Begegnungen im Vorraum der Macht: Carl Schmitt und Niklas Luhmann, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie (DZPhil), hg. v. Christoph Demmerling, Andrea Esser, Axel Honneth u. Hans-Peter Krüger, 59. Jahrgang, Heft 3 (2011), S. 359-368.

June 8, 2017 | Author: Leander Scholz | Category: Philosophy
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DZPhil, Akademie Verlag, 59 (2011) 3, 001–010

Begegnungen im Vorraum der Macht Carl Schmitt und Niklas Luhmann

Von Leander Scholz (Weimar) Die Frage, mit der Carl Schmitts fiktives Gespräch über die Macht beginnt, führt in das Zentrum einer Problematik, die jede Theorie über die Macht heimsucht und die seitens der Theorie niemals vollständig berücksichtigt werden kann. Denn jede Theorie über die Macht, ja sogar jede Aussage über die Macht, könnte selbst einen Anteil an der Ausübung von Macht haben, sodass ihr eigenes Tun auf der Seite des Gegenstandes, über den sie sich zu sprechen vorgenommen hat, eigentlich selbst noch einmal vorkommen müsste. „Bevor Sie hier über die Macht sprechen“, heißt es dementsprechend in dem 1954 im Hessischen Rundfunk unter dem Titel Prinzipien der Macht gesendeten Gespräch, „muß ich Sie etwas fragen.“ Noch bevor die Prinzipien der Macht geklärt werden können, muss zunächst einmal festgestellt werden, inwieweit derjenige, der hier Auskunft gibt über diese Prinzipien, selbst in das Gefüge der Macht verstrickt ist. Die erste Frage, die der wissbegierige Fragesteller, klassifiziert als „junger Jahrgang“, an seinen in Machtfragen offensichtlich erfahrenen Gesprächspartner richtet und auf die nach ihrer Beantwortung im Fortgang des Gesprächs nicht wieder zurückgekommen wird, lautet daher: „Haben Sie selber Macht oder haben Sie keine?“ Das Gespräch wird also nicht mit einer theoretischen Eingrenzung des Gegenstandes eröffnet, um sich über einen Rahmen möglicher Fragen und Antworten zu verständigen, sondern mit der Frage nach der Machtposition des Auskunftsgebenden selbst. Weil jede Theorie und jede Aussage über die Macht in einen praktischen Kontext der Machtausübung eingebettet ist, soll die Glaubwürdigkeit des Gesprächs dadurch erhöht werden, dass der Zuhörer erfährt, wer hier überhaupt spricht und vor allem von wo aus im Gefüge der Macht über diese Macht gesprochen wird. Damit wird nicht nur die Autorschaft der folgenden programmatischen Einsichten über die Macht thematisch, sondern darüber hinaus werden auch die Bedingungen des Diskurses im Sinne Michel Foucaults angesprochen, unter denen diese Autorschaft allererst als solche in Erscheinung treten kann. Was sich aus diesem Grund zunächst wie eine kritische Eröffnung des Gesprächs über die Macht anhören mag, wenn der Theoretiker der Macht seine eigene Stellung im Gefüge der Macht benennen soll, wird allerdings sofort wieder zugedeckt, wenn der reale Carl 

C. Schmitt, Gespräch über die Macht und den Zugang zum Machthaber, Stuttgart 2008, 7. Vgl. dazu M. Foucault, Was ist ein Autor?, übers. v. H. Kocyba, in: ders., Schriften zur Literatur, Frankfurt/M. 2003, 234–270.





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Schmitt den fiktiven Carl Schmitt auf die Frage des „jüngeren Jahrgangs“ kategorisch antworten lässt: „Ich habe keine Macht. Ich gehöre zu den Machtlosen.“ Denn die Selbstzuschreibung, dass der Auskunftsgebende zu den „Machtlosen“ gehört, soll nahe legen, dass dieser nicht oder im Falle des realen Carl Schmitt nicht mehr in das Gefüge der Macht verstrickt ist und daher etwas beschreiben kann, was er als Inhaber einer Machtposition nicht hätte beschreiben können oder vielleicht sogar nicht hätte dürfen. Was sich in der Biographie des Theoretikers der Macht als Erfahrung eines Machtverlusts ereignet hat, wird somit nun zur theoretischen Prämisse eines glaubwürdigen Beobachterstatus, der von jedem praktischen Kontext gereinigt erscheint. Im Folgenden soll im Sinne eines solchen Wechsels von einer Machtposition in den Status eines Beobachters die Frage aufgeworfen werden, welche Konsequenzen für eine Theorie der Machtausübung zu ziehen sind, wenn der Status des Beobachters auf systematische Weise in die Theorie der Machtausübung einbezogen wird. Dazu soll diese Problematik zunächst anhand von Carl Schmitts Diagnose einer Zerstreuung des Politischen entfaltet werden, um anschließend die systemtheoretische Machtperspektive von Niklas Luhmann als eine Antwort auf diese Problematik verstehen zu können.

