestehenden Grenzen überwindet und in Frage zu stellen vermag. Anders ausgedrückt vermittelt die demokratische Inklusion zwischen den faktischen Demoi, welche durch Staatsgrenzen und Staatsbürgerschaften definiert sind, und den normativen Demoi, welche sich anhand der Betroffenheit von öffentlicher Gewalt beschreiben lassen.
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Für hilfreiche Anregungen und Kritik danke ich Matthias Goldmann sowie den Teilnehmern des AJV-Workshops im Oktober 2012 in Graz.
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Diese Forderung nach Inklusion ist in Rechtsgebieten, welche Grenzen betreffen, insbesondere also im Migrations- und Flüchtlingsrecht, von großer Relevanz. In diesen Rechtsgebieten entstehen typischerweise Situationen, in denen Individuen von öffentlicher Gewalt betroffen sind, an deren demokratischer Legitimation sie nicht beteiligt werden können. Diese Problematik abzuschwächen und der Forderung nach demokratischer Inklusion nachzukommen, stellt eine Herausforderung für das Recht dar. Das internationale Recht kann dabei in verschiedener Weise Möglichkeiten der Inklusion eröffnen. Neben der Zustimmung einer breiten Basis von Staaten ist dafür besonders die Einbeziehung transnational agierender Vertreter der Zivilgesellschaft von Bedeutung. Gerade in Rechtsbereichen, die Grenzüberschreitungen betreffen, kann das internationale Recht zur demokratischen Legitimation der Normen beitragen. Mit diesem Argument fügt sich der Beitrag in die Diskussion über Demokratie unter Bedingungen der Globalisierung ein. Im Zuge der Globalisierung gewinnt das internationale Recht an Bedeutung, supraund internationale Organisationen üben verstärkt öffentliche Gewalt aus, neue Formen der Steuerung entstehen. Diese Phänomene werden oft ausschließlich als Bedrohung der Demokratie wahrgenommen, das repräsentative System des Nationalstaats demgegenüber regelmäßig als Ideal demokratischer Selbstbestimmung dargestellt. Ich halte dieses Bild für zu einseitig. Während das Modell von territorialer Repräsentation fraglos ein erfolgreiches Konzept ist und für die demokratische Legitimation unverzichtbar bleibt, stößt es an territorialen Grenzen notwendigerweise auf Probleme. Der daraus resultierenden Forderung nach demokratischer Inklusion kann auf der Ebene des internationalen Rechts teilweise besser begegnet werden. Diese Perspektive einzubeziehen erzeugt ein vielseitigeres Bild der Herausforderungen aber auch der Chancen, welche die Internationalisierung des Rechts für die Demokratie mit sich bringt. Im Folgenden werde ich zunächst das problematische Verhältnis von Demokratie und Grenzen erläutern ( II ) und darlegen, wie sich die Forderung nach demokratischer Inklusion begründen lässt ( III ). Anschließend soll gezeigt werden, welche Möglichkeiten das internationale Recht für die demokratische Inklusion bietet ( IV ) und welche Konsequenzen sich daraus für die Diskussionen über Demokratie unter Bedingungen der Globalisierung ziehen lassen ( V ).
Dana Schmalz
II.
Grenzen als Herausforderung für die Demokratie
Das schwierige Verhältnis von Demokratie und Grenzen
Das Verhältnis von Demokratie und Grenzen ist ein doppeltes: Einerseits sind Grenzen eine wichtige Voraussetzung für die demokratische Selbstbestimmung ( A ). Andererseits lassen sich Grenzen, entgegen verschiedener theoretischer Bemühungen, selbst nicht auf überzeugende Weise demokratisch rechtfertigen ( B ). Die Problematik spiegelt sich in Situationen, in denen Personen an Grenzen von öffentlicher Gewalt betroffen sind ( C ).
A.
Die Notwendigkeit von Grenzen für die Demokratie
Demokratie als kollektive Selbstbestimmung einer Gruppe von Menschen erfordert ein bestimmbares Kollektiv, den Demos. Der Demos bezeichnet kein Volk im ethnischen Sinne,1 sondern eine Gruppe von Bürgern, eine Verwaltungseinheit. Es bedarf keines ethnisch homogenen Volkes für eine Demokratie, wohl aber einer klar definierten Einheit. Ein sich selbst bestimmendes Kollektiv muss sich nach außen abgrenzen, es muss bestimmen, welche Personen Mitglieder sind und welche nicht.2 Die personellen Grenzen des Demos sind also notwendig für die Demokratie. Inwieweit sind daneben auch territoriale Grenzen Voraussetzung für die demokratische Selbstbestimmung ? Die territorialen Grenzen korrespondieren in gewissem Maße mit den Grenzen des Demos, da sich die Zugehörigkeit zu einem Staat immer auch in Bezug auf sein Territorium bestimmt. In solchen Staaten, die ihre Staatsbürgerschaft nach den Grundsätzen des ius soli verleihen, liegt das nahe. Aber auch solche Staaten, deren Staatsbürgerschaftsrecht auf dem Grundsatz des ius sanguinis aufbaut, kennen Regeln, welche die Einbürgerung von Personen an einen langen Aufenthalt oder die Geburt auf dem Territorium anknüpfen. Die personelle Zugehörigkeit zu einer politischen Gemeinschaft enthält immer einen Bezug auf ein bestimmtes Territorium. Die personellen Grenzen des Demos sind nicht ohne die territo1 2
Begrifflich wird das im Altgriechischen schon durch das Nebeneinander von δημος ( demos ) und εθνος ( ethnos ) deutlich. Vgl. Habermas, Die postnationale Konstellation ( 1998 ), 161.
