Mit Überlichtgeschwindigkeit zu den antiken Göttern und zurück: Was uns Astronomie, Archäologie, Astrologie, Psychologie, Philosophie, Mathematik und Mythologie über GOTT sagen!
Ekstatischer Essay von Tom de Toys (Seit 2016 @ https://uni-koln.academia.edu/NEUROATHEISMUS )
Für Seminare & Schulunterricht empfiehlt sich als didaktischer Einstieg in diese Materie das gekürzte HANDOUT-PDF @ www.URLust.de
GeleitwORT
Das Institut für Ganz & GarNix freut sich, Ihnen heute das Ergebnis von Recherchen präsentieren zu können, für die wir unserem Mitarbeiter Herrn De Toys einen Büroplatz mitsamt Bibliothek und technischen Rahmenbedingungen schaffen konnten, weil das Thema seines Vortrages erstaunlicherweise mit seiner eigenen mystischen Urerfahrung des 'LOCHiSMUß' vom 5.5.1989 zusammenhängt, die bekanntermaßen zur Gründung des G&GN-Instituts führte, dessen Motto lautet: PERINZENDENZ STATT TRANSZENDENZ. Insofern war es uns eine präsentOMatische Pflicht, sein Vorhaben ideell zu unterstütZEN und die ausführliche Originalversion der Allgemeinheit nun zur Verfügung zu stellen. Mögen weitere religionskritische Bewußtseinsforscher davon profitieren! Sebastian Nutzlos, 1.G&GN-Vorsitzender, Berlin-Neukölln, den 5.5.2010 (letztes Update: 23.2.2016, Düsseldorf Eller-Süd @ www.artDdorf.de)
Wer hat schonmal versucht, sich die LEERE vorzustellen? Versuche, sie in einer kleinen ZEICHNUNG darzustellen oder mit einem kurzen SATZ zu beschreiben!
"...sinnbildlich ist das Pleroma der kleinste nur angenommene, nicht seiende punkt in uns und das unendliche weltgewölbe um uns." C.G.Jung: "VII SERMONES AD MORTUOS" (1916)
"Aus den Zeiten schriftloser Kulturen zeugen vielfältige archäologische Funde vom himmelskundlichen Wissen der frühen Menschen. Die Achsen oder die Zugänge zu ihren oft monumentalen Grabbauten waren nach markanten Punkten des jährlichen Sonnen- oder Mondlaufes ausgerichtet, (...) Grabbauten wurden zu Kultstätten oder Kultstätten zu Grabbauten, nicht nur zur Verehrung der Ahnen, sondern auch zur Stätte magischer Beschwörung, der kultischen Verehrung von Gestirnsgöttern und auf einer höheren Kulturstufe zu 'Observatorien' und Kalenderbauten. (...) Aus der Bewegung der als bewußte, göttliche Wesenheiten gedachten Gestirne suchten die Menschen Orientierungen für das irdische Leben. Sobald die (weitgehend irrtümliche) Erkenntnis der Verursachung irdischer Erscheinungen von himmlischen Vorgängen entstanden war, stellte sich die Gestirnsbeobachtung geradezu als zwingende Notwendigkeit dar. In schriftlichen Aufzeichnungen wird dies erstmalig in der babylonischen Omenastrologie faßbar. (...) Die alten Babylonier prägten die Gestirnsgötter mit den Zuordnungen, die in der Astrologie bis heute grundsätzlich erhalten blieben. Der Mondgott Sin war Herr über das Pfanzenwachstum, der die Zeit und die Geschicke der Menschen lenkt. Die Sonne wurde als Gott Samas, Sohn des Mondgottes, Herr über das Leben, die Gerechtigkeit und Weissagung verehrt. Die dritte Hauptgottheit dieser vorchristlichen Trinität war Istar, ebenfalls Tochter des Mondgottes, die sich als Liebesgöttin in der Venus personifiziert. Mars erscheint schon hier als Unglücksstern, als der unheilbringende Unterweltgott Nergal. Jupiter manifestierte sich im Schöpfergott Marduk, sein Sohn, der spätere Merkur, als Herr der Wissenschaften und der wahrsagenden Künste, während Saturn als die 'müde gewordene Sonne' galt. (...) Mit der Weltschöpfungslehre Hesiods treten wir in einen ganz andersartigen Kulturkreis ein, doch sicher waren auch Hesiods Gedanken schon lange zuvor wenigstens in einzelnen Elementen vorgebildet, und sein auf der Sichbarkeit von Sternen und Sterngruppen beruhender Kalender für den Landmann und Seefahrer bedurfte der langen praktischen Erfahrung..." Jürgen Hamel: "Astronomiegeschichte in Quellentexten: Von Hesiod bis Hubble" (1996)
27.4.-29.5.2010, Live-Präsentation am 11.5.2010 in Berlin-Nicolaiviertel
GEILE GENERVTE GÖTTER: DIE KOSMISCHE INZESTPOLITIK DER URMÄCHTE (ÜBER DEN ANTIKEN "GAIA & URANOS" -SCHÖPFUNGSMYTHOS)
Das
Verblüffende an der antiken griechischen Mythologie ist ihre brutale Aktualität für den modernen Sinnsucher, der sich die "letzten" Fragen stellt: WARUM GIBT ES DAS GANZE SEIN ÜBERHAUPT und WER BIN ICH, WENN ES KEIN ICH GIBT? Während der Quantenphysiker heutzutage das Urteilchen "Higgs" sucht und zwischen Urknall und Superstring-Theorie pendelt, hat kein geringerer als der Königshofdichter HESIOD[OS] (ein Zeitgenosse von Homer) schon vor 2700 Jahren das CHAOS als ursprünglichen Schöpfungsimpuls benannt und den Verlust des "Goldenen Zeitalters" mithilfe des göttlichen Kriegsszenarios beklagt. Man fühlt sich an das psychoanalytische Archetypenpaar Animus & Anima sowie an taoistische Prinzipien des Yin & Yang (im populären T'ai-Ki-Ursymbol) im Sinne gegenseitig bedingender/ergänzender Polaritäten erinnert, wenn in seinem berühmten Werk "THEOGONIA" plötzlich aus diesem gähnenden Nichts zwei Gestalten auftauchen, die den Urdualismus personifizieren: Die gebärfreudige Erdgöttin GAIA und aus ihr der gefährliche Himmelsgott URANOS. Die gesamte Weltgeschichte lässt sich in diesem Mythos auf das inzestuöse Verhältnis der beiden kosmischen Urgrößen zurückführen, das sich wie ein Politkrimi mit kannibalistischen Tendenzen liest. Denn das göttliche Spektakel unter den Kindern der Urmutter ist eine perverse Familientragödie, obwohl der poetische Anfang noch recht harmlos nach lustvollen Rollenspielchen klingt: "Wahrlich, als erstes ist Chaos entstanden, doch wenig nur später / Gaia, mit breiten Brüsten, aller Unsterblichen ewig / sicherer Sitz, der Bewohner des schneebedeckten Olympos, / dunstig Tartaros dann im Schoß der geräumigen Erde, / wie auch Eros, der schönste im Kreis der unsterblichen Götter: / Gliederlösend bezwingt er allen Göttern und allen Menschen den Sinn in der Brust und besonnen planendes Denken. / Chaos gebar das Reich der Finsternis: Erebos und die / schwarze Nacht, und diese das Himmelsblau und den hellen / Tag, von Erebos schwanger, dem sie sich liebend vereinigt. / Gaia gebar zuerst an Größe gleich wie sie selber / Uranos sternenbedeckt, damit er sie völlig umhülle / und den seligen Göttern ein sicherer Sitz sei für ewig." Hesiod, ca. 700 v.Chr.: "THEOGONIA" (V.116-128)
Was sich allerdings hieraus entwickelt, könnte eher als egoistisches Machtspiel zwischen Firmen verschiedener Ideologien gedeutet werden. Wir gehen das ganze Spektakel einmal in Zeitraffer durch, um die Vielfältigkeit der göttlichen Charaktere* und deren verschiedene Gesichter zu erahnen:
Alles beginnt also bei Hesiod mit dem Chaos, aus dem fünf Götter entstehen: der Erdboden Gaia [Gea], die Unterwelt Tartaros, die Liebe Eros, die Finsternis Erebos und die Nacht Nyx, deren Kinder Aither [Aether] und Hemera später die Ausleuchtung des obersten Himmels (Excelsis) als windstill leuchtende Seele und schamesrote (Eos) Frühaufsteherin (Erigeneia) übernehmen. Gaia wiederum gebiert alleine (bzw. ohne Begattung durch Eros im Schlafe) den Sternenhimmel Uranos [Ouranos] (das Gewölbe des Universums), die Berge Ourea und das Meer Pontos, das die Erde durchdringt und begrenzt (und laut Gerüchten gar nicht vaterlos war: eine kurze Affäre mit dem Aither sei schuld). Aber an diesem Punkt gerät die Familiengeschichte der notgeilen Götter auf eine schiefe Bahn: Gaia zeugt aus Versehen mit ihrem eigenen Sohn Uranos (sie liegen ja als Himmel und Erde -noch- direkt aufeinander, da passiert sowas eben!) zunächst die drei Gewitter-Zyklopen [Kyklopen] Brontes (den Donner), Steropes (den Blitz) und Arges (das Grelle) sowie die fünfzigköpfigen, hundertarmigen Hekatoncheiren: drei Ungeheuer namens Kottos, Briareos und Gyes. Uranos verhindert allerdings im Delirium seines permanenten Orgasmus’ die Geburt dieser gemeinsamen (von ihm gehassten) ekligen
Kinder und verbannt sie dadurch (mit sadistischer Freude) in Gaias Schoß Tartaros (die Unterwelt), woraufhin Gaia die folgenden sechs Söhne und sechs Töchter vor ihm versteckt: zwölf Titane, denen sie wutentbrannt eine Waffe aus eigens dafür entwickeltem weiß-grauen Stahl schmiedet (alles Prahlerei? war sie vielleicht nur aus Feuerstein?), um sie zur Revolution gegen den Vater anzustacheln, was ihr dann endlich beim jüngsten Titan Kronos gelingt: dieser entmannt seinen Vater mit jener berühmten Sichel Harpè (die uns im späteren Verlauf der Kulturepochen vom Zubehör des Gevatter Tod als Sensemann vertraut ist) und übernimmt die Weltherrschaft. Nach der Thronbesteigung sperrt er als erste Amtshandlung die Hekatoncheiren, die Zyklopen und die schon bald darauf geborenen 36 Giganten (Gaia & Uranos sind unermüdlich sexuell aktiv!) wieder nach väterlich bewährter Methode in den Tartaros. Beim Entsorgen des väterlichen Sexualorgans im Pontos strömt einerseits Samen ins Urmeer aus, der Uranos’ Tochter und damit Kronos’ Halbschwester Aphrodite aus dem blutig spermazoiden Schaumbad hervorbringt, sowie andererseits Blut, das auf die Urmutter Gaia tropft, die sich dadurch als Nährboden eignet für das Heranwachsen der Meliaden (jenen Eschennymphen, aus deren Holz später Speere geschnitzt werden), der Zwietracht Eris in Form dreier Erin[n]yen (den Rachegeistern Alekto, Tisiphone und Megaira) sowie der erwähnten Giganten (Kriegstreiber). Erzürnt darüber, daß Kronos sogar seine neuen Geschwister mit einsperrt, prophezeit Gaia diesem, daß dessen eigene Kinder gegen seine Diktatur ebenso rebellieren würden wie er gegen die seines Vaters. Vorsichtshalber verschlingt Kronos daher fast alle Kinder, die seine Schwester Rhea ihm gebiert, außer das letzte (das sechste): Zeus. Rhea nämlich vertauscht diesen mit dem Stein Bätylos (der übrigens sehr viel später in Delphi auftaucht und im Zuge der menschlichen Götzendienste täglich mit Öl gesalbt wird), den sie in eine Windel wickelt und ihrem Göttergatten zum Verspeisen vorlegt - und versteckt derweil Zeus in der Diktäischen Höhle von Psychro (im Dikti-Gebirge auf Kreta) nahe dem Dorfe Lyktos, wo sie ihn auf der Flucht vor Kronos mit Gaias Hilfe heimlich auf die Welt gebracht hatte: "Dorthin brachte Gaia durch schwarze Nacht ihn schnell nach Lyktos / (...) / und barg ihn in tiefer Höhle" Hesiod, ca. 700 v.Chr.: "THEOGONIA" (V.453–491)
Als Zeus alt genug ist, überredet er seine erste, scharfsinnige Frau, die Meeresnymphe Metis
