Aramaic in the Time of Jesus, Abbba and the Lord\'s Prayer / Die aramäische Sprache zur Zeit Jesu im Licht der Texte von Qumran. Bemerkungen zu ABBA und dem Vaterunser, in: J. Frey/ E. Popkes (Eds.), Jesus, Paulus und die Texte von Qumran, WUNT II/390, Tübingen, Mohr-Siebeck 2015, 81-144.

July 24, 2017 | Author: D. Schattner-Rieser | Category: Liturgical Studies, Semitic languages, New Testament, History of Christianity, Liturgy, Aramaic Dialectology, Early Church, Targum, Dead Sea Scrolls (Religion), Early Christianity, New Testament and Christian Origins, Historical Jesus, Jewish Aramaic, New Testament Textual Criticism, - Christianization and Ancient Christianity, Jesus Parables, Q, Historical Jesus, and Biblical Hermeneutics for Ethico-Political Interpretation of New Testament, The relation between Theology and Ethics in Pauline Letters, Early Church Fathers, Qumran, New testament exegesis, Dead Sea Scrolls, Jesus, Jewish Prayer, Jesus Christ, New Testament Studies, Historical Jesus Research, Old Testament and New Testament theology and Biblical studies, with an in-depth focus on exegetical and critical issues, The Use of the Old Testament in the New, Ancient Judaism, Early Christianity, Hellenism, Jewish Liturgy, Our Father, Targumim, Jesus Prayer, Abba Father, Lord's Prayer, Jewish Aramaic Literature, Aramaic and Targum, Aramaic Languages, Aramaic Dialectology, Early Church, Targum, Dead Sea Scrolls (Religion), Early Christianity, New Testament and Christian Origins, Historical Jesus, Jewish Aramaic, New Testament Textual Criticism, - Christianization and Ancient Christianity, Jesus Parables, Q, Historical Jesus, and Biblical Hermeneutics for Ethico-Political Interpretation of New Testament, The relation between Theology and Ethics in Pauline Letters, Early Church Fathers, Qumran, New testament exegesis, Dead Sea Scrolls, Jesus, Jewish Prayer, Jesus Christ, New Testament Studies, Historical Jesus Research, Old Testament and New Testament theology and Biblical studies, with an in-depth focus on exegetical and critical issues, The Use of the Old Testament in the New, Ancient Judaism, Early Christianity, Hellenism, Jewish Liturgy, Our Father, Targumim, Jesus Prayer, Abba Father, Lord's Prayer, Jewish Aramaic Literature, Aramaic and Targum, Aramaic Languages
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Jesus, Paulus und die Texte von Qumran Herausgegeben von

Jörg Frey und Enno Edzard Popkes unter Mitarbeit von

Sophie Tätweiler

Mohr Siebeck Digitaler Sonderdruck des Autors mit Genehmigung des Verlags

Jörg Frey, geboren 1962; Studium der Theologie in Tübingen, Erlangen und Jerusalem; 1996 Promotion; 1998 Habilitation; seit 2010 Professor für Neutestamentliche Wissenschaft mit den Schwerpunkten Antikes Judentum und Hermeneutik an der Theologischen Fakultät der Universität Zürich. Enno Edzard Popkes, geboren 1969; Studium der Theologie und Philosophie; 2004 Promotion; 2007 Habilitation; seit 2010 Professor für Geschichte und Archäologie des frühen Christentums und seiner Umwelt am Institut für Neues Testament und Judaistik der ChristianAlbrechts-Universität zu Kiel.

ISBN 978-3-16-153212-2 ISSN 0340-9570 (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 2. Reihe) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

© 2015 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohr.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Laupp & Göbel in Nehren auf alterungbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Nädele in Nehren gebunden.

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Inhaltsverzeichnis Vorwort ............................................................................................................................. VII JÖRG FREY Jesus, Paulus und die Texte vom Toten Meer Forschungsgeschichtliche und hermeneutische Perspektiven ..................................... 1

I. Jesus LUTZ DOERING Jesus und der Sabbat im Licht der Qumrantexte ...................................................... 33

ALBERT L.A. HOGETERP Jesus’ Eschatology in the Light of the Texts from Qumran ................................... 63

URSULA SCHATTNER-RIESER Das Aramäische zur Zeit Jesu, „ABBA!“ und das Vaterunser Reflexionen zur Muttersprache Jesu anhand der Texte von Qumran und der frühen Targumim .......................................................................................................... 81

HERMANN LICHTENBERGER Mt 18,10 und die Engel in Qumran .......................................................................... 145

II. Paulus CHRISTIAN METZENTHIN Jüdische Schriftgelehrsamkeit bei Paulus ................................................................ 163

FRIEDRICH AVEMARIE † Gab es eine vorrabinische Gezara schawa? Schriftauslegung durch lexematische Assoziation in Qumran, bei Paulus und in der frühen rabbinischen Literatur ......................................................................... 185

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Inhaltsverzeichnis

ENNO EDZARD POPKES Essenisch-qumranische und paulinische Psalmen-Rezeptionen Ein Beitrag zur frühjüdischen Schrifthermeneutik ...................................................... 231

GEORGE J. BROOKE Weak or Sinful? A Body of Rhetoric – on the Use of Physical Metaphors in Romans 3 and the Hodayot........................................................................................................... 251

FRANCESCO ZANELLA Das Vokabular für ‚Gerechtigkeit‘ in den Qumranschriften und bei Paulus ..... 263

JUDITH H. NEWMAN Covenant Renewal and Transformational Scripts in the Performance of the Hodayot and 2 Corinthians ..................................................................... 291

III. Qumran-Studien MICHAEL BECKER Zwischen Kult, Verein und Eschaton Zur Diskussion der Mähler in der ya!ad-Gemeinschaft ............................................. 331

JEAN-SÉBASTIEN REY 4QInstruction and its Relevance for Understanding Early Christian Writings .. 359

REINHARD ACHENBACH 11QMelki-Zedek und der Repräsentant Zions in Jesaja 61 .................................. 383

JAMES H. CHARLESWORTH !!"# $" %& !"#$%"& #'( !' *) "! – An Unknown Dead Sea Scroll and Speculations Focused on the Vorlage of Deuteronomy 27:4 .................................................. 393

IV. Jesus, Paulus und Qumran HEINZ-WOLFGANG KUHN Überlegungen zu Jesus im Licht der Qumrangemeinde und Bemerkungen zum Projekt „Qumran und Paulus“........................................................................... 417

Autorenverzeichnis ........................................................................................................... 473 Stellenregister .................................................................................................................... 475 Autorenregister .................................................................................................................. 497 Personen- und Sachregister ............................................................................................. 501

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Das Aramäische zur Zeit Jesu, „ABBA!“ und das Vaterunser Reflexionen zur Muttersprache Jesu anhand der Texte von Qumran und der frühen Targumim1 URSULA SCHATTNER-RIESER Der vorliegende Beitrag gilt der Sprache des Vaterunsers und damit der Gebetssprache Jesu von Nazareth und bietet eine neue Rekonstruktion der aramäischen Sprachgestalt des Vaterunsers. Diese ist erforderlich, da sich unser Verständnis des Aramäischen zur Zeit Jesu aufgrund der Textfunde vom Toten Meer wesentlich weiterentwickelt hat. Während ältere Standardwerke zum Aramäischen in der Sprache Jesu ihren Rekonstruktionen lediglich das spätgaliläische Idiom aus den Midraschim und anderen rabbinischen Texten ab dem 3. oder gar 4. Jh. n. Chr. zugrunde legen konnten, liegen mittlerweile aus den Textfunden vom Toten Meer aramäische Texte aus der Zeit um die Zeitenwende vor, die es erlauben, die Besonderheiten des Aramäischen zur Zeit Jesu, von Judäa bis Galiläa, präziser zu erfassen. Im Folgenden werde ich nach einigen Vorerwägungen zur Sprachsituation in Erets Israel um die Zeitenwende die aramäischen Gebetstexte aus Qumran sowie vergleichbares Targummaterial heranziehen, um von hier aus die Sprachgestalt des Vaterunsers und einige interpretatorische Probleme zu beleuchten.

I. Die sprachliche Situation um die Zeitenwende Kaum jemand zweifelt heute mehr daran, dass die Volkssprache der 2 jüdischen Bevölkerung zur Zeit Jesu weitgehend das Aramäische war. In

1

Mein aufrichtiger Dank gilt Prof. Dr. Jörg Frey für die mehrfache Durchsicht des Textes und zahlreiche Hinweise.

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Galiläa, unweit der syrischen Grenze, war das Aramäische schon früh 3 verbreitet, zum einen bedingt durch die Nähe zu den aramäischen Stadtstaaten im nördlichen Syrien und zum anderen durch die Ansiedlung aramäischsprachiger Kolonisten aus Mesopotamien, welche seit dem 8. Jh. v. Chr. im ehemaligen Nordreich Israel angesiedelt wurden. Zudem diente seit dieser Zeit das Aramäische als Diplomatensprache des assyrischen Großreichs und löste das Akkadische mit seinem komplizierten Schrift4 system in seiner Funktion als Verkehrssprache des Orients ab. Während das Aramäische im nördlichen Galiläa und Samaria schon längst verbreitet war, verdrängte es die hebräische Landessprache ab dem 5. Jh. v. Chr. auch im südlichen Teil der Levante, in Judäa, nachdem es unter den persischen Herrschern ab 525 v. Chr., zur internationalen Amts- und Kommunikationssprache avanciert war. Bekannt als „Reichsaramäisch“, verbreitete sich diese standardisierte Form des Aramäischen im gesamten 5 Orient von Indien über Kleinasien und die Levante bis nach Ägypten und Südarabien. Nach und nach verdrängte die aramäische Sprache schließlich lokale Idiome und entwickelte sich von einer zunächst offiziellen Sprache zur Volkssprache. Auch wenn Neh 13,246 zeitlich schwer einzuordnen ist, bestätigt dieser Vers doch die Verdrängung der hebräischen Sprache in Judäa während der persischen Epoche. Das Hebräische wäre hier wohl weitgehend verschwunden, wenn die exilierte Gemeinde in Mesopotamien es nicht zur Kult- und Liturgiesprache erhoben hätte. Die Inschriften vom Garizim, dem heiligen Berg Samarias, aus der hellenistischen und vielleicht sogar noch der späten persischen Zeit (4./3. Jh. v. Chr.), sind mehrheitlich Aramäisch, und die Papyri aus Wadi Daliyeh (ca. 450–330 v. Chr.) sind ebenfalls nur auf Aramäisch geschrieben. Auch die Eroberung Palästinas durch Alexander den Großen und das Vordringen der griechischen Kultur 2

Einen Forschungsbericht, der allerdings die Bedeutung des Aramäischen zu gering ansetzt, bietet neuerdings G. B ALTES, Hebräisches Evangelium und die Evangelien (WUNT II/312), Tübingen 2011, 14–150. 3 Dies zeigt die Dan-Stele, die an der nördlichen Grenze Israels gefunden wurde und in das 9. oder 8. Jh. v. Chr. datiert wird; s. W.M. SCHNIEDEWIND, Tel Dan Stela. New Light on Aramaic and Jehu’s Revolt, BASOR 302 (1996) 75–90; A. L EMAIRE, The Tel Dan Stele as a Piece of Royal Historiography, JSOT 81 (1998) 3–14. 4 Zwischen dem 14.–8. Jh. v. Chr. diente Akkadisch zwischen Mesopotamien und Ägypten als Handels- und Diplomatensprache, s. dazu den diplomatischen Dialog zwischen Israeliten und Assyrern in 2Kön 18,26 = Jes 36,11; epigraphische Zeugnisse für die Anwendung des Aramäischen als offizielle Amtssprache im 8. und 7. Jh. sind – um nur zwei Beispiele zu nennen – die Bilinguen von Bukhan und Tel Fekherye. 5 Die judäische Gemeinde von Elephantine in Ägypten hinterließ uns zwischen 500– 397 v. Chr. eine bedeutende Anzahl von aramäisch geschriebenen Papyri. 6 „Und die Hälfte ihrer Kinder redete aschdodisch – und sie konnten nicht judäisch (d.h. hebräisch) reden, sondern nur die Sprache dieses oder jenes Volks.“

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Das Aramäische zur Zeit Jesu, „ABBA!“ und das Vaterunser

