B. Maurina, Waidbruck in der Römerzeit: Die Archäologischen Zeugnisse in Gemeinde Waidbruck (ed.), Dorfbuch Waidbruck. 750 Jahre (1264-2014), Waidbruck 2014
Waidbruck in der Römerzeit: Die Archäologischen Zeugnisse Barbara Maurina1
Historische Einführung
auf der orografisch rechten Talseite, die Ausgrabungen von Villanders, wo ein großes Dorf aus der Jungsteinzeit
Die lateinischen Quellen und Inschriften überliefern uns
(5. Jahrtausend v. Chr.) belegt ist, von Feldthurns, wo es
die Existenz antiker Völker, die Isarker und Breuner
Funde aus einer Siedlung der Jungsteinzeit, aus der dar-
genannt wurden und in römischer Zeit wahrscheinlich
auffolgenden Kupferzeit (3. Jahrtausend v. Chr.) und
das mittlere und untere Eisacktal und die Gegend um
vom Ende der Bronzezeit (12.–10. Jahrhundert v. Chr.)
den Brennerpass besiedelten .
gibt, und von Barbian, wo Spuren von Hütten aus der
Archäologische Belege jedoch weisen darauf hin, dass
Jungsteinzeit und vom Ende der Bronzezeit gefunden
dieser geografische Abschnitt dank seiner für die
wurden. Auch auf der orografisch linken Talseite fehlt es
menschliche
nicht an archäologischen Belegen für eine vorgeschicht-
2
Besiedelung
ausnehmend
günstigen
Bedingungen bereits lange vor der Römerzeit seinen
liche Besiedelung.
Anthropisierungsprozess erfahren hatte und die gut
Dazu zählen etwa die Funde von Gufidaun, wo mensch-
gelegenen, sonnenbeschienenen Talhänge schon in
liche Spuren ab der späten Jungsteinzeit (4.000–3.500 v.
vorgeschichtlicher Zeit von zahlreichen, Landwirten und
Chr.), zwischen der späten Kupferzeit und dem Beginn
Viehzüchtern
übersät
der Bronzezeit (2.500–2.000 v. Chr.) sowie in der jünge-
waren . Einer sporadischen, menschlichen Präsenz in
ren Eisen- und in römischer Zeit nachgewiesen sind, und
der mittleren Steinzeit, als die Inbesitznahme der oro-
die von Lajen, wo die Ausgrabungen menschliche Spu-
grafischen Terrassen des Mittelgebirges begann, folgte
ren aus der Jungsteinzeit und bronzezeitliche, eisenzeit-
in der Jungsteinzeit eine allgemeine Kolonisierung; ver-
liche, römerzeitliche und mittelalterliche Siedlungsreste
streute Siedler lassen sich vor allem in der späten Kup-
zutage förderten. Im Brixner Talkessel schließlich lässt
ferzeit nachweisen, während in der frühen und mittleren
sich die Präsenz des Menschen archäologisch seit der
Bronzezeit eine Stabilisierung der Besiedelung erfolgte,
Mittelsteinzeit nachweisen (8.000–5.500 v. Chr.) und
die von da an oft bis in die Zeit der Romanisierung hin-
setzte sich die ganze Vorgeschichte lang fast ununter-
ein fortdauerte. Zeugnisse dafür liefern insbesondere,
brochen bis in jüngste Zeit fort4. Für die antiken Bewoh-
bewohnten
Bergsiedlungen
3
28
Die Archäologischen Zeugnisse
ner des Eisacktals und alle, die in früher Zeit hindurchzo-
verorten (an einer archäologisch noch nicht bestimmten
gen, stellte der Ort an der Stelle des heutigen Waidbruck
Stelle)8, handelte es sich um eine einzige Straße, die dem
gewiss schon vor Beginn der Frühgeschichte eine obli-
Etschtal nach Norden folgte. Von dort aus führte die
gate Durchgangsstelle dar. Durch seine besondere topo-
Straße durch den Vinschgau nach Raetien, wo sie in der
grafische Lage nahe am Eingang zum Grödnertal, an
römischen Stadt Augusta Vindelicum (Augsburg)
einer Engstelle des Eisacktals, die im Norden durch die
endete. Am Pons Drusi zweigte auch die Straße ins
Talenge von Klausen geschützt ist, muss der Ort schon
Eisacktal ab9, deren Bedeutung die der Hauptader durch
früh eine hervorragende verkehrsstrategische Stellung
den Vinschgau mit der Zeit sogar übertraf10.
eingenommen haben. Seine Bedeutung nahm zweifel-
So sehr, dass sie schließlich, neben der Route Aqui-
los in der Römerzeit zu, besonders in der Zeit des Augus-
leia-Veldidena, in den römischen Kartenwerken11 als ein-
tus, als das Interesse für die Alpen, die bis dahin als rau
zige Straße aufschien, die die Region in Richtung Nor-
und unzugänglich galten , allmählich anstieg, auch und
den durchquerte, und damit sogar den griechischen
vor allem durch die Notwendigkeit, diese Gegend wäh-
Geografen Strabon verwirrte, der um die Zeitenwende
rend der Feldzüge zu kontrollieren, die in den letzten
lebte und den Eisack als wichtigsten Fluss der Region
Jahrzehnten des 1. Jahrhunderts v. Chr. die transalpinen
und die Etsch als seinen Nebenfluss bezeichnet12. Diese
Stämme in Noricum, Raetien und Vindelicien definitiv
antike Straße, die den Weg zum Brennerpass überwie-
unterwarfen und befriedeten.
gend im Talboden zurücklegte, muss das Gebiet des
Auf die Zeit des Augustus lässt sich auch der Ausbau des
heutigen Ortes Waidbruck durchquert haben. Hier war,
Straßennetzes in dieser Region zurückführen; in diesen
begünstigt durch die geografische Lage und die Gege-
Jahren erfolgte die Befestigung der wichtigsten Verkehrs
benheiten des Ortes, schon in den frühesten Phasen der
ader, die die raetischen Alpen durchquerte und damit
Romanisierung eine Siedlung entstanden, die während
die Poebene und die adriatische Küste mit dem Donau-
der gesamten römischen Kaiserzeit Teil eines ausge-
raum verband, und der Gesamtheit ihrer Nebenstraßen.
dehnten Verkehrs- und Handelsnetzes war.