(eine von 3000 Töchtern der Titanen Okeanos und Tethys sowie Athenes spätere indirekte Mutter) dazu, Kronos einen Zaubertrank (aus Salzwasser oder Wasser mit Senfpulver) als Brechmittel zu verabreichen, damit dieser den Stein und seine verschluckten Geschwister (die Götter Hades und Poseidon sowie die Göttinnen Hestia, Demeter und Hera) wieder preisgibt, so daß Zeus mit ihnen gemeinsam in den Krieg gegen Kronos und die Titanen Koios, Kreios, Hyperion und Iapetos sowie dessen Söhne Atlas & Menoitios (von Metis SchwesterOkeanide Klymene/Asia) ziehen kann. Unparteiisch bleiben der Titan Okeanos sowie die weiblichen Titanen Theia, Rhea, Themis, Mnemosyne, Phoibe und Tethys. Die Zyklopen besorgen nach ihrer Befreiung (dank eines Hinweises seitens Gaia) für Zeus einen Donnerkeil, schmieden Poseidons Dreizack und einen Helm für Hades, der diesem Unsichtbarkeit verleiht. Zeus erschlägt (aufgrund eines weiteren Geheimtips von Gaia) das Ungeheuer Kampe, das für Kronos den Tartaros bewacht, und befreit dadurch die dort eingesperrten Hekatoncheiren. Und tatsächlich: Nach einem Jahrzehnt sind die Titanen besiegt, woraufhin sich die Brüder die Herrschaft teilen: Zeus bemächtigt sich des Himmels, Poseidon krallt sich die See und Hades spielt seine Hauptrolle in der Unterwelt. Die neutralen Titanen behalten ihre Stellung, aber die feindlichen werden in den Tartaros gesperrt, der diesmal von den Hekatoncheiren bewacht wird. Besonders hart fällt die dortige Strafe für Vater Kronos aus, der auf seiner mißglückten Flucht von Zeus mit dem Donnerkeil niedergestreckt worden war - sowie für die Brüder Prometheus und Epimetheus (weitere Söhne von Iapetos & Klymene). Und deren Bruder Atlas wird dazu verurteilt, den vorzeitig gealterten Uranos bis in alle Ewigkeiten zu stützen, weil dieser von den Kämpfen derart geschwächt ist, daß er schon auf die genervte Gaia zurück stürzt (und wenn sich
Himmel & Erde wieder zu lange berühren, gäbe es wohl eine Wiederholung dieser KosmopornoSoapserie!): Giganten hatten nämlich auf Gaias Wunsch, die über das kaltherzige Verhalten ihres Enkels Zeus gegenüber den Titanen beleidigt war, unter dem Oberkommando des Eurymedon Felsbrocken und brennende Eichen gegen ihn geschleudert. Zeus und seine Geschwister überstehen noch einen weiteren von der rasenden Großmutter Gaia heraufbeschworenen letzten Angriff durch ihren jüngsten (oder Heras späteren?) Sohn, das hundertköpfige Ungeheuer Typhoeos, das beinahe gewinnt, dann aber von einem Blitz des Zeus bekämpft und ebenfalls in den Tartaros verbannt wird, wo aus ihm "die schädlichen Winde" entstehen. Nach diesem finalen Showdown wird Zeus von seinem engsten Familienkreis zum Topmanager gewählt: mit ihm an der Spitze übernimmt der OLYMP nun als einzige Weltmacht die Leitung der Schöpfung. Aber leider kehrt trotzdem keine Ruhe auf dem kosmischen Schlachtfeld ein, denn die alte Gaia prophezeit Zeus, daß ein Sohn von seiner weisen, unsterblichen Geliebten Metis ihn stürzen werde, so wie auch er Kronos und dieser seinerzeit Uranos gestürzt hatte, weshalb Zeus vorsorglich seine doppelt schwangere Frau verschlingt. Aufgrund der darauf folgenden Kopfschmerzen spaltet Heras Sohn Hephaistos mit Hammer und Keil auf Befehl seines Vaters (manche munkeln, Prometheus hätte es getan, von Hermes überredet!) dessen Haupt, aus dem Zeus Metis’ Tochter Athene selbst gebiert, während ihr vermeintlich staatsfeindlicher Zwillingsbruder ungeboren und namenlos in Metis (beziehungsweise in Zeus) zurückbleibt. Danach zeugt der sagenhafte Casanova Zeus noch zahlreiche Kinder unter dramatischen Umständen (und oft genug mit krimineller Energie!), sowohl mit weiteren Göttinnen wie Dione die verführerisch schöne Tochter Aphrodite oder mit Leto (Tochter der Titanen Koios und Phoibe) die Zwillinge Artemis & Apollon (diese müssen auf der schwimmenden Insel Delos entbunden werden, welche Poseidon per Eilverfahren aus dem Wasser zaubert) als auch mit sterblichen Frauen wie Alkmene (Sohn Herakles) und Semele (Sohn Dionysos). Auch die anderen Regierungsvertreter schließen diverse strategische Ehepakte. Und so blüht und gedeiht der olympische Harem - ein gigantisches Eifersuchtsdrama reiht sich an das nächste, aber auch von einem Drachen namens Pýthon wird die Rede sein. Und die ergraute Gaia sucht inmitten des Spektakels unbeirrt nach einem Wunderkraut, das ihre gigantischen Kinder gegen die sterblichen Urenkel schützen soll. Zeus verbietet darum Eos (der Morgendämmerung), Helios (der Sonne) und Selene (dem Mond), den drei Kindern des Titanenpärchens Hyperion & Theia, zu scheinen - bis er eine solch seltene Pflanze selber trotz Dunkelheit findet, um den Aufstand der Giganten (besonders dank Herakles' Tapferkeit) niederzuschlagen. Alles in allem genug Stoff für neue 3D-Hollywood-Actionfilme mit vielen Leichen im kosmischen Keller... An diesem Punkt des bunten Treibens erleichtert uns ein Stammbaum, die labyrinthische LOGIK hinter dem MYTHOS überhaupt noch nachzuvollziehen:
Allerdings stellt sich jetzt eine ganz andere Frage für einen Menschen unserer postmodernen (vermeintlich mythenfreien) Gegenwart: WAS SOLL DIESE GESCHICHTE EIGENTLICH??? Eine einfache, kurze und schnelle Antwort darauf entpuppte sich bei meinen Recherchen schon bald als unmöglich, denn der symbolische Gehalt der Figuren erstreckt sich über so viele miteinander verzahnte Fachgebiete, daß ich nur noch den Sprung nach vorne über meine Materialsammlung hinaus wagen kann, um dem vor Neugier platzenden Leser eine Ahnung davon zu vermitteln, wie sehr unser alltägliches SEELENLEBEN noch immer geschichtlich beeinflusst ist von diesen Kraftfeldern der psychischen Urelemente: ich wähle exemplarisch Chaos, Gaia, Eros, Uranos, Kronos und Athene aus, um die Bedeutung von Mythen aus der Sicht einiger Disziplinen mit unerwartet subtilen MYSTISCHEN Details zu beleuchten, die uns an zivilisatorische Bewußtseinsereignisse rund um diese Götternamen erinnern - und sich erinnern meint jetzt: alle URERINNERUNGEN zu wecken, die in Büchern und Bildern gespeichert sind... "Der Ursprung ist immer gegenwärtig. Er ist kein Anfang, denn aller Anfang ist zeitgebunden. Und die Gegenwart ist nicht das bloße Jetzt, das Heute oder der Augenblick. Sie ist nicht ein Zeitteil, sondern eine ganzheitliche Leistung, und damit auch immer ursprünglich. Wer es vermag, Ursprung und Gegenwart als Ganzheit zu Wirkung und Wirklichkeit zu bringen, sie zu konkretisieren, der überwindet Anfang und Ende und die bloß heutige Zeit." "War die archaische Struktur der Ausdruck der nulldimensionalen Identität und der ursprünglichen Ganzheit, war die magische der Ausdruck der eindimensionalen Unität und naturverwobenen Einheit - so ist die mythische Struktur Ausdruck der zweidimensionalen Polarität. (...) Die mythische Struktur nun führt zu einer Bewußtwerdung der Seele, also der Innenwelt. Ihr Symbol ist der Kreis, der stets auch Symbol der Seele war. Der geeinzelte Punkt der magischen Struktur erweitert sich zu dem zweidimensionalen, die Fläche einschließenden Ring. (...) In diesem naturhaften Zeitcharakter des Kreises, in ihm begegnen wir der Verwandtschaft der Zeit mit der Seele wieder. Und mehr noch: war das 'Resultat' der magischen Struktur die Bewußtwerdung der irdischen Natur, also vornehmlich der Erde, so bringt die mythische den Gegenpol der Erde, nämlich die Sonne und den Himmel, zum Bewußtsein. Damit wird die im magischen Kampfe angeeignete Erde gleichsam umfangen von den beiden polaren seelischen Wirklichkeiten: von dem untererdhaften Hades und dem über-erdhaften Olymp. (...) Mythos: das ist ein Schließen von Mund und Augen; und da es damit ein schweigendes Nach-Innen-Sehen (und ein NachInnen-Hören) ist, ist es ein Ansichtigwerden der Seele, die gesehen, darstellt, die gehört, hörbar gemacht werden kann. Und Mythos: das ist dies Darstellen, dies Hörbar-Machen; es ist: die Aussage, der Bericht und - wieder stoßen wir hier auf das bewußtseinandeutende 'Richten' - über das Erblickte und Gehörte. Was das eine Mal stummes Bild war, ist das andere Mal tönendes Wort; das Innen-Erschaute und gleichsam Erträumte findet seine polare
Entsprechung und Bewußtwerdung in der dichterisch gestalteten Aussage. So ist das Wort stets Spiegel des Schweigens; so ist der Mythos Spiegel der Seele. Erst die blinde Seele ermöglicht die sehende. Und da alles Seelische vor allem auch Spiegelcharakter hat, trägt es nicht nur naturhaften Zeitcharakter, sondern ist stets auf den Himmel bezogen; die Seele ist ein Spiegel des Himmels - und der Hölle. (...) Denn ob Sonne oder Wasser, Stein oder Luft: die Seele und das Leben binden diese Polaritäten ineinander, und im mythischen Bericht wird einmal dieser, einmal jener Aspekt sichtbar und enthülllt in der verschwiegenen Komponente, auf der uns unsichtbaren Rückfläche des Spiegels, jeweils den ihn polar ergänzenden Aspekt. (...) Das Erwachen und die Fähigkeit, das Dunkle zu sehen, wurden in einem festumrissenen Mythologem gleichsam vorausgeträumt und sichtbar: in dem Mythologem von der Geburt der Athene. Athene entspringt - es war ein Sprung, eine Mutation - dem Haupte des Zeus; sie ist das Bild des Gedankens, des bewußten Denkens, das auch die dunklen Zusammenhänge, auch die in der Nacht liegenden Wirklichkeiten zu sehen vermag: denn Athene ist eulenäugig; ihr Attribut ist die Eule, der Vogel - und als Vogel ist die Eule ein Polaritäts-Symbol der Seele -, der auch im Dunklen sieht, dem die Nacht Tag ist. Und Athen wird es sein, in dem die ersten abendländischen Menschen völlig zum wirklichen Denken erwachen; Athener werden es sein, deren Stimme unsere Welt bestimmen, deren Denken unsere Zeit fixieren, deren Weitblick unserer mentalen perspektivischen Welt Gestalt und Gesicht geben wird: Sokrates, Euklid, Platon, Aristoteles. (...) Es dürfte vielleicht gut sein, einer Wirklichkeit eingedenk zu bleiben: zwar schloß sich die Wunde im Haupte des Zeus, aber es war da einst eine Wunde. Immer reißt jeder 'neue' Gedanke Wunden auf. Der unendlichen Schmerzen - und seien diese, da das 'unendlich' ihre seelische Betontheit hervorhebt, auch nur irrationale, seelische Schmerzen -, ihrer sollte man nicht vergessen, wenn man des mythischen Menschen und seiner Leistung gedenkt. Und jeder, der nicht nur die Erde, sondern auch das Leben würdig bestehen will, der das Leben leben will, statt von ihm gelebt zu werden, muß einmal durch diese Schmerzen der Bewußtwerdung gehen. (...) In dem Moment, da das Polaritätsphänomen auftaucht, entsteht das Sich-Ergänzende. Und das ist: Tag und Nacht, Helle und Dunkelheit, Himmel und Erde, Säule und Höhle. Am Athene-Mythos haben wir gesehen, daß diese Art der Spätmythen schon nicht mehr reine Träume sind, sondern bereits eine Art von Erwachens-Träumen, in denen das mentale Weltbild vorausgeträumt wird. (...) Wenn wir von der Zeithaftigkeit der mythischen Struktur sprechen [meine Anm.: im Gegensatz zur sogenannten 'Zeitfreiheit' der zeitgenössischen integralen Struktur], dürfen wir ihre noch andauernde Raumlosigkeit nicht unbeachtet lassen. Aus der ununterschiedenen Helle und Dunkelheit wird der Mensch jener Kräfte ansichtig, die sich langsam aus der Bewegung herauslösen und zu bewegten Urbildern werden; diese Urbilder spiegeln die inneren und damit dunkelen und ungreifbaren Kräfte des Menschen, die man die seelischen Kräfte nennt. (...) Es ist ein raumloser oder doch raumferner flächenhafter Grund, auf dem sich dieser Prozeß abspielt. Er ist raumlos, wie die Nacht raumlos ist, die keine räumliche Tiefe, sondern nur flächige zweidimensionale Dunkelheit kennt. (...) das Kronos-Mythologem ist nicht nur Ausdruck der mythischen Zeithaftigkeit, sondern enthält keimhaft bereits die mythisierend vorausgeträumte Vorform des BEGRIFFES Zeit. Das Wesentliche aber ist, daß es uns ein Bild des Zeithaften vermittelt, das nicht mit unserem heutigen Begriff Zeit verwechselt werden darf. Die früheste Überlieferung des Kronos-Mythologems verdanken wir dem bereits utilitaristischen Hesiod. (...) Der mythische Bericht von Kronos läßt seine Nachtbezogenheit erkennen. Es schildert sich in ihm nicht nur das Wesen der Zeithaftigkeit, die erzeugt und vernichtet (kenntlich gemacht im Verschlingen und Wiederausspeien seiner Kinder), sondern vor allem handelt er im nächtlichen Bereich, über den der Mond gebietet, der sich desgleichen mehrt, wenn er zunimmt, sich um die Mehrung vermindert, wenn er abnimmt. Dieses Moment der Bewegung und die weiteren Momente: daß er aus der mythischen Polarität von Himmel und Erde hervorging, daß er den Impuls der Zeithaftigkeit durch Metis empfing, deren Trank aus dem Verschlingenden einen Gebenden macht (der zudem das Leben bewahrt, denn die ausgespienen Kinder leben), - all diese Momente stellen Kronos in die Konfiguration jener erwachenden Zeithaftigkeit, die sich in seinen Taten und Leiden schildert. Hier wird die mythische Polarität sichtbar, welche die Seele weckt; oder, wie man es auch ausdrücken kann: HIER ERWACHT DIE SEELE, deren Bewegung kreisschließend ist, und damit erhält die Polarität Wirkcharakter. (...) Damit hätten wir aus dem mythischen Beispiel den Charakter dessen abgelesen, was 'mythische Zeit' ist: nämlich das immerwährende Sich-Erfüllen des Kreises, der ja von sich aus Symbol der Seele ist." Jean Gebser: "Ursprung und Gegenwart" (1949-1953)