I. Die Position der Ohnmacht Eigentlich sollte es sich bei dem Rundfunkgespräch über die Macht und den Zugang zum Machthaber keineswegs um ein fiktives Gespräch handeln. Als Gesprächspartner wurde zunächst der Politologe Raymond Aron angefragt, dann der Soziologe Helmut Schelsky und schließlich der Philosoph Arnold Gehlen. Weil jedoch keine dieser Anfragen zum Erfolg führte, verfasste Schmitt einen fiktiven Dialog, in dem er sich von einem Gesprächspartner befragen ließ, dem als „junger Jahrgang“ offensichtlich die Aufgabe zukommt, eine Gegenwart zu repräsentieren, die dem ehemaligen Staatsrechtler mehr als skeptisch gegenübersteht. In der Wahl dieser Dialogform und dieses Dialogpartners kann man vielleicht den Versuch sehen, eine Situation der Befragung und auch der Rechtfertigung herzustellen, die im Unterschied zu derjenigen, der Schmitt 1947 in Nürnberg ausgesetzt war, nun unter von ihm selbst kontrollierten Bedingungen stattfindet. Dafür spricht, dass Schmitt das Rundfunkgespräch zumindest auf thematischer Ebene selbst als eine Fortführung seiner Gedanken aus Nürnberg begriffen hat. Um eine Fortführung, allerdings auf anderer Ebene, handelt es sich dabei auch insofern, als Schmitt bei den Befragungen in Nürnberg als potenzieller Angeklagter bereits versucht hatte, sich selbst als „Machtloser“ und darüber hinaus als Opfer des NS-Regimes zu stilisieren. Dieser verzerrten Selbstwahrnehmung mag das Interesse entgegengekommen 

C. Schmitt, Gespräch über die Macht, a. a. O., 7. Vgl. dazu das Nachwort von G. Giesler, in: ebd., 67–95, hier: 74.  Vgl. dazu F. Kröll, Das Verhör. Carl Schmitt in Nürnberg 1947, Nürnberg 1995; vgl. auch C. Schmitt, Antworten in Nürnberg, hg. v. H. Quaritsch, Berlin 2000; zur Beschreibung des damit verbundenen Ohnmachtgefühls vgl. C. Schmitt, Ex Captivitate Salus. Erfahrungen der Zeit 1945/1947, Köln 1950, Kap. „Weisheit der Zelle“, 79–91.  Vgl. C. Schmitt, Der Zugang zum Machthaber, ein zentrales verfassungsrechtliches Problem, in: ders., Verfassungsrechtliche Aufsätze aus den Jahren 1924–1954: Materialien zu einer Verfassungslehre, Berlin 1958, 430–439.  Zu Carl Schmitts unterschiedlichen Strategien, nach 1945 die Kontrolle über die Interpretation seiner Rolle im NS-Staat zu erlangen, vgl. ausführlich R. Gross, Carl Schmitt und die Juden. Eine deutsche Rechtslehre, Frankfurt/M. 2000, 335–381. 

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sein, das die alliierten Besatzungsmächte an dem Wissen des ehemaligen Staatsrechtlers hatten, auch wenn die Anklage gegen ihn auf Grund mangelnder juristischer Gründe fallengelassen werden musste. Vor diesem Hintergrund erscheint die Selbstzuschreibung im Rundfunkgespräch als „Machtloser“ in mehrfacher Weise als überdeterminiert: Zunächst wird damit die retroaktive Umschreibung seiner Rolle im NS-Regime geleistet, insofern Schmitt zumindest im Nachhinein nicht als aktiver Teilnehmer, sondern als passiver Beobachter im Sinne eines „reinen Wissenschaftlers“ gesehen werden will, der zudem als „intellektueller Abenteurer“, wie er sich in den Verhören selbst bezeichnet hat, noch bereit war, für seine kühnen Beobachtungen gewisse Risiken in Kauf zu nehmen. Schon in dieser Verknüpfung des Beobachterstatus mit der eigenen Machtlosigkeit wird aus der vermeintlich unfreiwilligen Verstrickung ins vergangene Gefüge der Macht retrospektiv die besondere Auszeichnung, ein hervorragender Zeuge dieses Machtgefüges zu sein. Auch die zweite Motivdimension der Selbstzuschreibung als „Machtloser“, die sich auf das Gefühl der Ohnmacht während der Verhöre in Nürnberg bezieht und sich aus der Selbstwahrnehmung speist, zu Unrecht als ein potenzieller Angeklagter verhört zu werden, soll den glaubwürdigen Beobachterstatus des ehemaligen Staatsrechtlers bezeugen, dieses Mal allerdings gegenüber dem neuen Gefüge der Macht nach 1945. Denn während Schmitt in Nürnberg als Zeuge vergangener Ereignisse vernommen wird, bezieht sich die von ihm selbst inszenierte Wiederholung dieser Befragungssituation durch den, die kritische Gegenwart repräsentierenden, Fragesteller im Rundfunkgespräch auf das gegenwärtige Gefüge der Macht, um dessen Analyse es im Gespräch über die Macht schließlich gehen wird. Weder in der Vergangenheit ein Komplize der Macht gewesen zu sein noch in der Gegenwart als solcher zu erscheinen und trotzdem sowohl mit dem alten Regime als auch mit dem neuen in gefährlichen Kontakt gekommen zu sein, soll ihn als einen besonderen Experten auszeichnen, den es in Machfragen sinnvollerweise zu konsultieren gilt. Dass es bei der Inszenierung dieses Beobachterstatus um die Einnahme einer unverdächtigen Ausgangsposition geht, wird auf der Ebene der Theoriebildung dadurch unterstrichen, dass das Gespräch über die Macht mit einer Reflexion über die Frage einsetzt, seit wann der Akkumulation von Macht eigentlich prinzipiell skeptisch begegnet wird. Denn dies ist erst dann der Fall, wie der fiktive Carl Schmitt mit Bezug auf die Vertragstheorie von Hobbes erläutert10, wenn der Ursprung der Macht weder in der „Natur“ vermutet noch einem „Gott“ zugerechnet wird, sondern in der Immanenz der menschlichen Verhältnisse aufgesucht wird. Erst dann, wenn Macht als ein historisch wechselndes Produkt von Machtverhältnissen unter Menschen verstanden wird, bei denen die Macht, welche die einen haben, den anderen fehlt, verhalten sich die Machtlosen grundsätzlich skeptisch gegenüber den Machthabenden: „Wer keine Macht hat, fühlt sich als Lamm, bis er seinerseits in die Lage kommt, Macht zu haben und die Rolle des Wolfes zu übernehmen.“11 In dieser historischen Zirkulation von Macht kann demnach prinzipiell jeder sowohl die Position der Macht als auch die der Ohnmacht einnehmen. Es gibt kein anderes Merkmal, das den Machthaber auszeichnen würde, als seine 