Diese Straße, die von den römischen Generälen Tiberius
Dieses Bild ergibt sich aus den archäologischen Entde-
und Drusus 15 v. Chr., also während der Feldzüge gegen
ckungen, die in mehreren Etappen vor Ort gemacht
die transalpinen Stämme , angelegt worden war, aber
wurden; insbesondere, wie noch ausgeführt werden
wohl eine sehr viel ältere Route aufnahm und perfektio-
wird, aus den Informationen, die in den 1920er Jahren
nierte, wurde 46–47 n. Chr. unter Kaiser Claudius vollen-
während der Arbeiten für das Eisack-Staubecken durch
det und nach ihm Via Claudia Augusta benannt. Ob man
die Elektrizitätsgesellschaft SIDI13 und, in jüngerer Zeit,
nun die Ansicht teilt, dass der erste Abschnitt dieser Kai-
bei den Notgrabungen des Südtiroler Amts für Boden-
serstraße zweigeteilt war (Via Claudia Padana und Alti-
denkmäler in den Jahren 2003–2007 im Ortsteil Burg-
nate) und ihre Anfangspunkte in Hostilia und in Altinum
frieden gesammelt wurden. Tatsächlich befand sich die
lagen – zwischen dem Municipium Trient und dem Boz-
Siedlung bei Waidbruck nach den erfolgreichen Feldzü-
ner Talkessel, in dem die antiken Karten den Pons Drusi
gen gegen die transalpinen Stämme und der von Kaiser
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29
Historische Einführung
Augustus in den letzten Jahren des 1. Jahrhunderts v.
form, die Marcus Aurelius vornahm. Dieser hatte, nach-
Chr. vorgenommenen Neuordnung der Provinzen
dem die Verwaltung des portorium unter Trajan oder
genau an der Grenze zwischen der Regio X (genauer
Hadrian von den societates vectigaliae oder societates
gesagt, dem Gebiet des Municipium Tridentum) und
publicanorum (Gesellschaften der Steuereintreiber) an
den transalpinen Provinzen Noricum im Osten und Rae-
private conductores (generell drei) übergegangen war,
tia im Westen . Diese privilegierte Lage begründete ihre 14
strategische Bedeutung für die gesamte römische Kaiserzeit, wie unter anderem drei wichtige in der Gegend gefundene Inschriften belegen, die uns darüber unterrichten, dass auf dem Gebiet der heutigen Gemeinde Waidbruck die östlichste Zollstation des dem Publicum Portorii Illyrici unterworfenen Zollbezirks ihren Sitz hatte; diese Steuer, deren Höhe unterschiedlich quantifiziert wird, wurde auf durchreisende Waren erhoben15. Ihre Zollstationen hatten die Römer an strategisch bedeutenden Stellen wie Häfen, Furten, Bergpässen, Klausen und Talengen errichtet, überwiegend in der Nähe der Provinzgrenzen, doch manchmal auch im Landesinneren16. Das Gebiet des Publicum Portorii Illyrici ist aus den Quellen seit der Zeit des Claudius bekannt, aber vermutlich älter und entstand als Teil eines Systems von Zollbezirken, das schon in republikanischer Zeit in Kraft war17; es umfasste die Donauprovinzen des Reiches, Noricum, Dalmatien, Pannonien, Dakien, die beiden Moesien, Ripa Thraciae (am Unterlauf der Donau) und in früher Zeit auch Raetien, das später der Quadragesima Galliarum unterworfen wurde, also der Steuer auf durchreisende Waren, die in den gallischen Provinzen
Weiheinschrift an Isis Myrionima.
erhoben wurde18.
die sie durch Sklaven in ihrem Besitz erledigen ließen,
Die drei erwähnten Inschriften wurden zum ersten Mal
die Zolleintreibung unter seine direkte Kontrolle gestellt,
von dem bayrischen Humanisten Aventinus beschrie-
indem er sie procuratores anvertraute, denen er kaiserli-
ben, der sie 1515 in der Pfarrkirche St. Jodok sah19, und
che Sklaven zur Seite stellte, vilici und praepositi20. Zwei
sind in die zweite Hälfte des 2. Jahrhunderts n. Chr. zu
der von Aventinus dokumentierten Inschriften müssen
datieren, wahrscheinlich in die Jahre rund um die Zollre-
kurz vor der kaiserlichen Reform entstanden sein; sie
30
Historische Einführung
sind in zwei Altarsteine geschnitten, die ursprünglich
Inschriften von Waidbruck sind in einem Fall nur durch
Votivstatuen als Basis dienten, die der Kassier der Zoll-
Festinus unterzeichnet24, im anderen durch Festinus und
station, Festinus, bei zwei verschiedenen Gelegenheiten
seinen Kollegen Fortunatus, der ebenfalls in der Zollsta-
der Göttin Isis weihte , die er einmal Isis Augusta nennt,
tion als Kontrolleur (contrascriptor) arbeitete und bei
das andere Mal Isis Myrionyma („mit den tausend
dieser Gelegenheit mit der Aufstellung der Votivstatue
21
beauftragt wurde25. Die Inschrift nennt sie beide servi, also Sklaven, des Zollpächters Titus Iulius Saturninus, der also mit dem Titel conductor publici portorii Illyrici benannt wird. Dieser Saturninus ist uns auch aus anderen Quellen bekannt, aus denen wir wissen, dass er seine Karriere als scriba tribunicius und apparitor des Antoninus Pius begann, dann conductor und praefectus vehiculorum wurde und sich schließlich mit zwei weiteren Kollegen, C. Antoninus Rufus und Q. Sabinius Veranus, die Verwaltung dieses Zollbezirks teilte26. Die dritte von Aventinus dokumentierte Inschrift, ein weiterer Altarstein (der heute im zweiten Innenhof der Trostburg als Kapitell wiederverwendet ist), muss in eine Zeit (kurz) nach der Reform des Marcus Aurelius datiert werden27; mit dem Text weiht Mercurialis, ein kaiserlicher Sklave, der mit den Aufgaben eines Verwalters (vilicus) in der Zollstation beschäftigt war, dem Mars Augustus eine Marmorstatuette aus Dank für die unversehrte Errettung aus nicht näher benannter Gefahr28. In Anbetracht der unzweifelhaften geografischen und wirtschaftlichen Bedeutung, die Waidbruck in römischer Zeit zukam, und wegen des Alters und der Vielzahl der
Weiheinschrift an Isis Myrionima.
