Bollig, S. & Kelle, H. (2014): Kinder als Akteure oder als Partizipanden von Praktiken? Zu den Herausforderungen für eine akteurszentrierte Kindheitssoziologie durch Praxistheorien.
Zeitschrift für Soziologie der Erziehung und Sozialisation, 34. Jg. 2014, H. 3, 265-283
Sabine Bollig und Helga Kelle
Kinder als Akteure oder als Partizipanden von Praktiken? Zu den Herausforderungen für eine akteurszentrierte Kindheitssoziologie durch Praxistheorien Children as Actors or as Participants of Practices? The challenges of practice theories to an actor-centered sociology of childhood In dem Beitrag wird die Frage bearbeitet, ob und wie die Theorieangebote von neueren Praxistheorien weiterführende theoretische und analytische Perspektiven für die interdisziplinäre sozialwissenschaftliche Kindheitsforschung eröffnen. Einleitend wird zunächst der theoretische Bezug auf das agency Konzept in der Kindheitsforschung aufgearbeitet, bei dem bislang die Handlungsbefähigung von Akteuren vor allem orientiert an klassischen Handlungstheorien sowie an der konzeptuellen Unterscheidung von structure und agency konzipiert wird. Im Hauptteil wird in drei Schritten entfaltet, wie im Unterschied dazu neuere Praxistheorien das Verhältnis von Sozialität, agency und Akteuren konzipieren: 1. wird die Körpergebundenheit und material-mentale Struktur von Praktiken reflektiert; 2. wird Materialität auch in Bezug auf die Rolle von Artefakten für die Strukturierung und Reproduktion von Praktiken diskutiert und 3. wird der praxistheoretische Perspektivwechsel weg von intentional handelnden (menschlichen) Akteuren hin zu (multiplen) Partizipanden und zu agency als Effekt von Praktiken pointiert. Im Schlussteil werden die Herausforderungen, die sich aus den praxistheoretischen Reflexionen für die Kindheitstheorie und forschung ergeben, entfaltet: Indem agency nicht nur als inkorporierte (und lebensgeschichtlich zu inkorporierende) Eigenschaft von Kindern als Personen, sondern auch als Effekt von Praktiken konzipiert wird, wird sie auch situativ variabler, kontextsensibler, insgesamt vielschichtiger gedacht, als es in der Kindheitsforschung bisher üblich ist. Damit eröffnen Praxistheorien insbesondere differenziertere heuristische Perspektiven für die Kindheitsforschung; sie werden jedoch selbst auch in ihrer Erwachsenenzentriertheit durch die Forschungsthemen der Kindheitsforschung herausgefordert. Schlüsselwörter: Praxistheorien, agency, Kinder als Akteure, Handlungsbefähigung von Kindern, Sozialität
The article deals with the question how new practice theories could provide the Social Studies of Childhood with more advanced theoretical and analytical perspectives. In the first section, the theoretical references on the agency concept in Childhood Studies are taken under revision. These have conceptualized agency up to now mainly oriented towards classical theories of action and the dualism of structure and agency. In contrast to this classical conception, the relation between sociality, agency and actors as conceived in practice theories is presented in the main section in three consecutive steps: 1. The corporeality and material-mental structure of practices is reflected; 2. the role of artefacts in the structuration and reproduction of practices is discussed; 3. the practice-theoretical change of perspective from intentionally acting human actors to multiple participants of practice and to agency as an effect of practices is pointed out. In the concluding part, the challenges of these practice theoretical reflections to Childhood Studies are elaborated: Insofar as agency is not only conceptualized as an incorporated (and to be biographically incorporated) characteristic of children as persons but also as an effect of practices, it is more understood as depending on situations and more variable, context sensitive and complex as in the Childhood Studies so far. Practice theories thereby open up differentiated heuristic perspectives for Childhood Studies. In return, Childhood Studies also challenge practice theory in its adult-centrism. Keywords: Practice theories, children as actors, agency of children, sociality
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