Vgl. dazu D. van Laak, Gespräche in der Sicherheit des Schweigens. Carl Schmitt in der politischen Geistesgeschichte der frühen Bundesrepublik, Berlin 2002, 31 ff.  F. Kröll, Das Verhör, a. a. O., 242: „Ich bin ein intellektueller Abenteurer.“ 10 Zum Verhältnis von Carl Schmitt zur politischen Philosophie von Hobbes vgl. R. Faber, Autoritärer Liberalismus oder: Dialektik der Aufklärung. Von Thomas Hobbes zu Carl Schmitt, in: ders. u. E.M. Ziege (Hg.), Das Feld der Frankfurter Kultur- und Sozialwissenschaften nach 1945, Würzburg 2008, 47–71. 11 C. Schmitt, Gespräch über die Macht, a. a. O., 12.



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jeweilige Relation zu den jeweils Machtlosen.12 Dass sich der fiktive Carl Schmitt als „Machtloser“ beschreibt, stellt insofern die Skepsis der Gegenwart in Rechnung, als er sich dadurch in die Position des „Lamms“ begibt, das sich an andere „Lämmer“ richtet, und daher weniger Skepsis seitens dieser „Lämmer“ zu erwarten hat. Denn nach 1945 befindet sich nicht nur der reale Carl Schmitt in dieser Position, sondern auch seine deutschen Zuhörer kennen die damit verbundene Ohnmacht, zumindest hinsichtlich der nationalstaatlichen Souveränität der noch jungen Bundesrepublik. Zugleich ist damit aber auch die dritte Motivdimension der Selbstzuschreibung als „Machtloser“ angegeben: Wenn die Relation von Machthaber und Machtlosem jederzeit dadurch gekennzeichnet ist, dass das „Lamm“ nur darauf wartet, selbst in die Lage zu kommen, „Macht zu haben und die Rolle des Wolfes zu übernehmen“, dann liegt es nahe, dass das Rundfunkgespräch dazu dienen soll, über eine mögliche publizistische Anerkennung hinaus einen neuen Zugang zum Machthaber zu finden und zumindest indirekt damit auch wieder einen Anteil an der Ausübung von Macht zu erlangen. Schließlich besteht die zentrale Problematik des Rundfunkgesprächs in der Frage nach dem Zugang zum Machthaber, die sich in den Überlegungen aus der Nürnberger Zeit noch in erster Linie auf die Stellung des „Führers“ im NS-Regime bezog und nun auf die gegenwärtige Situation in Deutschland ausgerichtet ist. Die Verdoppelung in einen realen und einen fiktiven Carl Schmitt ist vor diesem Hintergrund auch der Erschließung zukünftiger Optionen geschuldet, um die nach 1945 erfahrene Situation der Ohnmacht zurücklassen zu können. Nach der Publikation des Rundfunkgesprächs unter dem Titel Gespräch über die Macht und den Zugang zum Macht­haber (1954)13 hat Ernst Jünger in einem Brief vom 17. Dezember 1954 an den von ihm bewunderten Machttheoretiker auf nüchterne Weise und ohne weitere Erläuterungen festgehalten: „Daß Sie so ganz ohne Macht sind, wie Sie auf p. 7 vorwegnehmen, glauben ja weder Sie noch ich.“14