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rialen Grenzen des Staates oder einer anderen Gebietseinheit denkbar. Beide Arten von Grenzen, sowohl territoriale als auch personelle, bilden somit eine Voraussetzung für Demokratie.
B.
Die Unmöglichkeit der demokratischen Entscheidung über Grenzen
Wie können diese Grenzen des Staatsgebietes und seiner Bürger festgelegt werden ? In einem hypothetischen Urzustand, in dem keine Grenzen bestehen, müssten alle Menschen gleichermaßen über die Festlegung derselben entscheiden können. Bei einer solchen Entscheidung über Grenzen wären also gleichermaßen jene, welche durch die Grenzen ausgeschlossen werden, als auch jene, die durch sie eingeschlossen werden, zur Mitbestimmung berechtigt. Eine einseitige Abgrenzung, wie sie von kontraktualistischen Ansätzen für legitim gehalten wird, erfüllt dieses Erfordernis nicht. Durch die Entscheidung einer Gruppe von Personen einen Staat bzw eine politische Einheit beliebiger Form zu bilden sind immer auch jene betroffen, welche durch die Grenzziehungen ausgeschlossen werden. Jede kollektive Selbstbestimmung ist zugleich eine Selbstkonstituierung.3 Dass eine demokratische Entscheidung über Grenzen nicht möglich ist, bildet die logische Kehrseite der vorangegangenen Feststellung, dass Grenzen bereits eine Voraussetzung demokratischer Verfahren darstellen. Diese Problematik wird in der Literatur verschiedentlich als Paradox demokratischer Legitimation 4 oder » boundary problem « 5 behandelt. Dabei gehen die Meinungen darüber auseinander, ob das Problem im Rahmen demokratischer Theorie zu lösen sei. So unterschiedliche Autoren wie Michael Walzer und John Rawls gehen in ihren Überlegungen jeweils von bestehenden politischen Gemeinschaften aus,6 ähnlich beschränkt Joseph Schumpeter Demokratie
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Benhabib, The Rights of Others ( 2003 ), 45. Vgl. Benhabib, The Rights of Others, 43 ff. Vgl. Arrhenius, The Boundary Problem in Democratic Theory, in Tersman, Democracy Unbound, Stockholm Studies in Democratic Theory ( 2005 ), 14 ff.; Whelan, Prologue: Democratic Theory and the Boundary Problem, in Pennock / Chapman, Liberal Democracy ( 1983 ), 13 ff. Walzer, Sphären der Gerechtigkeit ( 1992 ), 65; Rawls, The Law of Peoples ( 1999 ), 23 ff.
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ausdrücklich auf die Art der Verfahren innerhalb einer bestehenden politischen Gemeinschaft.7 Zahlreiche andere plädieren in Auseinandersetzung mit dem Problem demokratischer Legitimation von Grenzen dafür die anfängliche Abgrenzung eines Staatsgebietes bzw eines Demos aus dem Anwendungsbereich des demokratischen Prinzips auszunehmen.8 Nach einer solchen Ansicht müssen Grenzen als historisch kontingente Tatsachen akzeptiert werden und unterliegen nicht der Notwendigkeit demokratischer Legitimation. Diese Ansätze entsprechen dem Empfinden, dass Demokratie auf die Vorgänge in bestehenden politischen Gemeinschaften bezogen sei und mit einer Abgrenzung derselben nichts zu tun habe. Die Grenzen der Staaten und der Demoi per se von der Notwendigkeit demokratischer Legitimation auszuklammern, nähme dem demokratischen Prinzip jedoch einen erheblichen Teil seiner normativen Kraft. Auch beschränkt sich die Problematik nicht auf ein abstraktes Gedankenspiel, sondern spiegelt sich in vielfältiger Form in Rechtsgebieten, welche Grenzüberschreitungen betreffen.
C.
