Angehörige und Patienten in der ambulanten psychoonkologischen Versorgung: Zugangswege, psychische Belastungen und Unterstützungsbedürfnisse

July 8, 2017 | Author: Anja Mehnert | Category: Psychology, Depression, Family, Social Support, Anxiety, Humans, Female, Male, Young Adult, Patients, Aged, Middle Aged, Adult, Sex Factors, Neoplasms, ANXIETY, Ambulatory Care, Humans, Female, Male, Young Adult, Patients, Aged, Middle Aged, Adult, Sex Factors, Neoplasms, ANXIETY, Ambulatory Care
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Description

Originalarbeit

185

Angehörige und Patienten in der ambulanten psychoonkologischen Versorgung: Zugangswege, psychische Belastungen und Unterstützungsbedürfnisse

Autoren

Christina Rosenberger, Anja Höcker, Michaela Cartus, Frank Schulz-Kindermann, Martin Härter, Anja Mehnert

Institut

Institut und Poliklinik für Medizinische Psychologie, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf

Schlüsselwörter

Zusammenfassung

Abstract

!

!

Die Unterstützungsbedürfnisse der Angehörigen von Krebspatienten werden in der psychosozialen Versorgung zu wenig beachtet. In der Spezialambulanz für Psychoonkologie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf wurde 132 Angehörigen und 362 Krebspatienten (Teilnahmequote > 95 %) bei telefonischer Anmeldung postalisch ein Screeningfragebogen zugesandt. Die Mehrzahl der Studienteilnehmer kommt auf Empfehlung Dritter in die Ambulanz. Mehr als 90 % der Angehörigen und Krebspatienten weisen hohe Disstresswerte auf; 49 % der Angehörigen, 59 % der Patienten haben eine moderate bis hohe Depressivität; 58 % der Angehörigen, 61 % der Patienten zeigen eine moderate bis hohe Ängstlichkeit; Geschlechtsunterschiede bestehen in beiden Gruppen nicht. Die häufigsten Unterstützungsbedürfnisse bei beiden Gruppen beziehen sich auf Progredienzangst, Ungewissheit, Traurigkeit und den Erhalt einer positiven Sichtweise. Die Ergebnisse unterstreichen den Bedarf an spezifischen psychoonkologischen Interventionen.

Supportive care needs of family members of cancer patients are often overlooked within psychosocial care. A screening measure was sent to 132 family members and 362 cancer patients (response rate > 95 %) after telephone registration at a specialized outpatient clinic for psycho-oncology at the University Medical Center HamburgEppendorf. The majority of participants was informed about the outpatient clinic for psycho-oncology through advice by third parties. More than 90 % of family members and cancer patients show high levels of distress; 49 % of family members and 59 % of patients had moderate to high levels of depression; 58 % of family members and 61 % of patients had moderate to high levels of anxiety. No gender differences were observed in both groups. Most frequent supportive care needs in both groups refer to fear of recurrence, dealing with uncertainty, sadness and keeping a positive outlook. Our findings emphasize the need for specific psycho-oncological interventions.

Hintergrund

Die Bedürfnisse von Partnern und Angehörigen von Krebspatienten bleiben vor allem in Bezug auf Informationsanliegen und psychosoziale Unterstützung in der Versorgung häufig unbeachtet [4, 5]. Für die Partner der Patienten liegen zentrale Probleme darin, für alltagsbezogene und emotionale Unterstützung und gleichzeitig für die eigene Gesundheit und das eigene Wohlbefinden zu sorgen [6]. Systematische Übersichtsarbeiten zeigen vergleichbar ausgeprägte emotionale und psychosoziale Belastungen bei Angehörigen und Krebspatienten [7, 8], bei fortgeschrittener Erkrankung des Patienten auch deutlich höhere Belastungen [8] und höhere Unterstützungsbedürfnisse bei Angehörigen im Vergleich zu Krebspatienten [9].

" Disstress ● " Psychoonkologie ● " Krebs ● " ambulante Versorgung ●

Keywords

" distress ● " psycho-oncology ● " cancer ● " outpatient care ●

Bibliografie DOI http://dx.doi.org/ 10.1055/s-0032-1304994 Psychother Psych Med 2012; 62: 185–194 © Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York ISSN 0937-2032 Korrespondenzadresse PD Dr. Anja Mehnert Institut und Poliklinik für Medizinische Psychologie, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf Martinistraße 52 – W26 20246 Hamburg [email protected]

!

Die psychosoziale Versorgung von Krebspatienten hat sich in den letzten Jahren gerade vor dem Hintergrund einer zunehmend evidenzbasierten Medizin, der Leitlinienentwicklung und der Definition von psychosozialen Versorgungsstandards sowie der Einrichtung von „Comprehensive Cancer Centern“ und deren Zertifizierungsanforderungen in Deutschland deutlich verbessert [1]. Neben Krebsberatungsstellen wird eine gezielte psychoonkologische Versorgung im Rahmen von Konsiliar- und Liaisondiensten, sog. „integrated care“-Modellen, in Klinikambulanzen und bei niedergelassenen Psychotherapeuten angeboten [2, 3].