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in der Folgezeit bedeutete keineswegs das Ende des Aramäischen – im Gegenteil, von dieser Zeit an bildeten sich aus dem standardisierten Aramäisch unterschiedliche Dialekte heraus. Das Sprachmilieu in Erets Israel zwischen dem 2. Jh. v. Chr. und dem 2. Jh. n. Chr. ist daher ausgesprochen komplex und geprägt von aramäischhebräischer Diglossie oder gar aramäisch-hebräisch-griechischer Drei7 sprachigkeit. Denn neben dem Aramäischen und dem dialektal erhaltenen Hebräischen verbreitete sich im Zuge der Hellenisierung nach Alexanders Tod das Griechische als dritte Sprache im Vorderen Orient. Zuerst Amtsund Handelssprache von Zuwanderern und Militärkolonisten, fand das Griechische auch in die sich zunehmend hellenisierende jüdische Gesellschaft als Zweit- oder Drittsprache Einzug. Das Vordringen der griechischen Sprache ist durch epigraphische Zeugnisse ab dem 3. Jh. v. 8 Chr. bezeugt und im 2. Makkabäerbuch mehrfach thematisiert. An fünf Stellen sprechen die Juden dort „in der Sprache der Väter“, wobei allerdings nicht klar ist, ob damit ein hebräischer Dialekt gemeint ist oder das Aramäische: Im Bericht über das Martyrium der sieben Söhne, welche sich weigerten die hellenistisch-paganen Traditionen anzunehmen, wendet sich die Mutter dreimal an ihre Söhne, um ihnen in ihrer Muttersprache Mut zuzureden, wogegen sie mit den seleukidischen Folterern Griechisch spricht (2Makk 7,8.21.23). Die griechisch-hebräische Zweisprachigkeit ist auch in 2Makk 12,37 erkennbar, wo es heißt, dass Judas Makkabäus das Kriegsgeschrei „in der Sprache seiner Väter“ erhob. In 2Makk 15,29 wird sogar ein Gebet erwähnt: „Sie (die Juden) priesen den Herrn in der Sprache ihrer Väter.“ Auch wenn mit dem Makkabäeraufstand eine patriotisch bedingte Renaissance des Hebräischen verbunden war, wurde dadurch das Vordringen des Griechischen und die Hellenisierung der palästinischen Gesell7 J.A. FITZMYER, The Languages of Palestine in the First Century AD, CBQ 32 (1970) 501–531; J.N. SEVENSTER, Do You Know Greek? How Much Greek Could the First Jewish Christians Have Known? (NT.S 19), Leiden 1968; M. H ENGEL, Judentum und Hellenismus. Studien zu ihrer Begegnung unter besonderer Berücksichtigung Palästinas bis zur Mitte des 2 Jh.s v. Chr. (WUNT I/10; Tübingen1969; 3. Aufl. 1988); DERS. (unter Mitarbeit von C H. M ARKSCHIES), Zum Problem der “Hellenisierung” Judäas im 1. Jahrhundert nach Christus, in DERS., Judaica et Hellenistica. Kleine Schriften I, (unter Mitarbeit von R. Deines, J. Frey, Ch. Markschies, A.M. Schwemer mit einem Anhang von H. Bloedhorn) [WUNT I/90], Tübingen 1996, 1–90. 8 Das Griechische verbreitete sich von den Küstengegenden bald in das Innere des Landes. S. die Ostraka aus Khirbet el Qom, bei in D.E. A UNE, The Westminster Dictionary of New Testament and Early Christian Literature and Rhetoric, Louisville 2003, 209–10. Zum Vordringen der griechischen Sprache im palästinischen Judentum s. M. H ENGEL, Judentum und Hellenismus, 108–120, und auch R. R IESNER, Jesus als Lehrer (WUNT II/7), Tübingen 1981, 385–386.

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schaft nicht entscheidend in Frage gestellt. Das Erlernen der griechischen Sprache und die Partizipation an griechischer Erziehung und Kultur 9 gehörten in der hellenisierten jüdischen Oberschicht zum guten Ton, aber auch Händler und Handwerker mussten genug Griechisch beherrschen, um mit ihren nichtjüdischen Geschäftspartnern oder Diasporajuden kommunizieren zu können.10 Obwohl das Aramäische als Umgangssprache vorherrschend war, hat sich offensichtlich auch eine lokale judäische Form des Hebräischen gebietsweise bis zum 2. Jh. n. Chr. erhalten, wie es die in einem besonderen hebräischen Dialekt geschriebenen gruppenspezifischen Texte aus 11 Qumran, einige der Bar-Kochba-Briefe aus dem zweiten jüdischen Krieg, 12 einige Belegstellen aus dem Talmud sowie die ältere Schicht des mischnisch-rabbinischen Hebräisch bezeugen. Das klassische Hebräisch blieb daneben weiterhin als Liturgiesprache und in den Lehrhäusern der Schriftgelehrten im Gebrauch. Griechisch und Hebräisch avancierten um die Zeitenwende und in den ersten Jahrhunderten danach zu Prestigesprachen, was auch manche abschätzige Bewertung der aramäischen Umgangsspra13 che zu erklären vermag. Im Blick auf das tägliche Gebet statuiert die 9

Dies zeigen Inschriften auf Ossuarien, Grabstelen und Synagogen der Zeit Jesu, die mehrheitlich Griechisch oder zweisprachig beschrieben sind. Auftraggeber von Grabstelen oder Ossuarinschriften dürften i.d.R. den höheren Schichten angehört haben. 10 Nicht zuletzt gab es in Jerusalem eine große Zahl von Diasporajuden, deren Umgangssprache Griechisch war (s. M. H ENGEL, Jerusalem als jüdische und hellenistische Stadt, in: ders., Judaica, Hellenistica et Christiana. Kleine Schriften II (WUNT I/109), Tübingen 1999, 115–156; bes. 147. Mehr zur Zweisprachigkeit in Bezug auf das Griechische und das NT bei M. SILVA, Bilingualism and the Character of Palestinian Greek, Bib 61 (1980) 198–219; G.H.R. H ORSLEY, New Documents Illustrating Early Christianity, Bd. 5: Linguistic Essays, New South Wales, Australia 1989, 23–26, sowie S.E. PORTER, Verbal Aspect in the Greek of the New Testament, with Reference to Tense and Mood (Studies in Biblical Greek 1), New York 1989, 154–156. 11 Vgl. M. B AILLET et al. (Hg.), Les petites grottes de Qumran (DJD 3), Oxford 1960, 222. 12 In bMeg 18a und bRhSh 26b lernen Rabbi und seine Talmudschüler von einer Magd die Bedeutung einiger hebräischer Dialektwörter. 13 S. die Diskussion der Rabbinen in bBabQam 82b–83a wo Rabbi (2. Jh.) sagt: „ Was wollt ihr mit Aramäisch? Sprecht entweder Griechisch oder Hebräisch!“ Gemäß bTaan 49b soll Rabban Gamaliel II. in seinem Lehrhaus 500 Schüler die Torah und 500 Schüler die griechische Weisheit gelehrt haben. Gamaliels Sohn, Rabban Simon ordnete an, dass die Heiligen Schriften außer der Lektüre im Hebräischen nur ins Griechische übersetzt werden dürften (mMeg I,8). Aramäisch wurde von vielen Rabbinen als gemeine Volkssprache als zu minderwertig angesehen, um als Liturgie- und Gebetssprache gültig zu sein. Gegen diese negative abwertende Einstellung ist eine Passage aus dem Midrasch Genesis Rabba (BerR 74,14 [684]; ebenso jSot 30,1), gerichtet: „R. Samuel b. Nahman sagte: Urteilt nicht abfällig über die aramäische Sprache (l!wn prsy), denn in der Torah, den Propheten und den Schriften, erweist der einzig Heilige ihr die Ehre: Yegar-Sahaduta

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Das Aramäische zur Zeit Jesu, „ABBA!“ und das Vaterunser

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Mischna mSot VII,1 jedoch trotz mancher Einwände, dass dieses und die Tischbenediktion „in jeder Sprache“ (bkl l!wn) gesprochen werden dürfen. Die plurale Sprachsituation Palästinas zeigt sich auch in Verträgen und Urkunden jener Zeit: Verträge der ersten zwei nachchristlichen Jahrhunderten sind auf Griechisch, Hebräisch oder Aramäisch geschrieben wie es die Doppelurkunden aus der Wüste Juda (Ende 1. und Beginn des 2. Jh. n. Chr.) zeigen.14 Die Wahl der Sprache richtet sich dabei einerseits nach der Natur des Dokuments: offizielle Verträge nach römischen Recht sind Griechisch geschrieben, während innerjüdische Dokumente, also Urkunden nach jüdischem Recht, Hebräisch oder Aramäisch geschrieben sind. Nach der Mischna (mKet IV,12; vgl. bKet 52b) richtet sich die Sprache einer Urkunde andererseits auch nach der Sprachsituation der Betroffenen. Diese Mischnastelle legt die Formulierungen und Bestimmung der Heiratsakte (Ketubba) fest und bestätigt somit indirekt die gemischte Sprachsituation in Judäa, indem sie bezeugt, dass anstelle einer aramäischen Formulierung, die in Galiläa und Jerusalem gebraucht wird, im restlichen Judäa eine Formulierung im mischnischen Hebräisch verwendet wird.15 Die aus dem zweiten jüdischen Krieg (132–135 n. Chr.) stammenden Briefe Bar Kochbas sind mehrheitlich Aramäisch geschrieben, einige jedoch Hebräisch und Griechisch.16 Nach dem Talmud (bMeg 18a) scheint bis zum zweiten jüdischen Krieg das Erlernen des Griechischen empfehlenswert gewesen zu sein; erst nach dem Misserfolg Bar Kochbas verbieten die Rabbinen, die (Gen 31,47); in den Propheten: So sollt ihr zu ihnen sprechen … (Jer 10,11); in den Schriften: Dann sprachen die Chaldäer zum König auf Aramäisch (Dan 2,4).“ 14 Zu Sprache und Schrift der Urkunden s. E. K OFFMANN, Die Doppelurkunden aus der Wüste Juda, Leiden 1968, 56–61. Die in H. C OTTON und A. Y ARDENI (Hg.) Aramaic, Hebrew, and Greek Documentary Texts from Nahal Hever (DJD 27), Oxford 1999, publizierten Dokumente aus dem Babatha-Archiv umfassen 26 griechische und 9 aramäische (davon 6 nabatäisch-aramäische) Texte. Urkunden, die sich explizit auf das römische Recht berufen, sind griechisch geschrieben, die Beglaubigungsformeln sind jedoch in Aramäisch, der Muttersprache der Verfasser. Babatha selbst konnte kein Griechisch und ließ diverse Kaufverträge von einem professionellen Schreiber in Griechisch aufsetzen. Ihre eigene Heiratsurkunde ist dagegen auf Aramäisch. S. weiter J.G. O UDSHOORN , The Relationship between Roman and Local Law in the Babatha and Salome Komaise Archives: General Analysis and Three Case Studies on Law of Succession, Guardianship and Marriage, Leiden 2007. 15 Siehe mKet IV, 12 (und bKet 52b): „Die Leute von Galiläa schreiben wie die von Jerusalem, wogegen die Leute des (restlichen) Judäa so schreiben … “ (! !"#$% &!&' !!"# .!"#$%& %"' '(%'" ")*+ .,"-)%." ")*+&) Vgl. G. D ALMAN, Die Worte Jesu: Einleitung und wichtige Begriffe, Leipzig 1898, 4. 16 Von den 15 erhaltenen Briefen, sind acht auf Aramäisch, fünf auf Hebräisch und drei auf Griechisch geschrieben. Auch die Dokumente von Wadi Murabbat sind mehrheitlich auf Aramäisch und teils auf Hebräisch. M. H ADAS-L EBEL, L’hébreu – 3000 ans d’histoire, Paris 1992, 62–63.

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Söhne Griechisch zu lehren (bSota 49/49b). Und erst ab dem 3. Jh. wurde die aramäische Sprache dann zur literarischen Sprache,17 derer sich auch die Rabbinen bedienen, um die Targumim und die Gemara zu verfassen. Im Unterschied zur Praxis Jesu, der von Anfang an die aramäische Volkssprache als Gebetssprache verwendete und auch als quasi ‚öffentliche‘ Gebetssprache im Kreis seiner Jünger förderte, scheint das rabbinische Judentum die Aufnahme aramäischer Gebete, (darunter das Qaddish, welches nicht vor dem 4. Jh. belegt ist), erst später toleriert zu haben, als dem Aramäischen ein Statuswechsel von der populären zur literarisch geachteten Sprache zu Teil kam. Hier zeigt sich wohl auch die Konsequenz der rabbinischen Regel mSot VII,1, die jede (Volks-)Sprache als Gebetssprache zuließ. Die Dreisprachigkeit Palästinas zur Zeit Jesu spiegelt sich auch im Neuen Testament, so besonders plastisch im lukanischen Bericht des Auftretens des Paulus in Jerusalem: Paulus spricht Griechisch mit dem römischen Kommandanten, der ihn im Tempel festnimmt (Apg 21,37), wendet sich aber auf Aramäisch an das Volk (Apg 21,40; 22,2), und dass er als praktizierender Jude des Hebräischen mächtig war, ist für Lukas selbstverständlich (Apg 26,14) und wohl auch historisch vorauszusetzen. Auch für den irdischen Jesus sind zumindest gewisse Kenntnisse des Griechischen vorauszusetzen, so dass selbst ein Gespräch mit Pontius Pilatus auf Griechisch historisch nicht undenkbar ist. In der Synagoge las und betete er wohl hebräisch, im täglichen Leben und in seiner Verkündigung sprach er hingegen Aramäisch. Insofern fügen sich seine Lehrtätigkeit in Galiläa und die in den synoptischen Evangelien erhaltenen Aramaismen in seinen Worten in das Bild des Aramäisch sprechenden Galiläa.18 Diesem aramäischen Hintergrund der griechisch verfassten Schriften des Neuen Testaments wurden mehrere Studien gewidmet,19 in 17