Betroffenheit von öffentlicher Gewalt an der Grenze – ein Beispielsfall
Zur Veranschaulichung der Problematik kann ein fiktiver Fall aus dem Asylrecht dienen: M kommt aus Afghanistan und wurde dort aus nicht näher bekannten Gründen bedroht. Mit seinem Ersparten hat er ein Flugticket gekauft, um nach Deutschland zu kommen. Am Frankfurter Flughafen wird ihm die Einreise verweigert, woraufhin M Asyl beantragt. Er besitzt keine Ausweispapiere und wird daher am Flughafen festgehalten. Schon am nächsten Tag entscheidet das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ( BAMF ) nach einer Anhörung des M und lehnt seinen Asylantrag als offensichtlich unbegründet ab. Die Geschichte seiner Bedrohung sei unklar und es sei nicht ersichtlich, dass M aus politischen oder sonstigen diskriminierenden Gründen verfolgt würde. Der M beantragt einstweiligen Rechtsschutz, der vom zuständi-
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Schumpeter, Capitalism, Socialism, and Democracy ( 1950 ), 245 ff. Whelan, Democratic Theory and the Boundary Problem 13 ( 22 ); Miller, Democracy’s Domain, 2009 Philosophy and Public Affairs, 37 ( 3 ), 201; dagegen aber Näsström, The Legitimacy of the People, 35 Political Theory 5 ( 2007 ), 624 ff.
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gen Verwaltungsgericht abgelehnt wird. Daraufhin soll sein Rückflug nach Kabul veranlasst werden. M ist in diesem Geschehen mehrfach von der Ausübung öffentlicher Gewalt betroffen: Die Verweigerung der Einreise, die Inhaftierung im Flughafen, die ablehnende Entscheidung des BAMF und die gerichtliche Entscheidung stellen allesamt Fälle der Ausübung öffentlicher Gewalt dar. Die Behörden handeln dabei auf Grundlage diverser Normen des deutschen Rechts: Art. 16 a GG verbürgt das Recht auf Asyl, daneben spielen insbesondere Normen des Aufenthaltsgesetzes und des Asylverfahrensgesetzes eine Rolle. So regelt beispielsweise § 18 a AsylVerfG das Flughafenverfahren, welches hier Anwendung findet. Der § 58 AufhG betrifft die Abschiebung, § 60 AufhG regelt Abschiebungsverbote. Diese Normen wurden von der deutschen Legislative, von Bundestag und Bundesrat, beschlossen. Sie sind gegenüber den deutschen Staatsbürgern, die diese Vertretungen wählen, demokratisch legitimiert. M gegenüber besteht keine demokratische Legitimation, da er als afghanischer Staatsangehöriger natürlich keine Möglichkeit besitzt auf die Entscheidungen der deutschen Legislative Einfluss zu nehmen. Die Verabschiedung von Gesetzen durch ein von den Staatsbürgern gewähltes Parlament ist selbstverständlich sinnvoll und entspricht demokratischen Grundsätzen. Ebenso wenig wie diese grundsätzliche Regelung soll hier der Inhalt der betreffenden Normen kritisiert werden. Dennoch zeigt der Beispielsfall die Problematik von öffentlicher Gewalt an Grenzen: Die Situation, dass M von den Normen und ihrer Anwendung betroffen ist aber keinerlei demokratische Mitbestimmungsrechte hat, spiegelt die Widersprüchlichkeit eines universellen demokratischen Prinzips und partikularer Grenzen.
III.
Die Forderung nach demokratischer Inklusion
Die Spannung zwischen einem universellen demokratischen Prinzip und partikularen Grenzen führt uns zu der Forderung nach demokratischer Inklusion. Während Grenzen als historisch kontingente Tatsachen nicht als demokratisch legitimiert gelten können, stellen sie zugleich eine Voraussetzung demokratischer Verfahren in den politischen
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Gemeinschaften dar. Die durch Grenzen konstituierten faktischen Demoi im Sinne positiver Staatsbürgerschaften sind fraglos wesentlicher Bestandteil von Demokratie. Daneben lassen sich aber auch normative Demoi beschreiben ( A ). Die Spannung zwischen diesen zwei Begriffen des Demos, dem faktischen und dem normativen, ermöglicht es, die Forderung nach demokratischer Inklusion zu formulieren ( B ).
A.