hier gefundenen archäologischen Zeugnisse stimmt ein
Namen“), um ihre vielen Qualitäten hervorzuheben Der
großer Teil der Forscher, angefangen bei Karl Mayr und
Kult dieser ursprünglich ägyptischen Gottheit war in der
Adrian Egger29, darin überein – wenn auch mit bedeu-
römischen Bevölkerung seit Mitte des 2. Jahrhunderts n.
tenden Ausnahmen –, diese Fundstätte mit der mansio
Chr. sehr beliebt22 und verdankte seine schnelle Verbrei-
(Straßenstation) Sublabio/Sublavio zu identifizieren, die
tung auch den orientalischen Sklaven, die zum Verwal-
(in diesen beiden Schreibweisen) durch immerhin zwei
tungspersonal der Zollstationen gehörten . Die zwei
Kartenwerke der spätrömischen Kaiserzeit belegt ist, die
23
31
Historische Einführung
uns als mittelalterliche Kopien erhalten sind, das Itinera-
Zahl (die heutige Entfernung beträgt rund 43 km, also
rium Antonini und die Tabula Peutingeriana . Bei der
29 römische Meilen), die von den meisten schlicht als
Tabula Peutingeriana handelt es sich um ein itinerarium
Kopierfehler31 oder als Folge des Wegfalls einer Zwi-
pictum, also eine wahrhaftige, gemalte Straßenkarte; sie
schenstation32 interpretiert wird. Erwähnenswert ist
gibt die Entfernung der mansio mit XIII Meilen (19,2 km)
aber auch eine Meinung, die sich von dieser favorisier-
von Pons Drusi und XXXV Meilen von Vepitenum an, was
ten Interpretation abhebt, zur Zeit aber eher isoliert
gut übereinstimmen mag mit den rund 20 km, die Waid-
erscheint33, nach der auch die in der Tabula Peutingeri-
bruck heute von Bozen, und den 52 km, die es von Sterz-
ana genannten Entfernungen von der Eisacktaler man-
30
sio nicht korrekt seien. Dieser Theorie zufolge befinde sich die überzeugendste und natürliche Position für die einzige Straßenstation zwischen Bozen und Sterzing auf etwa halbem Weg zwischen den beiden Orten, also im heutigen Gebiet von Brixen, wo in den letzten Jahren zahlreiche Siedlungs spuren aus römischer Zeit zutage gefördert wurden, darunter ein Wohnhaus mit Thermenanlage in der Nähe eines antiken Straßenstücks.
Die Entdeckungen von 1927 und die Zerstörung des archäologischen Kontexts Für die archäologischen Entdeckungen, die 1927 bei den Aushubarbeiten für das Eisack-Staubecken gemacht wurden, ist uns als einziges Zeugnis der Bericht des BrixDas Eisack-Staubecken und, im Hintergrund, das Ausgrabungsgelände 2003-2007.
ner Prälaten Adrian Egger erhalten, eines leidenschaftlichen Archäologen, der, wenn auch spät, zum Augenzeugen der Freilegung und der Zerstörung des Fundkontexts
ing trennen. Das andere Dokument hingegen, ein itine-
und der freigelegten Funde wurde.
rarium adnotatum, also eine Art Wegbeschreibung für
Egger, der damals das Amt eines Inspektors ehrenhalber
Reisende, gibt die Entfernung zwischen der mansio
der Regia Soprintendenza alle Antichità delle Venezie
Endidae (die mit Neumarkt identifiziert wird), einem
bekleidete, tat, was in seiner Macht stand, um die Schän-
Zwischenhalt auf dem Weg nach Tridentum, und Subla-
dung des archäologischen Erbes zu verhindern, indem
vio mit XXIIII Meilen an (rund 35,5 km): Eine zu niedrige
er die Nachricht der Entdeckung schnellstens den
32
Entdeckungen von 1927
1927 von Adrian Egger dokumentierte Funde (in: Archivio per l’Alto Adige XXIII, 1938).
33
Entdeckungen von 1927
zuständigen Behörden meldete, doch leider reichten
wurde), insbesondere Knochen und Ziegelfragmente,
sein Einsatz und sein guter Wille nicht aus, um mehr als
aber auch römische Münzen, Eisengegenstände, Frag-
einen geringsten Teil der Fundstücke zu retten. Wie man
mente von Hohlziegeln (tubuli), von bemaltem Wand-
sich leicht vorstellen kann, wäre es unmöglich gewesen,
putz, von Glasgefäßen und Keramik, darunter Stücke aus
die Arbeiten an dem großen Bauvorhaben, die das
terra sigillata (der typischen roten Feinkeramik, so
faschistische Regime mit dem Ziel der Modernisierung
genannt wegen der häufig in Boden oder Wände einge-
und Industrialisierung der Provinz durchführte, aufzu-
drückten „Siegel“ oder Fabrikantenzeichen)37. Eggers
halten oder auch nur zu verlangsamen der arme Prälat
Bericht verzeichnet weiter, dass an der Stelle “esserci
Egger musste also hilflos mitansehen, wie die Fundstätte
state moltissime anfore” und dass “ i lavoratori racconta-
systematisch zerstört und die Funde vernichtet wurden,
vano che la draga aveva sollevato in alto anfore intere,
und konnte nur schriftlich festhalten, was er selbst vor
lasciandole poi cadere nei vagoni a bilico, così che si
Ort gesehen hatte. In seiner detaillierten Beschreibung
erano del tutto frantumate“38.