II. Die Eigengesetzlichkeit der Macht Im Gegensatz zu der einfachen Relation von „Wolf“ und „Lamm“, die ganz im Sinne von Machiavelli die Problematik der Macht entweder aus der Perspektive des Machthabers oder aber aus der Perspektive des Machtunterworfenen darstellt, führt Schmitt im weiteren Fortgang des Gesprächs unter dem Stichwort einer Eigengesetzlichkeit der Macht eine dritte Perspektive ein, die sich als Position der Theorie der Macht im Gefüge der Macht identifizieren lässt. Weil die akkumulierte Macht im Sinne eines Resultats nicht allein aus dem Verhältnis von Machthaber und Machtunterworfenen begriffen werden kann, spricht Schmitt auch von einem „Mehrwert“ der Macht, der sowohl auf der Seite des Machthabers als auch auf der Seite des Machtunterworfenen wirksam ist: „Die Macht ist eine objektive, eigengesetzliche Größe gegenüber jedem menschlichen Individuum, das jeweils die Macht in seiner Hand

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Zur Herausarbeitung dieser Prämisse bei Hobbes vgl. L. Strauss, Hobbes’ politische Wissenschaft, Neuwied 1965, 150 ff. 13 Ernst Jünger an Carl Schmitt, Wilflingen über Riedlingen, 17. Dezember 1954, abgedruckt in: C. Schmitt, Gespräch über die Macht, a. a. O., 55–58, hier: 55. 14 Zu den teilweise äußerst kritischen Reaktionen auf die Vorabveröffentlichung in der Wochenzeitung Die Zeit und auf die Buchfassung selbst vgl. das Nachwort von G. Giesler, in: C. Schmitt, Gespräch über die Macht, a. a. O., 55–58, 78 ff.; vgl. dazu auch R. Dahrendorf, Liberal und unabhängig: Gerd Bucerius und seine Zeit, München 2000, 113 ff.

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hat.“15 Die Macht ist somit immer mehr, als der Machthaber tatsächlich handhaben kann. Aber auch umgekehrt gilt: Selbst wenn die Macht mit „voller Zustimmung aller Machtunterworfenen ausgeübt wird“, lässt sich die Machtausübung nicht auf den „Konsens“ reduzieren, dem sie ihre Legitimität zu verdanken hat. Stets scheint die „Gesamtlage“, in der Machthaber und Machtunterworfene „zu einer politischen Einheit zusammengefasst sind“16, mehr zu sein als die Relation der beiden Akteure. – Schon die Dialektik zwischen Machtausübendem und Machterleidendem, wie sie vor allem von Hegel und Marx entwickelt wurde, überführt die zweistellige Relation in eine dreistellige, insofern mit der wechselseitigen Abhängigkeit und Umkehrbarkeit der Verhältnisse eine Antizipation in den Blick kommt, die jeden machtlosen Akteur schon als prinzipiell machtvollen Akteur anwesend sein lässt, noch bevor das tatsächlich der Fall ist. Aus diesem Grund reicht es nicht aus, entweder die Perspektive des Machthabers oder die des Machtunterworfenen zu untersuchen, indem man nach der möglichen Intensität eines Willens zur Macht fragt oder umgekehrt über die möglichen Motive einer Unterwerfungsbereitschaft nachdenkt, wie das vor allem von psychoanalytisch inspirierten Marxisten getan worden ist.17 Weder eine Perspektive von oben noch eine Perspektive von unten scheint auszureichen, um die Eigengesetzlichkeit der Macht angemessen erfassen zu können. Auch wenn Schmitt jedes Machtverhältnis mit Hobbes auf die Relation von Schutz und Gehorsam zurückführt, so lässt sich die Macht trotzdem nicht aus der kausalen Beziehung zwischen Machthaber und Machtunterworfenem erklären, die aus dieser Relation hervorgeht. Stattdessen muss man diejenigen Akteure in den Blick nehmen, die weder auf der einen noch auf der anderen Seite zu verorten sind, sondern deren Wirkungsbereich in der Thematisierung der Beziehung zwischen Machthaber und Machtunterworfenem besteht: „Wer dem Macht­haber einen Vortrag hält oder ihn informiert, hat bereits Anteil an der Macht, gleichgültig, ob er ein verantwortlich gegenzeichnender Minister ist oder ob er sich auf indirekte Weise das Ohr des Machthabers zu verschaffen weiß.“18 Zwischen dem Befehlenden und dem Gehorchenden gibt es demnach noch solche Akteure, die weder selbst befehlen noch nur gehorchen, sondern die einen „Anteil an der Macht“ haben, indem sie den Machthaber über mögliche Kausalitäten in Kenntnis setzen, die zwischen seinen Befehlen und dem zu erwartenden Gehorsam gelten. Im „Vorraum“ der Macht, wie Schmitt den Wirkungsbereich dieser Akteure nennt, wird die Eigengesetzlichkeit der Macht thematisch, insofern dort sowohl der Machthaber über das aktuelle Verhalten der Machtunterworfenen informiert wird als auch dessen Reaktionen auf die Information zum Gegenstand der Beobachtung werden. In diesem Vorraum zirkulieren vor allem Vermutungen, welche Informationen welche Reaktionen provozieren könnten. Je komplexer das Machtgefüge ist, desto deutlicher ist der Machthaber auf Informationen angewiesen und desto größer wird der Vorraum der Macht, sodass mit steigender Komplexität auch der Anteil der „Indirekten“, wie Schmitt diese Akteure bezeichnet, an der Ausübung der Macht steigt. In diesem Vorraum der Macht, dessen Erzeugung sich in „minimalen, infinitesimalen Ansätzen tagtäglich“ abspielt, „im Großen und im Kleinen, überall, wo Menschen über andere