Die Bestimmung eines normativen Demos
Verschiedene Ansätze, die sich mit der demokratischen Legitimation internationalen Rechts befassen, knüpfen an die ausgeübte öffentliche Gewalt an.9 Dabei wählen verschiedene Ausprägungen die Betroffenheit 10 oder die Unterworfenheit 11 als relevantes Kriterium. All diese Ansätze können dahingehend zusammengefasst werden, dass sie einen normativen Demos bestimmen. Ein solcher Demos setzt sich aus all denjenigen Personen zusammen, die von einem Akt öffentlicher Gewalt betroffen 12 sind und denen gegenüber dieser somit legitimationsbedürftig ist. Ausschlaggebend für den normativen Demos sind daher nicht die faktischen Staatsgrenzen oder Staatsbürgerschaftsgrenzen, sondern je nach Fall die Grenzen der Betroffenheit durch eine Norm. Diese Grenzen der Betroffenheit sind natürlich zum einen uneindeutig und schwer zu bestimmen, und variieren zum anderen von Fall zu Fall. Dies wird denn auch gegen solche normativen Konzeptionen des Demos eingewandt.13 Der vereinzelte Anspruch solcher Ansätze die
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Allen voran von Bogdandy / Dann / Goldmann, Developing the Publicness of Public International Law: Towards a Legal Framework of Global Governance Activities, in von Bogdandy / Wolfrum / von Bernstorff / Dann / Goldmann, The Exercise of Public Authority by International Institutions (2010), 3 ff.; aber ähnlich auch Kingsbury / Krisch / Stewart, The Emergence of Global Administrative Law, 68 Law and Contemporary Problems (2005) 3 / 4, 15 ff. Young, Inclusion and Democracy ( 2000 ), 23. Abizadeh, Democratic Theory and Border Coercion – no right to unilaterally control your own borders, 36 Political Theory 1 ( 2008 ), 37 ff.; Fraser, Scales of Justice (2009), 65 f. Bzw dem Akt unterworfen; im Folgenden beziehe ich mich der Einfachheit halber nur auf die Betroffenheit ohne den Streit dadurch entscheiden zu wollen. Whelan, Prologue: Democratic Theory and the Boundary Problem, 16 ff.; Song, The boundary problem in democratic theory: why the demos should be bounded by the state, 4 International Theory 1 ( 2012 ), 54 ff.
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Grundproblematik von Demokratie und Grenzen aufzulösen 14 überzeugt daher nicht, da sie wiederum die Notwendigkeit von begrenzten politischen Gemeinschaften ignorieren. Dennoch ist ein solcher normativer Begriff des Demos von Bedeutung um die Forderung nach demokratischer Inklusion zu formulieren: Er stellt einen Orientierungswert auf, welche Personen idealerweise demokratisch einbezogen werden müssten, und gibt damit die Richtung vor, in die sich die demokratische Inklusion bewegt.
B.
Der normative Demos als Orientierungspunkt der demokratischen Inklusion
Theoretisch ist es vorstellbar, dass der normative und der faktische Demos zusammenfallen. Das wäre der Fall, wenn von allen Akten öffentlicher Gewalt nur die jeweiligen Bürger betroffen sind, die auch an der demokratischen Legitimierung der Normen mitgewirkt haben. Diesem Ideal der Selbstgesetzgebung 15 bzw der Identität von Adressaten und Urhebern des Rechts kann sich die politische Realität immer nur annähern. In der Praxis fallen der faktische und der normative Demos regelmäßig auseinander, die dadurch entstehende Spannung führt zu der Forderung nach demokratischer Inklusion. Diese baut einerseits auf bestehenden politischen Gemeinschaften und Grenzen auf, innerhalb derer demokratisch entschieden wird. Zugleich erfordert sie darüber hinaus die möglichst weitgehende Einbeziehung von Interessen und das Gewähren eines schwachen Mitspracherechts all denjenigen Personen, die zwar dem relevanten normativen Demos, nicht aber dem entscheidungsberechtigten faktischen Demos angehören.16 Zur Ausgestaltung einer solchen demokratischen Inklusion finden sich verschiedene Vorschläge. So spricht Francis Cheneval von einem doppelten Demos im Sinne eines entscheidenden und eines deliberierenden Demos.17 Während der Demos, welcher sich aus Staatsbürgern 14 15 16 17
So zB Arrhenius, The Boundary Problem in Democratic Theory, 14 ff. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, AA IV, 431; vgl. dazu auch Habermas, Faktizität und Geltung ( 1992 ), 135. Abizadeh, On the Demos and Its Kin: Nationalism, Democracy, and the Boundary Problem, 106 American Political Science Review 4 ( 2012 ), 14. Cheneval, The People in Deliberative Democracy, in Besson / Martí, Deliberative Democracy and its Discontents ( 2006 ), 159 ff.
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zusammensetzt und damit dem zuvor bezeichneten faktischen Begriff des Demos entspricht, zu demokratischen Entscheidungen durch Wahlen und Abstimmungen befugt ist, kann über den deliberierenden Demos eine weiterreichenden Inklusion von Interessen und Gründen erfolgen. Deliberation ist dabei zu verstehen als der öffentliche Austausch von Meinungen und Argumenten, welcher jenseits formalisierter Verfahren die Berücksichtigung von Interessen erlaubt und die Rationalität von Entscheidungen verbessert.18 Die andauernde Spannung zwischen normativem und faktischem Demos kann auch als Kreislauf der Selbstkonstituierung 19 beschrieben werden. Die Unmöglichkeit eine anfängliche Abgrenzung von Gemeinschaften demokratisch zu legitimieren wird abgeschwächt, wenn Grenzen immer wieder neu hinterfragt werden.20 Bereits bestehende Übereinkünfte werden so erneuert und aktualisiert.21 In einem dynamischen Prinzip der demokratischen Inklusion sind daher sowohl die Notwendigkeit von Grenzen als auch die Unmöglichkeit ihrer demokratischen Legitimation aufgehoben. Auch wenn die demokratische Einbeziehung der durch die Grenzen Ausgeschlossenen eine schwierige Aufgabe bleibt, führt die generelle Durchlässigkeit von Grenzen und ihre Hinterfragung mit Blick auf die demokratische Inklusion zu einer verbesserten Legitimation der entsprechenden Regeln.