der Ereignisse, die 1928 in der Zeitschrift Archivio per
Diese Information ist sehr interessant, jedoch schwer zu
l’Alto Adige erschien , erzählt der Gelehrte, wie er auf
gewichten, vor allem, da sie der Forscher selbst als Wis-
die Nachricht hin, ein Bauer habe zufällig bei Ponte all’Is-
sen aus zweiter Hand bezeichnet; in jedem Fall könnte,
arco (Waidbruck) “una grande quantità di frammenti di
wenn sie auch nur zum Teil stimmt, das Vorhandensein
terracotta“ gefunden , am 6. April 1927 schnell vor Ort
einer großen Menge von Amphoren, also Transportbe-
geeilt sei. Er war zu Fuß Richtung Kollmann gegangen
hältern für den Handel (die vielleicht in eigenen Magazi-
und hatte auf den Wiesen nördlich des Dorfes (also auf
nen der Station lagerten?), plausibel mit der Zollfunk-
dem linken Eisackufer, an der Stelle, wo der Fluss zu
tion der Siedlung in Verbindung gebracht werden. Einer
jener Zeit eine Schleife Richtung Westen bildete) ent-
Siedlung, die, so Egger, der sie eine “Colonia romana”
deckt, dass die Aushubarbeiten der Eisack-Elektrizitäts-
nennt, auf einem Schuttkegel aus Ablagerungen des
gesellschaft SIDI bis in eine Tiefe von einem halben bis
Eisacks und seines Zuflusses Ganderbach errichtet war
einem ganzen Meter unter der Trittebene eine Kultur-
und “cominciava […] verso settentrione, a circa cin-
schicht freigelegt und bereits zerstört hatten, die
quanta metri al di sotto dei Masi Ilva, i quali stanno
ursprünglich bemerkenswert ausgedehnt gewesen sein
presso la strada a nord del bastione di terra. L’abitato
musste, von der jedoch nur noch ein kleiner Zipfel im
s’estendeva verso mezzogiorno per circa centosessanta
Südwesten übrig geblieben war.
metri lungo il declivio del monte, mentre la larghezza
Dieser Überrest einer Schicht, der kurz darauf eingeris-
massima era di circa cinquanta metri” . Aus den “poche
sen wurde, bestand aus Branderde, die reich an Kohlen,
osservazioni e scoperte che si potevano ancora com-
Knochen, Scherben, Kieseln und Bruchstücken ver-
piere“, nachdem die Stätte systematisch zerstört worden
brannter römischer Dachziegel war36; ihr konnten zahl-
war, schloss der Gelehrte, dass sich im Norden des Sied-
reiche Fundstücke entnommen werden (von denen ein
lungsgebiets die prachtvollsten Wohnhäuser befanden,
kleiner Teil dem Brixner Diözesanmuseum übergeben
die aus Steinen mit Kalkmörtel gemauert und mit
34
35
34
Die Funde von 1982
bemalten Wänden und einem Hypocaustum ausgestat-
logischen Belege gegeben hatte41. Die neuen materiel-
tet waren (einer Warmluftheizung unter dem auf Ziegel-
len Zeugnisse hingegen lieferten, so Egger, endlich eine
pfeilern hochgelagerten Fußboden), während im Süden
Bestätigung dieser Identifizierung und belegten die Siedlung Sublavio mit großer Wahrscheinlichkeit als “una doppia Stazione le cui parti, giacenti lungo le rive del fiume, comunicavano tra loro a mezzo d’un ponte“. Die These, es habe eine Brücke gegeben, die recht wahrscheinlich ist und auch in jüngerer Zeit von verschiedenen Forschern vertreten wird42, ist in Wirklichkeit noch durch keine Funde belegt; andererseits zwingt das bis heute völlige Fehlen archäologischer Spuren auf der rechten Flussseite dazu, eine Ausdehnung der Siedlung auf diese Seite bis zum Beweis des Gegenteils auszuschließen. Die antike Siedlung, die vom 1. bis zum 5. Jahrhundert n. Chr. bewohnt gewesen sei, müsse durch einen schrecklichen Brand vernichtet worden sein, dessen sichtbare Spuren in einer dicken Zerstörungsschicht aus Kohle und Asche erhalten blieben43. Diese Zerstörung kann laut Egger mit den verheerenden Folgen der Barbareneinfälle in Verbindung gebracht werden, die das Römische Reich im 5. Jahrhundert erschütterten und vor allem die Siedlungen und Landstriche in den
1927 von Adrian Egger dokumentierte Funde (in: Archivio per l’Alto Adige XXIII, 1938).
Grenzgebieten heimsuchten; speziell mit den Raubzügen der Goten, die mehrmals in den alpinen Raum vor drangen und sich 401–402 n. Chr. unter Alarich und
und Osten die architektonisch weniger anspruchsvollen
405–406 unter Radagaisus in Norditalien ausbreiteten44.
Häuser lagen, die aus mit Erdmörtel verbundenen Trockenmauern bestanden40. Aus dieser archäologischen Evidenz folgerte der Forscher schließlich, wie bereits
Die Funde von 1982
angedeutet, dass die Fundstätte von Kollmann/Waidbruck mit der in den antiken Wegbeschreibungen Subla-
Auch in jüngerer Zeit wurden archäologische Spuren
bio oder Sublavio genannten Station zu identifizieren
aus der Römerzeit in Kollmann entdeckt, und zwar im
sei, eine These, die damals bereits von vielen Forschern
März 1982, als eine abgerutschte Stützmauer an dem
vertreten wurde, für die es aber bis dahin keine archäo-
terrassierten Hang unterhalb der Straße zur Trostburg, 35
Die Funde von 1982
etwa hundert Meter vor der Burg, zufällig einen stratigraphischen Kontext zutage förderte, der sich sofort als archäologisch interessant erwies. Durch sofortige Maßnahmen des Landesamtes für Bodendenkmäler konnte eine mittelalterliche Mauer identifiziert werden, die parallel zur modernen Mauer verlief, und darunter eine ältere Schicht, die aufgrund der ersten geborgenen Funde in römische Zeit datiert werden konnte. Es wurde also eine Notgrabung beschlossen und auf der Höhe der Funde ein rund 12 Meter langer Grabungsschnitt gezogen. Bei der Grabung, die die Brixner Società di Ricerche Archeologiche Rizzi durchführte, konnten zahlreiche Fundstücke geborgen werden, darunter Fragmente von Keramikgefäßen aus rätischer Produktion (2. Jahrhundert v. Chr.–2. Jahrhundert n. Chr.) und aus terra sigillata. Die terra sigillata-Fragmente, teils glatte, teils mit Barbotine- und Reliefmustern verzierte Ware, konnten nach eingehender Analyse45 einer Reihe von Manufakturen zugeordnet werden, die im 2.–3. Jahrhundert n. Chr. in den deutschen Orten Rheinzabern, Westerndorf und Pfaffenhofen tätig waren und durch die Fabrikantenstempel, die die Töpfer an ihren Gefäßen anbrachten, allgemein bekannt sind. Ein solcher Stempel findet sich auch unter den Fundstü-
Altarstein mit Weiheinschrift an Mithras/Sol.