Eine solche tiefenzivilisatorische Symbolinterpretation weckt einen gigantischen Schlund an Bildergeschichten, die uns architektonisch und museal so vertraut sind, daß wir nie großartig über ihre Herkunft und Bedeutung nachdachten! Um diese sagenhaften Erzählungen von Homer und Hesiod rund um die Ängste und Tricksereien zwischen Gaia und Uranos in ihrem vollen kosmisch-titanischen Ausmaß zu verstehen, bedarf es zwar keiner Astrologie, aber da uns einige der griechischen Götter auch heutzutage noch als Himmelskörper und Wochentage begegnen, gönnen wir uns einen kleinen Ausflug durch unser Planetensystem. Um uns die Reihenfolge der Entfernungen aller acht Planeten (ehemals neun: Pluto wurde der Status Planet erst letztens aberkannt) von unserem Fixstern aus, der Sonne, leichter zu merken, eignen sich die Anfangsbuchstaben der Wörter in folgendem Satz:
So: Meine Verbündete Erklärt Mir Jeden Samstag Unser Neuroastronomisches Ekstase Plus ! Sonne: Merkur - Venus - Erde - Mars - Jupiter - Saturn - Uranus - Neptun (- Eris - Pluto)* "Auch in alten Sternsagen und -Mythen wird von einer Glocke, einem Kessel oder Dach gesprochen, an deren inneren Wänden die Sterne befestigt seien. Diese gelten hierbei bald als goldene Nägel, die in das Himmelsdach eingeschlagen sind... (...) Wie der Name Milchstraße, so kommen auch viele Namen der in ihr sichtbaren Sternbilder aus dem Altertum: Schwan, Pfeil, Adler, Delphin und Leier gehen auf die Antike zurück, Adler sogar noch weiter, nämlich auf das alte Babylonien. Nicht alle Sternbilder haben indes eine Ähnlichkeit zwischen Figur und Namen. Wo sich Ähnlichkeiten mit irdischen Gegenständen nicht finden ließen, griffen schon die alten Sternweisen zur rein willkürlichen Benennung. (...) Mögen die ersten Anfänge der Planeten-Bezeichnung noch im Dunkeln liegen, von der babylonischen Sternkunde an lernen wir immer mehr Planetennamen kennen, die sich von Volk zu Volk und von Kultur zu Kultur forterbten, wenn auch oft in Übersetzungen und Verstümmelungen. Am deutlichsten wird dies, wenn wir den Übergang aus dem babylonischen in den griechischen Kulturkreis betrachten. Der griechische Saturn geht hier zurück auf den babylonischen Ninib, der griechische Jupiter war vormals der babylonische Weltschöpfer Marduk, Mars war der babylonische Todes- und Pestgott. (...) Wenn am Anfang die Benennung auf Grund einer äußeren Ähnlichkeit erfolgte, geriet dieser Grund für die Namensgebung bald in Vergessenheit, so daß in der Folge vom Namen auf die Sache (Namensfetischismus) geschlossen wurde. Da speziell die Planeten bei Babyloniern und Ägyptern und demzufolge auch bei den Griechen mit Göttern identifiziert und vermengt wurden, übertrugen sich auch die einzelnen Göttereigenschaften. Davon zehrt die Astrologie noch heute. (...) Die Astronomie als ernsthafte Wissenschaft von den Sternen benutzt auch die alten Götternamen. Aber für sie sind diese tatsächlich nur Namen und weiter nichts, während die Astrologie über den Namensfetischismus nicht hinausgekommen ist und ihn auch nicht überwinden kann; bedeutete dies doch das offenkundige Eingeständnis ihres Zusammenbruchs. (...) Mehrmals wurde festgestellt, daß die Astrologie mit dem antiken geozentrischen Weltbild verbunden war. Der niedrige Stand des damaligen Wissens ermöglichte es den Sternweisen und Sterndeutern, als Vertraute überirdischer Kräfte aufzutreten. (...) Der Geruch des Religiösen und Phantastischen verlor sich in der ganzen Geschichte der Astrologie nicht. (...) Bei der Kirche ist es der einzige Gott, der das Menschenschicksal bestimmt und mehr oder weniger festlegt. Bei der Astrologie sind es die Sterne, die diese Aufgabe übernehmen. (...) Beiden wurden daher aber auch das neue Weltbild des Kopernikus wie überhaupt die neu entstehenden Wissenschaften zum Verhängnis. (...) Hinsichtlich der Astrologie aber können wir konstatieren, daß mit der Anerkennung des heliozentrischen Weltbildes zugleich das Ende jeglicher ernsthaften Sterndeuterei gekommen war. (...) Die Astrologie rechnete bis zur Entdeckung dreier neuer Planeten mit der heiligen Siebenzahl. Seit alters wird verschiedenen Zahlen eine geheimnisvolle Wirkung zugeschrieben. Dieser Zahlenmythos war bei Babyloniern wie bei Ägyptern schon bekannt. (...) Die bekannten fünf Planeten plus Sonne und Mond schienen ein göttlicher Fingerzeig zu sein, in der Sieben ein göttliches Geheimnis zu suchen. (...) Hinsichtlich der Namensgebung haben wir Beweise, die die Behauptung, die Astrologie sei eine Erfahrungswissenschaft, vollauf ad absurdum führen: Im Jahre 1781 entdeckte Herschel einen Planeten, der den Namen Uranus erhielt. Diese Benennung hielt sich an die alte Tradition, Planeten mit antiken Götternamen zu bezeichnen. Uranos ist der griechische Gott der Naturkräfte, der Vater des Saturn, der Titanen und Zyklopen. Die Umlaufzeit des Planeten Uranus um die Sonne beträgt 84 Jahre, er hat also seit seiner Entdeckung gerade gute zwei Umläufe hinter sich gebracht. (...) Uranus hat in der Astrologie die Herrschaft über die Naturkräfte und schafft Katastrophen und Unfälle. (...) 1846 wurde der Planet Neptun entdeckt. Seine Umlaufzeit beträgt 165 Jahre. Der antike Gott Neptun war der Beherrscher des Meeres, der Flüsse und überhaupt des Wassers. Das genügt den 'erfahrungswissenschaftlichen' Astrologen aber auch schon. Sie beziehen einfach die astrologische Kraft des Neptun auf Wasser und Feuchtigkeit. (...) Wem dies noch nicht genügt, der mag erfahren, wie sich die Astrologen gegenüber dem erst 1930 entdeckten Planeten Pluto verhielten. Erfahrungswissenschaftler müßten sich angesichts dieser Tatsache sowie der Umlaufzeit von 248 Jahren geflissentlich jeglicher Wertung enthalten. Die Astrologen wissen es aber wiederum ganz genau. Pluto war bei den Griechen der Gott der Unterwelt. Wenn die moderne Wissenschaft dem neuentdeckten Planeten den Namen dieses alten Griechengottes nur gab, um der Tradition treu zu bleiben, so hindert dies die Astrologen keineswegs, die Namensgebung zum Anlaß zu nehmen, dem unschuldigen Planeten Pluto nachzusagen, er bringe Katastrophen und Erdbeben. Sogar die Atombombe wird ihm unterstellt, weil Plutonium zu ihrer Herstellung verwendet wird... An dem Verhalten der Astrologen gegenüber den neuentdeckten Planeten können wir genau ihre Verantwortungslosigkeit verfolgen. Im Altertum beriefen sich die Sterndeuter oftmals auf ihre intuitiven Kräfte. Ihr Wissen, so sagten sie, sei ihnen von Göttern gegeben worden zur Belehrung der Menschen. Mit derartigen Weisheiten können die heutigen Astrologen nicht mehr aufwarten. Die andere Möglichkeit, die Astrologie als normale Wissenschaft auszugeben, was im Mittelalter versucht wurde, ist heute ebenfalls nicht mehr vorhanden. So bleibt denn nichts anderes als der Rückzug auf die Erfahrung. Jahrtausendelange Beobachtungen, so behaupten sie, hätten die Richtigkeit der astrologischen Behauptungen ergeben, und die Astrologie wäre eben einfach nichts anderes als die Summe der von den Menschen gemachten Erfahrungen mit den Sternenkräften. Wie es mit dieser Erfahrung aussieht, zeigen die Beispiele mit den drei neuentdeckten Planeten!" Gerhard Zwerenz: "MAGIE STERNENGLAUBEN SPIRITISMUS" (1956)
Die eingangs gestellte Frage nach dem WARUM (gibt es das Sein) beschäftigt desweiteren nicht nur Astronomen und Biologen sondern natürlich auch Archäologen, die schon seit über einem Jahrhundert erstaunliche Fossilien ans Tageslicht befördern, mit denen sich sowohl die natürliche Evolutionstheorie beweisen ließ als auch die alten Mythen endgültig ins Land des "Sagenhaften" verbannt wurden. Hören wir dazu Herbert Kühn in der Einleitung seines Buches "DAS ERWACHEN DER MENSCHHEIT" von 1954:
"Es gibt keinen Mythos, keine Sage der Völker, keine Religion der Erde, die nicht von diesem Gedanken ausgeht: Wo kommt der Mensch her, wie ist der Mensch geschaffen worden, wo liegt sein Ursprung, wo sein Erwachen, sein Erwachen zu der geistigen Größe und Spannkraft, die ihn auszeichnet und die ihn abhebt von der Welt der Tiere? (…) Jahrtausende hindurch haben sich die Menschen dunkle Vorstellungen gemacht über den Dämmer ihres eigenen Morgens, und so wie kein Mensch ein Bewußtsein und eine Erinnerung hat an seine eigene Geburt, so hat auch die Menschheit keine Erinnerung an ihr eigenes Erwachen. (…) Die Menschenaffen erscheinen schon vor 45 Millionen Jahren. Die Gruppe von Gorilla und Schimpanse erwacht gegen 30 Jahrmillionen vor unserer Zeit. Im jüngsten Tertiär [vor ca. 600000 Jahren] erscheint zum ersten Mal der Mensch, entstehend mit der Gruppe der Menschaffen. (…) Wie ein Wunder ist das Wissen um diese vergangene Welt in unsere Zeit getreten. Wir haben die Erde aufgegraben und die Plätze gefunden, wo die Menschen der Eiszeit lebten. (…) Die Epoche vor uns kannte nur die Vergangenheit des Menschen aus der Schrift. Die ältesten Bücher sind Homer und Hesiod und die Bibel. Sie gaben dem Menschen Kraft und Stärke und einen weiten Blick zurück in sonst unbekannte Epochen der Entwicklung der Menschheit. Aber alle drei Bücher sind im wesentlichen im 8.Jahrhundert v.Chr. entstanden. Sie sprechen von früheren Zeiten, die vor ihrer Abfassung liegen, und die Urerinnerung der Menschen ist in ihnen lebendig geblieben. In der Mitte des vorigen Jahrhunderts [dem 19.Jhd.] und nach dem Ende zu wachsend begannen die Ausgrabungen, zuerst in Mesopotamien, dann in Troja, Mykenä, Ägypten und Kreta, und der Blick der Menschheit weitete sich über die Horizonte der großen Bücher hinaus in Welten, die unbekannt und vergangen waren. (…) das Bild, das wir jetzt vorlegen können in der Mitte dieses Jahrhunderts [des 20.], wird also ein neues Bild sein, aber ein klares, festgefügtes und gesichertes Bild. Wir werden die Mythen bis ins einzelne bestätigen, ergänzen und ersetzen können...”
