\"Über die Freuden kollektiver Filmerfahrung bei Filmfestivals\" (2015)

June 14, 2017 | Author: Skadi Loist | Category: Audience and Reception Studies, Film Festival Studies, Film Festivals
Report this link


Description

Skadi Loist

ÜBER DIE FREUDEN KOLLEKTIVER

FILMERFAHRUNG BEI FILMFESTIVALS

Filmfestivals sind Begegnungsorte, D iskursmaschinen, performative Formationen, Großevents, Marktplätze und cinephile Zauberwelten. Sie lassen sich vielfältig als Netzwerke, Diskursfelder, Distributionskanäle theoretisieren. ' 3 Trotz aller technischer Innovationen, digitaler Kanäle und flows, die im medialen Wandel zunehmend auch Festivals bestimmen und immer wieder Fragen nach ihrer Notwendigkeit aufkommen lassen, zeigt sich ein grundsätzlicher Faktor, der Festivals als Begegnungsort und für Filmerleben einzigartig macht: die körperliche Präsenz der Akteure. Erst durch das physische Zusammentreffen der Filme, Filmschaffenden, Verleiher, Kritiker_innen, Stars und Zuschauer_innen an einem bes„timmten Ort in einer begrenzten Zeit entsteht die Atmosphäre, die den Zauber und Sog der Festivals ausmacht. Während der Tod des (Programm)Kinos beschworen wird, ist eine stetige Proliferation von Filmfestivals zu verzeichnen. Der (anspruchsvolle) Film hat es immer schwerer auf die große Leinwand zu kommen, die Zahl der Zuschauer_innen bei Filmfestivals aber steigt stetig an. Wie ist das zu erklären? Warum gehen Leute gern zu Festivals, wenn sie die Filme im ubiquitären digitalen Zeitalter des legalen streaming und der Piraterie auch woanders sehen könnten? Anhand einiger Festivalbeobachtungen möchte ich dem speziellen Rezeptions- und Erfahrungskontext bei Filmfestivals nachgehen. Dabei werde ich unter anderem das Gemeinschaftsgefühl beim collective viewing und das Festival als gemeinsamen_Erfahrungs- und Wahrnehmungsraum in den Blick nehmen.

13 Vgl. Marijke de Valck, Skadi Loist: Film Festival Studies. An Overview of a Burgeoning Field. In: Dina Iordanova und Ragan Rhyne (Hg.): Film Festival Yearbook I. The Festival Circuit. St. Andrews 2009, S. 179-215.

206

Gunter Deller

Über die Freuden kollektiver Filmerfahrung

207

Filmfestivals als Live Events

Was ist das Spezielle am Filmfestival, wie unterscheidet es sich vom regulären Kinobetrieb ? Von der Vorführung herbetrachtet ist es nur eine Spezialform des Arthouse- oder Premierenkinos. Gute Programmkinos spielen ebenfalls Filme in Anwesenheit von Regisseur_innen oder Protagonist_innen und zeigen Premieren. D ie Aufmerksamkeit ist sicher nicht so groß wie auf dem roten Teppich der A-Festivals, dennoch besteht ein entscheidender Unterschied zum Abspiel im Multiplex. Kulturpessimist_innen kritisieren diese Eventisierung des Kinos, den Versuch der spektakelhaften Aufwertung der Filmvorführung durch Stars, buzz und glamour. Beim Festival sind solche Eventmechanismen entscheidend. D er rote Teppich, die Stars und der Premierenrummel sowie die einkalkulierten Skandale' 4 um Filme und Regisseur_innen gehören grundlegend zum Image eines (großen) Filmfestivals . Sie sind der Garant fü r mediale Aufmerksamkeit und - schaut man ins Kleingedruckte der Sponsorenverträge - auch die Währung für die Finanzierung des Festivals. D ie Aufmerksamkeitsökonomie ist klar mit der Finanzökonomie verknüpft. D er H ype und die Aufmerksamkeit werden durch Verknappung und Selektion geschürt: Es ist die Welt-/ internationale/ Europa-Premiere des Films, es gibt nur eine bestimmte Anzahl von Vorführungen und eine begrenzte Zahl von Tickets. D ies sind freilich Szenarien der großen A-Festivals in Cannes, Berlin und Venedig. Die unzähligen kleineren, nationalen, regionalen oder thematisch ausgerichteten Festivals, die die überwältigende Mehrheit der über 6.ooo Filmfestivals im weltweiten Circuit ausmachen, funktionieren hier anders. Je kleiner das Festival, 14 Vgl.Marijke de Valck: Film Festivals. FromEuropean Geopolitics to Global Cinephilia. Amsterdam 2007, S. II4ff.

208

Skadi Loist

umso weniger geht es um die Premieren, die Stars und den Glamour; es geht eher um die Filmvermittlung, den Kontakt zwischen Film und Publikum.'5 N eben Star-Power und Event kommen noch weitere Komponenten hinzu , die eine spezielle Atmosphäre entstehen lassen, die sich so nur beim Festival findet. D er vielleicht entscheidendste Faktor in der Performance des Festivalevents' 6 , ist das Zusammentreffen von Zuschauer_ innen an einem O rt zu einer bestimmten Zeit und das Bilden einer G emeinschaft.

Wie entsteht das Gemeinschaftsgefühl?

D iese temporäre G emeinschaft kann ganz verschiedene Ebenen von Festivalbesucher_innen einschließen und zusammenbringen: Fachbesucher_innen (Filmschaffende, Protag~mist_in­ nen, Produzent_innen , Verleiher), Kritiker_innen , Cineasten, film nerds, Filmliebhaber_innen und Eventpublikum. D ie Gemeinschaften können je nach Festivalprofil sehr unterschiedliche Ausprägungen haben. Bei den A-Festivals geht es viel um das >G eschäftpeople business


Comments

Copyright © 2024 UPDOCS Inc.