M. M CN AMARA, Greek in First-Century Judaism, in: ders., Targum and New Testament (WUNT I/279), Tübingen 2011, 200. 18 Die Termini !"#$%&'( und )*"#$+,- werden im NT undifferenziert für Hebräisch oder Aramäisch angewendet und sind am besten mit „in der Sprache der Hebräer/Juden“ zu übersetzten. In Joh 5,9; 19,13.17.20; 20,16 bezeichnet es ohne Ausnahme aramäische Namen, in Apg 21,40; 22,2; 26,4 steht !"#$%&'( wohl eher für die aramäische Sprache als für Hebräisch; in Apk 9,11 (."$,,/0 < !"#$% „Abgrund“) und 16,16 (1#2$34,/0 „Berg Magedon/Megiddo“) bezeichnet der Terminus jedoch hebräische Ausdrücke. Die meisten Ausdrücke sind jedoch Aramäisch, s. dazu U. SCHATTNER-R IESER, Les aramaïsmes du Nouveau Testament, in: dies., L’araméen des manuscrits de la mer Morte, Lausanne 2004, 48–49. 19 G. D ALMAN, Die Worte Jesu: Einleitung und wichtige Begriffe, Leipzig 1898; DERS ., Jesus-Jeschua. Die drei Sprachen Jesu. Jesus in der Synagoge, auf dem Berge beim Passahmahl, am Kreuze. Im Anhang: Ergänzungen und Verbesserungen zu JesusJeschua, Darmstadt 1967 (= Leipzig 1922); F. R OSENTHAL, Die aramaistische Forschung seit Th. Nöldekes’ Veröffentlichungen, Leiden 1939; J.A. FITZMYER, Essays on the

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denen sprachliche Phänomene von den lexikalischen Aramaismen über die Griechisch wiedergegebenen Aramaismen bis hin zur semitischen Syntax und zu Spuren von aramäischem (oder überhaupt semitischem) Denken im Hintergrund der griechischen Wendungen des Neuen Testaments aufgearbeitet sind.20 Auch wenn keine neutestamentlichen Texte auf Aramäisch erhalten sind und vielleicht auch zunächst keine solchen Aufzeichnungen existierten,21 ist es m.E. eindeutig, dass dem griechischen Vaterunser ein aramäischer Text – schriftlich oder mündlich – zugrunde lag. Dies soll genügen, um einige der sprachlichen Besonderheiten zu erklären.

II. Die Handschriften von Qumran und die darin belegten aramäischen Gebete Nach diesen einleitenden Bemerkungen zur Sprachsituation um die Zeitenwende ist nun die Problematik der Gebetssprache zu reflektieren: In welcher Sprache betete man zur Zeit Jesu – oder besser: durfte man zur Zeit Jesu beten? Darüber geben uns die Textfunde vom Toten Meer indirekt Auskunft.

Semitic Background of the New Testament, London 1971; DERS. A Wandering Aramaean: Collected Aramaic Essays, Missoula 1979; H.F.D. SPARKS, Some Observations on the Semitic Background of the New Testament, SNTS Bulletin 2 (1951) 33–42; S. SEGERT, Aramäische Studien, II: Zur Verbreitung des Aramäischen in Palästina zur Zeit Jesu, ArOr 25 (1957) 21–57; P. G RELOT, Sémitismes dans le Nouveau Testament (SDB 12), Paris 1992, col. 333–424. 20 M. B LACK, An Aramaic Approch to the Gospels and Acts, Oxford 1967; M. SILVA, Bilingualism and the Character of Palestinian Greek, Bib 61 (1980) 198–219: 205–227; M. C ASEY, In Which Language Did Jesus Teach?, ExpTim 108/11 (1997) 326–228; D ERS., Aramaic Sources of Mark’s Gospel (SNTSMS 102), Cambridge 1998, ebd. 65–68. Die umfangreichste und zugleich eine der weniger bekannten Studien ist jene von P. G RELOT, Sémitismes, Paris 1992. 21 Einige Kirchenväter bezeugen seit dem Beginn des 2. Jh. v. Chr. einen aramäischen Text des Matthäusevangeliums, so zuerst Papias (um 120–130 n. Chr.) in seiner rätselhaften Notiz bei Euseb h.e. III 39,16, die dann von Irenäus (adv. haer. III 1,1–2), Euseb (auch h.e. VI 25,4) und v.a. Hieronymus aufgenommen wird. Unklar ist allerdings, ob der Kleinasiate Papias wirklich einen aramäischen Text des Matthäusevangeliums kennen konnte oder worauf seine Notiz sonst zu beziehen ist – das kanonisch vorliegende Matthäusevangelium scheint in Griechisch komponiert zu sein. Dennoch ist die Existenz von aramäischen Überlieferungen im palästinisch-syrischen Raum nicht generell zu bestreiten, und zumindest ab dem späteren zweiten Jahrhundert scheint es eine aramäische Evangelienschrift gegeben zu haben, die heute in der Forschung ‚Nazoräerevangelium‘ genannt wird. S. dazu J. FREY, Fragmente judenchristlicher Evangelien, in: Ch. Markschies/J. Schröter (Hg.), Antike christliche Apokryphen I/1, Tübingen 2012, 561–660.

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1. Die Sprache der Handschriften von Qumran Die Entdeckung der Handschriften vom Toten Meer zwischen 1947 und 1956 lieferte uns nicht nur die spektakulärsten Textzeugen für die alttestamentliche Bibelwissenschaft und die Erforschung des Judentums zur Zeit des Zweiten Tempels, sondern sie sind auch die wichtigsten authentischen Zeugen für die Sprachpluralität in und um Judäa in der hellenistischen und frührömischen Zeit. Von den ca. 930 fragmentarisch erhaltenen Handschriften sind ca. 750 hebräisch, 150 aramäisch (einige davon nabatäischaramäisch) und 27 griechisch geschrieben. Die Mitglieder der Qumrangemeinde (hebr. ya!ad), waren also mindestens zweisprachig (hebräisch und aramäisch), einige auch dreisprachig. Auch wenn das Hebräische keine tote Sprache war22, bezeugen die Transliterationen von Eigennamen und Zitierungen in zeitgenössischen nichtsemitischen Texten, dass die Umgangssprache mehrheitlich Aramäisch war.23 Für die Qumrangemeinde ist dies auch schon vorauszusetzen. Aus der Damaskusschrift geht im Übrigen hervor, dass in der Gemeinschaft, dem ya!ad, mehrere Sprachen vertreten waren, die der Aufseher der ‚Lager‘ beherrschen musste (CD A 14,9–10 = 4Q266 10 i; 4Q267 9 v). Die große Zahl der hebräischen Handschriften vom Toten Meer erklärt sich aus verschiedenen Faktoren. Zu einem nicht unbeträchtlichen Teil handelt es sich um Bibeltexte, also sakrale Texte die in der l!"ôn haqqode" geschrieben werden mussten. Die gruppenspezifischen Texte der Qumrangemeinde sind hingegen in einem eigenen Dialekt, dem sog. Qumranhebräisch geschrieben, das vielleicht einen lokalen judäischen oder jerusalemischen Dialekt widerspiegelt und dessen Weiterverwendung sich aus der Renaissance des Hebräischen nach der makkabäischen Krise erklären lässt. Ein weiterer Dialekt ist das stark vom Aramäischen be-

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Nach späteren rabbinischen Zeugnissen pflegten nicht nur Schriftgelehrte und Priester das Studium und die Vermittlung der „Heiligen Sprache“ (l!"ôn haq-qode"), sondern jeder körperlich intakte Jude musste des Hebräischen mächtig sein für die Lesung der Schrift im Gottesdienst und bei Fachdiskussionen auf Hebräisch (bMeg 24b). Auch war die korrekte Aussprache eine unumgängliche Bedingung zur Lesung im Tempel so heißt es z. B. in bEruv 53 a/b, dass Judäer tauglich zur Lesung seien, die Galiläer jedoch nicht, denn sie hätten eine „unkorrekte“ Aussprache und außerdem hätten sie keine Lehrmeister, die sie valide unterrichteten. 23 Die meisten Toponyme im NT oder bei Josephus sind Aramäisch. Die transkribierten Wörter Abba, talita kum(i), effata, und lema sabachtani im NT sind ebenfalls Aramäisch. S. dazu U. SCHATTNER-R IESER, L’Araméen des manuscrits de la mer Morte, 48– 49.

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einflusste rabbinische Hebräisch, das in Qumran durch eine proto-misch24 nische Variante in der Kupferrolle (3Q15) und in 4QMMT vertreten ist. Die aramäischen Texte vom Toten Meer sind, mit Ausnahme des Buches Daniel, keine biblischen Texte, sondern parabiblische Texte, die z.T. bereits aus den Sammlungen der Apokryphen/deuterokanonischen Texte (z. B. Tobit) und der Pseudepigraphen (z. B. Henoch-Texte) in anderen Sprachen bekannt waren. Wir finden hier auch die erste MidraschGattung im Genesis-Apokryphon und die ersten Targumim (Targum Hiob [11Q10]; Targum Levitikus [4Q156]; sowie eine Paraphrase zu Jesaja 25 14,31–32, die im Fragment 4Q550e bei genauerem Hinsehen enthalten ist . Diese Texte sind Zeugen der reichs- und zugleich der mittelaramäischen Phase. Die literarischen Texte mit ihren vergessenen Archaismen und 26 Hyperkorrektionen bezeugen die Redaktionsarbeit der qumranischen Schreiber, die ältere reichsaramäische Texte nicht nur kopierten, sondern der neuen Sprachsituation ihrer eigenen Zeit anpassten und „modernisierten“. Letztere sind somit zeitspezifisch und damit signifikant für die Sprachgestalt des Aramäischen um die Zeitenwende. Die Zahl der griechischen Qumrantexte ist recht gering.27 Auch finden sich im Gegensatz zu den rabbinischen Texten keine griechischen Lehn24

M. B AILLET et al. (Hg.), Les petites grottes de Qumran, DJD 3, Oxford 1960, 222; G.A. R ENDSBURG, The Galilean Background of Mishnaic Hebrew, in: L.I. Levine (Hg.), The Galilee in Late Antiquity, New York 1992, 225–240, bes. 237. 25 Das Fragment 4Q550 e wird i.d.R. als Teil des Zyklus ‘Geschichten am persischen Hof’, früher „Proto-Esther“ genannt, überliefert, doch bietet das Fragment eigentlich eine Paraphrase zu Jes 14,31f; s. meine noch unveröffentlichte Zusammenstellung der qumranischen Targumim, die im Band Écrits intertestamentaires II in der Bibliothèque de la Pléiade bei Gallimard (Paris) erscheinen soll. 26 So wurde, um nur eines von vielen Beispielen zu nennen, in einem Fragment zu Henoch (4Q212) das archaische Relativpronomen zy nach reichsaramäischer Schreibung (bis zum 4. Jh. v. Chr.) zu dy verbessert, der späteren Orthographie, was bezeugt, dass dem Kopisten eine ältere Vorlage zugrunde lag, S. U. SCHATTNER-R IESER, L’apport de la philologie araméenne pour la datation des manuscrits de la mer Morte, in: K. Berthelot/D. Stoekl Ben Ezra (Hg.), Aramaica Qumranica: The Aix en Provence Colloquium on the Aramaic Dead Sea Scrolls (STDJ 94), Leiden 2010, 101–123, bes. 102 u. 113. In dem genannten Aufsatz habe ich alle Texte mit mehreren archaischen grammatikalischen Besonderheiten zusammengefasst, die ohne Zweifel auf ältere Textquellen aus dem 4. oder 5. Jh. v. Chr. zurückgreifen. 27 Die Höhle 7 von Qumran enthielt bis auf eine hebräische Ausnahme nur griechische Texte (7QLXXExod; 7QEpistJer u.a.). Unter der großen Menge von hebräischen und aramäischen Handschriften aus Höhle 4 fanden sich auch einige griechische Fragmente (4QLXXLeva, 4QLXXLevb, 4QLXXNum 4QLXXDeut), darunter ein Fragment zu Leviticus, welches den ältesten Beleg zur Aussprache des Gottesnamens IAW enthält (4QLXX Levb 20 4, 1. Jh. v. Chr.). Außerdem ist das Tetragramm im griechischen Zwölfprophetenbuch von Na!al "ever (1/8H!evXIIgr) in althebräischer Schrift geschrieben. S. dazu kürzlich: M. R ICHEY, The Use of Greek at Qumran: Manuscript and Epigraphic Evidence for a Marginalized Language, DSD19 (2012) 177–197; E. T OV, The Greek

