Aus der Rolle fallen. Zum Stilmittel des Aparte in Film und Fernsehen C L A U S TIEBER (WIEN)
Das Beiseitesprechen, ob zu sich oder direkt zum Publikum, ist am Theater seit der Antike ein bekanntes Stilmittel. Aparte, a parté, aside, Beiseitesprechen sind die gebräuchlichen Begriffe hierfür. Im Film entspricht das Aparte ad spectatores dem Indie-Kamera-Schauen. In der Filmwissenschaft wird hierfür der Begriff der „Direktadressierung" verwendet. Die Herkunft des Stilmittels vom Theater ist evident. In etlichen Formen und Genres des Films ist die Direktadressierung ein gebräuchliches Stilmittel. Im klassischen Hollywoodkino und dem davon beeinflussten Mainstreamkino stellt das In-die-Kamera-Schauen jedoch einen Regelverstoß dar und beschränkt sich auf zwei Genres : das Musical und die Komödie. Während im Musical, wie Jane Feuer1 schreibt, der distanzierende und überraschende Effekt der Direktadressierung abgeschwächt wird, ist dies in der Komödie keineswegs der Fall. Schließlich ist der Blick in die Kamera in der Komödie ein komisches Mittel, ein Gag, der nur dann zur vollen Geltung kommt, wenn er überraschend eingesetzt wird. Jede Abschwächung des Effekts, jede Vorbereitung des Publikums würde den Blick in die Kamera seiner Komik berauben. Eine der wenigen Möglichkeiten, die Wirkung der Direktadressierung in der Komödie abzuschwächen, ist, es als theatrale Technik zu sehen und schlicht abzufilmen, ohne es filmisch umzusetzen. Ein Beispiel hierfür ist der zweite Film der Marx Brothers. Animal
Crackers2
In Animal Crackers (1930) parodiert Groucho Marx O'Neills erfolgreiches Stück „Strange Interlude." Groucho flirtet in dieser Szene mit zwei Frauen. Bereits am Beginn der Szene kommt es zu einem kurzen In-die-Kamera-Sprechen, in einer Einstellung, in der auch eine der beiden Frauen zu sehen ist und eben nicht in einem Close-Up auf Groucho Marx. Wie am Theater werden hier alle Regeln der Wahrscheinlichkeit und der Akustik gebrochen. Die Szene nimmt ihren Verlauf und Groucho Marx meint sodann : „If I were Eugene O'Neill I could tell you what I really think of you two"3. Er sagt dies in einer Totalen, in der alle drei zu sehen sind. 1 2 3
Feuer, Jane. The Hollywood Musical. Indiana Bloomington und Indianapolis : University Press (2. Aufl.,) 1993. S. 35 ff. Animal Crackers, Regie: Victor Heerman. U S A : Paramount 1930. Animal Crackers.
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Claus Heber
Mit den Worten „Pardon me while I have a Strange Interlude" 4 tritt er vor und spricht eben nicht direkt zur Kamera, sondern zu sich. Dieser Vorgang - Vortreten und wieder zurückgehen - wiederholt sich noch zweimal. Es handelt sich hierbei um ein klassisches Bühnenaparte, nicht aber um ein Aparte ad spectatores. Und dies, nachdem wenige Augenblicke zuvor ein ebensolches eingesetzt wurde. Dieses Aparte wird in Animal Crackers nicht filmisch - durch Close-ups oder entsprechende Einstellungen, - umgesetzt, sondern durch die Sprache und den Gestus des Vortrags, welcher sich mit seinem absichtsvollen Pathos deutlich vom Rest des Films unterscheidet, vom ansonsten vorherrschenden Stil von Animal Crackers abgehoben. Animal Crackers zeigt eine Abfilmung eines Bühnenapartes und keine filmische Direktadressierung. Die Figur bleibt dabei die gleiche. Groucho Marx steigt zwar aus der Szene aus, er fällt jedoch nicht aus der Rolle.