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C. Schmitt, Gespräch über die Macht, a. a. O., 17. Ebd., 15. 17 Zu dieser Problematik vgl. etwa J. Butler, Das Gewissen macht Subjekte aus uns allen. Subjektivationen nach Althusser, in: dies., Psyche der Macht. Das Subjekt der Unterwerfung, übers. v. R. Ansén, Frankfurt/M. 2001, 101–123; vgl. auch É. Balibar, Das Nicht-Zeitgenössische, in: ders., Für Althusser, übers. v. R. Nentwig, Mainz 1994, 53–81. 18 C. Schmitt, Gespräch über die Macht, a. a. O., 21. 16



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Menschen Macht ausüben“19, findet auch das Gespräch über die Macht statt, in dem Schmitt seine Theorie des Vorraums entfaltet. Denn auch Schmitt geht es schließlich darum, sich das Ohr des Machthabers zu verschaffen, und hält ihm zu diesem Zweck einen Vortrag. Die Botschaft, die dieser Vortrag dem Machthaber zu Gehör bringen soll, besteht allerdings nicht in einer Information über das Verhalten der Machtunterworfenen, sondern bezieht sich auf die Existenz des Vorraums selbst, dessen stetes Anwachsen die „politische Einheit“ von Machthaber und Machtunterworfenen zu gefährden droht. Denn während die Herausforderung für diese Einheit aus der Perspektive des Staatsrechtlers seit dem Ende des Ersten Weltkriegs darin bestand, die staatliche Ordnung unter den Bedingungen eines untergründigen Bürgerkriegs aufrechtzuerhalten20, steht diese Einheit nach 1945 vor einer Herausforderung, die sich nicht mehr mit dem Schema der Unterscheidung von Freund und Feind meistern lässt. Auf die drohende Ablösung der Politik vom Aktionsraum des Staates, auf die dieses Schema reagiert hat, indem es auch dann noch die politischen Akteure zu identifizieren erlaubt, wenn sich Politik nicht mehr länger auf Staatspolitik reduzieren lässt21, folgt nun eine Zerstreuung des Politischen, bei der sich nicht einmal mehr feststellen lässt, wer überhaupt Macht hat und wer nicht. Denn es sind keine Feinde, von denen Schmitts Vortrag vor dem Machthaber handelt und von denen eine potenzielle Gefahr ausgeht, die es frühzeitig zu erkennen und zu bekämpfen gilt. Vielmehr resultiert die sich abzeichnende Gefahr aus einer Selbstgefährdung der Relation von Schutz und Gehorsam, die sich dann einstellt, wenn sich die Eigengesetzlichkeit der Macht vollständig vom „individuellen Machthaber“ entfernt hat und sich die Machtausübung im „Nebel indirekter Einflüsse“ zu verlieren droht: „Die Macht des individuellen Machthabers ist hier nur noch die Ausschwitzung einer Situation, die sich aus einem System unberechenbar übersteigerter Arbeitsteilung ergibt.“22 Wenn selbst der Machthaber die Potenziale der Machtausübung, die ihm das „System unberechenbar übersteigerter Arbeitsteilung“ zur Verfügung stellt, nicht mehr handhaben kann, dann bedeutet das umgekehrt, dass sich das Machtverhältnis zwischen Machthaber und Machtunterworfenem nicht mehr auf die Relation von Schutz und Gehorsam zurückführen lässt. In dieser Situation, in der die Machtausübung derart über unzählige Akteure vermittelt ist, dass der Vorraum der Macht den Raum ihrer Ausübung überwuchert, entsteht daher, wie Schmitt sagt, ein „neuer Leviathan“. In dessen monströsem Körper sind die Machtausübenden mit denen, „[…] die ihrer Macht ausgesetzt sind, nicht mehr unter sich“.23 – Weil sich die Eigengesetzlichkeit der Macht gegenüber dem Verhältnis zwischen Machthaber und Machtunterworfenem verselbständigt hat, wird der Raum politischer Entscheidungen unweigerlich entgrenzt. Die drohende Möglichkeit dieser Selbstgefährdung hat Ernst Forsthoff zum Anlass genommen, die Restitution der seit Hegel geläufigen Unterscheidung zwischen politischem Staat und Gesellschaft einzuklagen, um die politische Macht auch weiterhin gegen das „durch die Industrialisierung mächtig geförderte Auftreten gesellschaftlicher Macht“24 abgrenzen zu können. Um diese Abgrenzung jedoch restituieren zu können, müsste die dreistellige Relation 19

