Arnold Stadler und Oliver Sturm: Evangelium Pasolini
Die Bibel inspiriert noch immer Autoren, ebenso wie auch Maler und Musiker. Diese Erkenntnis gab den Ausschlag für ein Programm-
Konzept der Hörspielabteilung des Hessischen Rundfunk, das bereits Anfang 2014 mit einer ersten Adaption umgesetzt wurde (Brigitte Kronauer).
Darauf folgten weitere 20 Ursendungen namhafter Autoren und Autorinnen, von Robert Wilson ( Tower of Babel") über Marlene Streeruwitz ( Maria") bis Thomas Harlan/Michael Farin Hiob Gesicht Gottes". Die letzte Folge wird Werner Fritschs Call me Moses" sein.
Vorletzte Ursendung dieses ambitionierten und groß angelegten Projekts ist Evangelium Pasolini", eine künstlerisch besonders wagnisreiche Annäherung an seinen Film Il Vangelio Secondo Matteo" aus dem Jahr 1964. Angesichts Pasolinis bekannter kommunistischer Überzeugungen und seiner nie verleugneten Homosexualität (wozu in den Sechziger Jahren auch in der Filmwelt Mut gehörte) waren nicht nur Klerus und Politik äußerst indigniert, sondern auch das Filmpublikum überrascht. Evangelium nach Matthäus" wurde zu einem seiner wichtigsten Werke und einer Art Vermächtnis nach dem gewaltsamen, bis heute nicht aufgeklärten Mord am aufgelassenen Wasserflughafen von Ostia westlich von Rom. Am Morgen von Allerseelen, dem 2.11.1975, wurde der brutal zugerichtete Leichnam des Regisseurs von einem Hund von Spaziergängern aufgespürt.
Um diesen Mord kreisen noch heute Mutmaßungen wie die Geier. Er wird für den Autor Arnold Stadler zum Angelpunkt für die
Intertextur von Matthäus Evangelium, Film und Biographie Pasolinis.
Der 1954 im oberschwäbischen Meßkirch geborene Schriftsteller, Kritiker und promovierte katholische Theologie wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, darunter bereits 1999 dem Georg-Büchner-Preis.
Dem Evangelium wagt auch er sich nur auf dem indirekten Wege über Pasolinis Film zu nähern – ähnlich wie Pasolini, der in Petrus für sich die Mittlerfigur gefunden hat. Er selbst habe, so sagte Pasolini in einem Interview, als Ungläubiger und Kommunist" sich mit Matthäus nicht unmittelbar auseinandersetzen können.
Stadler gelingt das fast unmöglich Scheinende, das Evangelium – also ein hochspirituelles Phänomen - auf dem Wege über ein visuelles Medium (Film) durch Sprache und Beschreibung, also rein akustisch - wiederzugeben. Antizipiert wird die Situation, indem er während der Betrachtung des Films diesen, zudem aber auch seine Eindrücke dabei beschreibt. Er bleibt dabei unprätentiös, ist niemals pastoral, auch nicht belehrend und bleibt lakonisch zurückhaltend auch in der Deskription hochemotionaler Momente im Film. Wie anders wäre es auch möglich gewesen, Wucht und Majestät der Matthäus Passion von Johann Sebastian Bach zu kommentieren, die Pasolini im Wesentlichen eingesetzt hat, vor allem Introitus und Cantus Firmus ( Erbarme dich").
Oliver Sturm, der schon so viele Hörspiele inszeniert hat, zeigt hier – das darf unumwunden gesagt werden – meisterhaftes Können. Es gelingt ihm, den tief verzweifelten, aber auch realistisch-bösen Tonfall aufzugreifen und doch auch hin auch den zarten und zutiefst humanen Akzenten des Vangelio Secondo Matteo" nachzuspüren. Die Mischung von Originalton, Sprecherstimmen und Kommentar ist – im Wortsinne – eine Komposition von unaufdringlicher Intensität, die auch völlig unerwartete Sätze von Pasolini aufzufangen vermag, wenn er etwa in einem Interview sagt: ich liebe diesen Jesus aus ganzem Herzen." Aber auch, dass er sich als Ungläubiger, als Marxist nicht in prosodischer Treue" zum Evangelium verhalten könne. Für Stadler ist Pasolini jedoch durch diesen Film zu einem der großen Theologien unserer Zeit" geworden.
Der Regisseur Oliver Sturm hat sich, so scheint es, von einem anderen Selbstzeugnis Pasolinis leiten lassen, der kurz vor seinem Tod in seinem letzten Interview sagte: ich zahle den Preis für das Leben, das ich geführt habe. Es ist, als ob ich in die Hölle hinabsteige." Bei allem Furor ist Oliver Sturms Regiehandschrift aber auch von dem geprägt, was der Theologe Stadler die apocatastatis ton panton, nennt das Versöhnung mit Allem". Der Film – und damit auch die Radioproduktion - endet nicht mit dem grausamen Selbsthass, der sich in Pasolinis Worten manifestiert, sondern mit den vom Evangelisten niedergeschriebenen Worten des auferstandenen Jesus: siehe, ich bin bei euch alle Tage, bis ans Ende der Welt."
Angela di Ciriaco-Sussdorff – 23.10.2016
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