cken der Ausgrabung und nennt den Namen eines VIC-
ähnlichen Keramikgefäßen, die in anderen Ausgra-
TOR , Töpfer in Rheinzabern (Tabernae Rhenanae), wo
bungsstätten mit Bezug zu orientalischen Kulten und
zwischen dem letzten Viertel des 2. und der zweiten
insbesondere dem Mithraskult gefunden wurden, legte
Hälfte des 3. Jahrhunderts n. Chr. das größte und bedeu-
den Schluss nahe, dass die Fragmente aus Kollmann mit
tendste Produktionszentrum für terra sigillata in den
einer möglichen mithräischen Kultstätte in der Umge-
nördlichen Provinzen des Römischen Reiches seinen Sitz
bung des heutigen Ortsgebietes in Verbindung stehen
hatte. Eine Besonderheit unter den Funden dieser Gra-
könnten47. Zur Stützung dieser These wurde ein kleiner
bung hingegen stellen einige Bruchstücke eines Ge
Altar aus dem 3. Jahrhundert n. Chr. angeführt, der
fäßes aus grober Keramik dar, dessen Oberfläche mit
ebenfalls in der Trostburg aufbewahrt wird und eine
einem Schlangenrelief verziert war. Der Vergleich mit
Weiheinschrift an Mithras/Sol trägt; unterzeichnet ist
46
36
Die Grabungen der Jahre 2003–2007
Ausgrabungen in der Kirche St. Jodok.
diese von einem Valentinus, Sohn des Secundio und Mit-
ehrt (in deren Gefolge sie vom Orient in den Westen
glied eines Kollegiums von cultores der Gottheit, von
kam)50, aber auch von den Zollbeamten des Portorium
dem nicht auszuschließen ist, dass er zum Personal der
Illyrici51, die, wie bereits festzustellen war, mit Vorliebe den
Diese Inschrift, die, neben den drei bereits erwähnten Inschriften, 1515 von dem bayrischen Humanisten Aventinus in der Kirche St. Jodok in Waidbruck entdeckt
Die Grabungen der Jahre 2003–2007
wurde49, bestätigt die Verbreitung des Mithraskultes in dieser Siedlung und ganz allgemein in Südtirol; die Gott-
Neue archäologische Zeugnisse einer Siedlung mit
heit wurde besonders von den römischen Soldaten ver-
einem Straßenstück und möglicherweise einer Nekro37
Die Grabungen der Jahre 2003–2007
pole aus römischer Zeit wurden vor wenigen Jahren in
römischer Zeit52. Diese bestand aus einer Terrakot-
der Waidbrucker Fraktion Burgfrieden und in der Kirche
ta-Urne mit den kalzinierten Knochen des Verstorbenen,
St. Jodok entdeckt, also einige hundert Meter weiter
bestattet in einer einfachen Grube, die mit der Bran-
nördlich als die Fundstätte von 1927. 2003 ergab eine
derde aufgefüllt war; darin vermischt fanden sich einige
Reste einer Brandbestattung in der Kirche St. Jodok.
Sondierungsgrabung, die anlässlich der Fußbodenres-
durch das Feuer stark beeinträchtigte Artefakte, darun-
taurierung in den Seitenschiffen der Kirche unter der
ter eine Haarnadel aus Bein, Sandalennägel, ein Bruch-
Leitung von Umberto Tecchiati vom Landesamt für
stück dünnwandiger Keramik und Teile einer Öllampe
Bodendenkmäler durch die Società di Ricerche Archeo-
aus Terrakotta mit dem Fabrikantenstempel CERIALIS,
logiche Rizzi durchgeführt wurde, in einer Tiefe von rund
der einer Paduaner Werkstatt zugeordnet werden kann,
30 cm unter der derzeitigen Trittebene die Reste zweier
die im 2. Jahrhundert n. Chr. tätig war53.
wohl ins 17. Jahrhundert zu datierenden Gräber, die
Im Laufe der Arbeiten wurde in der Nähe der Kirche
wahrscheinlich zu einem größeren, größtenteils zerstör-
außerdem ein Bruchstück einer lateinischen Inschrift
ten Gräberfeld gehörten, und eine Brandbestattung aus
gefunden, die höchstwahrscheinlich eine Widmung an
38
Die Grabungen der Jahre 2003–2007
Fragment einer römischen Inschrift, gefunden 2003 bei der Kirche St. Jodok.
den Gott Saturn enthielt54. Im selben Jahr, während der
urbanistischen und verkehrstechnischen Neugestaltung
die sofort großes Interesse erregte, so dass auf diese Ent-
des Ortsteils Burgfrieden, wurde bei Erdarbeiten für die
deckung zwischen 2003 und 2007 eine Reihe von Gra-
Verbreiterung der heutigen Friedhofstraße zufällig eine
bungskampagnen folgten, die zunächst von Katrin Mar39
Die Grabungen der Jahre 2003–2007
Ausgrabungsstätte an der Friedhofstraße.
zoli und später von Umberto Tecchiati geleitet wurden.
die im Laufe von mindestens vier Jahrhunderten – zwi-
Die von der Società di ricerche archeologiche Rizzi
schen dem 1. und dem 5. Jahrhundert n. Chr. – im Rah-
durchgeführten Grabungen dehnten sich allmählich auf
men regelmäßiger Ausbesserungs- und Wartungsarbei-
das gesamte Gebiet zwischen der Friedhofstraße im
ten aufeinandergelegt worden waren (es wurden 14
Osten und der neuen Zugangsstraße zum Dorf im Wes-
Schichten von insgesamt rund 1,4 m Stärke gezählt). Die
ten aus, insgesamt etwa 575 Quadratmeter, die vollstän-
Ausgrabung des Schotterbetts führte, wie üblich bei
dig von einem Fundkomplex aus der römischen Kaiser-
dieser Art von archäologischen Kontexten, zur Bergung
zeit eingenommen werden. Die Grabungen förderten
einer bedeutenden Menge an mobilen Artefakten, viele
einen Abschnitt der römischen Straße zutage, die durch
davon wahrscheinlich von Reisenden verlorene und
das Tal führte; dieser ist in Nord-Süd-Richtung ausge-
nicht wiedergefundene Gegenstände, wie Sandalennä-
richtet und etwa 90 Meter lang.