Ebd., 25. Zu dieser Perspektive vgl. ausführlich E. Nolte, Der europäische Bürgerkrieg 1917–1945. Nationalsozialismus und Bolschewismus, Frankfurt/M. 1987, 3–27. 21 Zum strategischen Einsatz der Freund-Feind-Unterscheidung vgl. F. Balke, Der Staat nach seinem Ende. Die Versuchung Carl Schmitts, München 1996, 48 ff. 22 C. Schmitt, Gespräch über die Macht, a. a. O., 42. 23 Ebd., 43. 24 E. Forsthoff, Der Staat der Industriegesellschaft. Dargestellt am Beispiel der Bundesrepublik Deutschland, München 1971, 21–29, hier: 23. 20



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der Machtausübung von der Position des Beobachters gereinigt und wieder auf eine zweistellige zurückgeführt werden, sodass die Machtausübenden und die Machtunterworfenen „unter sich“ sein könnten. Dazu müsste sich die Machtausübung zumindest bis zu einem gewissen Grad wieder unbeobachtbar machen können und somit genau aus jenem Vorraum zurückziehen, der den Übergang zwischen der Position der Ohnmacht und der Position der Macht erlaubt. Das heißt, dass die Botschaft, die Schmitt dem Machthaber aus dem Vorraum zu Gehör bringen will, genau dem entgegensteht, was er auf performative Weise vorführt, wenn er nach dem Verlust der Macht in den Status eines Beobachters wechselt und damit den Vorraum der Macht nicht nur in theoretischer Hinsicht betritt.

III. Die Selbstantizipation der Macht Auch wenn die Machttheorien von Carl Schmitt und Niklas Luhmann auf den ersten Blick nicht unbedingt als kompatibel erscheinen, insofern die systemtheoretische Politikauffassung vor allem auf radikal okkasionalistische Theoriekonzepte der Frühromantik zurückgreift, um die diagnostizierte und auch empfohlene „Umgründung der Politik auf Fluktuationen“25 erfassen zu können, so lässt sich dieser Rückgriff dennoch als Antwort auf das von Schmitt aufgeworfene Problem verstehen. Denn auch Luhmanns evolutionstheoretisch perspektivierte Frage, wie die Ausübung von Macht ihre Selbsterhaltung unter den Bedingungen zunehmender gesellschaftlicher Ausdifferenzierung sicherstellen kann, geht dabei zunächst im Sinne von Machiavelli und Hobbes von einer Entkopplung von Moral und Macht aus.26 Weil das „Bereithalten der Kapazität zu kollektiv bindendem Entscheiden“27, wie Luhmann die im politischen System generierte Fähigkeit zur Machtausübung definiert, jedoch stets der Beobachtung durch zahllose Akteure ausgeliefert ist, die der Bindung allererst ihre kausal gedachte Wirkung attestieren oder eben auch nicht, reicht es nicht mehr aus, die Ausübung von Macht einem mehr oder weniger starken „Ordnungswillen“ zuzurechnen. An die Stelle einer handlungstheoretischen Auffassung von Absichten und Wirkungen muss vielmehr ein „zirkuläres Verhältnis“ treten, das eben diese Beobachtungen der Machtausübung im Sinne einer „Rückkopplungsschleife“ in die Machtausübung integriert, sodass Machtausübende und Machtunterworfene auch unter der Bedingung ihrer Beobachtung noch „unter sich“ sind: „Macht beruht auf Antizipation von Gehorsam und auf Antizipation ihrer tatsächlichen Anwendung. Macht beruht, verkürzt gesagt, auf Selbstantizipation; also auf einem System, das sich in seinem rekursiven Operationen selbst voraussetzt.“28 Unter den Bedingungen systemischer Rekursion stellt sich nicht mehr die Frage nach dem Ursprung der Macht und was dieser Ursprung für die Gegenwart bedeuten könnte, sondern wie sich politische Macht unter den vielfachen Einflüssen, die Forsthoff unter dem Stichwort „gesellschaftliche Macht“ zusammengefasst hat, als solche autopoietisch reproduzieren kann.29 – Zwar geht auch Luh25

N. Luhmann, Die Politik der Gesellschaft, Frankfurt/M. 2002, 429. Zur dementsprechenden Kritik, dass die systemtheoretische Auffassung auf einen Dezisionismus im Sinne von Schmitt hinauslaufe, vgl. J. Habermas, Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus, Frankfurt/M. 1973, 135; vgl. auch ders., Faktizität und Geltung: Beträge zur Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaats, Frankfurt/M. 1998, 67 ff. 27 N. Luhmann, Die Politik der Gesellschaft, a. a. O., 84. 28 Ebd., 28. 29 Zu den theorietechnischen Konsequenzen eines systemtheoretischen Ansatzes für den Politikbegriff vgl. ausführlich D. Barben, Theorietechnik und Politik bei Niklas Luhmann. Grenzen einer univer26