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wörter in den hebräischen oder aramäischen Texten. Da das 3. Kapitel des Buches Daniel, das viele griechische Lehnwörter zur Bezeichnung der Musikinstrumente enthält, in Qumran ebenfalls fehlt, kann man mit Martin Hengel annehmen, dass es sich hier „um einen bewussten religiös und 28 national bedingten Purismus“ der Qumrangemeinde handelt. Die auf Hebräisch, Aramäisch und Griechisch geschriebenen Handschriften vom Toten Meer haben insofern auch die Diskussion über die Sprachsituation Palästinas um die Zeitenwende belebt. Die aramäischen Texte im Besonderen werfen auch ein neues Licht auf Jesu Mutter- und Gebetssprache. Zugleich bestätigen und berichtigen sie bisherige Vorschläge zur Rückübersetzung des Vaterunsers, die noch nicht von den Qumrantexten profitieren konnten. Eine solche soll im Folgenden versucht werden. Jede Rückübersetzung bleibt freilich nur eine hypothetische Annäherung, die aus verschiedenen Bausteinen der Qumran-Texte und der Targumim schöpfen kann, doch bleibt manches von dem ursprünglichen aramäischen Text hinter dem Mantel des Griechischen verhüllt. 2. Zur Sprache der Gebete in Qumran Was zu Beginn über die Handschriften vom Toten Meer gesagt wurde, gilt auch für die Gebete: Der Großteil ist auf Hebräisch geschrieben und 29 umfasst Versammlungs- und Festtagsliturgien, die noch aus der Tempelliturgie stammen oder ggf. an deren Stelle treten. Die hebräischen Gebete sind insofern bereits Zeugen der Substituierung der blutigen Tieropfer im Jerusalemer Heiligtum durch öffentliche Gebete. Die Grundsteine für die allein auf dem Wort basierende „Substitutionsliturgie“, wurzeln in der ersten Tempelzerstörung, die mit einem Umdenken und einer Neuorganisation des Kults der Exilgemeinde in Versammlungs- und Lehrhäusern (Bet Midrasch, s. Sir 51,23) verbunden ist. Man schätzt die Zahl der in Qumran insgesamt belegten Gebete auf ca. 30 300, sie sind größtenteils in den Bänden DJD 11 und DJD 29 gesammelt. Sie bilden einen unschätzbaren Fundus für die Erforschung der jüdischen Biblical Texts from the Judean Desert, in: ders., Hebrew Bible, Greek Bible and Qumran, Tübingen 2008, 339; E. T OV, The Greek Minor Prophets Scroll from Nah!al H!ever (8H!evXIIgr) (DJD 8), Oxford 1990; L EWIS, JDS 2; H.M. C OTTON/A. Y ARDENI, Aramaic, Hebrew and Greek Documentary Texts from Na!al "ever and Other Sites (DJD 27), Oxford 1997. 28 M. H ENGEL, Judentum und Hellenismus, 113. 29 Siehe dazu D.K. FALK, Daily, Sabbath, and Festival Prayers in the Dead Sea Scrolls (STDJ 27), Leiden u.a. 1998. 30 Mehr dazu bei Esther Chazon in ihrem Vorwort zu dem Band: E. C HAZON et al. (Hg.), Liturgical Perspectives: Prayer and Poetry in Light of the Dead Sea Scrolls. Proceedings of the Fifth International Symposium of the Orion Center, 19–23 January 2000 (STDJ 68), Leiden/Boston 2003, vii-ix.

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Liturgie. Die Qumrantexte liefern uns somit nicht nur die ältesten Handschriften zu biblischen Texten und vielen Pseudepigraphen, sie bieten auch die ältesten Quellen für die jüdische Liturgie. Diverse Vergleiche und Analysen wurden anhand der Hodayot, Berakhot und der Sabbatlieder vor31 genommen. Neben diesen kollektiven liturgischen Gebetstexten fand man in Qumran jedoch auch individuelle Gebete auf Hebräisch und Aramä32 isch. 3. Die aramäischen Gebete in den Handschriften von Qumran Trotz zahlreicher Studien zu den hebräischen Gebeten aus Qumran ist es erstaunlich, dass man den aramäischen Gebeten insgesamt wenig 33 Beachtung widmete. Folgende elf oder zwölf Texte kommen hier in Betracht: 1. Gebet Abrahams um Erlösung Sarais aus Pharaos Hand (1QapGen XX,12–16); 2. Segnung Abrahams durch Melkizedeq (1QapGen XXII,16–17); 3. Exorzistisches Gebet Abra(ha)ms durch Handauflegung (1QapGen XX,27–34 [XX,21b–31a]); 4. Saras Bittgebet um Erlösung durch den Tod (4QTobita f6,6–6,13 = Tob 3,10–15); 5. Tobits Dankgebet zu Ehren Gottes (4QTobita f18,1–15: = Tob 13,1–13,18); 31 E. C HAZON, Human and Angelic Prayer, in: dies. et al. (Hg.), Liturgical Perspectives: Prayer and Poetry in Light of the Dead Sea Scrolls. Proceedings of the Fifth International Symposium of the Orion Center, 19–23 January 2000 (STDJ 68), Leiden/Boston 2003, 35–48. 32 E. E SHEL, Apotropaic prayers in Qumran, Apotropaic prayers in the second temple period, in: E. Chazon et al. (Hg.), Liturgical Perspectives: Prayer and Poetry in Light of the Dead Sea Scrolls. Proceedings of the Fifth International Symposium of the Orion Center, 19–23 January 2000 (STDJ 68), Leiden/Boston 2003, 69–88. 33 G. SCHELBERT, ABBA, Vater! Stand der Frage, FZPhT 40 (1993) 359–381: 363, schrieb noch, dass es kaum aramäische Gebete zur Zeit Jesus gebe. Er kenne nur zwei aus Qumran: Abrahams Gebet aus dem Genesisapokryphon und ein zweites, das dem Patriarchen Levi zugeschrieben wird. In seiner Monographie erwähnt Schelbert (G. SCHELBERT, Abba Vater. Der literarische Befund vom Altaramäischen bis zu den späten Haggada-Werken (NTOA/SNTU 81), Göttingen 2011, 49), dann noch 4Q242. Viele dieser Gebete sind punktiert nach tiberischer Tradition erschienen in: Ursula SchattnerRieser, Textes araméens de la mer Morte. Édition bilingue, vocalisée et commentée (Langues et cultures anciennes 5), Bruxelles 2005. Insgesamt zähle ich sogar 19 Gebetsformulierungen und Segenssprüche, die ich auf dem ISDCL Congress Haifa 2014 unter dem Titel „Emotions and Expressions of Emotions in the Aramaic Prayers of Qumran or How to Learn to Pray“ präsentierte und zur Veröffentlichung vorbereite.

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6. Lobpreis Henochs zu Ehren des Herrn der Herrlichkeit (!"#$% &%') auf der 2. kosmischen Reise (4QEnochd f1 11,2 = 1Enoch 22,14); 7. Gebet Levis (4Q213a f1,1–18+ f2,1–10) mit einer Parallelstelle im griechischen Athosmanuskript des Aramäischen Levidokuments, aber nicht im griechischen Testament Levis (ALD); 8. Dankgebet des Nabonid nach Heilung (4QPrayerNabonidus = 4Q242 f1–3,1); 9. Hymnenartige Lobpreisung des Patriarchen Qahats in einer testamentarischen Verordnung (4Q542 f1 i, 1–3); 10. Gebet (einer unbekannten Protagonistin !"#$) um Hilfe und Vergebung trotz der Sünden der ‚Väter‘ (4QProto-Estherd = 4QGeschichten am persischen Hof = 4Q550c f1 1–1); 11. Exorzistischer Beschwörungstext gegen Übel und Krankheit (4Q560), der dem Patriarchen Levi zugeschrieben wird. 12. Aufgrund des fragmentarischen Zustands nicht mit Sicherheit zu belegen ist noch ein weiterer Text, nämlich der Abschiedssegen Tobits mit testamentarischen Verordnungen an die israelitische Gemeinde (4QTobita f43,1 = Tob 14,8?). Eine formale Auswertung der genannten elf oder zwölf Texte ergibt: drei Bittgebete um Beistand und Erlösung34 (1, 3 und 10); zwei Dankgebete35 (4 und 8); zwei Segensprüche und Lobpreisungen36 (2 und 9); zwei Abschiedssegen mit testamentarischen Verordnungen37 (7 und 12); ein exorzistisches Beschwörungsgebet38 (11) und ein Bußgebet innerhalb des Abschiedssegens in 4Q213a (7). Diese Gebete werden als private und spontane Gebete in Erzähltexten eingebaut und sind daher ursprünglich nicht der öffentlichen Liturgie zuzuordnen. Doch auch wenn Gebete ursprünglich dem Privatgebrauch zugeordnet sind, können sie doch mit der Zeit auch zu „offiziellen“ Gebeten werden, wie das Beispiel des Qaddishgebets zeigt. Auch das Vaterunser hatte wie das Qaddish zunächst keinen liturgischen Status, sondern war als persönliches Gebet Jesu zunächst ein persönliches und dann vielleicht gemeinsames Gebet seines Jüngerkreises, aber noch nicht Teil einer offiziellen ‚Liturgie‘.39 Obwohl diese Gebete unterschiedlichen Gattungen angehören, weisen sie einige sprachliche Gemeinsamkeiten auf. Dazu zählt die ausnahmslose 34 1QapGen = 1Q20 XX,12–16; 4QTobita = 4Q196 f6,6–6,13 = Tob 3,10-15; 4QProto-Estherd = 4QGeschichten am persischen Hof = 4Q550c f1,1–1. 35 4QTobita = 4Q196 f18,1–15 = Tob 13,1–13,18; 4QPrNabonidus = 4Q242 f1–3,1. 36 1QapGen XXII,16–17; 4QvisAmram = 4Q545 f1 i, 3–4. 37 4QTobita f43,1 = Tob 14,8?; 4QLev = 4Q213a. 38 4QExcorcism = 4Q560. 39 Lk 11,1 benennt eine Analogie im Schülerkreis Johannes des Täufers. Auch dieser soll seine Anhänger ein Gebet gelehrt haben.

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Verwendung des internen Passivs Pe!îl (berî! „gesegnet“). Die mediopassiven H/’it-Formen (Passivum Divinum), die charakteristisch für das Vaterunser und das Qaddishgebet sind, kommen in diesen Gebeten nie 40 vor. Das bedeutet nicht, dass der höfische Stil mit Vermeidung der direkten Nennung des Subjekts, ausgedrückt durch die passiv-reflexive Konstruktion, unbekannt wäre. Diese kommt im Alten Testament durchaus vor, doch fehlt sie in den aramäischen Gebeten von Qumran. Der Gottesname !el!h(â) ist zwar gut belegt, wird aber dennoch mit Vorliebe 41 42 epithetisch umschrieben, und auch das Tetragramm fehlt völlig. Diese aramäischen Gebete bieten Einblicke in die Gebetspraxis des Judentums aus vorrabbinischer Zeit und den Beweis, dass Gebete auf Hebräisch wie auf Aramäisch möglich waren. Sie bieten auch einen interessanten Vergleichspunkt für die Frage nach dem Hintergrund der ersten christlichen Gebete. Angefangen von der Gebetshaltung mit ausge43 streckten Händen und zum Himmel erhobenen Augen bis zum Wortschatz und Gedankengut, welche sich teils mit dem Vaterunser decken, teilweise aber auch deutlich unterscheiden. 4. Das Aramäische der Gebete Jesu Dass Jesus persönliches Beten auf Aramäisch geschah, zeigt sich eindeutig an zwei charakteristischen Beispielen aus dem Markusevangelium. Zum einen rezitiert Jesus am Kreuz in seiner Verzweiflung Psalm 22,2 auf Aramäisch (Mk 15,34), was dann im Matthäusevangelium ins Hebräische ‚korrigiert‘ wird (Mt 27,46), und zum anderen betet Jesus in der Gethsemani-Episode in Mk 14,36 zum Vater um Verschonung vor dem Todeskelch, wobei schon allein die vokative Gottesanrede !""# $ %#&'( 40

Dieses sogenannte Passivum Divinum welches Gott zum Subjekt hat, ihn aber aus Respekt nicht aktiv handeln lässt, ist schon im AT, wenn auch seltener als im NT, belegt. In der deuterokanonischen Literatur kommt es vermehrt vor. Siehe dazu C H. M ACHOLZ, Das Passivum divinum, seine Anfänge im Alten Testament und der ‚Hofstil‘, ZNW 81 (1990) 247–253. 41 Folgende Epitheta finden sich hier: „großer Name“ ("#m rabbâ); „Allerhöchster Gott“ (!"l "elyôn); „Herr des Himmels“ (m#r"! $emayyâ), „Herr des Himmels und der Erde“; „ewiger König“ (mele! "emayyâ); „der große Heilige“ (qaddî"â rabbâ); „unser großer Herr“ (m!ranâ rabbâ); „ewiger Herr“ (m#r"! "#lmâ und m#r"! "#lmayyâ in 4QEnb 1 iii 14); „Wahrheit/Gerechtigkeit“ (qud"â). In Gebeten wird Gott auch in Kompositionen mit seinem „Namen“ angerufen ("em#h qaddî"â; "em#h rabbâ; "em#h %abâ), wie dies in der rabbinischen und samaritanischen Tradition gerne zur Substituierung des Tetragramms diente, so z. B. be$"m m#r"! "#lmayyâ „im Namen des ewigen Herren“, le$"m !el#hâ „dem Namen des Gottes“. 42 J. G REENFIELD/M. SOKOLOFF, Qumran Aramaic, in: T. Muraoka (Hg.), Studies in Qumran Aramaic (AbrNSup 3), Louvain 1992, 92–94. 43 Die Gebetshaltung ist aus der Bibel bekannt und findet sich im Gebet Saras aus dem Tobitbuch und dem Testament Levis aus Qumran.