Aber fünf Jahre später (1959) macht sich der über 80-jährige Psychiater C.G.Jung (in seiner 1961 erschienenen Autobiographie "Erinnerungen, Träume, Gedanken") "späte Gedanken", die sich wie eine quasi-religiöse Antwort der "anderen Seite der Medaille" auf Kühns Euphorie lesen: "Keine Wissenschaft wird je den Mythus ersetzen, und aus keiner Wissenschaft läßt sich ein Mythus machen. (...) Der Mythus ist oder kann zweideutig sein wie das Orakel von Delphi oder ein Traum. Wir können und sollen weder auf den Gebrauch des Verstandes verzichten, noch sollen wir die Hoffnung aufgeben, daß der Instinkt uns zu Hilfe eile, wobei ein Gott uns gegen Gott unterstützt, wie schon Hiob es verstanden hat. Alles nämlich, in dem der 'andere Wille' sich ausdrückt, ist vom Menschen geformter Stoff, sein Denken, seine Worte, seine Bilder und alle seine Beschränktheiten. (...) Wo man aber die Existenz einer unbewußten Psyche zugibt, da können die Projektionsinhalte in angeborene instinktive Formen, die dem Bewußtsein vorausgehen, rezipiert werden. Dadurch wird ihre Objektivität und Autonomie erhalten und die Inflation vermieden. Die Archetypen, die dem Bewußtsein praeexistent sind und es bedingen, erscheinen in der Rolle, die sie in Wirklichkeit spielen, nämlich als apriorische Strukturformen des instinktiven Bewußtseinsfundamentes. Sie stellen keineswegs ein An-Sich der Dinge dar, sondern vielmehr die Formen, in denen sie angeschaut und aufgefaßt werden. Natürlich sind die Archetypen nicht die einzigen Gründe für das Sosein der Anschauungen. Sie begründen nur den kollektiven Anteil einer Auffassung. (...) Wenn wir daher Gott als Archetyp bezeichnen, so ist über sein eigentliches Wesen nichts ausgesagt. Wir sprechen damit aber die Anerkennung aus, daß 'Gott' in unserer dem Bewußtsein praeexistenten Seele vorgemerkt ist und daher keineswegs als Erfindung des Bewußtseins gelten kann. Er wird damit nicht nur nicht entfernt oder aufgehoben, sondern sogar in die Nähe der Erfahrbarkeit gerückt. Letzterer Umstand aber ist insofern nicht unwesentlich, als ein Ding, das keine Erfahrbarkeit besitzt, leicht als nicht existent verdächtigt werden kann. Dieser Verdacht liegt dermaßen nahe, daß sogenannte Gottesgläubige in meinem Versuch, die primitive unbewußte Seele zu rekonstruieren, ohne weiteres Atheismus vermuten oder wenn nicht das, dann Gnostizismus, aber ja keine psychische Wirklichkeit, wie das Unbewußte. Wenn dieses überhaupt etwas ist, so muß es aus entwicklungsgeschichtlichen Vorstufen unserer bewußten Psyche bestehen. (...) So wie der Körper eine anatomische Vorgeschichte von Millionen von Jahren hat, so auch das psychische System; und wie der moderne Menschenkörper in jedem Teil das Resultat dieser Entwicklung darstellt und überall noch die Vorstufen seiner Gegenwart durchschimmern läßt, so die Psyche. (...) Auf dieser komplizierten Basis entsteht das Ich und wird von ihr durch das ganze Leben getragen. (...) Ihr gegenüber ist sogar die Außenwelt von sekundärer Bedeutung, denn was soll sie, wenn mir der endogene Antrieb fehlt, mich ihrer zu bemächtigen?"
Jung glaubt, daß diese psychoide Basis ein archetypisch-autonomer LEBENSTRIEB sei, dessen instinktive Gestaltungskraft das willentliche Ich wie eine Art INNERER BEFEHL unbewußt energetisch steuert und zu neurotischen Mangelerscheinungen führe, wenn sich das Individuum dieser in ihm wirkenden kollektiven Kraftquelle verweigere. Sogesehen hätte aus Jungscher Sicht Religion eine rituelle Schutzfunktion gegen die chaotische Inflation allzu subjektiver Projektionen, ja er geht sogar so weit zu behaupten, der Mensch sei prinzipiell Opfer und Instrument einer "kosmogonen Liebe", die als androgyner Gott EROS Hebamme aller Bewußtheit sei. Spannend an dieser vermeintlich dogmatischen (altersweisen oder altersschwachen?) Haltung ist der paradoxe Kontrast zu seiner ansonsten übervorsichtigen Betonung des bildlosen "Numinosums" (vgl. Rudolf Otto: 'Das Heilige') aller Archetypen: "Ich begegne immer wieder dem Mißverständnis, daß die Archetypen inhaltlich bestimmt, d.h. eine Art unbewußter 'Vorstellungen' seien. Es muß deshalb nochmals hervorgehoben werden, daß die Archetypen nicht inhaltlich, sondern bloß FORMAL bestimmt sind, und letzteres nur in sehr bedingter Weise. Inhaltlich bestimmt ist ein Urbild nachweisbar nur, wenn es bewußt und daher mit dem Material bewußter Erfahrung ausgefüllt ist. (...) Der Archetyp ist ein an sich leeres, formales Element, das nichts anderes ist als eine facultas praeformandi, eine a priori gegebene Möglichkeit der Vorstellungsform. Vererbt werden nicht die Vorstellungen, sondern die Formen, welche in dieser Hinsicht genau den ebenfalls formal bestimmten Instinkten entsprechen. Ebensowenig wie das Vorhandensein von Archetypen an sich, kann auch das der Instinkte nachgewiesen werden, solange sich diese nicht in concreto betätigen." C.G.Jung: "Die psychologischen Aspekte des Mutterarchetypus" (1938) im Autobiographie-Glossar
Diese generelle metaphysische Absurdität, die (irgendwie reale) EXISTENZ einer transzendenten (also übersinnlichen im Sinne von nicht direkt sinnlich erfahrbaren) IDEE beweisen zu wollen, indem man sie aus ihren konkreten (von Menschen erfundenen) SYMBOLEN ableiten möchte, verfolgt die Menschheit, seitdem sie sich fragt, was (oder OB überhaupt "etwas" -absolutes-) hinter den Dingen "versteckt" sei, insofern nicht nur ein Lied in ihnen schläft. Den Psychoanalytiker Erich Fromm haben sowohl Sigmund Freuds als auch Jungs Theorien über die Bedeutung von Religion dazu bewegt, einen Vortrag über deren unterschiedliche Ansätze zu halten. Darin erklärt er: "Freud hat das Problem von Psychoanalyse und Religion in einem seiner tiefsten und glänzendsten Bücher, 'Die Zukunft einer Illusion', behandelt. Jung, der einer der ersten war, die verstanden haben, daß Mythen und religiöse Ideen der Ausdruck tiefer Einsichten sind, hat dasselbe Thema in den Terry-Vorlesungen 1937 behandelt (publiziert unter dem Titel 'Die Psychologie und Religion'). (...) Hält die populäre Meinung, Freud sei ein Feind und Jung ein Freund der Religion, unserer Prüfung der Haltung beider gegenüber der Religion stand? Eine kurze Vergleichung der Anschauungen Freuds und Jungs zeigt, daß jene Behauptung eine irreführende Übervereinfachung ist. (...) Freud spricht im Namen des ethischen Kerns der Religion und kritisiert ihre theistisch-übernatürlichen Seiten, sofern sie die volle Verwirklichung dieser ethischen Zielsetzungen hindern. Er erklärt die theistisch-übernatürlichen Konzeptionen als Stadien der menschlichen Entwicklung, die einstmals notwendig und förderlich waren, jetzt aber nicht länger nötig und tatsächlich ein Hindernis für weiteres geistig-seelisches Wachstum seien. (...) Für Jung ist ein religiöses Erlebnis durch ein spezifisches Gefühlsmoment gekennzeichnet: Unterwerfung unter eine höhere Macht, sei diese nun Gott genannt oder das Unbewußte. (...) Wenn wir versuchen, die jeweiligen Positionen Freuds und Jungs auf eine kurze Formel zu bringen, dürfen wir sagen, Freud widersetzt sich der Religion im Namen der Ethik - eine Haltung, die zweifellos 'religiös' genannt werden kann. Andrerseits führt Jung die Religion einschränkend auf ein psychologisches Phänomen zurück und erhebt gleichzeitig das Unbewußte zu einer religiösen Erscheinung." Erich Fromm: "PSYCHOANALYSE UND RELIGION" (1948)
Der Psyche werden durch diese quasi-platonische Überhöhung gewisse Struktur-Prinzipien attestiert, die zwar formal leer, aber eben doch als existent vorausgesetzt sein sollen: "Die wirklichen Tatsachen verändern sich nicht, wenn man ihnen einen anderen Namen gibt. Nur wir selber sind davon affiziert. Wenn jemand 'Gott' als ein 'reines Nichts' auffassen sollte, so hat das mit der Tatsache eines übergeordneten Prinzips gar nichts zu tun." C.G.Jung: "SPÄTE GEDANKEN" (1959), in: "Erinnerungen, Träume, Gedanken" (1961)
Kein geringerer als der Religionsphilosoph Alan Watts publizierte ebenfalls im Jahre 1954 (also zeitgleich zu Kühn fünf Jahre vor Jungs Spätwerk) eine Kritik an Jungs finalen "Tatsachen": "Was ist Mythologie? (...) ...eine Zusammenfassung von Geschichten - zum Teil Tatsachen, zum Teil Legenden, die die Menschen aus verschiedenen Gründen als Darstellungen der inneren Bedeutung des Weltalls und des menschlichen Lebens betrachten. Mythus ist etwas ganz anderes als Philosophie im Sinn abstrakter Begriffe. Denn Mythus ist immer konkrete Gestalt und besteht aus lebendigen, den Sinnen faßbaren Erzählungen, Bildern, Riten, Zeremonien und Symbolen. (...) Doch ist es nicht leicht, festzustellen, warum zu gewissen Zeiten einige dieser ungewöhnlichen Erzählungen, gewisse Bilder und Symbole das 'Weltgefühl' einer Unzahl von Menschen auszudrücken scheinen und eine so zwingende und bewegende Kraft ausüben, daß die Menschen den Eindruck gewinnen, das Leben selbst hinge von ihrer Wiederholung und Wiederbelebung ab. (...) Deshalb sollten wir zwei andere Theorien über den Mythus in Betracht ziehen. Die eine stammt aus den Forschungen des Schweizer Psychologen C.G.Jung. Einfach dargelegt, behauptet diese Theorie, daß der Mythus aus Träumen und unmittelbarer Phantasie entspringt und viel weniger ein willkürlicher Versuch ist, irgendetwas zu erklären. Grundlegend hierfür ist die Entdeckung, daß Träume und freie Phantasien von Tausenden moderner Patienten die gleichen Motive, Vorwürfe und Bilder aufzeigen wie die alten Mythologien, und diese sehr häufig ohne die geringste mythologische Kenntnis entstehen. Jung gibt dafür eine viel einfachere und unmittelbarere Erklärung als dies seine Sprachweise zuerst erkennen läßt. Seine Theorie von der Entstehung des Mythus aus dem kollektiven Unbewußten klingt höchst spekulativ und 'mystisch' und wird deshalb von Liebhabern der wissenschaftlichen Objektivität nicht gern anerkannt. Das Kollektive, Unbewußte aber ist nicht eine Art von transzendentalem Phantom, das alle menschlichen Wesen durchdringt. Man denke an den menschlichen Körper. (...) Der Vorgang, nach dem sich diese Gestalt entwickelt, ist unbewußt. Somit ist das kollektiv Unbewußte nur ein Name für diesen Vorgang, der unbewußt und allen Menschen gemeinsam ist. (...) Jung glaubt, sehr sichere Hinweise dafür zu haben, daß Träume und Phantasien Symptome sind für die Richtungen, die unbewußte psychologische Vorgänge einschlagen. Mit anderen Worten, daß diese dem Psychologen die Möglichkeit geben, den seelischen Zustand von Gesundheit oder Krankheit in gleicher Weise festzustellen wie Puls, Blutbild oder Urinanalyse dem Arzt die Bestimmung des allgemeinen körperlichen Gesundheitszustandes ermöglichen. (...) Nach seiner Meinung heilt der Psychiater am erfolgreichsten, wenn er die seelischen Vorgänge unterstützt, die sowohl unbewußt, schöpferisch und heilend und allen gemeinsam sind. Dies führte ihn dazu, der 'Weisheit' des psychologischen Unbewußten zu vertrauen und diese zu achten, ebenso wie der Arzt der genialen Weisheit des Körpers vertraut. Was uns hier besonders angeht, ist Jungs Behauptung, daß Träume und Phantasien seelisch gesunder Menschen der allgemeinen Form jener großen Mythen ähneln, die den geistigen und religiösen Traditionen der Menschen zugrunde liegen. (...) Allgemein ausgedrückt behauptet demnach Jungs Theorie, daß die großen kollektiven Mythen in gewisser Weise die heilende und schöpferische Arbeit des unbewußten seelischen Vorganges im Menschen darstellen, dem er vertrauen, den er achten und in seinem bewußten Denken und Handeln unterstützen muß. (...) In seiner Deutung der Symbole und Mythen bleibt aber etwas Unbefriedigendes; denn der letzte 'Sinn', den er herausfindet, ist eine Lebensauffassung und psychologische Philosophie, die Jungs persönliche Hypothese bedeutet, auch wenn eine Anzahl universaler und altehrwürdiger Elemente darin enthalten sind." Alan Watts: "Mythus und Ritus des Christentums. Anatomie einer Verblendung" (1954)