Annie Hall5 Im Unterschied etwa zu einem Film, mit dem einer der größten Verehrer der Marx Brothers einen Oscar für den besten Film des Jahres gewann. Woody Allens Annie Hall enthält eine Unmenge an gegen die Regeln verstoßenden Stilmitteln, die sowohl als Gags eingesetzt werden - ζ. B. Untertitel, die zeigen, was die Figuren denken - , als auch eine nicht-chronologische Erzählweise ermöglichen. Der Film beginnt mit einem direkt in die Kamera sprechenden Woody Allen, von dem wir erst etwas später erfahren, dass er in diesem Film eine Figur namens Alvy Singer spielt. Diese ersten Minuten des Films zeigen uns sozusagen den Stand-Up des Komikers Woody Allen, der erst langsam zu der Figur wird, die er in dem Film spielt. Mit der Ambivalenz zwischen der Figur, die Allen spielt und Allen, dem Erzähler, spielt der Film an vielen Stellen, immer wieder auch mittels Direktadressierung. Kurze Szenen aus Alvys Kindheit werden mittels Allens Voice-over-Stimme zusammengehalten. Das Voice-over stellt hier eine Verlängerung, eine Fortsetzung der Direktadressierung der ersten Filmminuten dar. Ich kenne kein Beispiel für einen Film, in dem Direktadressierung und Voice-over gleich häufig verwendet werden. Die beiden Stilmittel schließen einander aus, weil sie sich recht ähnlich sind. In Filmen, die mittels Voice-over erzählt werden, findet sich selten eine Direktadressierung. Umgekehrt findet sich ein Voice-over in einem Film, in dem das In-die-Kamera-Sprechen zum Erzählstil des Films gehört, nur als Übergang, als Überleitung. Während hingegen Voice-over in allen Genres des Hollywoodkinos Anwendung fand und findet, bleibt das In-die-Kamera-Sprechen, nach dem Ende des Musicals, der Komödie vorbehalten.
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Ebd.
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Annie
Hall.
Regie : Woody Allen. U S A : United Artists 1977.
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Aus der Rolle fallen. Zum Stilmittel des Aparte in Film und Fernsehen
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Woody Allen verwendet Direktadressierung in Annie Hall mehrfach. Der eben erwähnte Beginn des Films macht, neben der Herkunft sowohl des Schauspielers/ Autors als auch des Stilmittels von der Bühne, vor allem die Erzählposition des Films deutlich. Allen nützt Direktadressierung zu komischen Effekten, zur Möglichkeit der komischen Kommentierung des Geschehens, wie ζ. B. in der Dinner-Szene bei Annies Familie. Dies macht den Film persönlicher und hat den Effekt, dass sich das Publikum stärker mit der Figur identifiziert. Es wird schließlich nur ein Standpunkt mittels Direktadressierung dem Publikum vermittelt. Direktadressierung unterbricht dabei die Handlung, bremst, ja stoppt den Verlauf der Erzählung. Eben deshalb eignet es sich auch als Stilmittel für Filme, die ihre Geschichte nicht in chronologischer Reihenfolge erzählen. Das bekannteste Beispiel für eine Direktadressierung in Annie Hall ist jene im Kino. Alvy steht mit Annie in einer Schlange, hinter ihnen spricht ein Mann über allerlei intellektuelle Themen, über Fellini und über Marshall McLuhans Thesen. Alvy ist zunächst nur genervt, tritt aber dann aus der Reihe heraus und spricht direkt in die Kamera. Daraufhin tritt auch der Mann aus der Schlange zu Alvy hin und verteidigt der Kamera gegenüber seine Thesen. Woraufhin Alvy/Allen hinter einer Plakatwand den echten Marshall McLuhan hervorholt. Dieser spricht in wenigen Sätzen davon, dass alles, was der Mann aus der Schlange gesagt hat, Unsinn sei. Die Szene endet mit Alvy/Allen, der direkt in die Kamera spricht: „Boy, if life were only like this!" Allen verwendet hier die Direktadressierung um eine andere Wirklichkeit zeigen zu können. Allens Kommentar zu dem Gerede des Mannes aus der Schlange wird zur surrealen Szene. Bemerkenswert an dieser Szene ist, dass der Raum, den Alvy/ Allen mit seinem Heraustreten aus der Schlange und seinem In-die-Kamerasprechen schafft, nicht wie sonst üblich von den Mitspielenden einfach ignoriert wird, sondern hier vom Mann aus der Schlange sofort registriert wird. Die Kamera, das Publikum wird hier zur objektiven Instanz, beide Figuren buhlen um die Zustimmung des Publikums. Allen löst die Szene, indem er den angesprochenen Experten Marshall McLuhan in den Film holt, dessen Urteilskraft er damit mehr vertraut als jener des Publikums. Nachdem dieser in wenigen nicht sonderlich intellektuellen Sätzen klargemacht hat, dass Alvy/Allen zuzustimmen ist, kann Allen/Alvy die Szene mit dem Satz an das Publikum beenden. „Boy, if life were only like this !" Im Unterschied zu Animal Crackers, wo Groucho Marx innerhalb der Rolle bleibt, auch wenn er zum Publikum bzw. zu sich spricht, kann man in Annie Hall durchaus argumentieren, dass hier nicht mehr nur die Figur des Alvy Singer spricht.