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mann davon aus, dass jedes Machtverhältnis im Kern auf ein Gewaltverhältnis zurückführbar ist, aber je komplexer die gesellschaftlichen Verhältnisse werden, desto weniger lässt sich mit unmittelbaren Zwängen erreichen, sodass die Rückführung von Macht auf Gewalt für das zukünftige Hervorgehen von Macht aus Macht nicht mehr bestimmend ist: „Im genetischen Sinne und im Sinne von nichtnegierbaren Minimalbedingungen beruht das System auf Gewalt, aber es ist durch Gewalt nicht mehr zu kontrollieren.“30 Weil eine evolutionstheoretische Perspektive auf die Selbsterhaltung und Selbststeigerung von politischer Macht erst dann als sinnvoll erscheint, wenn sich politische Herrschaft schon als solche etabliert und ausdifferenziert hat, spielen kritische Reflexionen auf den Anfang des Systems, die Luhmann als „Ursprungsmythen“31 bezeichnet, für die Perspektive auf die zukünftige Reproduktion des Systems als System eine nur noch sehr geringe Rolle. Denn während solche Reflexionen auf der Ebene einer Beobachtung erster Ordnung verbleiben, besteht die zentrale Leistung der Eigengesetzlichkeit der Macht, die Schmitt so sehr beunruhigt hat, für Luhmann gerade darin, die möglichen Wirkungen solcher Beobachtungen in einer Ebene der Beobachtung zweiter Ordnung einzudämmen. Die Selbstantizipation der Machtausübung bezieht sich daher nicht nur auf das Auftreten möglicher Widerstände seitens derer, die gehorchen sollen, sondern darüber hinaus auch auf die Beobachtungen aller beteiligten Akteure, unter denen die Machtausübung stattfindet. Zu den entscheidenden Konsequenzen dieser vorlaufenden Ausrichtung der Machtausübung gehört für Luhmann daher der historische Übergang von einer „zielorientierten Rationalität“ zu einer „zeitorientierten Reaktivität“, der sich als eine „opportunistische“ und „prinzipiell prinziplose Temporalisierung“ des politischen Systems manifestiert.32 Unter der Hinsicht eines „Kontingenzmanagements“33 erscheint nicht mehr der politische Wille als maßgeblich34, der sich auf eine kluge Weise die entsprechenden Mittel zur Verwirklichung seiner Ziele zu suchen hat, sondern umgekehrt generieren die vorgefundenen Mittel die Möglichkeiten von Willensbildungen: „Von den Mitteln her sucht man sich Zwecke.“35 Die Antwort, die sich bei Luhmann auf das von Schmitt aufgeworfene Prob­ lem finden lässt, besteht also nicht darin, dass sich die Macht, um Macht bleiben zu können, aus dem Vorraum zurückziehen muss, sondern im Gegenteil, dass sie sich diesem rückhaltlos ausliefern muss, um ihre Chancen auf Erhaltung und Steigerung ergreifen zu können. Für die Demonstration von Macht, die in der klassischen Theorie häufig mit einem starken Willen und dessen realem Vermögen assoziiert wird, ausgesprochene Drohungen auch tatsächlich wahr machen zu können, hat diese Umstellung weitreichende Folgen. Denn wenn sich die Autopoiesis entlang der Reproduktion zukünftiger Möglichkeiten vollzieht, dann birgt die Formierung eines festen Willens auch ein dementsprechend höheres Risiko, dass

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salen Theorie der modernen Gesellschaft, Opladen 1996; zur politikwissenschaftlichen Diskussion von Luhmanns politischer Theorie im engeren Sinne vgl. die entsprechenden Beiträge bei K.-U. Hellmann u. a. (Hg.), Das System der Politik: Niklas Luhmanns politische Theorie, Wiesbaden 2003. N. Luhmann, Macht, Stuttgart 2003, 67. Ders., Die Politik der Gesellschaft, a. a. O., 412. Ebd., 142 f. Ebd., 152. Zur strategischen Depotenzierung des Willens und einer dementsprechend „postheroischen“ Klugheitslehre vgl. D. Baecker, Postheroisches Management. Ein Vademecum, Berlin 1994; zur Geschichte neuzeitlicher Klugheitslehren vgl. L. Scholz, Das Archiv der Klugheit. Strategien des Wissens um 1700, Tübingen 2002, 43–104. N. Luhmann, Die Politik der Gesellschaft, a. a. O., 161.