Neurophilosophisch lässt sich diese Glaubensfrage zeitgemäß auf folgenden PUNKT bringen: "Dass da etwas ist, bezweifelt keiner. Und dass dieses Sein Energie ist (die ENERGEIA der Griechen), sieht man schon, wenn man die Natur ringsum betrachtet. Die Frage ist nur: WARUM gibt es etwas? (...) Die Frage geht über Gott hinaus, weil sie ihn einschließt: Warum Gott und nicht nichts? Die Frage nach der Existenz des Seins ist die erste und eine, die sich immer wieder stellt. Niemand kann sie beantworten. Die Behauptung, das Sein sei ewig, ist noch keine Erklärung. Dass es immer ein Sein gab, erspart uns, nach dessen Anfang oder Ursprung zu suchen, nicht aber, nach dessen Grund. (...) Die Philosophen entgehen dem Mysterium genauso wenig wie Physiker oder Theologen. Warum der Urknall und nicht nichts? (...) Warum das alles und nicht nichts? Die Frage 'Warum gibt es etwas und nicht nichts?' ist umso zwingende, als als eine Antwort unmöglich ist. Das macht sie so faszinierend, erhellend, anregend: Sie verweist uns auf das, was ich das Mysterium des Seins nenne und das von dessen Evidenz untrennbar ist. Die Frage weckt uns aus unserem positivistischen Schlummer. (...) Sie verweist uns auf unser erstes Staunen: Es gibt etwas und nicht nichts! (...) Die Existenz des Seins ist also zutiefst mysteriös, und dieses Mysterium ist unbezwinglich. Weil es undurchdringlich ist? Im Gegenteil: weil wir mittendrin sind. Weil es zu dunkel ist? Im Gegenteil: weil es das Licht selbst ist. (...) Das 'ozeanische Gefühl' gehört keiner Religion, keiner Philosophie, und so soll es auch sein. Es ist kein Dogma und kein Glaubensakt. Es ist eine Erfahrung. (...) Ist es eine Ekstase? Ich würde dieses Wort nicht benutzen, weil es kein Außen mehr gibt, in das man geraten könnte. (...) Eine Vision? Nicht in dem Sinn jedenfalls, wie man das Wort gemeinhin versteht. Ich habe nie etwas Schlichteres, etwas Natürlicheres erlebt. Ein Mysterium? Zweifellos, aber untrennbar von einer Selbstverständlichkeit. Eine Offenbarung? Wenn man will. Aber ohne Botschaft oder Geheimnis." André Comte-Sponville: "Woran glaubt ein Atheist? Spiritualität ohne Gott" (2006)
Das ist ein erstaunliches, beinahe mutiges Bekenntnis zur persönlichen mystischen Erfahrbarkeit eines transpersonalen (also die humanistische Ich-Zentrale des Individuums übersteigenden) Bewußtseinszustandes, der früher nur auserwählten Propheten und erleuchteten Meistern erlaubt war, die darüber hinaus den chaotischen Inhalt der Offenbarung zunächst gemäß ihrer kulturellen Rahmenbedingungen in ein modisch (ideologisch) relevantes Kleid pressen mußten, das sich für andere (breit grinsende) Eingeweihte zwar wie des Kaisers neue Kleider anfühlt, nämlich archetypisch leer, aber durch die rabenschwarz getönten Sonnenbrillen des religiös bevormundeten Volkes die Nacktheit des gläsernen Körpers verschleierte, damit kein Tumult in den Köpfen erwache. Denn die verbotene Nacktheit der kOMplett entprojizierten, totaldisidentifizierten (also gewissermaßen "genullten") Seele ließ den antiken Menschen angeblich noch mehr erschaudern als den heute noch oftmals verschüchterten und nur halb aufgeklärten sogenannten "modernen" Menschen, wie wir aus einer ganz anderen Disziplin wissen: der Mathematik. Im Land des Zählwesens erfanden die Babylonier nämlich aus ganz praktischen Gründen um 300 v.Chr. einen "bodenlosen" Ort: die Unzahl Null, zunächst nur als symbolischen PLATZHALTER in Form zweier schräggestellter Keile (gemäß einer leeren Spalte auf dem bis dahin verwendeten Abakus, dem Rechenschieber mit Steinchen), damit der wortwörtliche Stellenwert der restlichen Ziffern eindeutig war. Aber trotz aller Nützlichkeit dieser "wertfreien" Ziffer bewirkte die Entdeckung der NACKTHEIT DER NULL als symbolische Zahl für absolute Substanzlosigkeit, daß sie sowohl Römer wie auch Griechen nur widerwillig duldeten: "Wir können es uns heute kaum vorstellen, daß man sich vor einer Zahl fürchtet. Aber die Null ist unausweichlich mit der Leere - mit dem Nichts - verknüpft. Dem Menschen graute es schon immer vor Leere und Chaos. Also empfand er auch eine urtümliche Angst vor der Null. Die meisten alten Völker glaubten, daß vor der Entstehung der Welt nur Leere und Chaos herrschten. Die Griechen waren davon überzeugt, daß die Dunkelheit die Urmutter aller Dinge sei und daß aus der Dunkelheit das Chaos entspringe. Dunkelheit und Chaos brachten dann die übrige Schöpfung hervor. Nach den hebräischen Schöpfungsmythen war die Erde wüst und leer, bis Gott sie mit Licht überflutete und mit seinen Geschöpfen bevölkerte. Die älteren hinduistischen Überlieferungen berichten von einem Schöpfer, der die Butter des Chaos in die Erde schlägt, und altnordische Mythen künden von einer offenen Leere, die mit Eis bedeckt wurde; aus dem Chaos, das aus der Vermischung von Feuer und Eis hervorging, entsprangen dann Giganten. Leere und Unordnung kennzeichneten folglich den urzeitlichen, natürlichen Zustand des Kosmos, und ständig nagte an den Menschen die Furcht, am Ende aller Zeiten könnten Chaos und Leere wieder die Oberhand gewinnen. Die Null repräsentierte ebendiese Leere. Die Furcht vor der Null war jedoch keineswegs nur ein Unbehagen angesichts der Leere, sondern sie ging tiefer. Für die Völker der Antike waren die mathematischen Eigenschaften der Null unverständlich, ebenso von einem Schleier des Geheimnisses umgeben wie die Geburt des Kosmos. (...) Der ganze griechische Kosmos ruhte auf dieser einen Säule: Es gibt keine Leere." Charles Seife: "Zwilling der Unendlichkeit. Eine Biographie der Zahl Null" (2000)
Ob es nun also "die" LEERE (als abstrakte Form oder konkrete Inhaltslosigkeit?) und damit "das" CHAOS (als GOTT hinter den Göttern?) oder den astrophysikalischen Urknall (als sagenhafte Singularität?) "an sich" gibt oder nicht gibt bzw. was "geben" (im Sinne von "exISTieren") eigentlich (d.h. absolut isoliert betrachtet) überhaupt (also über das denkende Haupt hinweg) bedeutet, scheint in sehr vielen Disziplinen eine so verzwickte Angelegenheit zu sein, wie es schon William James in der Metapher der unendlichen Reihe Schildkröten, die auf dem Rücken der nächsten Schildkröte stehen, für den inflationären Versuch ausdrückt, etwas "Letztes" zu begreifen, worüber sich manche Traditionen meditativ ausschweigen. Wir begnügen uns daher mit den bisherigen Ausführungen und tauchen lieber noch einmal in Hesiods GESCHICHTE selbst ein, um diesen altgriechischen Mythos vom "Ursprung" der Welt in seiner bezaubernden Bildgewalt zu genießen:
Gustav Schwab: "DIE SCHÖNSTEN SAGEN DES KLASSISCHEN ALTERTUMS" (1838–1840):
"Die mächtigsten Gottheiten der alten Zeit - wie Gaia (Gäa), die Erdmutter, Okeanos, der Weltenstrom, Zeus, der Wetter- und Himmelsbeherrscher - waren Naturgötter. In ihnen verkörperten sich für die Menschen der Frühzeit die Gewalten der Elemente, denen sie gegenüberstanden. Ihren Willen zu enträtseln, sie durch Verehrung und Opfer günstig zu stimmen, war der Inhalt ihrer Religion. (...) Im Anfang herrschte, wie der Dichter Hesiod erzählt, das Chaos, die gestaltlose Leere. Ihm entsprang Gaia, die Erde, und Eros, die Liebe. Gaia erzeugte aus sich selbst Gebirge, Meer und Himmel und mit dem Himmel (Uranos) gemeinsam die Titanen. Der Titan Kronos beraubte seinen Vater Uranos der Herrschaft und verstümmelte ihn mit einer Sense. Aus dem Blut des Verwundeten erwuchsen die Rachegöttinnen (Erinnyen), die Giganten und Nymphen. Kronos, der die Herrschaft an sich gerissen hatte, vermählte sich mit der Titanin Rhea. Unter seinen Kindern ragen besonders Demeter und Hera, Hades und Poseidon hervor. Der jüngste seiner Söhne, Zeus, begann vom Olymp, einem Berg in der Landschaft Thessaliens, den Kampf gegen Kronos, der mit dem Sieg des Olympiers endete. Zeus ist von nun an der Weltbeherrscher. Seinen Brüdern Poseidon und Hades überläßt er das Meer und die Unterwelt. Auf dem Olymp stehen die von Hephästos, dem Gott des Feuers und der Schmiedekunst, errichteten Götterpaläste. Sie ragen in den Himmel, an dem täglich der Sonnengott Helios und die Gestirne auf- und niedersteigen. Die Erde ist eine Scheibe und wird von Okeanos, dem Weltstrom, umflossen. Zeus, als Sohn des Kronos der Kronide genannt, lenkt Wolken, Regen, Schnee, Hagel, Donner und Blitz und ist der Ordner und Erhalter der Welt. (...) Seine Gemahlin Hera ist die Beschützerin der Ehe und der Familie. Athene, die Lieblingstochter des Zeus, ist besonders durch Klugheit und Mut ausgezeichnet. (...) Aphrodite gilt als die Göttin der Schönheit und der Liebe, sie ist die Gemahlin des lahmen und häßlichen, dafür aber kunstreichen Hephästos. (...) Zu den Nebengöttern werden Helios (Sonne), Selene (Mond) und Eos (Morgenröte) gezählt. (...) Tief im Meer thront Poseidon, der Beherrscher der Wogen, mit seiner Gemahlin Amphitrite. (...) Im Totenreich gebieten Hades und seine Gemahlin Persephone. Hier sind auch Hypnos (Schlaf), Thanatos (Tod), der Höllenhund Kerberos (Zerberus) und Charon, der Fährmann am Unterweltsfluß Acheron, zu finden. Demeter ist wie Gaia die Göttin der Erde. Sie ist die Stifterin des Ackerbaus, der Feldfrüchte und des Gedeihens, aber auch der Sitten. Dionysos (Bacchus) wird als Gott des Rausches, der Begeisterung und als der Gebieter über den Wahnsinn verehrt. Von dem dicken Zecher Silenos, von Satyrn und Mänaden begleitet, zieht er durch die Lande und verwirrt die Menschen."