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Claus Tieber
Waynes World6 Ein Beispiel dafür, wie ein komischer Film der frühen 90er Jahre Direktadressierung nützt, ist Wayne's World (1992). Die Figuren und die dem Film zugrunde liegende Idee wurden in der Fernsehshow Saturday Night Live von Mike Meyers entwickelt. Der Film verwendet eine Reihe von Stilmitteln, die gegen die Regeln des klassischen Hollywoodkinos verstoßen. Komik wird in Wayne's World u. a. mittels Untertiteln, mittels mehrerer Versionen des Schlusses und eben mittels Direktadressierung erzielt. Der Film gibt sich für die Anwendung von Direktadressierungen seine eigenen Regeln. Mit der Kamera dürfen nur Wayne und Garth, der Protagonist und sein Sidekick, sprechen. Darauf werden die Zuseher mittels Direktadressierung in dem Moment aufmerksam gemacht, als kurzfristig eine andere Figur mit der Kamera zu sprechen beginnt. Das Sprechen mit der Kamera ist auch nicht in jedem Moment des Films angemessen. So muss beispielsweise Garth in einer Szene im Restaurant, in der die beiden Helden vom Fernsehmanager ein großzügiges Angebot bekommen, erst einen Kugelschreiber auf den Boden schubsen. Somit hat er sich einen Vorwand verschafft, um sich bücken und unter dem Tisch mit der Kamera sprechen zu können. Die Kamera - das Publikum, ist ein Vertrauter, ein Freund, dem die Protagonisten ihre wahren Gedanken anvertrauen können, die natürlich nicht für die Ohren des Bösewichts gedacht sind. Der Film generiert in der Szene Komik aus einem unangemessen scheinenden Verständnis von Wahrscheinlichkeit angesichts eines Stilmittels, welches jeder Wahrscheinlichkeit widerspricht. Die Frage, wer mit der Kamera sprechen kann, beantworten Filme auf unterschiedliche Weise. Zumeist ist es der Protagonist/die Protagonistin, dem/der dies allein und ausschließlich gestattet ist. Die Erweiterung auf einen Sidekick wie in Wayne's World ist eher selten, wobei die Figur des Sidekicks hier wie generell im Genrefilm zu nicht viel mehr dient, denn als Sprachrohr des Protagonisten bzw. als Wahrer dessen ursprünglicher Ideen und Werte zu fungieren.
Poppitz1 Ein Beispiel für Direktadressierung in einer österreichischen Komödie ist Poppitz (2002) von Harald Sicheritz. In diesem Film kommen zwei Varianten des In-die Kamera-Schauens vor. Zum einen jene, die man die „dokumentarische" nennen könnte. Im Film sind es Animateure in einem Feriendorf, die mittels Aparte ad spectatores ihre Backstories, ihre wahren Gefühle dem Publikum mitteilen. Dies
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Wayne's World. Regie: Penelope Spheeris. USA: Paramount 1992. Poppitz. Regie : Harald Sicheritz. A: Dor Film 2002.
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Aus der Rolle fallen. Zum Stilniittel des Aparte in Film und Fernsehen
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geschieht in Szenen, in denen sie in die Kamera eines Urlaubers sprechen, natürlich genau in dem Moment, als diese gerade nicht aufnimmt. Der Blick in die Kamera erfolgt hier sozusagen in eine diegetische Kamera. Diese Lösung stellt nicht nur einen formalen Rahmen dar, der diese kurzen Szenen miteinander verbindet, er ist auch ein Zugeständnis an die Ansprüche des Publikums an Wahrscheinlichkeit. Diese „dokumentarische" Direktadressierung unterscheidet sich somit deutlich von den Direktadressierungen des Protagonisten. Dessen Monopol auf das Stilmittel bleibt somit erhalten. Die oben genannten Szenen sind nun alles andere als komisch. Es handelt sich bei ihnen um kurze Momente von Realität bzw. einer möglichen Realität, die so gar nicht in die sonst so künstliche Welt des Films passen. Diese Momente sind bewusste Kontrapunkte zum Rest des Films. Sie wirken distanzierend und sollen offensichtlich eine aufklärerische Funktion haben, die über den formalen Regelverstoß hinausgeht. Die direkte Adressierung des Publikums durch den Protagonisten steht dazu in einem deutlichen Widerspruch. Wobei diese Figur kein sympathischer Underdog, kein Harlekin, keine Figur ist, mit der eine Identifikation so einfach möglich ist, sondern ein grantiger, sexistischer, Kleinbürger. So schreit Poppitz an einer Stelle „Scheiß Piefke!", um dann in die