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solche Festlegungen seitens der Machtunterworfenen ausgetestet werden: „Feste Kopplungen sind mithin die kräftigen, durchsetzungsfähigen, starken, berechenbaren Momente des Machtmediums, müssen aber dafür mit Instabilität zahlen.“36 Weil die Machtausübung allerdings auch unter Bedingungen gesellschaftlicher Ausdifferenzierung nicht auf wirksame Drohungen verzichten kann, rückt deren Potenzialität im Unterschied zum realen Vermögen, diese auch wahr machen zu können, zunehmend in den Vordergrund. Auf den ersten Blick könnte man daher meinen, die Demonstration von Macht verlagere sich weitgehend auf „symbolische Anstrengungen“, für die Luhmann ein anschauliches Beispiel gibt: „Die Polizei darf erscheinen, aber sie sollte nicht genötigt sein zuzupacken.“37 Aber die entscheidende Konsequenz besteht nicht in erster Linie darin, dass das reale Vermögen zu Gunsten von symbolischen Praktiken schwindet, was nämlich letztlich zur Folge hätte, dass die Machtdrohungen zu leeren Drohungen verkommen würden. Eine allein in symbolischen Praktiken begründete Machtausübung würde zwangsläufig die Frage aufwerfen, ob es sich dabei nicht um eine Scheinmacht handelt.38 Vielmehr erfährt der von Schmitt diagnostizierte Umstand, dass auch der Machthaber die Machtpotenziale, die im System generiert werden, nicht handhaben kann, eine tiefgreifende Neubewertung. Denn wenn Drohungen nur dann als Drohungen funktionieren können, wenn beide Seiten das Angedrohte letztlich vermeiden wollen, kann unter der Bedingung, dass alle wissen, dass die Macht zumindest als Macht eines Machthabers nicht mehr mächtig ist, selbst die Demonstration von Ohnmacht zur Erhaltung und Steigerung von Macht beitragen. Politische Ohnmacht zu demonstrieren, kann dann dazu dienen, die Konsequenzen offen zu legen, die aus der Fortsetzung dieser Situation für alle resultieren können. Unter den Bedingungen einer „unkontrollierbaren Eigendynamik anderer Funktionssysteme“ ist das politische System nicht nur „effektiv gehindert“, wie Luhmann sagt, „seine Umwelt im Sinne alter Politikkonzepte zu ‚beherrschen‘“39, sondern darüber hinaus stellt die Nichthandhabbarkeit der Macht insofern deren zukünftige Autopoiesis sicher, als nicht nur die Machthaber ihre Entscheidungen jetzt entlang von Risikofragen fällen müssen, sondern umgekehrt die Machtunterworfenen ebenso gezwungen sind, zu Risikoteilnehmern zu werden.40 Denn auch wenn Luhmann diese Schlussfolgerung nicht explizit zieht, kann man sagen, dass die Drohung dann als Drohung zirkuliert, wenn die Macht nicht mehr auf die Relation von Schutz und Gehorsam zurückgeführt werden kann, weil die Risiken, mit denen es das politische System zu tun hat, dessen Kapazitäten längst übersteigen. In dieser Zirkulation sind Machthaber und Machtunterworfene wieder „unter sich“, nicht weil die Position des Beobachters und damit die drohende Instabilität des Machtwechsels soweit als möglich getilgt sind, sondern weil die permanente Überlastung des politischen Systems gerade die Notwendigkeit einer zukünftigen Restitution des Verhältnisses von Schutz und Gehorsam zu demonstrieren vermag.

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Ebd., 34 f. Ebd., 48. 38 Vgl. dazu Th. W. Adorno, Beitrag zur Ideologienlehre, in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. 8, Frankfurt/M. 1972, 457–477, hier: 477, der sich an der Frage abgearbeitet hat, warum eine symbolische Machtausübung zugleich „allmächtig“ und doch „nichtig“ erscheinen kann. 39 N. Luhmann, Die Politik der Gesellschaft, a. a. O., 423. 40 Vgl. dazu Th. Lemke, Gouvernementalität und Biopolitik, Wiesbaden 2008, 47–64, der sich an dieser Stelle auch mit dem Konzept der „Risikogesellschaft“ von Ulrich Beck kritisch auseinandersetzt und die damit im Zuge einer „Entgrenzung der Politik“ einhergehenden Erwartungen an eine Emanzipation der „Bürgergesellschaft“ in Frage stellt; vgl. U. Beck, Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne, Frankfurt/M. 1986, insbes. 300–374. 37

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Leander Scholz, Begegnungen im Vorraum der Macht

Anders als Schmitt angenommen hat, der in der Selbstgefährdung der Relation von Schutz und Gehorsam nur einen Niedergang der Machtausübung sehen konnte, beruht der „neue Leviathan“ darauf, dass die Selbstgefährdung zu einer eigenständigen Quelle der Machtreproduktion werden kann. Weil unter der Bedingung permanenter Instabilität auch vermeintlich rein theoretische Beobachtungen deutliche Auswirkungen haben können, liefert sich nicht nur die Macht an ihren Vorraum aus, sondern umgekehrt wird auch der Vorraum gerade auf Grund seiner Anteilhabe an der Machtausübung einer zunehmenden Disziplinierung unterworfen. Während in der klassischen Theorie die politische Machtausübung stets mit Willensstärke in Verbindung gebracht wird, deren tatsächliche Effekte unter den Augen von allzu vielen Beobachtern schnell gefährdet sind, wird mit der Einbeziehung der Position des Beobachters in die Ausübung von Macht auch die Position der Ohnmacht, und zwar auf Seiten des Machthabers, zu einem entscheidenden Faktor für die Reproduktion von Machtausübung. Dr. Leander Scholz, Bauhaus-Universität Weimar, Internationales Kolleg für Kulturtechnikforschung und Medienphilosophie, 99421 Weimar

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