Und genau hier schließt sich der kosmische Kreis auf eine schockierende Weise, denn das vorweltliche Urchaos ist nun als ein künstliches Ersatzchaos doch in den Köpfen der distopisch-drogenverseuchten Menschheit ausgebrochen (und selbst der beste Psychotherapeut kann hier keine Heilung erzwingen, denn auch er ist kein allmächtiger Gott), die sich im radikalpositivistischen Endspurt-Leerlauf wie sonnenlichtscheue Zombies verrennt anstatt sich auf ihre galaktische Tiefendimension zu besinnen: die reale Sonne (HELIOS & APOLLON), um die unser Heimatplanet Erde (GAIA & DEMETER) mit schwindelerregender Geschwindigkeit durch das reale Vakuum (URANOS, KOSMOS & ATLAS) schlingert, was einem tagtäglich den Atem auch ohne bewußtseinserweiternden Drogenkonsum rauben würde, wenn wir nicht dank der hauchdünnen Atmosphäre einen kühlen Kopf bewahren könnten! Denn wie gesagt bleibt die allerletzte Frage für uns offen: WURDE DAS URSPRÜNGLICHE URCHAOS, AUS DEM DIE WELT HERVORGING, AUCH VON IRGENDWEM ODER IRGENDWAS ERSCHAFFEN - ODER BESTEHT ES GANZ EINFACH NUR AUS UNVORSTELLBARER LEERE JENSEITS DER LEERE DER LEERE AD INFINITUM, DEREN RÜCKSEITE HINTER DEM INFLATIONÄREN ENDE VIELLEICHT GAR NICHT EXISTIERT? Ein urängstlicher Mensch, der diese banale Bodenlosigkeit fürchtet, weil er keine gedanklichen Flügel zum abgrundtief grundlosen Schweben entwickeln durfte (Achtung: der heilsame Mythos vom URENGEL in uns wird in einer anderen Märchenstunde erzählt!) würde sich hier vielleicht wieder mit seinem Aberglauben an irgendein freundliches GOTTESBILD zufrieden geben, während die entkernte Seele eines tanZENden Herzens, das keinen festen Atomkern benötigt, um sich als Bestandteil oder -welle eines holistischen Bioresonanzfeldes zu spüren, auf das gnostische PLEROMA (als Urgott hinter ABRAXAS) verweisen könnte, das
C.G.Jung in seinen von ihm als Jugendsünde bezeichneten "Septem Sermones ad Mortuos" (Die sieben Belehrungen der Toten) 1916 visionär beschrieb:
"Gott ist Creatur, denn er ist etwas bestimmtes und darum vom Pleroma unterschieden. Gott ist eigenschaft des Pleroma, und alles, was ich von der Creatur sagte, gilt auch von ihm. Er unterscheidet sich aber von der Creatur dadurch, daß er viel undeutlicher und unbestimmbarer ist, als die Creatur. Er ist weniger unterschieden als die Creatur, denn der grund seines wesens ist wirksame Fülle, und nur insofern er bestimmt und unterschieden ist, ist er Creatur, und insofern ist er die verdeutlichung der wirksamen Fülle des Pleroma. Alles, was wir nicht unterscheiden, fällt ins Pleroma und hebt sich mit seinem gegensatz auf. Darum, wenn wir Gott nicht unterscheiden, so ist die wirksame Fülle für uns aufgehoben. Gott ist auch das Pleroma selber, wie auch jeder kleinste punkt im geschaffenen und im ungeschaffenen das Pleroma selber ist. (...) Gott und Teufel sind unterschieden durch voll und leer, zeugung und zerstörung. Das WIRKENDE ist ihnen gemeinsam. Das Wirkende verbindet sie. Darum steht das Wirkende über beiden und ist ein Gott über Gott, denn es vereinigt die Fülle und die Leere in ihrer wirkung. Dies ist ein Gott, von dem ihr nicht wußtet, denn die Menschen vergaßen ihn. Wir nennen ihn mit seinem namen ABRAXAS. Er ist noch unbestimmter als Gott und Teufel. Um Gott von ihm zu unterscheiden, nennen wir Gott HELIOS oder Sonne. (...) Hätte das Pleroma ein wesen, so wäre der Abraxas seine verdeutlichung. Er ist zwar das wirkende selbst, aber keine bestimmte wirkung, sondern wirkung überhaupt. Er ist unwirklich wirkend, weil er keine bestimmte wirkung hat. Er ist auch Creatur, da er vom Pleroma unterschieden ist. (...) Er ist die gewaltigste Creatur und in ihm erschrickt die Creatur vor sich selbst. Er ist der geoffenbarte widerspruch der Creatur gegen das Pleroma und sein nichts. Er ist das entsetzen des sohnes vor der mutter. Er ist die liebe der mutter zum sohne. Er ist das entzücken der erde und die grausamkeit der himmel. Der mensch erstarrt vor seinem antlitz. Vor ihm giebt es nicht frage und nicht antwort. (...) Jeder Stern ist ein gott und jeder raum, den ein stern füllt, ist ein teufel. Das leervolle des ganzen aber ist das Pleroma. Die wirkung des ganzen ist der Abraxas, nur unwirkliches steht ihm entgegen. (...) Die vielzahl der götter entspricht der vielzahl der menschen. Unzählige götter harren der menschwerdung. Unzählige götter sind menschen gewesen. Der Mensch hat am wesen der götter teil, er kommt von den göttern und geht zum Gotte. So, wie es sich nicht lohnt über das Pleroma nachzudenken, so lohnt es sich nicht, die vielheit der götter zu verehren. Am wenigsten lohnt es sich, den ersten Gott, die wirksame Fülle und das summum bonum, zu verehren. Wir können durch unser gebet nichts dazu tun und nichts davon nehmen, denn die wirksame Leere schluckt alles in sich auf. Die hellen götter bilden die himmelswelt, sie ist vielfach und unendlich sich erweiternd und vergrößernd. Ihr oberster herr ist der Gott Sonne. Die dunkeln götter bilden die erdenwelt. Sie ist einfach und unendlich sich verkleinernd und vermindernd. Ihr unterster herr ist der Teufel, der mondgeist, der trabant der erde, kleiner und kälter und toter als die erde. Es ist kein unterschied in der macht der himmlischen und der erdhaften götter. Die himmlischen vergrößern, die erdhaften verkleinern. Unermeßlich ist beiderlei richtung. (...) Der mensch ist ein thor, durch das ihr aus der außenwelt der götter, daemonen und seelen eintretet in die innenwelt, aus der größeren welt in die kleinere welt. (...) In unermeßlicher entfernung steht ein einziger stern im zenith. Dies ist der eine Gott dieses einen, dies ist seine Welt, sein Pleroma, seine göttlichkeit. In dieser welt ist der mensch der Abraxas, der seine welt gebiert oder verschingt. Dieser stern ist der Gott und das ziel des menschen. (...) Das gebet mehrt das licht des sternes, es schlägt eine brücke über den tod, es bereitet das leben der kleineren welt, und mindert das hoffnungslose wünschen der größeren welt. Wenn die größere welt kalt wird, leuchtet der stern."