gel, Schlüssel, Schnallen und Münzen (die überwiegend
Die durchschnittlich 2,5 Meter breite Fahrbahn war
dem 4. und dem Beginn des 5. Jahrhunderts n. Chr.
durch zwei parallele Mauern begrenzt und bestand aus
zuzuordnen sind). In geringer Entfernung von der Straße
gut verdichteten Schichten von Steinen, Kies und Sand,
wurde ein inschriftenloser Meilenstein aus Sandstein
40
Die Grabungen der Jahre 2003–2007
Die römische Straße während der Ausgrabung.
gefunden; die ursprünglich 2,20 Meter hohe Steinsäule
Wohnhäusern wie etwa der Feuerstellen (zu bedenken
war in drei Teile zerbrochen und in ein Straßenbett aus
bleibt, dass die Räume nur oberflächlich und nur in dem
moderner Zeit geworfen worden, das den archäologi-
an die Straße grenzenden Teil untersucht wurden) zu der
schen Kontext durchschnitt, stammte aber wohl aus der
Vermutung geführt, es könne sich um Wirtschaftsge-
unmittelbaren Nähe.
bäude handeln, etwa Unterstände für Werkzeug und
Der Straßenverlauf wurde zu beiden Seiten von Gehwe-
Tiere, Lagerräume oder auch Läden.
gen und von einer Reihe von Bauten flankiert, die teils
Diese These könnte durch die gefundenen Fragmente
gemauert, teils in Mischtechnik ausgeführt waren (stei-
von Schmelztiegeln, Terrakotta-Formen und von Abfäl-
nerner Sockel mit hölzernem Aufbau) und über deren
len, die vielleicht bei der Metallverarbeitung anfielen,
genaue Art und Funktion noch nichts Definitives gesagt
gestützt werden. Zugleich gebietet die große Zahl der
werden kann, da die Auswertung der während der Gra-
gefundenen Münzen, eine kommerzielle Nutzung
bungen freigelegten Funde noch andauert. In den meis-
zumindest für einen Teil der Gebäude nicht auszuschlie-
ten Fällen hat die Verwendung „ärmlicher“ Techniken
ßen. Tatsächlich hat die Grabung eine außergewöhnlich
und vor allem das Fehlen typischer Bauelemente von
große Zahl von Münzen ergeben (538 von insgesamt 41
Die Grabungen der Jahre 2003–2007
835 Funden), die teilweise senkrecht im Erdreich steckten, wahrscheinlich, weil sie zwischen die Ritzen von hölzernen Dielen gefallen waren, mit denen der Boden ausgelegt war. Es handelt sich fast ausschließlich um Bronzemünzen, doch gibt es auch Ausnahmen, etwa zwei silberne Denare, der eine von Trajan (98–117 n. Chr.), der andere von Hadrian (117–138 n. Chr.), und einen Aureus des Kaisers Pertinax (193 n. Chr.). Ein großer Teil dieser Münzen stammt aus den Nutzungsschichten eines an der Westseite der Straße gelegenen Holzgebäudes, das als polyfunktionaler Raum gedeutet wird, der vor allem der Warenlagerung und als Unterstand für Tiere diente. Für ein einziges Gebäude an der Ostseite der Straße („Raum A“) scheint eine (überwiegende) Nutzung als Wohnhaus vorstellbar. Es unterscheidet sich von den anderen Bauten durch seine sorgfältigere architektonische Gestaltung mit solide gemauerten Außenmauern, die innen wie außen mit einem farblosen Kalksandgemisch verputzt waren, das auf Sockelhöhe unregelmäßig erhalten blieb. Dass unter den verbrannten Resten eines Bretterbodens ein Würfel und zahlreiche Spielfiguren aus Bein gefunden wurden, neben einigen landwirtschaftlichen Geräten aus Eisen und einer beachtlichen Menge von tierischen Resten (Ziege, Schaf, Geflügel, Fisch und Ochse), die in manchen Fällen Spuren der Schlachtung trugen, nährt die Vermutung, in dem Gebäude könne sich eine taberna befunden haben, also eine Art Gasthaus mit Laden, das direkt an der Straße lag. Aus den im Inneren der Gebäude ausgegrabenen Stratigraphien (Fußbodenschichten, Brandschichten von Bretterböden, Nutzungsschichten, Aufgabe- und Einsturzschichten) konnten unter anderem zahlreiche FragAureus des Kaisers Pertinax.
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mente der in der Siedlung gebräuchlichen Alltagskera-
Die Grabungen der Jahre 2003–2007
Ausgrabung der sogenannten „Räume“ B (oben) und C (unten).
Ausgrabung im „Raum A“.
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Die Grabungen der Jahre 2003–2007
Bruchstücke von Gefäßen aus terra sigillata.
mik geborgen werden, die verschiedenen Klassen zuzuordnen ist, darunter grobes Kochgeschirr und Küchengerät (Ollae, Töpfe, Schüsseln, Schalen, Trinkkrüge, Deckel), Transportamphoren, feine Tischkeramik und Öllampen. Unter den Letztgenannten sind die gefundenen „Vogelkopflampen“ und vor allem die sogenannten „Firmalampen“ erwähnenswert, deren Böden meist mit einem Fabrikantenstempel versehen sind. Zu diesen gehört ein Fragment mit dem Herstellernamen VIBIANI, der einen der aktivsten Produzenten Norditali44
Die Grabungen der Jahre 2003–2007
Schmuckstück aus Silber: Haarnadel
ens im 2.–3. Jahrhundert n. Chr. bezeichnet56 und der
dem abschließenden Eierstabfries mit Bildmotiven ver-
auch bei der Ausgrabung von 1982 nachgewiesen
ziert ist, in denen Putten, laufende Tiere, Gladiatoren
wurde . Bei den Gefäßen aus Feinkeramik überwiegt
und florale Motive zu erkennen sind.
die terra sigillata, vor allem mit norditalienischen und
Auch bei den Transportamphoren handelt es sich zur
südgallischen Erzeugnissen . Unter den im 1. und 2.