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einen spontanen Ausruf in der Muttersprache markiert. Auch das lukanische !"#$% in Lk 10,21 ist aus einem aramäischen Abba zu erklären, und selbst im Johannesevangelium spiegelt sich noch diese einfache Gebetsanrede Jesu (Joh 11,41; 12,27f.; 17,1.5.11.21.24f.). Diese Anrufung des Vaters war offenbar der frühen Gemeinde so eindrücklich, dass sie selbst Paulus gegenüber seinen griechischsprachigen Adressaten in Galatien und Rom als Fremdwort gebrauchte und als vertraut voraussetzen konnte (Gal 4,6; Röm 8,15). Der Befund ist m.E. eindeutig: Der irdische Jesus sprach 44 sein persönliches Gebet in seiner Muttersprache – d.h. dem Aramäischen. Das uns in drei Rezensionen45 überlieferte Vaterunser hat die Forschung dabei in besonderem Maße beschäftigt. Diskutiert wurde neben der Frage, welche der überlieferten Versionen die ursprünglichste ist, insbesondere auch die Frage nach der Ursprache dieses Gebetes. Bei nur wenigen 46 anderslautenden Stimmen (wie z. B. von Jean Carmignac ) ist heute allgemein akzeptiert, dass auch das Vaterunser ursprünglich aramäisch war. Freilich beginnen hier erst die Probleme, denn es stellt sich die Frage, welches aramäische Idiom hier vorauszusetzen ist. Neben der literarischen Standardsprache, in der z. B. das Targum Onkelos verfasst ist und auch gewisse Qumrantexte, gab es lokale Dialekte, wie dies z. B. auch in der Petrus-Episode Mt 26,73 angedeutet wird. Ein Galiläer verriet sich durch seine Sprache, durch verschiedene Lexeme, die im Judäischen nicht gebräuchlich waren, und daneben durch seine 47 Aussprache. Wie die späteren Diskussionen im Talmud belegen, unterschied sich das Galiläische so erheblich vom judäischen Dialekt, dass man

44

J. C ARMIGNAC, Le Notre Père, Paris 1969, 52. Die Varianten sind: die aus fünf Bitten bestehende lukanische Kurzfassung in Lk 11,2–4 und den verwandten Langfassungen von Mt 6,9b–13 und Did 8,2, siehe zu dieser: Die Apostolischen Väter. Griechisch-deutsche Parallelausgabe. Neu übersetzt und herausgegeben von A. L INDEMANN/H. PAULSEN, Mohr Siebeck, Tübingen 1992, 12–15. 46 Dazu s. auch G. B ALTES, Hebräisches Evangelium und synoptische Überlieferung: Untersuchungen zum hebräischen Hintergrund der Evangelien, Tübingen 2011, 61–64. 47 Galiläer wie Samaritaner unterschieden sich durch die Aussprache der Sibilanten, Laryngale und Labiale, auch folgt die Spirantisierung der !( !)!"#$ – Konsonanten anderen Regeln. In der samaritanischen Aussprache des Aramäischen (und Hebräischen) wird /p/ immer als Spirant /f/ gesprochen wie in !"#"$ (iffata) „öffne dich“ oder „sei geöffnet“, das dem &''()" des NT bei Mk 7,34 entspricht), hingegen werden die anderen !( !)!"#$-Laute immer explosiv gesprochen werden. Das /b/ wird nie spirantisiert als /bh/, sondern okklusiv als /b/ gesprochen – ‚mein Vater‘ wird somit als !abî ausgesprochen. Außerdem wurden die Gutturale im Aramäisch sprechenden Norden so schwach artikuliert, dass sie verwechselt wurden. 45

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den Galiläern untersagte im Tempel zu lesen, weil man ihnen vorwarf, keine korrekte Aussprache zu haben.48 Freilich kann das aramäische Idiom, das in der Forschung gemeinhin als ‚Galiläisches Aramäisch‘ bezeichnet wird, nach heutigem Stand der Forschung und nach den aramäischen Textzeugen aus der Wüste Juda nicht mehr als Jesu Muttersprache angesehen werden. Das als „Galiläisch“ bezeichnete Aramäisch ist ein terminus technicus für einen späten aramäischen Dialekt des 4.-6. Jh. n. Chr., in dem der palästinische Talmud und einige Midraschim geschrieben sind. Zweifellos unterschied sich das frühere galiläische Aramäisch ebenfalls schon vom südlicheren judäischen Dialekt, so dass Petrus an seiner Mundart bzw. Aussprache als Galiläer erkennbar ist, und auch Jesu Aussprache effata (Mk 7,34: !""#$% „öffne dich“ oder „sei geöffnet“) ist charakteristisch für die nördliche Aussprache der Samaritaner und Galiläer.49 Leider genügen die Transliterationen bei Josephus und im Neuen Testament nicht, um daraus eine Sprache zu rekonstruieren. Und zwischen dem späteren rabbinischen Galiläisch und dem zur Zeit Jesu gesprochenen Aramäisch liegen einige Jahrhunderte. Da die Pioniere der neutestamentlichen Aramaistik, Gustaf Dalman ebenso wie Joachim Jeremias,50 ihre Rekonstruktionen des Vaterunsers aufgrund des späteren galiläischen Aramäisch vornahmen51 und auch Karl48

Siehe dazu bErub 53a–b; bMeg. 24b; bBer 32a z. B. In der Tat sprachen die Galiläer die Gutturallaute nicht aus was zu Verwechslungen und Missverständnissen führen konnte. 49 Siehe dazu die Aramaismen im Neuen Testament in U. SCHATTNER-R IESER, L’araméen des manuscrits de la mer Morte, Bruxelles 2004, 48–49. 50 Vgl. G. D ALMAN, Die Worte Jesu mit Berücksichtigung des nachkanonischen jüdischen Schrifttums und der aramäischen Sprache erörtert, Bd. 1, Leipzig 1930, 283– 365; J. JEREMIAS, Das Vater-Unser im Lichte der Neueren Forschung (Calwer Hefte 50), Stuttgart 1962; DERS. Abba. Studien zur Neutestamentlichen Theologie und Zeitgeschichte, Göttingen 1966, 155–171, bes. 160; weiter K.G. K UHN, Achtzehngebet und Vaterunser und der Reim (WUNT 1), Tübingen 1950, 32–33; C.F. B URNEY, The Aramaic Origin of the Fourth Gospel, Oxford 1925, 12–13; C H. T ORREY, The Translations made from the Original Aramaic Gospels, in: D.G. Lyon/G. F. Moore (Hg.), Studies in the History of Religions presented to Crawford Howell Toy by Pupils, Colleagues and Friends (FS C. H. Toy), New York 1912, 309–317; E. L ITTMANN, Torreys Buch über die vier Evangelien, ZNW34 (1935) 20–34; J.A. FITZMYER, The Gospel According to Luke X–XXIV (AB 28A), Garden City 1983, bes. 901; B. C HILTON, Jesus Prayer and Jesus’ Eucharist. His Personal Practice of Spirituality, Valley Forge, Pa. 1997, 24–51; J. C ARMIGNAC, Recherches sur le Notre Père, Paris 1969; P. G RELOT, L’arrière-plan araméen du Pater, RB 91 (1984) 531–556; DERS., La quatrième demande du Pater et son arrière-plan sémitique, NTS 25 (1978–79) 299–314. 51 G. D ALMAN, Die Worte Jesu, 371, selbst schreibt, dass „sein“ Galiläisch auf sehr späten Textdenkmälern beruht; vgl. DERS., Grammatik des Jüdisch-Palästinischen Aramäisch, 41 (§7.3): „der galiläische Dialekt, von dem wir im palästinischen Talmud und Midrasch Denkmäler aus dem vierten bis sechsten Jahrhundert besitzen (s. §2, 3); D ERS.,

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Georg Kuhn in seiner 1950 veröffentlichten, nach wie vor benutzten 52 Rekonstruktion des Vaterunsers , noch keine aramäischen Texte aus Qumran zur Verfügung standen – das Genesis-Apokryphon aus Höhle 1 wurde erst später veröffentlicht –, ist eine neue Rückübersetzung und Rekonstruktion gerechtfertigt. Ich werde im Folgenden das Sprachgut der aramäischen Texte aus Qumran der mittelaramäisch-palästinischen Phase und vergleichbare, ähnliche Redewendungen (nicht aber die Morphologie, die entwickelter ist) aus den Targumim miteinbeziehen, welche im Hinblick auf das Vaterunser relevant sind. Hingegen werde ich nicht konstant auf das Qaddish und das Achtzehnbittengebet eingehen, auf die sonst i.d.R. 53 verwiesen wird, da diese Gebete eben nicht zeitgleich mit dem Vaterunser sind. Gewiss schöpften auch diese Gebete aus demselben Fundus wie das Vaterunser, doch ist ihre Fixierung und die Aufnahme in die tägliche Gebetsliturgie deutlich später anzusetzen. Gemäß der rabbinischen Tradition (bBer 28b) wurde das Achtzehnbittengebet zwar zu Ende des 1. Jh. unter Gamaliel ‚geordnet‘ (wenn auch nicht, wie die ältere Forschung meinte, auf einer ‚Synode von Jabne‘, die es so nie gegeben hat54), aber es hat sich, wie es die vielen in der rabbinischen Literatur erhaltenen Diskussionen und die zahlreichen Varianten bezeugen, erst in den ersten Jahrhunderten nach der Tempelzerstörung zu einem Gebet zusammengefügt.55 Auch das Qaddish ist nach neueren Forschungen erst

The Words of Jesus, Edinburgh 1909, 79: „The Judaean dialect is known to us from literary remains of Judaean origin in the period from the first to the third (Christian) century; the Galilean dialect from writings of Galilean origin in the period from the fourth to the seventh century. That the ‘Galilean’ at the time of its dominance among the Jews of Galilee was accompanied in other parts of Palestine by sister-dialects closely akin, is proved by the Samaritan Aramaic, and the still more closely related Christian Palestinian Aramaic.“ Auch Joachim Jeremias (in: J. JEREMIAS, Neutestamentliche Theologie. Die Verkündigung Jesu, Berlin 1973, 15–16) ist sich der späten schriftlichen Quellen bewusst, auf die er sich in seiner Rückübersetzung des Vaterunsers beruft. 52 K UHN, Achtzehngebet, 32–33. 53 Zum Vergleich mit dem Achtzehngebet S. K. G. K UHN, Achtzehngebet. 54 G. STEMBERGER, Die sogenannte Synode von Jabne und das frühe Christentum, Kairos 19 (1977) 14–21; G. STEMBERGER, Jabne und der Kanon, JBTh 3 (1988) 163–174; P. SCHÄFER, Die sogenannte Synode von Jabne (1. Zur Trennung zwischen Juden und Christen im 1.–2. Jh. n. Chr.; 2: Der Abschluss des Kanons), Judaica 31/2 (1975) 54–64; P. SCHÄFER, Die Flucht Johanan b. Zakkais aus Jerusalem und die Gründung des Lehrhauses in Jabne, in: H. Temporini/W. Haase (Hg.), Aufstieg und Niedergang der Römischen Welt (ANRW), Teil 2, Bd. 19/2, Berlin/New York 1979, 43–101. 55 U. K ELLERMANN, Das Achtzehngebet-Bitten-Gebet. Jüdischer Glaube in neutestamentlicher Zeit, Neukirchen 2007, 23 und Anm. 52.

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viel später als das Vaterunser entstanden.56 Hingegen werden von christlichen Theologen häufig Vergleiche mit dem Qaddish angestellt, als ob das Vaterunser von diesem inspiriert worden wäre – dabei wäre m.E. sogar eine umgekehrte Beeinflussung in Erwägung zu ziehen.