Kamera zu sprechen: „Des derf I eigentlich net sagen, aber denken derf I mas," woraufhin die Szene noch einmal, aber nun ohne Beschimpfung gezeigt wird. Einer der Gründe, warum Direktadressierung in Poppitz verwendet wird, ist die Herkunft des Hauptdarstellers Roland Düringer von der Bühne. Düringer ist als Solokabarettist bekannt geworden, bevor er Filme machte. In seinen Programmen hat er mittlerweile eine Figur geschaffen, ein On-Stage-Image, welche nicht nur ein breites Publikum findet, sondern bei der Kritik mitunter auch auf heftige Ablehnung stößt. Die Figur des Poppitz ist da keine Ausnahme, auch hier spielt Düringer einen spießigen, kleinbürgerlichen Mann. Es ist anzunehmen, dass Düringers Erfolg nicht darauf zurückzuführen ist, dass sein Publikum ihn für den Entlarver kleinbürgerlicher Spießigkeiten hält, für den Kritiker eines provinziellen Österreichs, sondern viel eher darauf, dass es sich mit der Bühnenfigur Düringer identifiziert. Der Grund dafür liegt auch darin, dass Düringer als Solokabarettist direkt zum Publikum spricht. Die Übernahme dieses Stilmittels in Poppitz ist da nur folgerichtig. Die Reaktionen auf den Film waren denn auch jenen auf die vorangegangenen Stücke und Filme ähnlich: großer Erfolg an der Kinokassa, Kritiker, die Düringer eine unreflektierte Darstellung seiner Figur(en) vorwerfen. Nun gibt es auch Beispiele, in denen offensichtlich wird, dass Autor/Darsteller zur Figur auf Distanz gehen und die dennoch direkt an das Publikum adressiert sind. Das berühmteste Beispiel hierfür ist Österreichs erster Kabarettfilm Der Herr Karl*. 8
Der Herr Karl. Regie: Erich Neuberg. A: ORF 1961. Bereitgestellt von | provisional account Unangemeldet Heruntergeladen am | 12.02.16 06:28
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Claus Heber
Der Herr Karl „Der Gesprächspartner des Herrn Karl ist die Kamera - ist damit der Zuseher. Wir sind der .junge Mensch.'" 9 Durch dieses In-die-Kamera-Sprechen wird eine Komplizenschaft mit dem Publikum hergestellt. Karl ist, das ist einer seiner wesentlichen, meist wenig bis gar nicht beachteten Wesenszüge, immer auf Zustimmung bedacht. Ich sehe dies nicht im Widerspruch zu seinem amoralischen Charakter, sondern als Folge seines Gestus. Ununterbrochenes Monologisieren gegenüber einem stummen Gesprächspartner, immer wiederkehrende Redewendungen erzeugen beim Zuhörer zwangsläufig den Eindruck, die Figur sei auf Zustimmung aus. Widerspruch duldet Karl denn auch nicht, er lässt diesen durch sein permanentes Reden auch nicht zu. Dieser Gestus ist in der österreichischen Literatur weit verbreitet. Es handelt sich dabei nicht um ein schuldbewusstes Beichten, das auf Absolution aus ist, sondern vielmehr um ein herrschaftliches Einfordern von Zustimmung, die als gegeben wahrgenommen wird, auch wenn sie nicht explizit ausgesprochen wird - wozu ja auch keine Zeit bleibt angesichts der endlosen Monologe. Auf eben dem Zustimmungsheischen der Figur, welches durch das In-dieKamera-Sprechen unmittelbar an das Publikum gerichtet ist, basieren die bekannten Reaktionen auf den Film. Die Direktadressierung im Film hat den Effekt einer stärkeren Identifizierung mit der in die Kamera sprechenden Figur. Eine Figur, die das Publikum direkt anspricht, fordert Reaktionen - Zustimmung oder Ablehnung - viel unmittelbarer heraus, als wenn die gleiche Figur mit dem gleichen Text in einer dialogischen Situation agieren würde. Dass die Figur des Herrn Karl so starke und so unterschiedliche Reaktionen auslösen konnte, hat eben auch etwas mit der Umsetzung des Textes, mit der filmischen Inszenierung zu tun. Es hat etwas damit zu tun, dass der Herr Karl direkt in die Kamera spricht. Dadurch erst provoziert er Reaktionen in einem viel heftigeren Ausmaß als dies der Fall wäre, hätte man den Film in der dritten und nicht in der ersten Person gedreht. Zu sehen sind seine Charaktereigenschaften nicht, nur zu hören. Zu sehen ist ein freundlicher Mann, den man problemlos sympathisch finden kann. Heute ist die Angst um das Zustimmungspotential der Figur so groß, dass Theateraufführungen des Stückes immer wieder die indirekte Variante wählen und den „jungen Menschen" (mitunter auch die Chefin) auf die Bühne stellen.