Wenn also die Götterfunken erlöschen (die SYMBOLE uns anschweigen), brennt dieses Feuer der SEHNSUCHT in der empfänglichen Seele des "zeitwachen" Menschen weiter, das SEIN nach dem SINN seiner Existenz zu befragen, indem er mit weit geöffneten Sinnen den "chaotischen" Urgott hinter allen Göttern im Mitmenschen befreit staunend visioniert, soll heißen: ihn und sich SELBST nicht nur als ausweglos psychisch Befangene behandelt sondern auch als bereits BEI SICH (GEGENSEITIG) angekOMmene, von leerem Licht durchflutete Geschöpfe WAHR-nimmt... "Im Ansatz der Stimme des Priesters höre ich den Urschrei der Dschungelkreatur. Er ist aber abgewandelt, ausgebaut, verfeinert und über die Jahrhunderte von der Kultur geformt worden. Jeder neue Spielzug, jede weitere Verfeinerung, diente dazu, die Wirkung des Urschreis zu verbessern. (...) Die Menschen um mich herum sind nicht mehr die alltäglichen, geplagten kleinen Persönlichkeiten mit Namen, Adressen und Altersversicherungsnummern und auch nicht länger die auf eine bestimmte Dauer programmierten Sterblichen, die wir alle zu sein vorgeben. Ohne ihre Menschlichkeit verloren zu haben, sehen sie eher aus wie ihre unsterblichen Archetypen. Ähnlich wie die Stimme des Priesters manifestieren ihre unterschiedlichen Persönlichkeiten die ganze Geschichte der Menschheit. Sie sind gleichzeitig einmalig und ewig, ebenso Männer und Frauen wie Götter und Göttinnen. Da wir genug Zeit haben, um uns gegenseitig anzusehen, sind wir zeitlos geworden. Die menschliche Form des Lebens erscheint nun unermesslich kostbar. (...) Ich versuche, die Worte zu finden, um eine Ahnung der himmlischen, mythologischen Eigenschaften dieser Menschen zu vermitteln. Sie sind mir aber gleichzeitig so vertraut, als würde ich sie seit Jahrhunderten kennen. Ich erblicke in ihnen verlorene Freunde aus einem Land, das vor den Welten erschaffen worden war, und die ich schon am Anfang der Zeit gekannt habe. Natürlich ist diese Erinnerung mit dem Wiedererkennen meiner eigenen uralten Identität verknüpft." Alan Watts: "KOSMOLOGIE DER FREUDE" (1962)
"Davon, daß es ein nicht psychisches, transzendentes Objekt gibt, ist die Naturwissenschaft stillschweigend überzeugt. Sie weiß aber auch, wie schwierig es ist, die wirkliche Natur des Objekts zu erkennen, namentlich dort, wo das Organ der Wahrnehmungen versagt oder gar fehlt, und wo passende Denkformen nicht vorhanden sind, beziehungsweise erst noch erschaffen werden müssen. In jenen Fällen, wo weder unsere Sinnesorgane noch deren künstliche Hilfsapparate das Vorhandensein eines realen Objekts verbürgen, wachsen die Schwierigkeiten ins Ungeheure, so daß man sich versucht fühlt zu behaupten, es sei überhaupt kein reales Objekt vorhanden." C.G.Jung: "Erinnerungen, Träume, Gedanken" (1961)
"Der Begriff des Archetypus (...) wird aus der vielfach wiederholten Beobachtung, daß zum Beispiel die Mythen und Märchen der Weltliteratur bestimmte, immer und überall wieder behandelte MOTIVE enthalten, abgeleitet. (...) Sie gehen hervor aus dem an sich unanschaulichen Archetypus, einer unbewußten Vorform, die zur vererbten Struktur der Psyche zu gehören scheint und sich infolgedessen überall auch als spontane Erscheinung manifestieren kann." C.G.Jung: "Das Gewissen in psychologischer Sicht" (1958)
UNTERWEGS Die ewige Mitte auf allen Wegen Der Zufall dient als einziger Segen Beim Leben Lernen auf Erden Immer anwesender sterben und werden
"Am Dienstag, den 13. März [1781], zwischen 10 und 11 Uhr abends, als ich die kleinen Sterne in der Nachbarschaft von H Geminorum [Zwillinge] untersuchte, bemerkte ich einen, der deutlich größer als die übrigen erschien. Beeindruckt von seiner ungewöhnliche[n] Größe verglich ich ihn mit H Geminorum und dem kleinen Stern im Viereck zwischen dem Fuhrmann und den Zwillingen und da er umso vieles größer als diese war, vermutete ich, daß er ein Komet sei. (...) Die Stärke, die ich gerade gebrauchte, als ich den Kometen erstmals sah, war 227fach. (...) Zudem erschien der Komet, der schon weit stärker vergrößert war, als sein Licht eigentlich erlaubte, bei dieser großen Kraft [460 und 932] verschwommen und undeutlich, wohingegen die Sterne ihren Glanz und ihre Schärfe behielten, die sie, wie ich aus vielen tausend Beobachtungen wußte, bewahren würden. Im folgenden hat sich gezeigt, daß meine Vermutung wohl gegründet war, es erwies sich, daß das, was wir kürzlich beobachtet hatten, ein Komet ist." Friedrich Wilhelm Herschel: "Bericht über einen Kometen - die Entdeckung des Uranus" (1781)
L I T E R A T ur V E R Z E I C H N I S 1. NAMEN & QUELLEN: Areopagita, Pseudo-Dionysius (ca.500 n.Chr.): Begründer der Negativen Theologie "Ich schaute Gott im Schweigen", Herder 1985 Bialas, Volker (geb. 1938): deutscher Wissenschaftshistoriker und Philosoph "Vom Himmelsmythos zum Weltgesetz - Eine Kulturgeschichte der Astronomie", Ibera 1998 Comte-Sponville, André (geb. 12.3.1952): französischer Philosoph "Woran glaubt ein Atheist? Spiritualität ohne Gott", Diogenes 2009 (Originalausgabe 2006) Fromm, Erich (23.3.1900-18.3.1980): deutsch-amerikanischer Sozialpsychologe "PSYCHOANALYSE UND RELIGION", Goldmann 1979 (Originalausgabe 1950) Gebser, Jean (20.8.1905 - 14.5.1973): Schweizer Kulturphilosoph "Ursprung und Gegenwart", DVA 1949-1953 Hamel, Jürgen (geb. 6.6.1951): Philosoph mit Schwerpunkt Astronomiegeschichte "Astronomiegeschichte in Quellentexten: Von Hesiod bis Hubble" Spektrum Akademischer Verlag 1996 Hammerle, Beatrix (geb. 19xx): Grenzwissenschaftlerin zwischen Volksweisheit und Astrologie "EIN PLANET FÜR JEDEN TAG", Pinguin 1998 Herschel, Friedrich Wilhelm (15.11.1738 - 25.8.1822): deutsch-britischer Astronom Entdecker des Planeten Uranus (13.3.1781) und der Infrarotstrahlung (1800) "Bericht über einen Kometen - die Entdeckung des Uranus" ("Account of a Comet, communicated by Dr. Watson."), Erstveröffentlichung in: "Philosophical Transactions of the Royal Society of London 71", 1781 Hesiod (griech. Hesíodos, ca. 700 v. Chr.): griechischer Dichter "Theogonia" (Entstehung der Welt und der Götter sowie eine Abfolge der Götterherrschaft), neben der Odyssee und der Ilias von Homer die älteste bekannte Quelle der Griechischen Mythologie. Jäger, Willigis bzw. Ko-un Rōshi (geb. 7.3.1925): deutscher Benediktinermönch, Zen-Meister und Mystiker "Geh den inneren Weg", Herder 1999 & "Wiederkehr der Mystik - Das Ewige im Jetzt erfahren", 2004 Jung, Carl Gustav (26.7.1875 - 6.6.1961): Begründer der Analytischen Psychologie "VII SERMONES AD MORTUOS" (Die sieben Belehrungen der Toten. Geschrieben von Basilides in Alexandria, der Stadt, wo der Osten den Westen berührt.), in: "Erinnerungen, Träume, Gedanken von C.G.Jung. Aufgezeichnet und herausgegeben von Aniela Jaffé" (1961), Walter 1971 (Erstveröffentlichung: Privatdruck-Broschüre für Freunde (1916) Jungk, Robert (11.5.1913 - 14.7.1994): Zukunftsforscher und Alternativer Nobelpreisträger "Die neue Gnosis", in: "Jenseits der Erkenntnis" (Hrsg. L. Reinisch), Suhrkamp 1977 Kühn, Herbert (29.4.1895-25.6.1980): deutscher Prähistoriker "Das Erwachen der Menschheit", Fischer 1954 Otto, Rudolf (25.9.1869 - 6.3.1937): Professor für evangelische Theologie "Das Heilige. Über das Irrationale in der Idee des Göttlichen und sein Verhältnis zum Rationalen", 1917 Schwab, Gustav (Benjamin) (19.6.1792 - 4.11.1850): Pfarrer und Schriftsteller "Die schönsten Sagen des klassischen Altertums" (1838–1840) DTV 2005 Seife, Charles (geb. 19xx): Journalist "Zwilling der Unendlichkeit. Eine Biographie der Zahl Null", Goldmann 2002 (Originalausgabe 2000) (De) Toys, Tom (24.1.1968 - 21.6.2100): Erfinder der Quantenlyrik "LOCHiSMUß LEiCHTGEMACHT", G&GN 2007 (erweiterte Neuausgabe Herbst 2010) Watts, Alan W. (6.1.1915 - 16.11.1973): britisch-amerikanischer Religionsphilosoph "KOSMOLOGIE DER FREUDE", AT 2000 (Originalausgabe: 1962) & "Mythus und Ritus des Christentums. Anatomie einer Verblendung", Heyne 1991 (Originalausgabe 1954) Zwerenz, Gerhard (geb. 3.6.1925): Schriftsteller und ehem. Bundestagsabgeordneter "MAGIE STERNENGLAUBEN SPIRITISMUS. Streifzüge durch den Aberglauben", Urania 1956
"Himmel und Erde waren geschaffen; das Meer wogte in seinen Ufern, und die Fische spielten darin; in den Lüften sangen beflügelt die Vögel; der Erdboden wimmelte von Tieren. Aber noch fehlte es an dem Geschöpfe, das fähig war, die Erdenwelt zu beherrschen. Da betrat der kluge Prometheus die Erde. Er war ein Sprößling des alten Göttergeschlechts, das von Zeus entthront worden war, ein Sohn des erdgeborenen Uranussohnes Japetus. Dieser wußte wohl, daß im Erdboden der Same des Himmels schlummere; darum nahm er vom Ton, befeuchtete ihn mit dem Wasser des Flusses und formte daraus ein Gebilde nach dem Ebenbilde der Götter, der Herren der Welt. Diesen seinen Erdenkloß zu beleben, entlehnte er allenthalben von den Tierseelen gute und böse Eigenschaften und schloß sie in die Brust des Menschen ein. Unter den Himmlischen hatte er eine Freundin, Athene, die Göttin der Weisheit. Diese bewunderte die Schöpfung des Titanensohnes und blies dem halbbeseelten Bilde den Atem ein. So entstanden die ersten Menschen und füllten bald vervielfältigt die Erde. Lange aber wußten sie nicht, wie sie sich ihrer edlen Glieder und des empfangenen Götterfunkens erfreuen sollten. Sehend sahen sie umsonst, hörten hörend nicht; wie Traumgestalten liefen sie umher und wußten sich der Welt nicht zu bedienen. (...) Unter der Erde, in sonnenlosen Höhlen, wimmelte es von ihnen wie von beweglichen Ameisen: (...) planlos war alles, was sie verrichteten. Da nahm sich Prometheus seiner Geschöpfe an: (...) er erfand ihnen die Kunst zu erzählen, die Buchstabenschrift; (...) zeigte ihnen die Mischung milder Heilmittel, allerlei Krankheiten damit zu vertreiben. (...) Im Himmel herrschte mit seinen Kindern seit kurzem Zeus, der seinen Vater Kronos entthront und das alte Göttergeschlecht, von welchem auch Prometheus abstammte, gestürzt hatte. Jetzt wurden die neuen Götter aufmerksam auf das eben entstandene Menschenvolk. Sie verlangten Verehrung von ihm für den Schutz, welchen sie ihm gewähren wollten." Gustav Schwab: "DIE SCHÖNSTEN SAGEN DES KLASSISCHEN ALTERTUMS" (1838–1840)
"Das Nichts ist dasselbe wie die Fülle. In der unendlichkeit ist voll so gut wie leer. (...) Ein unendliches und ewiges hat keine eigenschaften, weil es alle eigenschaften hat. Das Nichts oder die Fülle nennen wir das PLEROMA. Dort drin hört denken und sein auf, denn das ewige und unendliche hat keine eigenschaften. (...) Im Pleroma ist nichts und alles: es lohnt sich nicht über das Pleroma nachzudenken, denn das hieße: sich selber auflösen. Die CREATUR ist nicht im Pleroma, sondern in sich. Das Pleroma ist anfang und ende der Creatur. Es geht durch sie hindurch, wie das sonnenlicht die luft überall durchdringt. Obschon das Pleroma durchaus hindurch geht, so hat die Creatur doch nicht theil daran, so wie ein vollkommen durchsichtiger körper weder hell noch dunkel wird durch das licht, das durch ihn hindurch geht. Wir sind aber das Pleroma selber, denn wir sind ein theil des ewigen und unendlichen. Wir haben aber nicht theil daran, sondern sind vom Pleroma unendlich weit entfernt, nicht räumlich oder zeitlich, sondern WESENTLICH, indem wir uns im wesen vom Pleroma unterscheiden als Creatur, die in zeit und raum beschränkt ist. Indem wir aber theile des Pleroma sind, so ist das Pleroma auch in uns. Auch im kleinsten punkt ist das Pleroma unendlich, ewig und ganz, denn klein und groß sind eigenschaften, die in ihm enthalten sind. Es ist das Nichts, das überall ganz ist und unaufhörlich. (...) Die Creaturen sind entstanden, nicht aber die Creatur, denn sie ist die eigenschaft des Pleroma selber, so gut wie die nichtschöpfung, der ewige Tod. Creatur ist immer und überall, Tod ist immer und überall. Das Pleroma hat alles, unterschiedenheit und ununterschiedenheit. (...) In uns ist das Pleroma zerrissen. (...) Ihr sollt nicht vergessen, daß das Pleroma keine eigenschaften hat. Wir erschaffen sie durch das denken. Wenn ihr also nach verschiedenheit oder gleichheit oder sonstigen eigenschaften strebt, so strebt ihr nach gedanken, die euch aus dem Pleroma zufließen, nämlich gedanken über die nichtseienden eigenschaften des Pleroma." C.G.Jung: "VII SERMONES AD MORTUOS" (1916)