IV.
Chancen für die demokratische Inklusion im internationalen Recht
Während bislang die Probleme, welche Grenzen für die Demokratie mit sich bringen, beleuchtet und ein möglicher Umgang damit auf dem Wege der Deliberation und der Iteration vorgeschlagen wurde, soll nun in den Blick genommen werden, welche Rolle das internati-
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Vgl. Benhabib, Toward a Deliberative Model of Democratic Legitimacy, in Benhabib, Democracy and Difference ( 1996 ), 71; Besson / Martí, Introduction, in Besson / Martí, Deliberative Democracy and its Discontents ( 2006 ), xvi. Habermas, Constitutional Democracy: A Paradoxical Union of Contradictory Principles ?, 2001 Political Theory, 29 ( 6 ), 774. Vgl hierfür den Ausdruck, dass » Diskurse auf Dauer gestellt « werden müssen, Habermas, Faktizität und Geltung, 56. In diesem Sinne » democratic iterations «, Benhabib, The Rights of Others, 179.
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onale Recht in diesem Zusammenhang spielt. Meine These ist dabei, dass das internationale Recht in zweifacher Weise Chancen für die demokratische Inklusion bereithält: Die Zustimmung mehrerer Staaten schafft zunächst eine breite repräsentative Basis für die so entstehenden Normen ( A ). Zudem sind deliberative Mechanismen auf internationaler Ebene besonders geeignet die Inklusion zu verbessern ( B ). Der Einfluss des internationalen Rechts kann so beispielsweise im Flüchtlingsrecht zur demokratischen Legitimation beitragen ( C).
A.
Demokratische Inklusion im Wege der Repräsentation
Ein wichtiger Bestandteil der Legitimation internationalen Rechts ist die Zustimmung der beteiligten Staaten. Wenn die Staatenvertreter direkt tätig werden, wie im Fall von internationalen Abkommen, oder wenn die Organe internationaler Organisationen auf der Grundlage eines von Staaten beschlossenen Statuts handeln, bildet jeweils die Zustimmung der Repräsentanten der Staaten eine wesentliche Legitimationsquelle. Doch inwiefern ist diese Legitimation auch eine demokratische ? Wenn die handelnden Staatenvertreter als Repräsentanten einer demokratisch gewählten Regierung tätig werden und das Parlament der Ratifikation eines internationalen Abkommens zugestimmt hat, bildet dies eine notwendige, wenn auch nicht hinreichende Bedingung demokratischer Legitimation. Die demokratische Legitimation internationalen Rechts ist daher regelmäßig auf zusätzliche Elemente angewiesen und bleibt eine schwierige Herausforderung. Allgemein ist aber festzuhalten, dass das internationale Recht im Idealfall durch die Vielzahl beteiligter Staaten auch eine größere Menge repräsentierten Bürger einschließt. Letztlich hängt die demokratische Legitimation selbstverständlich wesentlich von den Ausgestaltungen der Verfahren in den internationalen Organisationen und in den einzelnen Staaten ab. Gerade im Zusammenhang mit Grenzregimen können internationale Regeln die Problematik der fehlenden demokratischen Legitimierbarkeit von Grenzen abschwächen. Da partikulare Grenzen gerade den Ausgangspunkt der Problematik bilden, kann solches Recht, das über Grenzen hinweg gemeinsame Regelungen trifft, eine gewisse Abhilfe schaffen. Das Zusammenspiel von nationalem und internationalem Recht ermöglicht gegebenenfalls so einen Ausgleich zwischen
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dem Erfordernis abgegrenzter politischer Gemeinschaften und dem Ziel demokratischer Inklusion.
B.
Demokratische Inklusion im Wege der Deliberation
Darüber hinaus können andere Mechanismen neben der Repräsentation zur demokratischen Legitimation von Recht beitragen.22 Das Konzept deliberativer Demokratie, welches zunächst im staatlichen Kontext entwickelt wurde, hält neben formellen Repräsentationsmechanismen wie der Wahl von Vertretern zusätzliche Merkmale für notwendig, damit ein Verfahren als demokratisch gelten kann. Mit einem solchen öffentlichen Austausch von Interessen und Gründen erfordert die deliberative Demokratie einerseits mehr als andere Modelle, die sich mit dem repräsentativen System zufrieden geben. Zugleich zeigt das deliberative Konzept aber auch Wege auf, wie eine ansonsten schwache repräsentative Legitimation gestärkt werden kann. Aus diesem Grund eignet sich das Modell besonders für Legitimationsfragen im internationalen Recht: Dort besteht durch die Entscheidungen von Staatenvertretern oder von den von ihnen ermächtigten Organen internationaler Organisationen regelmäßig ein sehr indirekter und daher schwacher Legitimationsstrang. Im Wege der Deliberation können Nichtregierungsorganisationen und sonstige Akteure der Zivilgesellschaft wichtige Interessenvertretung neben den formellen Repräsentationssträngen leisten.23 So entstehen Foren, in denen verschiedene Gründe gehört und abgewogen werden. Diese Deliberationen stärken die demokratische Legitimation und gerade auch den Aspekt der Inklusion.