IV. Grundfragen zur Form und zur Gebetsanrede „Abba“ 1. Einleitende Bemerkungen zur Form Das VU ist literarisch der Gattung der Bittgebete zuzuordnen, da es abgesehen von der Gebetsanrede ausschließlich aus Bitten besteht. Durch die abschließende Doxologie wird es in der matthäischen Fassung durch 57 Elemente des Lobgebets bereichert. Auf die Einleitungsformel folgen in der lukanischen Kurzfassung zwei theozentrische Du-Bitten und drei anthropozentrische Wir-Bitten. Die Bittstellungen bei Lukas umfassen fünf, in der längeren Fassung bei Matthäus sieben Befehlsformen. Ursprünglich handelte es sich dabei um drei Jussivformen (geheiligt, komme, geschehe), drei Imperative (gib, vergib, erlöse) und eine Prohibitivform (führe nicht ein). Die ersten drei Jussive sind in einem volitiven oder optativen Sinn, als Wunschform, zu verstehen, so wie es auch die frühen Übersetzungen des Christo-Palästinischen und die Kirchenväter verstanden haben. Von der Forschung wird allgemein angenommen, dass die kürzere Form nach Lukas die ursprünglichere Form des Vaterunsers repräsentiert. Dies entspricht der üblichen Sicht der Entwicklung der synoptischen Stoffe nach der Zweiquellentheorie, nach der Lukas die Logienquelle genauer 58 erhalten habe. Im konkreten Fall des Vaterunsers muss dies allerdings nicht zwingend der Fall sein, denn die bei Matthäus zusätzlichen Elemente nehmen Formulierungen auf, die in Qumran und in der frührabbinischen Literatur gut belegt sind. Die Anrede mit Gott als Vater im Himmel entspricht ebenfalls einer zeitgerechten epithetischen Bezeichnung, und was die Bitte um das Kommen des Reiches anbelangt, so entspricht auch diese Erwartung – ob nun innerweltlich oder eschatologisch verstanden – den Erwartungen von Teilen der palästinisch-jüdischen Bevölkerung der ersten zwei Jahrhunderte. Dass wir es mit einem Originaltext auf Aramäisch zu tun haben, ist klar. Die sprachliche Zuordnung ist schwieriger. Der Konsonantentext kann 56 S. dazu A. L EHNARDT, Qaddish – Untersuchungen zur Entstehung und Rezeption eines rabbinischen Gebetes, Tübingen 2002, 297–298. 57 Vgl. O. C ULLMANN, Das Gebet im Neuen Testament, Tübingen 21997, 91. 58 Vgl. U. SCHNELLE, Einleitung in das Neue Testament, Göttingen 1994, 214.

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dank unserer Kenntnisse des Qumran-Aramäischen rekonstruiert werden. Die Aussprache ist allerdings nicht sicher, was die Vokale der Vortonsilben anbelangt – wir wissen ja nicht einmal, wo die Betonung lag! Freilich bestätigen gerade die Aramaismen des Neuen Testaments, dass jene Vokale zur Zeit Jesu noch ausgesprochen wurden und nicht zu shewa verkürzt wurden, doch haben wir hierfür kein grammatikalisches Vergleichsmaterial und nicht genügend griechische Transkriptionen. 2. Zum Gottesnamen Die Texte aus Qumran und Masada bezeugen allgemein großen Respekt vor dem Schreiben des Tetragramms. In den hebräischen Texten aus Qumran wird das Tetragramm in quadratschriftlichen Texten durch paläohebräische Lettern vom restlichen Text abgesetzt, und häufig auch vermieden.59 Auch die griechische Zwölfprophetenrolle aus Na!al "ever schreibt das Tetragramm in althebräischen Lettern.60 In den aramäischen 61 Texten aus Qumran begegnet das Tetragramm kein einziges Mal, d. h. es wird gänzlich vermieden. Im aramäischen Tobittext wird es durch vier Punkte ersetzt, im aramäischen Danieltext aus Qumran wird sogar die Gottesbezeichnung !el!h!"â (!"#$!) „dein Gott“ vom Heiligkeitstabu umgeben und nicht in Quadratschrift, sondern mit paläohebräischen Lettern geschrieben. Darüber hinaus dienen eine Vielzahl von Substituten der 62 Ersetzung des Tetragramms. 59

So z. B. in 1QS und CD, 1QIsa (!"#! $%"), s. C.H. W ILLIAMS, I am He: the Interpretation of Anî Hû in Jewish and Early Christian Literature (WUNT II/113), Tübigen 2000, 66–68; P.W. SKEHAN, The Divine Name at Qumran, the Masada Scroll and in the Septuagint, BIOSCS 13 (1980) 14–44: 16–18; D.W. PARRY, Notes on Divine Name Avoidance in Scriptural Units of the Legal Texts of Qumran, in: M. Bernstein u.a. (Hg.), Legal Texts and Legal Issues: Proceedings of the Second Meeting of the International Organization for Qumran Studies, Cambride 1995, Published in Honour of Joseph M. Baumgarten (StTDJ 23), Leiden 1997, 437–449: 440ff.); H. STEGEMANN, Religionsgeschichtliche Erwägungen zu den Gottesbezeichnungen in den Qumrantexten, in: M. Delcor (Hg.), Qumrân. Sa piété, sa théologie et son milieu (BEThl 46), Leuven 1978, 195–217: 200–202. 60 K. DE T ROYER, The Names of God, Their Pronounciation and Their Translation: A Digital Tour of Some of the Main Witnesses, lectio difficilior 2 (2005), online unter http://www.lectio.unibe.ch/05_2/troyer_names_of_god.htm; mehr zur Schreibweise des Tetragramms JHWH in: M. Rösel, The Reading and Translation of the Divine Name in the Masoretic Tradition and the Greek Pentateuch, JSOT 31 (2007) 411–428. 61 J. G REENFIELD/M. SOKOLOFF, The Contribution of Qumran Aramaic to the Aramaic Vocabulary, in: T. Muraoka (Hg.), Studies in Qumran Aramaic, Supplement 3, Louvain 1992, 78–98: 92–94; U. Schattner-Rieser, L’apport de la philologie, 119. 62 malkâ rabbâ „der große König“ (4Q196 [4QToba] f18,5), !#l "elyôn „höchster Gott“ (1Q20 [1QapGen] XX,16); m!rî malkâ „mein Herr (und) König“ (1Q20 [1QapGen] XX,25), mele" rabbâ „großer König“ (4Q530 [4QEnGiantsb] fii,6_12,19), qaddi$â rabbâ

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Trotz dem offensichtlichen Respekt um das Tetragramm bleibt eine Reihe von Fragen ungelöst. Nach der biblischen Tradition darf der Name Gottes nicht achtlos ausgesprochen werden, und seine Aussprache war spätestens ab der hellenistischen Zeit ein Privileg des Hohenpriesters (Sir 50,20)63 und auch dieser durfte den Gottesnamen nur im Tempel aussprechen.64 Die rabbinische Tradition besagt außerdem, dass er überhaupt nur einmal pro Jahr im Tempel vom Hohepriester zu Jom Kippur ausgesprochen wurde.65 Dennoch scheint der Gottesname auch in Qumran nicht ganz oder nicht für jeden geheim gewesen sein, da er immerhin im griechischen Fragment 4QpapLXXLevb zu !"#, transkribiert ist. Dies ist der älteste authentische Zeitzeuge der Aussprache !"# (< hebr. ya[h]o),66 freilich befindet sich dieser Beleg in einem Pentateuchtext, was vielleicht bedeutet, dass der Name Gottes beim Lesen des biblischen Textes vielleicht nicht dem Aussprachetabu unterlag, im Gegensatz zu nichtbiblischen Gebeten. Doch sind die hiermit verbundenen Probleme hier nicht weiter zu erörtern.67

„der große Heilige“ (4Q201 [4QEna] f1 i,5; 4Q204 f1 v,20; 1Q20 [1QapGen] VI,15; VII, 7; XII,17); m!ranâ rabbâ „unser großer Herr“ (4Q202 [4QEnb] iii,14), dayy!n qu"#â „gerechter Richter“ (4Q205 [4QEnoch d] 1 xi 2), qud"â „Wahrheit/Gerechtigkeit“ und ebenso m!r$! "emayyâ „Herr des Himmels“; m!r$! !!lmâ und m!r$ !!lmayyâ „ewiger Herr“; !el!h !!lmâ und !el!h !!lmayyâ „ewiger Gott“; mele% "emayyâ „ewiger König“. 63 Sir 50,20: „Dann stieg er (der Hohepriester Simon, Sohn des Onias) herab und erhob seine Hände über die ganze Gemeinde Israels. Der Segen des Herrn war auf seinen Lippen, den Namen des Herrn nennen zu dürfen war sein Ruhm. Sie aber fielen zum zweiten Mal nieder, um den Segen von ihm zu empfangen.“ Die hebräischen Sirachfragmente aus Masada, welche das Tetragramm umschreiben, bezeugen die progressive Entfernung der Anwendung des Heiligen Namens. 64 Einen interessanten Hinweis hierfür bietet die Midraschstelle zu Ex 20,24 in der Mekhilta di Rabbi Ismaël, wo es heißt: „Da wo ich mich euch offenbare: das ist im Tempel. Von dort leitet sich ab, dass das Tetragramm (der Hl. Name) außerhalb des Tempels nicht ausgesprochen werden darf ...“, zitiert in F. M ANNS, La Prière d’Israël à l’heure de Jésus, Jerusalem 1986, 32. 65 yYoma 3,7 (40d–41a); bQid 71a, KohR 3, 11.3 und bPes 71a. S. mehr dazu in H.-J. B ECKER, The Magic of the Name and Palestinian Rabbinic Literature, in: P. Schäfer (Hg.), The Talmud Yerushalmi and Graeco- Roman Culture, Tübingen 2002, 391–410: 404–405. 66 In den Papyri der jüdischen Gemeinde von Elephantine wird der konsonantische Gottesname YHH oder YHW geschrieben, dazu U. SCHATTNER-R IESER, La Bibliothèque de la communauté juive d’Eléphantine, Tsafon 56 (2008–2009) 14, Anm. 4. 67 Emanuel Tov sieht in der Schreibung !"# einen Beweis für ein sehr alte griechische Version, die älter als die LXX-Version sein soll, so in: E. T OV, The Greek Biblical Texts from the Judean Desert, in: S. McKendrick/O.A. O’Sullivan (Hg.), The Bible as Book: the Transmission of the Greek Text, London-New Castle 2003, 97–122: 102.

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In der Gebetsanrede wird Gott des Öfteren mit dem Substitut „Name“ 68 angerufen, ein Nomen welches gemäß der rabbinischen und samaritanischen Tradition gewöhnlich als Substitut des Tetragramms diente und ganz entsprechend auch im Vaterunser für Gott steht. 3. Die Anrede an Gott als ‚Vater‘ und das ‚Abba-Problem‘ Einige besondere Vorüberlegungen sind zur Gebetsanrede Gottes als ‚Vater‘ nötig und zu der Frage, wie die jesuanische Gebetsanrede ‚Abba‘ zu verstehen ist. Hier ist die Forschung insbesondere durch Joachim Jeremias beeinflusst, dessen Interpretation aus heutiger Sicht jedoch nicht mehr aufrecht zu erhalten ist und dringend der Korrektur bedarf. 3.1 Gott als Vater In der alttestamentlichen Tradition kommt Gott als Vater Israels oder des davidischen Königs in 17 Belegen vor69, und schon Origenes erwähnt die alttestamentlichen Belege in seiner Analyse des Vaterunsers als altisraelitisches Gut. Auch der „königliche“ Messias ist metaphorisch Sohn Gottes (Ps 2,7). Die Paternität Gottes im AT lässt sich in drei Punkten zusammenfassen:70 1. der König als „Adoptiv“-Sohn Gottes (2Sam 7,11– 14;71 Ps 2,7; 89,21–30), 2. Gott als Vater seines Volkes Israel (Ex 4,22s; Dtn 32,5s; Jes 1,2; Mi 1,6) und 3. in der Gebetsanrede als Gott-Vater (Jes 63,16; 64,7; Ps 89,27; Mal 2,10; Sir 23,1; Weish 2,16; Tob 13,4). Wie es

68 e b !"m m#r"! "#lmayyâ „im Namen des ewigen Herren“ (1Q20 [1QapGen] XX,2), le!"m !el#hâ „dem Namen des Gottes“ 1Q20 [1QapGen] XXI,2, !emâ rabbâ „großer Name“ (4Q542 [4QTQahat] f1,1), !emâ qaddi!â „heiliger Name“ (4Q196 [4QToba] f6,7; f18,11), !"m !#b „guter Name“ (4Q550a [4QPersische Hofgeschichten/Proto-Esther] f1,2). 69 S. dazu A. B ÖCKLER, Gott als Vater im Alten Testament. Traditionsgeschichtliche Untersuchungen zur Entstehung und Entwicklung eines Gottesbildes, Gütersloh 2000; DIES ., Unser Vater, in: P. van Hecke (Hg.) Metaphor in the Bible (BEThL 187), Leuven 2005, 249–261: 252-253); weiteres zur familiären Beziehungsmetaphorik: C H. G ERBER, Paulus und seine Kirche. Studien zur Beziehungsmetaphorik der paulinischen Briefe (BZNW 136), Berlin 2005, 159; DIES., „Gott Vater“ und die abwesenden Väter. Zur Übersetzung von Metaphern am Beispiel der Familienmetaphorik, in: Ch. Gerber et al. (Hg.), Gott heißt nicht nur Vater. Zur Rede über Gott in den Übersetzungen der „Bibel in gerechter Sprache“, Biblisch-theologische Schwerpunkte 32, Göttingen 2008, 145–161. 70 C H. Z IMMERMANN, Die Namen des Vaters. Studien zu ausgewählten Neutestamentlichen Gottesbezeichnungen (AJEC 69), Berlin/New York 2007, 48 Anm. 48, führt folgende Liste an: Vater des davidischen Königs: 2Sam 7,14, Ps 89,27f.; 1Chr 17,13; 22,10; 28,6; Vater Israels: Dtn 1,31; 8,5 und 32,6; Jer 31,9; Jes 63,16 (2x); 64,7; Jer 2,27; 3,4; 3,19; Mal 1,6; 2,10 (indirekt auch in Mal 3,17); Ps 68,6 und Ps 103,13. 71 Dieser Vers wird in 2Kor 6,18a leicht modifiziert zitiert: „Ich werde euch Vater sein, und ihr werdet mir Söhne und Töchter sein …“