Gänze um Importware. Diese zweihenkeligen Terrakot-
Jahrhundert n. Chr. in Norditalien hergestellten Formen
tagefäße wurden in der Antike, und besonders in römi-
finden sich kegelstumpfförmige Schalen mit senkrech-
scher Zeit, für den Handel mit Waren in flüssigem oder
tem Rand der Art Conspectus 7 = Goudineau 2, zwei-
wie Wein, Olivenöl, Oliven, Datteln, Obstkonserven,
nach dem Namen des bekanntesten Herstellers, L. Sarius
Fischsaucen (garum, liquamen, muria, allec) und gepö-
L. l. Surus) und glatte Paterae mit flachem Boden oder
keltem Fisch (salsamenta), aber auch, in geringerem
Standring, die manchmal einen Stempel in planta pedis
Maße, für Salben, Balsame und anderes verwendet. Die
tragen. Unter den südgallischen Keramiken, die seit dem
Verwendung von Amphoren bedeutete nicht, dass für
2. Jahrhundert n. Chr. verbreitet waren, finden sich
den Transport von Lebensmitteln vor allem im regiona-
sowohl glatte als auch reliefverzierte Formen; besonders
len Handel, der mit Karren und Flößen erfolgte, nicht
bemerkenswert sind die Schalen vom Typ Dragendorff
auch andere Behälter wie Schläuche und Holzfässer ein-
37, die einen hohen, glatten Rand, einen kräftigen Fuß
gesetzt wurden. Tatsächlich ist die Verwendung von Fäs-
und einen kugelförmigen Bauch aufweisen, der unter
sern im alpinen und insbesondere im Südtiroler Raum
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Die Grabungen der Jahre 2003–2007
Schmuckstück aus Silber: Fibel
durch archäologische Funde seit der Eisenzeit belegt
servierendem organischen Material, im Gegensatz zur
und für die Römerzeit mangelt es nicht an reichlichen
Terrakotta, die nahezu unzerstörbar ist.
literarischen ebenso wie bildlichen Belegen ; dabei
Daraus ergibt sich, dass Amphoren die wichtigste
handelt es sich jedoch um Artefakte aus schwer zu kon-
archäologische Evidenz für antiken Handelsverkehr dar-
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Kopfzeile
Schmuckstück aus Silber: Halsreif
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Die Grabungen der Jahre 2003–2007
stellen. Wie meist in den Trentiner und Südtiroler Aus-
fixieren, und die in verschiedenen Varianten vom 1. bis
grabungsstätten stammte auch in Waidbruck die abso-
zum 4./5. Jahrhundert n. Chr. erhalten sind. Unter den
lute Mehrheit der Transportamphoren aus dem
Exemplaren aus Bronze finden sich Scheibenfibeln, kräf-
Adriaraum und diente dem Transport von Wein und Oli-
tig profilierte Fibeln und Zangenfibeln; aus Silber gefer-
venöl. Das ist nicht verwunderlich angesichts der erst-
tigt hingegen sind, wie immer, die Armbrustscharnierfi-
klassigen Verbindung der antiken Siedlung zu dem adri-
beln aus dem 3./4. Jahrhundert, die vielleicht dem
atischen Handelszentrum Altinum, sei es über die Via
militärischen Bereich zuzuordnen sind61. Ebenfalls aus
Claudia Augusta durch das Etschtal, sei es über die
Silber ist ein mit einem Noppenmuster verzierter offener
Straße, die (als Teil der Abkürzung zwischen Aquileia
Halsreif mit zu Ösen gebogenen Enden, der in seiner Art
und Veldidena in Raetien, die das Itinerarium Antonini
und wegen der Qualität seiner Ausführung einen außer-
60
„per conpendium“ nannte ) Aquileia mit Aguntum in
ordentlichen Fund darstellt, der eine eingehende Unter-
Noricum verband und durch das Pustertal ins Eisacktal
suchung mit dem Ziel einer exakten chronotypologi-
führte. In Altinum wurden Waren aus dem gesamten
schen Einordnung verdient.
Mittelmeerraum und vor allem aus den östlichen Provin-
Typisch für die materielle Kultur der Siedlung sind auch
zen in Empfang genommen und in das Hinterland wei-
die überaus zahlreichen tierischen Funde (Ziege-Schaf,
terverteilt; es mag also nicht verwundern, dass bei der
Ochse, Geflügel, Fischgräten), die zum Teil deutliche
Ausgrabung neben Behältern aus dem adriatischen
Spuren der Schlachtung tragen und die uns, zusammen
Raum auch, wenn auch in geringerem Maße, Weinam-
mit den archäobotanischen Funden, am Ende der For-
phoren aus den Regionen am Ägäischen Meer gefunden
schungsarbeit wichtige Informationen über die Essge-
wurden.
wohnheiten und die Lebensmittelwirtschaft in dieser
Diese Evidenz belegt die zumindest gelegentliche Ein-
Siedlung liefern und damit unser Bild von den Lebens-
fuhr von Waren, die als Luxusgüter betrachtet werden
umständen und -gewohnheiten der antiken Einwohner
können, und damit einen relativ hohen Lebensstandard
von Waidbruck vervollständigen werden.
der Einwohner dieser Siedlung. In den ausgegrabenen Gebäuden wurden auch zahlreiche Gebrauchsgegenstände gefunden, die uns neben Hinweisen auf alltägliche Tätigkeiten interessante Ein-
Alle Bilder, mit Ausnahme der Abb. 3 und 4, stammen aus dem Archiv des Amtes für Bodendenkmäler der Autonomen Provinz Bozen – Südtirol, dem ich für die freundlich gewährte Abdruckgenehmigung danke.
zelheiten über Bräuche und Kleidung der antiken Einwohner und der anderen Personen liefern, die die Siedlung in römischer Zeit besuchten: Erwähnenswert sind
Anmerkungen
etwa die Haarnadeln aus Bein und aus Silber, die die Frauen benutzten, um ihre Frisuren festzustecken,
1. Ich danke Umberto Tecchiati vom Amt für Bodendenkmäler der Auto-
Anhänger, Fingerringe mit geschnitzten Gemmen sowie
nomen Provinz Bozen – Südtirol und Gianni Rizzi von der Società di Ricer-
Fibeln, die dazu dienten, die Zipfel des Umhangs zu
che Archeologiche Rizzi, Brixen, für die wertvollen Hinweise und Ratschläge
48
Anmerkungen
bei der Abfassung dieses Aufsatzes und für die Bereitstellung und Abdruck-
2005, 116.
genehmigung der Bilder, die den Text ergänzen.