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Steinen, Fiona; Steinen, Heinz. „Reflexive Menschenverachtung: die Wienerische Variante von Herrschaftskritik. Der Herr Karl - ein echter Wiener geht nicht unter" in : Sieben, Talos (Hg.) : Österreich 1945-1995. Wien: Verlag für Gesellschaftskritik 1995. S. 237.
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Aus der Rolle fallen. Zum Stilmittel des Aparte in Film und Fernsehen
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Zusammenfassung Zusammengefasst ist die Direktadressierung im Film ein Stilmittel, das -
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eine „Komplizenschaft" zwischen Figur und Publikum herstellt zumeist dem Protagonisten vorbehalten ist und damit keinen Widerspruch, keine andere Sichtweise zulässt dokumentarisch wirkt, weil ein Stilmittel gemeinhin dem Dokumentarfilm zugeschrieben, in diesem angewandt wird. Dies hat zumeist sowohl einen komischen Effekt, als auch einen „Wahrheitseffekt", Figuren, die in die Kamera sprechen, geben ihre Gefühle und Gedanken eher und unmittelbarer preis, handlungsaufhaltend, handlungsunterbrechend ist. Der Fortgang der Geschichte, ob mittels Dialog oder Aktionen des Protagonisten, wird gebremst bzw. gestoppt die Kamera und somit die Machart, das Gemachtsein des Films sichtbar macht, im kommerziellen, westlichen Spielfilm fast ausschließlich in Komödien zu sehen ist.
Die Komplizenschaft zwischen Figur und Publikum, die Identifikation mit dem Protagonisten, die mit diesem Stilmittel noch verstärkt wird, wiegen schwerer als die mögliche Distanzierung von der filmischen Welt, die durch Direktadressierung sichtbar gemacht wird. Eine Distanzierung findet vornehmlich dann statt, wenn der Darsteller der Figur aus der Rolle fällt. Ansonsten ist die mittels Direktadressierung hergestellte bzw. verstärkte Komplizenschaft so groß, dass dieses Identifikationsangebot selbst bei negativ dargestellten Figuren oft angenommen wird. In aller Regel wird das Stilmittel nicht als durchgängiges verwendet, einen komischen Effekt gewinnt es vor allem aus der Überraschung des Regelverstoßes. Direktadressierung ist außerhalb der Komödie im Mainstreamfilm auch deshalb nicht sehr gebräuchlich, weil es den Handlungsfluss bremst. Nur in Komödien, in denen es nicht erstrangig um den Plot geht, ist für dieses Stilmittel Platz und auch hier nur in beschränktem Ausmaß. Das verwandte Stilmittel des Voice-over ist im Vergleich dazu wesentlich ökonomischer in Bezug auf die Erzählgeschwindigkeit. Das Stilmittel der Direktadressierung ist die filmische Ubersetzung des Aparte ad spectatores. Durch den Wechsel in ein anderes Medium ist aus dem theatralen ein filmisches Stilmittel geworden. Gleich geblieben sind die Eigenschaften und möglichen Funktionen dieses Stilmittels. Geändert hat sich allerdings der ästhetische Rahmen innerhalb dessen es eingesetzt wird. Handelt es sich bei diesem Rahmen um das klassische Hollywoodkino, so stellt die Direktadressierung einen Regelverstoß dar, weil es die Kamera und damit das Gemachtsein des Films sichtbar macht. Direktadressierung ist eine Übertretung der Norm, welche (fast) ausschließlich der Komödie vorbehalten ist. Nur in der Komödie sind derartige Grenzüberschreitungen möglich. Nur hier wird aus der Grenzüberschreitung Komik generiert, somit ein ästhetischer Mehrwert gewonnen, der die Missachtung der N o r m legitimiert. Die Bereitgestellt von | provisional account Unangemeldet Heruntergeladen am | 12.02.16 06:28
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Claus Heber
Normen des klassischen Hollywoodkinos mögen zunehmend an Einfluss verlieren, der Umstand, dass ein Stilmittel wie die Direktadressierung nach wie vor der Komödie vorbehalten ist, spricht jedoch für die anhaltende Autorität dieser Normen.
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