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die ausführlichen Studien von Christiane Zimmermann72 und Angelika Strotmann73 zeigen, gewinnt die Vaterbezeichnung für Gott in den jüdischen Texten der hellenistischen Zeit (Tob, Sir, 3Makk) zunehmend an Popularität. Hingegen ist die Vater-Titulatur in den gruppenspezifischen Texten aus Qumran eher selten74 (z.B. 1QHa XVII 35), doch kommt sie in anderen Qumrantexten auch als Gebetsanrede vor. 3.2 Die Gebetsanrede ‚Vater‘ Im hebräischen AT finden sich sieben Anreden Gottes mit „(mein/unser) Vater“.75 Dazu zählen Ps 89,27 mit „Mein Vater bist du, mein Gott, der Fels meines Heiles!“ und 1Chr 29,10 im Lobpreis Davids „Gelobt seist du, HERR, Gott Israels, unseres Vaters, von Ewigkeit zu Ewigkeit!“ Jer 3,19 bietet Gott selbst an, dass er ‚mein Vater‘ genannt werden kann, während die Anrede in Jer 2,27 polemisch umgekehrt wird als Anrede an einen toten Götzen. Ein außergewöhnliches und sehr langes Gebet findet sich in Jesaia 63,15–64,11 (mit den einleitenden Worten ab Jes 63,7), dort wird Gott dreimal als „unser Vater“ angerufen, davon zweimal in der Wendung „Herr, unser Vater! ‚Unser Erlöser seit ewigen Zeiten‘ ist dein Name“ (Jes 63,16; 64,7) sowie ein weiteres Mal in Jes 63,16: „Du bist doch unser Vater!“ Wie Georg Fischer bemerkt, stellt dieses Gebet eine Brücke zum Vaterunser dar.76 Es enthält den Bezug zu Gott im Himmel, dem Barmherzigen und Retter und die Erinnerung an den Exodus (63,1–14). Als letztes bibilisches Beispiel sei die Gott-Vater-Bezeichnung in Mal 2,10 bezeichnet: „Haben wir nicht alle einen Vater?“ In der hellenistischen Zeit steigt die Verwendung der Gott-VaterAnrede deutlich an und umfasst ca. 50 Beispiele.77 Angelika Strotmann78 zählt 21 Gebetsanrufe in 16 Schriften mit Gott als Vater, davon begegnen sieben in den deuterokanonischen Schriften,79 von denen die Bücher Tobit (aram. und hebr.) und Sirach (hebr.) in Qumran belegt sind. In zwei 72

C H. Z IMMERMANN, Die Namen des Vaters, 52–64. A. STROTMANN, Mein Vater bist du! (Sir 51,10). Zur Bedeutung der Vaterschaft Gottes in kanonischen und nichtkanonischen frühjüdischen Schriften, Frankfurt a.M. 1991. 74 Mehr zur Vater-Titulatur in den Qumrantexten in der detaillierten Studie von Lutz D OERING, God as Father in the Dead Sea Scrolls, in: F. Albrecht/R. Feldmeier (Hg.), The Divine Father: Religious and Philosophical Concepts of Divine Parenthood in Antiquity Themes in Biblical Narrative 18, Leiden 2014, 107–135. 75 C H. Z IMMERMANN, Die Namen des Vaters, 50. 76 In: G. FISCHER/K. B ACKHAUS, Beten (NEB.Themen 14), Würzburg 2009, 38. 77 C H. Z IMMERMANN, Die Namen des Vaters, 52. 78 A. STROTMANN, Mein Vater bist du!, 24–329. 79 Tob 13,14; Sir 23,1.14; 51,10 und Weish 2,16; 11,10, angeführt bei C H. Z IMMERMANN , Die Namen des Vaters, 52, Anm. 74. 73

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Gebeten des Sirachbuches wird Gott dreimal als Vater angerufen: zweimal im privaten Gebet des Jesus Ben Sira, das die persönliche Frömmigkeit des Autors zum Ausdruck bringt, wo er um Bewahrung vor falschem Reden 80 und Denken bittet, und im ‚Danklied eines Einzelnen‘81 in Sir 51,1b (Ms 82 B) !"#$ !"!#!"# $%[!" ]! „Ich preise dich mein Gott, mein Vater“ sowie Sir 51,10 (Ms B) „JHWH, mein Vater bist du, denn du bist mein rettender Held“. Auch im Danklied Tobits wird Gottvater gepriesen: „Denn er ist unser Herr und Gott, er ist unser Vater in alle Ewigkeit“ (Tob 13,3/4). Im hebräisch geschriebenen antisamaritanischen Text 4QapocJoseph (4Q372) frag. 1,16 fleht Josef als Vertreter der verstreuten Nordstämme zu Gott und betet: „Mein Vater und mein Gott überlasse mich nicht der Hand der Heidenvölker!“. Hinzu kommt ein Beispiel aus dem individuellen Gebet von 4Q460 9 i 6 wo die Gebetsanrede „mein Vater, mein Herr!“ lautet. Wie aus den Qumrantexten und dem Buch Sirach ersichtlich ist, findet sich die Gottesanrede „mein/unser Vater!“ im Munde einiger weniger Beter und drückt eine besondere, aber keineswegs exklusive Gottesbeziehung zwischen dem Betenden und Gott aus. 3.3 ‚Vater‘ als Titel und Anrede für einen Lehrer Nicht unerwähnt lassen sollte man, dass die Vater-Sohn-Metaphorik häufig auch das Verhältnis Meister-Schüler betrifft. Die Gleichsetzung Vater = 83 Lehrmeister ist im ganzen Orient verbreitet und in der israelitischen 84 Literatur gut belegt. Schon in der hebräischen Bibel werden Elija (2Kön 2,12) und Elischa in ihrer Funktion als Lehrmeister und spirituelle Führer von ihren Prophetenschülern mit !!"î (!"#$) „(mein) Vater“ betitelt und angerufen. Elija wird sogar von König Joasch, dessen ‚Berater‘ er war, mit dem Titel ‚Vater‘ angesprochen (2Kön 5,13; 6,21; 13,14). Interessanterweise unterscheidet hier das Prophetentargum, wer die Anrede ausspricht, und übersetzt das masoretische !!"î mit rabbî (!"# %$ ), wenn Israeliten reden, aber mit m!rî (!"# %$ ), wenn die Diener des Heiden Naaman reden.

80

Sir 23,1–6 LXX: „Herr, Vater (!"#$% im Vokativ) und Gebieter meines Lebens, bring mich durch sie nicht zu Fall!“ (Sir 23,1); „Herr, Vater und Gott meines Lebens, überlass mich nicht ihrem Plan!“ (Sir 23,4). 81 Das Danklied für Gottes Retten im Sirachbuch (Sir 51,1–12) beinhaltet ein kurzes Klagelied welches mit Ps 89,27 beginnt (Sir 51,10b–11a). Anschließend folgt ein Loblied (Sir 51,12–30); s. G. FISCHER, Beten, 60. 82 Der hebräische Text folgt der mittelalterlichen Kopie des MS B nach P.C. B EENTJES, The Book of Ben Sira in Hebrew (SVT 68), Atlanta 2006, 91. 83 P. N IEL, The Concept ‚Father‘ in the Wisdom Literature of the Ancient Near East, Journal of Northwest Semitic Languages 5 (1977) 53–66. 84 A. L EMAIRE, Les écoles et la formation de la Bible dans l’Ancien Testament, Göttingen 1981, 54–55.

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Auch Gott ist im Alten Testament Lehrer und Meister und diszipliniert sein Volk Israel wie ein Vater sein Kind (Dtn 8,5). Diese Gleichsetzung wird u.a. durch das Beispiel im Targum zu Jer 3,4 verdeutlicht, wo das masoretisch-hebräische ‚Vater‘ als Gottesanrede, durch ‚mein Meister‘ 85 ersetzt wird. Im deuterokanonischen Sirachtext ist Gott zugleich Herr, Vater und Meister: „Herr, Vater und Meister/Gebieter meines Lebens, bring mich durch sie nicht zu Fall!“ (Sir 23,1 LXX !"#$% &'(%# !)* +,-&.() /012 3.4), ebenso in 23,4 „Herr, Vater und Gott meines 86 Lebens“ (!"#$% &'(%# !)* 5%6 /012 3.4). Die Vater-Sohn Metaphorik findet man auch in Qumran, wo der Lehrer der Gerechtigkeit sich als Vater seiner Gemeinschaft bezeichnet (1QHa XV,23 [= Sukenik col. VII ] = 1Q35 1; 4Q428 6–7). In der rabbinischen Zeit ist Abba, neben Rabbi, zugleich als gängiger Gelehrten- und Ehrentitel belegt, mit dem Schüler eines Bet- und Lehrhauses ihren Meister respektvoll ansprachen. Dies ist m.E. eine Komponente, die man im Hinblick auf die neutestamentliche Anwendung von Abba als Gottesbezeichnung, nicht ignorieren sollte. Gemäß bKet 103b (zu 2Chr 19,3) erhob sich Josafat, König von Juda, jedesmal von seinem Thron, wenn er einen Meisterschüler sah, umarmte und küsste ihn, und rief ihn an: „Abi, Abi; Rabbi, Rabbi; Mari, Mari!“ Wir haben es hier klar mit drei Titeln für „Meister/Lehrer“ zu tun (ebenso bMak 24a), welche sich 87 88 auch in Mt 23,8–10 spiegeln. 3.4 Das ‚Abba‘ Problem und die Hypothese von Joachim Jeremias Von diesen Befunden ausgehend ist noch einmal die Frage zu reflektieren, wie die Gebetsanrede Jesu ‚Abba‘ sachgemäß zu interpretieren ist. Das sogenannte ‚Abba-Problem‘89 geht vor allem auf die Arbeiten von Joachim 85

Die Vater-Sohn-Metaphorik (für den Meister) kommt auch im aramäischen Text des Weisen Achiqar aus dem 5. Jh. v. Chr. vor. (C1.1 Z.198 und Col IV, 55). Seltener wird auch die Mutter in diese Familienmetaphorik als Lehrperson miteinbezogen wie in Spr 1,8; 31,1: „Die Torah deiner Mutter und die Lehre deines Vaters“. 86 Die Variante ist bedauerlicherweise in keiner der alten heb. Handschriften erhalten. Schechter bietet eine Rückübersetzung in M.Z. SCHECHTER, ! !" ! !"#$ !" !"# (= Sefer Ben Sira Ha-Shalem), Jerusalem 1958, !"# (= S. 136) 87 „Ihr aber sollt euch nicht Rabbi (+$+'-!)7.2, magister) nennen lassen; denn nur einer ist euer Meister, ihr alle aber seid Brüder. Auch sollt ihr niemand auf Erden euren Vater (Abba, &)(8#, pater) nennen; denn nur einer ist euer Vater, der im Himmel. Auch sollt ihr euch nicht Lehrer (Mar/Mari, !)59:9(;2) nennen lassen; denn nur einer ist euer Lehrer, Christus.“ 88 Siehe weiter K. K OHLER, Abba, Father. Title of spiritual Leaders and Saints, JQR 13 (1901) 567–580. 89 Siehe weiter J.A. FITZMYER, Abba and Jesus’ Relation to God, in: A cause de l’ évangile (Festschrift J. Dupont), LeDiv 123, Paris 1985, 15–38: 47.