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Über die Bedeutung zusätzlicher Legitimationsmechanismen im internationalen Recht von Bogdandy, The European Lesson for International Democracy, 23 EJIL 2 ( 2012 ), 315 ff. ( 329 ff.). von Bernsdorff, Zivilgesellschaftliche Partizipation in Internationalen Organisationen: Form globaler Demokratie oder Baustein westlicher Expertenherrschaft ?, in Brunkhorst, Demokratie in der Weltgesellschaft ( 2009 ), 277 ff.; Nanz / Steffek, Global Governance, Participation and the Public Sphere, Government and Opposition 2004, 314 ff.; Kissling / Steffek, CSOs and the Democratization of International Governance: Prospects and Problems, in Steffek / Kissling / Nanz, Civil Society Participation in European and Global Governance ( 2008 ), 208 ff.
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C.
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Ansätze der Inklusion im internationalen Flüchtlingsrecht
In dem genannten Beispiel des M, welcher am Frankfurter Flughafen Asyl beantragt, wird das internationale Recht und damit auch die demokratische Inklusion durch dasselbe in verschiedenen Punkten relevant. Zuvorderst verpflichten die Genfer Flüchtlingskonvention und das Protokoll von 1967 die Vertragsstaaten Flüchtlingen gewisse Mindestrechte zu gewähren. Zentral ist dabei das Refoulement-Verbot, welches schon gewohnheitsrechtlich für alle Staaten gilt.24 Aus diesem werden nicht nur materielle, sondern auch verschiedene prozedurale Garantien abgeleitet.25 Eine weitere wichtige Quelle von internationalen Normen ist der UN Hochkommissar für Flüchtlinge ( im Folgenden: UNHCR ). Als Organ der Vereinten Nationen wird er im Bereich des Flüchtlingsrechts tätig und trägt gerade durch unverbindliche Regeln zur Weiterentwicklung des Rechts bei.26 Daneben ist als regionales Völkerrecht die Europäische Menschenrechtskonvention ( im Folgenden: EMRK ) von großer Relevanz. Sie schützt insbesondere über Art. 3 EMRK vor Ausweisung in ein Land, in dem der betroffenen Person eine unmenschliche Behandlung droht. Eine entsprechende Schutzgarantie bietet auch Art. 3 der Antifolterkonvention, über deren Einhaltung der UN-Ausschuss gegen Folter wacht. Inwiefern tragen diese internationalen Normen möglicherweise zur Inklusion von Betroffenen bei ? Das internationale Flüchtlingsrecht verfügt zunächst über eine breite legitimatorische Basis im Wege der Repräsentation: Die Genfer Flüchtlingskonvention und das Protokoll von 1967 sind von 148 Staaten ratifiziert worden,27 der UNHCR untersteht als Spezialorgan der Vereinten Nationen deren Generalver-
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Declaration of State Parties to the 1951 Convention and / or its 1967 Protocol relating to the Status of Refugees, UN Doc. HCR / MMSP / 2001 / 09 ( 2001 ), para. 4; UNHCR, Note on International Protection of 13 September 2001, A / AC.96 / 951, para 16; anderer Ansicht jedoch Hathaway, The Rights of Refugees under International Law ( 2005 ), 364. Sondervotum des Richters Pinto de Albuquerque, EGMR 23. 3. 2012, Hirsi et al. v Italien, No. 27765 / 09, 75. So etwa das » Handbook on Procedures and Criteria for Determining Refugee Status « sowie die » Guidelines on International Protection «. Die Genfer Flüchtlingskonvention wurde von 145 Staaten, das Protokoll von 146 Staaten ratifiziert. Insgesamt haben 148 Staaten beide oder eines der beiden Instrumente ratifiziert, Stand 1. 4. 2013.