9. Zu dieser Straße siehe insbesondere Luciano Bosio, Le strade romane
2. Breuni und Isarci werden von Plinius unter den Alpenvölkern genannt
della Venetia e dell’Histria, Padova 1991, 93, und, zuletzt, Pesavento Mat-
(Naturalis Historia III, 20), ebenso am Tropaeum Alpium, einem Siegesdenk-
tioli, Il sistema stradale, 26–27.
mal, das Augustus 7–6 v. Chr. in La Turbie in den Seealpen errichten ließ, um
10. Zur Bedeutung und zum Alter der Straße längs des Eisacks im Talboden
die Unterwerfung der Alpenvölker zu feiern; die Breuni sind auch bei Stra-
siehe insbesondere Luciano Bosio, Aica e Tires in rapporto alle comunicazi-
bon erwähnt (Geografia, IV, 6, 8). Siehe dazu Gioia Conta, Romanizzazione
oni stradali nell’area compresa fra il basso corso dell’Isarco e l’alta valle di
e viabilità nella regione altoatesina, in: La Venetia nell’area padano-danu-
Fassa, in: Tires e Aica. Necropoli di epoca romana, hg. von Guido Rosada/
biana. Le vie di comunicazione, Atti del Convegno Internazionale (Venezia,
Lorenzo Dal Ri. Verona 1985, 292; Conta, Romanizzazione e viabilità, 227;
6-10 aprile 1988). Padova 1990, 224.
Guido Rosada, La viabilità tra decima regio, Raetia e Noricum come sis-
3. Für eine umfassende Darstellung der Besiedelung Südtirols in vorge-
tema territoriale, in: Archäologie der Römerzeit in Südtirol. Beiträge und
schichtlicher Zeit siehe zuletzt Umberto Tecchiati, Il frutto di un buio seme.
Forschungen / Archeologia Romana in Alto Adige. Studi e contributi, hg.
Riflessioni sulla formazione del paesaggio antropizzato nel Neolitico e
von Lorenzo Dal Ri/Stefano di Stefano. Bozen 2002, 50–52; Laura Allavena
nell’età del Rame dell’alto bacino dell’Adige, in: Atti dell’Accademia Rovere-
Silverio/Gianni Rizzi, La strada romana di Elvas nella viabilità antica della
tana degli Agiati 26 2, IX, II, A (2012), 61–102.
Valle Isarco, in: Archäologie der Römerzeit in Südtirol. Beiträge und For-
4. Zu den archäologischen Zeugnissen im Brixner Talkessel siehe insbe-
schungen / Archeologia Romana in Alto Adige. Studi e contributi, hg. von
sondere Lorenzo Dal Ri/Gianni Rizzi, Evidenze di viabilità antica in Alto
Lorenzo Dal Ri/Stefano di Stefano. Bozen 2002, 515–519; Di Stefano/Iane-
Adige, in: Atti del Convegno di Studio Itinerari e itineranti attraverso le Alpi
selli, La viabilità romana, 116–117. Gebührend hervorzuheben ist die
dall’antichità all’Alto medioevo (Studi Trentini di Scienze Storiche, LXXXIV, I,
archäologische Bestätigung der Existenz vorrömischer Straßenebenen
4, S). Trento 2005, 38–42.
unter den römischen Schichten in den Ausgrabungsstätten von Blumau
5. Zum Beispiel bei Polybios III, 47, 99.
(Radiokarbondatierung; persönliche Auskunft von Gianni Rizzi) und von
6. Alpibus bello patefactis heißt es in den Inschriften der Meilensteine, die
Brixen, wo sich dieser Fund an mehreren Stellen wiederholt (Dal Ri/Rizzi,
in Rabland bei Meran und in Cesiomaggiore im Piavetal gefunden wurden:
Evidenze di viabilità, 38–41).
Stefania Pesavento Mattioli, Il sistema stradale nel quadro della viabilità
11. Siehe infra.
dell’Italia nord-orientale, in: Storia del Trentino II, L’età romana, hg. von
12. Strabon, Geographie, IV, 6, 9. In diesem Zusammenhang siehe Conta,
Ezio Buchi. Bologna 2000, 32.
Romanizzazione e viabilità, 229.
7. Die Frage findet sich zusammengefasst in Pesavento Mattioli, Il sistema
13. Adrian Egger, La stazione romana “Sublavio” presso Colma, in: Archivio
stradale, 33–35, mit vorhergehender Bibliografie.
per l’Alto Adige, XXIII (1928), 73–89.
8. Eine Zusammenfassung der Frage findet sich in Pesavento Mattioli, Il
14. Nach dem jüngsten Vorschlag von Bernd Steidl muss das Gebiet auf der
sistema stradale, 25–26; siehe desweiteren Stefano Di Stefano/Giovanna
linken Seite des Eisacks zu Noricum, das auf der rechten Seite zu Raetien
Ianeselli, La viabilità romana in Alto Adige: tracciati viari e infrastrutture. Il
gehört haben, während auf der Höhe von Blumau die Grenze zur Regio X
punto della situazione sulla base delle fonti, in: I territori della Via Claudia
verlief: Bernd Steidl, Zum Grenzverlauf zwischen Noricum, Raetien und der
Augusta: incontri di archeologia / Leben an der Via Claudia Augusta:
Regio X im Eisacktal, in: Bayerische Vorgeschichtsblätter 76 (2011), 157–
Archäologische Beiträge, hg. von Gianni Ciurletti/Nicoletta Pisu. Trento
176.
49
Anmerkungen
15. Sigfried J. De Laet, Portorium. Étude sur l’organisation douanière chez
61. Elisabeth Ettlinger, Die römischen Fibeln in der Schweiz. Bern 1973, 138,
49. Aventinus, 1515, Münchner Cod. lat. 967, fol. 15V. Heute wird der Stein
Typ 56.
in der Trostburg aufbewahrt, wo er in der Brüstung einer internen Treppe vermauert ist. 50. Buonopane, Società, economia, religione, 184–186.
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Report "B. Maurina, Waidbruck in der Römerzeit: Die Archäologischen Zeugnisse in Gemeinde Waidbruck (ed.), Dorfbuch Waidbruck. 750 Jahre (1264-2014), Waidbruck 2014 "