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Jeremias zurück, der die Forschung mit seinen Thesen stark beeinflusst 91 hat. Das ‚Problem‘ beinhaltet philologische, sprachgeschichtliche und christologisch-theologische Aspekte, die letztlich nicht voneinander zu trennen sind. Grundanliegen der Arbeit von Joachim Jeremias war bekanntlich, die ipsissima vox Jesu herauszuarbeiten, seine ursprüngliche Verkündigung anhand der aramäischen Gestalt seiner Worte zu rekonstruieren. In diesem 92 Rahmen kommt der ‚Abba‘-Anrede zentrale Bedeutung zu. Nach der These von Jeremias begegnet das Wort Abba „Vater“ als Gottesanrede bei Jesus und im Anschluss an ihn im Neuen Testament in einer besonderen, singulären Bedeutung. Jeremias versteht das aramäische 93 Abba nämlich als Diminutivform aus der Familien- gar Kindersprache, ein Lallwort, mit dem ein kleines Kind seinen Vater anredet, als „Papa“ oder „Väterchen“. Dafür bietet er in seinem frühen Aufsatz ein einziges, vermeintlich vorchristliches Beispiel, eine Episode über Chanin haNechba, einen Enkel von Choni dem Kreiszieher (1. Jh. v. Chr.), die aber 94 erst dem Talmud Babli (bTaan 23b) entstammt. Diese Form der vertrauensvollen Anrede Gottes ist für Jeremias „in der jüdischen Gebetsliteratur 95 ohne jede Analogie“ , eine solche Anrede wäre nach seiner Auffassung 96 „für jüdisches Empfinden unehrerbietig und darum undenkbar gewesen“ – umgekehrt zeige sich darin gerade „etwas Neues und Unerhörtes, daß 97 Jesus es gewagt hat, diesen Schritt zu vollziehen.“ So konnte die Gebetsanrede Jesu (und der von dort ausgehende Gebrauch der Gebetsanrede im Urchristentum) in der Deutung von Jeremias als Indiz für das besondere Sohnesbewusstsein Jesu von Nazareth, d.h. für sein einzigartiges Gottesverhältnis werden. In dieser Gottesanrede äußere sich das letzte Geheimnis der Sendung Jesu. „Er wusste sich bevollmächtigt, Gottes Offenbarung zu 90 J. JEREMIAS, Kennzeichen der ipsissima vox Jesu, in: Synoptische Studien. Alfred Wikenhauser zum 70. Geburtstag, München 1953, 86–93 (auch in: ders., Abba. Studien zur neutestamentlichen Theologie und Zeitgeschichte, Göttingen 1966, 145-151); DERS., Das Vater-unser im Lichte der neuere Forschung (Calwer Hefte 5), Stuttgart 1962 (auch in: ders., Abba, 152-170); DERS., Abba, in: ders., Abba, 15–66; DERS., Die Botschaft Jesu vom Vater (Calwer Hefte 92), Stuttgart 1968; DERS., Neutestamentliche Theologie I: Die Verkündigung Jesu, Gütersloh 1970. S. weiter dazu G. SCHELBERT, Abba, 17–23. 91 Zur Rezeption von Jeremias s. SCHELBERT, Abba Vater, 23–34. 92 So zusammenfassend in JEREMIAS, Neutestamentliche Theologie I, 14–45, zu ʾAbba 45 und 67–72. 93 Diese These hat Jeremias von Dalman übernommen, s. G. D ALMAN, Grammatik des Jüdisch Palästinischen Aramäisch und aramäische Dialektproben, Darmstadt 1989 (Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1905), §14.7d. 90. 94 JEREMIAS, Kennzeichen, 88f. (in: ders, Abba, 147ff.). 95 JEREMIAS, Abba, 59. 96 JEREMIAS, Abba, 63. 97 JEREMIAS, Abba, 63.

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vermitteln, weil Gott sich ihm als Vater zu erkennen gegeben hatte (Mt 11,27)“.98 Zwar hat Jeremias später nicht mehr an der Position festgehalten, dass Jesus ein Lallwort übernommen habe, und zugestanden, dass die Anrede auch schon vorchristlich als respektvolle Anrede an alte Männer oder als 99 Anrede erwachsener Söhne an ihre Väter begegne (vgl. auch Mt 23,9), doch sei „das Wissen um die Herkunft von Abba aus der Sprache des 100 Kleinkindes nie verloren“ gegangen. Zugleich hält Jeremias daran fest, dass in der Anwendung des Abba als Anrede an Gott eine kühne Neubildung Jesu vorliege. Die Liste der Theologen, die Jeremias’ These von der Kindersprache unkritisch übernommen haben, ist lang und reicht von Paul Hoffmann, Martin Hengel und Ferdinand Hahn bis zu James Charlesworth und Papst 101 Benedikt XVI. Zu den seltenen Ausnahmen, welche Abba als respektvolle Anrede im Vokativ erkennen, dessen Singularität nicht im Wort selbst wurzle, zählen u.a. James Barr,102 Oscar Cullmann (nuanciert),103 Pierre Grelot,104 Marc Philonenko105 und Knut Backhaus.106 In Jeremias’ Interpretation des Abba wird der grammatikalische Befund forciert, und eindeutige Vokativstellen werden übergangen. Jeremias stützte sich in seinen Behauptungen auf den Aramaisten Gustaf Dalman,107 der das neutestamentliche Abba nicht als einen gewöhnlichen status emphaticus ansah, sondern als eine (nicht existierende!) Diminutivform rekonstruierte, welche sich von -ai zu -â verkürzt haben soll. Neuerdings hat Georg Schelbert mit seiner detaillierten Studie dem Abba-Problem ein ersehntes und willkommenes Ende gesetzt, indem er zeigte, dass !"!/ !""# $ %#&'( definitiv kein Kosewort für „Väterchen“ ist, sondern 108 nichts anderes bedeutet als „Vater!“ Dessen ungeachtet ist die neutestamentliche Verwendung der VaterAnrede für Gott mit 261 Belegen gegenüber den 20 Beispielen im AT und den ca. 50 Belegen der intertestamentarischen Literatur einzigartig und 98

JEREMIAS, Neutestamentliche Theologie I, 73. So JEREMIAS, Abba, 61. 100 JEREMIAS, Abba, 61. 101 S. die Belege bei SCHELBERT, Abba Vater, 23–34. 102 J. B ARR, Abba isn’t ‘Daddy’, JThS 39 (1988) 28–47. 103 O. C ULLMANN, Das Gebet im Neuen Testament, Tübingen 21997, 56. 104 P. G RELOT, L’arrière-plan araméen du „Pater“, RB 4 (1984) 538. 105 M. PHILONENKO, Le Notre Père. De la Prière de Jésus à la prière des disciples, Paris 2001, bes. 56–59. 106 G. FISCHER/K. B ACKHAUS, Beten, 97. 107 G. D ALMAN, Grammatik, §14.7d. 90; G. D ALMAN, Die Worte Jesu, Leipzig 1930, 157; siehe dazu G. SCHELBERT, Abba Vater, 180. 108 S. dazu meine Rezension in: Early Christianity 4 (2013) 141–147. 99

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durchaus auf den Einfluss des Sprachgebrauchs Jesu zurückzuführen. In der späteren jüdischen Literatur findet sich zwar auch vermehrt der Ausdruck „(mein/unser) Vater im Himmel“ (z.B. im Targum PseudoJonathan zu Lev 22,28), doch nicht in der Intensität der neutestamentlichen Verwendung. Die besondere Beziehung Jesu zu Gott als Vater wurzelt freilich nicht in einer Sonderbedeutung des Wortes Abba, sondern ist aus dem Ganzen der Botschaft und Gottesverkündigung Jesu zu erheben.

V. Rückübersetzung und philologische Kommentierung 1. Rückübersetzung Meine Rückübersetzung basiert im Gegensatz zu den bisherigen ausschließlich auf der Grammatik und dem mittelaramäischen Wortschatz der 109 Qumrantexte sowie den idiomatischen Redewendungen und der Syntax 110 aus den frühen Targumim (2.–4. Jh. n. Chr.). Zur Datierung der Texte: Das Hiob-Targum (TgJob) aus dem 2. oder 1. Jh. v. Chr. und das Genesisapokryphon (1QapGen) aus dem 1. Jh. v. oder n. Chr. sind zugleich auch die längsten und reichhaltigsten Texte; die restlichen QA-Texte sind ebenfalls Kopien aus dieser Zeitspanne (die Vorlagen sind teils älter). Trotz der Debatten bezüglich Herkunft und Alter des Tg Onkelos ist zu betonen, dass die konsonantische Textbasis von Onkelos (2. Jh. n. Chr.) dem Aramäischen des Genesisapokryphon in vielem nahesteht. Lk 11,2–4 !"#

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109

Nach den Grammatiken des Qumran-Aramäischen von U. SCHATTNER-R IESER, L’araméen des manuscrits de la mer Morte. I. Grammaire, Lausanne 2004, und T. M URAOKA, A Grammar of Qumran Aramaic, ANES Supplement 38, Leuven 2011. 110 Eine etwas veraltete, aber wertvolle Studie zum Vaterunser im Vergleich mit den Targumformulierungen, allerdings ohne Neofiti und Qumran, leistete M. JOUSSE, Les formules targoumiques du Pater dans le milieu éthnique palestinien, L’Ethnographie 42 (1944) 4–51.

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Das Aramäische zur Zeit Jesu, „ABBA!“ und das Vaterunser

78- 9/7(- :%;78- ,4 morgen“ vorkommt. 162

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Diese Interpretation ist beeinflusst durch die Notiz des Hieronymus über eine Variante ma(h)ar ( kommend, aram. ywm bywm!) verschmolzen ist, und tatsächlich an die Episode der rationierten Gabe des himmlischen Brotes in der Exodusepisode 16,4 anspielt, was sich in der targumischen Redewendung 168 169 pitg!m yôm beyôm"h oder sekôm yôm beyôm"h reflektiert, die im AT 170 mehrmals belegt ist und wörtlich „die Sache [das Nötige] eines jeden Tages an ihrem Tag“ designiert: „Da sprach der HERR zu Mose: Sieh, ich lasse euch Brot vom Himmel (TO: l!m! mn #my!) regnen, und das Volk soll hinausgehen und den Tagesbedarf täglich (LXX: 12 1;0 171 172 5#6%)0 $&"*+,$7"*+$ 0):,&)#*+,&$ ?&"8)0)@7$ %**(!

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c. Vater Unser – Synopse234 Während das VU in Matthäus den Kern der Bergpredigt bildet (Mt 5–7), kommt es in Lukas außerhalb der Feldrede (Lk 6,20–49) vor. a b c d e

J. Jeremias !"! !"# #$%&' !"#$%& '"("

P. Grelot !"! !"# #$%&' !"#$%& '"("

K.G. Kuhn !"#$ "! "! $# $%& '% (# )* "! $# %&!' )( * $+ , -+

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b c d

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la&mán delim&ár hab lán joma dén

yitqadda" "em#k t$!tê mal%ût#%

yitqadda" "em#k t$!tê mal%ûtá% e

e

[!Abbâ de!i"mayyâ]

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[tit"a!ed re"ût#% k !i"mayyâ k$n be!ar"â] e

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u"e!uq lánâ &ô!ênâ ke'i"e!aqnâ le&ajj#!ánâ w elâ( taʽelnâ lenisjônâ !ellâ "$z$!nâ min bi"â [od: *#+#nâ]

234

Rekonstruktionen nach: J. JEREMIAS, Abba, 60–61; P. G RELOT, L’arrière-plan araméen du ‘Pater’, RB 4 (1987) 55; K.G. K UHN, Achtzehngebet und Vaterunser und der Reim, Tübingen, 1950, 32–33. Die Ergänzungen in eckigen Klammern [ ] stammen aus der jeweiligen Mt-Variante. 235 Grelot optiert in der Lukasvariante für lenisyôn, in Mt 6,13 dagegen für benisyôn, was den Targumstellen entspricht, allerdings nicht im status absolutus, sondern im status determinatus.

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Ursula Schattner-Rieser

d. „Vaterunser“ anhand paralleler Targumstellen und QA-Beispielen (keine Rückübersetzung aus den Evangelien) a.

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b.

Vater! (Tg Ps 89,27); Unser Vater! 238 (TJ Jer 2,27); Gott des Himmels. (T2 Est 1,2); Herr des Himmels (1QapGen XI,12-13; XII,17) !"&$

Heilig erweise sich mein Name/Geheiligt werde mein Name 239 !"'$

Gepriesen sei Dein heiliger Name! (Tob 3,11)

c. 240 $ !"(

d.

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Bis komme der König Messias und sein Reich! (TO Gen 49,10) Gib uns Brot! (TO Gen 47,15)

Tg Ps 89,27: „Er rief Mein Vater bist du ( abbâ at), mein Gott und der Fels meiner Rettung!“; TJ Jer 2,27: Unser Vater! ( a ûnâ!); T2Est 3,8 „wir preisen den Gott des Himmels ( â ! emayyâ), 236 der uns Brot und Wasser gibt“ 237; T2 Est 1,2: „wir haben den Willen unseres Vater im Himmel nicht erfüllt [wörtl. gemacht]“; 1QapGen XI,12-13: „Und ich pries den Herrn des Himmels.“ TN Num 20,13 „und er heiligte seinen Namen (wqd! !mh); Lev 22,32: „Entheiliget nicht meinen heiligen Namen (!emî qaddî!â), damit ich mich als heilig erweise [od. damit ich geheiligt werde] ( =weyitqadda! !emî) unter den Israeliten; ich der HERR bin es, der euch heiligt!“ 4Q196 Tobita f6,7=Tob 3,11 „gepriesen sei qaddî!â), dein heiliger Name“ (berî !e ebenso „man preise seinen heiligen Namen“ in 4Q196 Tobita f18,11=Tob 13,3 TO und TN Gen 49,10: „Nicht weiche das Zepter von Juda, noch der Herrscherstab zwischen seinen Füßen, bis komme der König Messias dem das Reich ist und dem die Völker gehorchen werden.“ TO u. TN Gen 47,15: (ha lanâ la mâ); T2Est 3,8 „wir beten zum Gott des Himmels der uns Brot und Wasser gibt“ 241 !"#$

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236

Hier nicht als Anrede, aber in einem Lobpreis. Die Stelle spielt an den Auszug aus Ägypten an, wo Gott sein Volk bei der Wüstendurchquerung mit Speis und Trank versorgte und somit vor Hunger und Durst bewahrte. 238 Die dreimalige Anrede „unser Vater“ aus MT Jes 63,16; 64,7. 239 In TN findet sich auch: yhwwy qdy! „(er) sei heilig“. 240 TN hat die späte Form der Possessivpartikel dyd-: . 241 Siehe Fußnote 237 und die Erinnerung an den Ägyptenaufenthalt und Exodus. 237

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