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sammlung und ist so in seiner Arbeit den 193 Mitgliedstaaten Rechenschaft schuldig. Die EMRK stützt sich auf die Ratifikation durch die 47 Mitgliedsstaaten des Europarats. Diese breite Beteiligung von Staaten trägt jedoch nur unwesentlich zur demokratischen Inklusion der von Grenzregimen betroffenen Individuen bei: Zu dem Problem der nur schwach vermittelten, indirekten Legitimation tritt gerade im Fall von Flüchtlingen hinzu, dass ihre Verbindung zum Heimatstaat und damit zur möglichen demokratischen Teilhabe in diesem gestört ist. Die breite Basis beteiligter Staaten enthält damit zwar theoretische Möglichkeiten die demokratische Inklusion zu verbessern. Besonders im Flüchtlingsrecht haben diese aber keine nennenswerten Konsequenzen für die tatsächliche Inklusion. Die Deliberation erscheint hinsichtlich inklusiver Momente aussichtsreicher: Deliberative Elemente finden sich sowohl in der Arbeit des UNHCR als auch im Rahmen des Europarats. Im UNHCR sehen beispielsweise die Regeln des Executive Committees Konsultationen von Nichtregierungsorganisationen vor,28 bei der Durchführung seiner Arbeit bestehen dauerhafte Kooperationen zwischen dem UNHCR und diversen NGOs.29 Der Europarat bezieht Vertreter der Zivilgesellschaft insbesondere durch die » Conference of INGOs «, die Konferenz internationaler Nichtregierungsorganisationen, ein. Im Rahmen dieser finden zweimal jährlich Treffen statt, zusätzlich existiert ein ständiger Ausschuss. Diese Einbindung von NGOs im System des UNHCR und der EMRK kann eine deliberative Vertretung von Flüchtlingen und ihren Interessen ermöglichen, insofern die betreffenden Organisationen in diesem Sinne konstituiert sind. In Folge dessen wirft die interne Struktur von NGOs natürlich neue Fragen nach Legitimität und Verantwortlichkeit auf. Festzuhalten ist in jedem Fall, dass ihre Arbeit Lücken füllen kann, welche durch mangelhafte Repräsentation sozialer Gruppen entstehen. Derartige deliberative Vertretung ist natürlich auch im staatlichen Recht denkbar. Die Möglichkeit einem internationalen Forum beizuwohnen und länderübergreifend zu agieren, prägt aber die Arbeit vieler Interessenvertreter, so dass eine Kooperation mit internationalen Institutionen naheliegt. Auch eignen sich per se transnationale Themen wie das Flüchtlingsrecht besonders zur Einbe28 29
UNHCR Executive Committee Rules of Procedure, Rules 39 - 41. Zusammengefasst durch das 1994 begründete Programm PARinAC ( Partnership in Action ).
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ziehung von zivilgesellschaftlichen Vertretern. Diese können durch ihren Kontakt mit den Betroffenen und ihre spezifisch regionalen Kenntnisse wichtige Entscheidungsaspekte einbringen.30 Ansätze der direkten Einbeziehung bietet auch der Zugang zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ( EGMR ).31 Der Schutz der EMRK greift, wann immer eine Person von der Hoheitsgewalt eines der Mitgliedsstaaten betroffen ist. Aus diesem Grund wird das Regime der EMRK gar als kosmopolitisches Regime bezeichnet.32 Zunächst darf zwar die Möglichkeit vor dem EGMR Beschwerde einzureichen und sich auf den Schutz der EMRK zu berufen, nicht mit einer demokratischen Teilhabe an dem Regime verwechselt werden. Allerdings differenziert der EGMR die durch die EMRK gewährten Rechte aus, so dass ein Zugang zum Beschwerdeverfahren die Beteiligung in einem Prozess der Rechtsfortentwicklung bedeuten kann.33 Vergleichbar, wenn auch in der Praxis seltener, ist die Mitteilung einer Einzelperson an den UN-Ausschuss gegen Folter.34 Die Grundlage einer solchen Mitteilung ist ebenfalls die Betroffenheit von der Hoheitsgewalt des entsprechenden Staates. Im zuvor beschriebenen Fall des M verpflichtet das Prinzip des NonRefoulement die deutschen Behörden sicherzustellen, dass M nicht nach Afghanistan zurückgeschickt wird, wenn er dort aus politischen oder anderen diskriminierenden Gründen verfolgt wird. Es führt daneben aber auch dazu, dass selbst im verkürzten Flughafenverfahren gewisse Mindestfristen gewahrt werden müssen. Auch die Garantie des Art. 3 EMRK verbietet eine Ausweisung des M in ein Land, in dem ihm
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Positiv über die Rolle von Nichtregierungsorganisationen im Bereich des Flüchtlingsrechts e.g. Lester, A Place at the Table: The Role of NGOs in Refugee Protection, 24 Refugee Survey Quarterly 2 ( 2005 ), 125 ff. Zur Rolle des EGMR ( und des EuGH ) als Schutzorganen von Flüchtlingen, siehe den Beitrag von Gragl, in diesem Band, 107. Stone Sweet, A Cosmopolitan Legal Order: Constitutional Pluralism and Rights Adjudication in Europe, 1 Global Constitutionalism 1 ( 2012 ), 53 ff. Zur demokratischen Legitimation von internationalen Gerichten und durch internationale Rechtsprechung von Bogdandy / Venzke, In Whose Name ? An Investigation of International Courts’ Public Authority and Its Democratic Justification, 13 EJIL 1 ( 2012 ), 7 ff. Diese ist möglich, wenn der Staat, gegen den sich die Beschwerde richtet, nach Art. 22 Abs. 1 der Antifolterkonvention die Zuständigkeit des Ausschusses gegen Folter in diesen Fällen anerkannt hat. Vgl. für einen Fall aus jüngerer Zeit die Mitteilung von N. T. W. betreffend einer Ausweisung aus der Schweiz nach Äthiopien, CAT / C/48 / D/414 / 2010.