"Sucht man nach einem Beweggrund, der den bedeutenden Denkern und Forschern des zwanzigsten Jahrhunderts gemeinsam ist, so wird man ihre Versuche, die Fragmentierung der Welt zu überwinden, als besonders charakteristisch erkennen. Eindringlich hat der vorwiegend an den Universitäten von Princeton und London lehrende Wissenschaftsphilosoph David Bohm dies zum Ausdruck gebracht. (...) Es steht für mich außer Zweifel, daß David Bohm zu jener Gruppe bedeutender Geister gehört, deren Gedankenwelt der französische Philosoph Raymond Ruyer in seinem 1974 erschienenen Werk 'La Gnose de Princeton' beschreibt. Die Tatsache, daß er keinen einzigen dieser 'Neo-Gnostiker' beim Namen nennt, mag tatsächlich daran liegen, daß er um Diskretion gebeten wurde. (...) Man sollte ihm daher getrost abnehmen, daß vorwiegend in den USA lebende Physiker, Astronomen, Kosmologen, Biologen, Mediziner und seit einiger Zeit auch hohe Beamte und Kleriker sich in einer geistigen Bewegung zusammengefunden haben, der seit 1969 der Name 'Die neue Gnosis' anhängt, eine Bezeichnung, die ihr ursprünglich von ihren Kritikern im Spott verliehen, aber dann von den Beteiligten als recht zutreffend übernommen wurde. Die historische Gnosis, etwa im 1.Jahrhundert während der frühen Geschichte des Christentums auftauchend und bald als Ketzerei verboten, hatte ihre Wurzeln im Denken der Babylonier, Inder und Ägypter. Ihr zentraler Gedanke ist, daß das Königreich Gottes bereits hier auf dieser Erde in allen seinen Erscheinungen mit uns und in uns sei. Der Gläubige kann demnach in eigener Versenkung die Kenntnis der tiefsten göttlichen Geheimnisse unmittelbar erlangen. Er muß weder auf einen vermittelnden Priester, noch auf ein Leben nach dem Tode oder gar auf das Kommen des Messias warten: Vorstellungen, wie sie in den orientalischen Religionen und später auch im Islam akzeptiert waren, während das Christentum sie bei jedem Wiederauftauchen verdrängte. Diese Spaltung des intimen Zusammenhangs von Mensch und Gott mag bereits eine Wurzel jener Zerrissenheit sein, die Bohm geschildert hat, ein Vorgang, ohne den die Unterwerfung der 'heidnischen Natur', die Geburt der Naturwissenschaften und die Entwicklung der Technik vielleicht gar nicht möglich gewesen wären. Kann dieser Riß je heilen? Ja, so meint Ruyer als Interpret der 'neuen Gnosis', wenn man bereit ist anzunehmen, daß die Welt vom 'Geist' geschaffen und ganz von ihm durchdrungen ist in allen ihren Erscheinungen. Die Materie wird demnach nicht mehr als Gegensatz zum Geist angesehen, sie ist nur sein stofflicher Ausdruck, seine Erscheinung in den Augen der anderen. Aber diese körperliche Existenz erweist sich auf einer anderen, tieferen und der Wahrheit näheren Ebene als eine Art Illusion, die nur notwendig ist, damit wir die Welt und einander wahrnehmen können. Diese Auffassung klingt gewiß unwahrscheinlich, aber sie entspricht weitgehend den neuesten Ergebnissen der Teilchenphysik. (...) Derartige Experimente haben uns gezeigt, daß auf der subatomaren Ebene ständige Bewegung, unaufhörlicher Wandel herrscht. Die Teilchen werden nicht länger als 'Bausteine' gesehen, sondern als perimäre fließende Erscheinungen, die auftauchen und wieder verschwinden. Die Materie, ja darüber hinaus das ganze Universum, erweist sich als ein eigentlich immaterieller Strom, ein gewaltiges, untrennbar ineinander verwobenes Netz von Energien, das zwar für die Beobachter immer andere Wirbel und Muster hervorbringt, aber keine festen, ja nicht einmal mit Bestimmtheit auffindbare Bestandteile aufweist. 'In dieser Welt haben klassische Auffassungen wie 'Elementarteilchen', 'materielle Substanz' und 'isoliertes Objekt' ihre Bedeutung verloren', meint der Physiker Fritjof Capra, der unter dem Titel 'THE TAO OF PHYSICS' ein hochinteressantes Buch über die zunehmende Konvergenz westlicher Physik und östlicher Mystik geschrieben hat. (...) Richard Feynman, den Einstein als seinen begabtesten Schüler bezeichnete, hat seinen Hörern am 'California Institute of Technology' verkündet: 'Wir müssen eine neue Vision der Welt finden. Was wir am meisten brauchen, ist Phantasie.' (...) Was liegt näher als Träume und Ahnungen, in denen die Freudsche Psychologie nur Manifestationen des UNTERbewußtseins sehen wollte, als mögliche Mitteilungen eines noch nicht entdeckten, aber in seinen Wirkungen gelegentlich schon spürbaren ÜBERbewußtseins zu sehen. Die 'Gnosis von Princeton' nimmt laut Ruyer die alte, bei allen Naturvölkern verbreitete Vorstellung wieder auf, daß 'das innere Genie des Menschen, sein DAIMON - im Sinne Platos - sein Gott im Traum zu ihm spreche. Aber bei solchen Allgemeinheiten, die Gott wieder einmal als bequeme Verkörperung jeder Unbekannten in einer ungelösten Gleichung, als Lückenbüßer für noch nicht vorhandene Erkenntnis einsetzt, will man nicht stehenbleiben. Die Traumforschung und darüber hinaus die seit Mitte der sechziger Jahre sich kräftig entwickelnde Untersuchung verschiedener Bewußtseinszustände versucht, diese bisher den esoterischen und 'geheimen' Wissenschaften überlassenen Domänen der faßbaren und dokumentierbaren Erkenntnis zu erschließen." Robert Jungk: "Die neue Gnosis" (1977)
"Ohne Zweifel ging auch die griechische Geschichte durch das Dunkel animistischer Mystik. (...) Eine grundlegende Änderung trat erst durch die homerische Dichtung ein, die etwa aus der Zeit von 900 bis 700 v.u.Z. datiert. 'Hesiod und Homer haben den Griechen ihre Theogonie (Anschauung von der Entstehung und Abstammung der Götter) gemacht', sagt der Geschichtsschreiber Herodot, und er hat sehr recht damit. (...) Homer wählte aber nicht nur aus, sondern gab, wie auch Hesiod, 'den Göttern ihre Beinamen..., ihre Ehrenrechte und Wirkungskreise, wie Herodot weiter sagt. Homer wie auch Hesiod trugen also viel zur Läuterung der alten, oft noch sehr animistischen griechischen Gottheiten bei, sie unterstützten damit die Herausbildung höherstehender religiös-mystischer Vorstellungen. (...) Wo Babylonier und Ägypter ihre Dämonen beschwören würden, wendet sich der Grieche höchstens um Rat oder Beistand flehend an seine Götter. (...) Selbstverständlich sind die Griechen trotzdem von einer illusionslosen Welterkenntnis weit entfernt. Das phantastische Element ist nur weitgehend geläutert, lebt aber, in einer allerdings sympathischen Form, im Götterglauben weiter. Dabei sind die griechischen Götter höchst sonderbare Gestalten. Sie leben bei all ihrer Göttlichkeit so menschlich wie die Menschen selbst. Sie irren und streiten, schließen Freundschaft und verfeinden sich, lieben, heiraten und hintergehen sich, sterben und erwachen wieder vom Tode. Und dabei sind sie bei aller Göttlichkeit sogar noch der MOIRA, dem Weltschicksal unterworfen. Wenn diese Moira hier auch ziemlich zurücktritt und nur ganz vom Hintergrunde aus wirkt, so ergibt sich eine weitere bezeichnende Parallele zur Lebensweise der Menschen darin, daß sie überhaupt vorhanden ist und somit auch die Götter nicht völlig frei sind." Gerhard Zwerenz: "MAGIE STERNENGLAUBEN SPIRITISMUS" (1956)
"Für die Einführung von Himmelsstützen in die Kosmologie scheinen also vor allem statische Gesichtspunkte zu sprechen. (Anm.ebenda: Die Annahme von Himmelsstützen ist vermutlich aus der praktischen Erfahrung genommen; zu ihr gehört auch die Angst, der Himmel könnte auf die Erde herabstürzen und die Menschen erschlagen. Derartige Einsturzmythen sind auch in anderen Gebieten Afrikas verbreitet gewesen.) Aber ebenso ist die älteste Kosmologie auf ein bestimmtes Geschehen bezogen und insofern an den Mythos gebunden. Wesentlich ist hier die Vorstellung von dem Werden der Welt in einem Schöpfungsakt. In mythischer Hinsicht folgt aus der Selbstbegattung des Schöpfungsgottes Atum die Genealogie der Götter, in mehr naturphilosophischer und prinzipieller Hinsicht liegt dem Schöpfungsgeschehen ein fortlaufender Trennungsprozeß zugrunde. Naturphilosophisch gesehen bedeutet Weltschöpfung Weltwerden: Weltentwicklung vollzieht sich durch Bewegung. Ihre klassische Form hat die ägyptische Schöpfungslehre in Heliopolis erhalten. Naturmythen werden zu kosmischen Gottheiten personifiziert. Aus der Neunheit der Götter von Heliopolis (Anm.ebenda: Die Neunheit als das Quadrat von drei stellt die vollendete Drei dar. Neben der Neun gehört auch die Vier zu den heiligen Zahlen Ägyptens. Derartige Vorstellungen sind von den Pythagoreern im antiken Griechenland aufgegriffen und weiterentwickelt worden.) treten einzelne Götter am Anfang hervor: Luftgott Schu, Sohn des Atum, trennt die Himmelsgöttin Nut vom Erdgott Geb, indem er sie emporhebt und stützt. Dem Mythos nach sind ursprünglich Himmel und Erde nicht voneinander getrennt. Der die Nut liebende Schu erfüllt die Funktion des himmelsstützenden Gottes. Nut, nun zur Mutter der Gestirne geworden, beugt sich gleich einer Himmelsbrücke liebevoll über Geb, der ermattet, enttäuscht zurückbleibt. Dieser lebendige, fast anthropomorphe Mythos kehrt im Osiris-Kult wieder." "Im Übergang von der religiösen Welterfahrung zur rationalen Welterklärung spielt das antike Griechenland eine Hauptrolle. Hier wurden vor zweieinhalb Jahrtausenden Mythen des Orients mit den Erinnerungen an die eigene heroische Geschichte in synkretistischer Weise verbunden und zu phantasievollen Epen gestaltet; hier wurde das Wissen der alten Stromkulturen, wenn auch zögernd und unvollständig, aufgegriffen, mit eigenen aus der Erfahrung geschöpften Kenntnissen zusammengeführt und neu geordnet, schließlich wesentlich erweitert und systematisiert. So gilt das antike Griechenland zurecht als die Geburtsstätte der geistigen Kultur Europas und damit auch der wissenschaftlichen Astronomie. Hier noch nicht losgelöst vom Denken des Ganzen in der Philosophie, ist ihre Entwicklung als ein Prozeß zunehmender Rationalität über mehr als fünf Jahrhunderte zu verfolgen: in unterschiedlichen kosmogonischen Vorstellungen und kosmologischen Entwürfen einzelner philosophischer Schulen, in den Beobachtungen und mathematischen Darstellungen der Phänomene am gestirnten Himmel. (...) In den kosmogonischen Mythen wird wohl auch die Geschichte der kosmischen Gottheiten und der Göttergeschlechter erzählt, die Hauptfrage aber kreist um das Problem der Entstehung und der inneren Struktur der Welt. So spekuliert um 700 v. Chr. HESIOD in der 'Theogonia' über die Entstehung der Götter und der sichtbaren Welt; die Kosmogonie wird also als Theogonie erzählt. Darin heißt es [gemäß Schadewaldt, 1970]:
>> Aus Chaos, der klaffenden Leere, entstanden Erebos, die Finsternis, und die dunkle Nacht. Aus der Nacht entstanden Aither, der höchste Himmelsglanz, wie auch Hemera, der Tag, nachdem Nacht und Finsternis sich in Liebe vereinigt hatten. Und nun gebar Gaia, die Erde, ihr selber gleich Uranos, den Himmel, damit dieser sie rings umhülle und damit er für die unsterblichen Götter ein Wohnsitz sein sollte für immer.