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eine unmenschliche Behandlung droht. Daneben folgen auch aus der EMRK Verfahrensgarantien.35 Das internationale Recht bestimmt also einen gewissen Rahmen, innerhalb dessen die nationalen Behörden entscheiden müssen. Auch wenn die Ansätze für eine bessere demokratische Inklusion im internationalen Recht ein bisher nicht ausgeschöpftes Potential darstellen, bietet das Zusammenwirken der verschiedenen Rechtsregime unverzichtbare Chancen.
V.
Fazit: Ein optimistischer Blick auf die Internationalisierung des Rechts
Die Widersprüchlichkeit eines universellen demokratischen Prinzips und partikularer Grenzen lässt sich nicht auflösen, kann aber den Blick auf die Chancen des internationalen Rechts in diesem Zusammenhang lenken. Während kleinere politische Einheiten die direktere demokratische Einbindung erlauben, kann das internationale Recht gerade dort Beiträge zur Inklusion leisten, wo das nationale Recht buchstäblich an seine Grenzen stößt. Unzureichend wurde bislang erwähnt, wie die Europäische Union in diesem Zusammenhang einzuordnen ist. Mit einem klar begrenzten Territorium und einer personellen Zugehörigkeit ähnelt die EU hinsichtlich der Grenzen einem Staat.36 Andererseits bedeutet das Unionsrecht aber auch eine gegenüber dem staatlichen Recht weiterreichende demokratische Inklusion: Wenn ein französischer Staatsangehöriger durch spanische öffentliche Gewalt betroffenen ist, so ist diese ihm gegenüber zwar nicht unmittelbar demokratisch legitimiert. Insofern sie auf Vorgaben des Unionsrechts beruht, besteht aber für diese Rahmenregelungen eine gewisse demokratische Legitimation gegenüber jedem Unionsbürger. Auch wenn das Unionsrecht nach außen gegenüber Drittstaatsangehörigen die Probleme des nationalen Rechts behält, so hat es doch nach innen gegenüber den Unionsbürgern ein System der gegenüber staatlichem Recht erweiterten Inklusion geschaffen.
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E.g. EGMR 2. 2. 2012, I.M. v Frankreich, Nr. 9152 / 09; EGMR 5. 2. 2002, Conka v Belgien, Nr. 51564 / 99; EGMR 17. 1. 2012, Takush v Griechenland, Nr. 2853 / 09. Wie Salomon zeigt, verhält sich die EU hinsichtlich ihrer Außengrenzen teils militaristisch ( siehe Salomon, in diesem Band, 93 ).
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Den Diskussionen darüber, was die Globalisierung für die Demokratie bedeutet, kann die Forderung nach demokratischer Inklusion an Grenzen eine weitere Perspektive hinzufügen: Auch wenn die durch die Internationalisierung des Rechts entstehenden Schwierigkeiten Gegenstand wichtiger Analysen bleiben,37 dürfen die ebenfalls entstehenden Chancen nicht übersehen werden. Der Antagonismus von notwendigen Grenzen und der Forderung nach demokratischer Inklusion kann so im Sinne einer Dialektik zur Weiterentwicklung des demokratischen Prinzips führen. Dabei darf sich die Forderung nach demokratischer Inklusion, wie sie hier aufgestellt wurde, selbstverständlich nicht auf eine formelle Inklusion beschränken, sondern muss sich auch mit den Möglichkeiten der tatsächlichen Realisierung auseinandersetzen. Die Bedingungen einer solchen zu erörtern, übersteigt bei weitem den Rahmen dieses Beitrags. Das Fazit beschränkt sich daher darauf, für die Einbeziehung dieser zusätzlichen Perspektive in den Diskussionen um Demokratie auf der globalen Ebene zu plädieren: Entgegen der Annahme, die Internationalisierung des Rechts bedeute in jedem Fall eine Schwächung oder Bedrohung der Demokratie, kann sie in manchen Bereichen sogar zu einer besseren demokratischen Legitimation beitragen.
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Als einige wichtige Beiträge lassen sich nennen von Bogdandy, Demokratie, Globalisierung, Zukunft des Völkerrechts – eine Bestandsaufnahme, ZaöRV 63 ( 2003 ), 853 ff.; Dahl, Can international organizations be democratic ?, in Shapiro / HackerCordón, Democracy’s Edges ( 1999 ), 19 ff.; Wheatley, A Democratic Rule of International Law, 22 EJIL 2 ( 2011 ), 525 ff.
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