Rosenberger C et al. Angehörige und Patienten … Psychother Psych Med 2012; 62: 185–194

Sonderdruck für private Zwecke des Autors

Outpatient Psycho-Oncological Care for Family Members and Patients: Access, Psychological Distress and Supportive Care Needs

186

Originalarbeit

Eine Reihe von Studien gibt Hinweise darauf, dass Partner und Angehörige von Krebspatienten eine signifikant höhere psychische Belastung und geringere Lebensqualität im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung aufweisen – insbesondere bei fortgeschrittenem Krankheitsstadium und hoher Symptombelastung der Krebspatienten [10, 11]. In einer aktuellen Studie an 223 Angehörigen von Krebspatienten wiesen 20 – 40 % der Angehörigen eine hohe Ängstlichkeit und Depressivität auf; zwischen 40 und 56 % gaben unerfüllte Unterstützungsbedürfnisse bei der Behandlung des Patienten und hinsichtlich der Verständlichkeit medizinischer Informationen an [12]. Auch scheinen sich die Unterstützungsbedürfnisse von Partnern und Angehörigen von denen der Patienten zu unterscheiden: Während Patienten hohe Unterstützungsbedürfnisse zu verschiedenen Fragen des Langzeitüberlebens angaben, hatten Angehörige solche im Hinblick auf persönliche Beziehungen [13].

Sonderdruck für private Zwecke des Autors

Die Spezialambulanz für Psychoonkologie Die Spezialambulanz für Psychoonkologie ist seit vielen Jahren fest in der Poliklinik des Instituts für Medizinische Psychologie des UKE als „Psychotherapeutische Ambulanz für Krebspatienten und ihre Angehörigen“ etabliert. Die Klientel der Ambulanz setzt sich aus erwachsenen Krebspatienten mit unterschiedlichen soliden und hämatologischen Tumorerkrankungen nach Erstbzw. Rezidivdiagnose sowie Angehörigen von Krebspatienten zusammen. In der Ambulanz sind vor allem Diplom-Psychologen und Ärzte überwiegend mit Approbation als Psychotherapeuten und Weiterbildung in psychosozialer Onkologie tätig. Nach telefonischer Anmeldung im Ambulanzsekretariat erhalten die Ratsuchenden einen spezifischen Eingangsfragebogen (Screening), nach dessen Rücksendung sie einen Termin für ein Erstgespräch bekommen. Nach Auswertung von Fragebogen und Erstgespräch erfolgt bei Bedarf die Zuweisung zu einem der Therapeuten der Ambulanz, der die weitere Beratung und ggf. psychotherapeutische Behandlung plant und durchführt. Die Ambulanz kooperiert UKE-intern regelhaft mit Kollegen der psychiatrischen Klinik, des Hubertus Wald Universitäres Cancer Center Hamburg (UCCH) sowie der Beratungsstelle für Kinder krebskranker Eltern. In der Spezialambulanz werden zu über 90 % Einzelgespräche mit Krebspatienten und ihren Angehörigen durchgeführt, aber auch Paar- und Familiengespräche, Entspannungstrainings, edukative und psychotherapeutische Gruppen sowie kreative Behandlungsverfahren wie Musik- und Kunsttherapie angeboten. Die therapeutisch-psychoonkologische Praxis wird durch ständige Fallkonferenzen gesteuert und durch wöchentliche interne und externe Supervision sowie individuelle Falldiskussionen in ihrer Qualität gesichert. Die Ambulanz koordiniert neben der Betreuung der ambulanten Patienten und Angehörigen, die Gegenstand dieser Studie sind, darüber hinaus die Versorgung von Patienten im Rahmen von Konsiliar- oder Liaisondiensten. Die Leistungen werden nach Facharztüberweisung im Rahmen einer Psychiatrischen Institutsambulanz erbracht; zusätzliche Kosten entstehen in der Regel nicht. Die Ambulanz stellt sich fortlaufend strengen Qualitätsmaßstäben (2011 Zertifizierung nach DIN ISO durch den German Lloyd) und ist in der Ausbildung von Medizinstudierenden und der Qualifizierung von psychotherapeutischem Nachwuchs engagiert. Instituts- und Ambulanzleitung sowie alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter orientieren sich dahin gehend, dass Krebspatienten und deren Angehörige eine an die Erkrankungs- und Behandlungssituation angepasste und auf die individuellen Bedürfnisse und Ressourcen zugeschnittene psychoonkologische Unterstützung erhalten.

Zielsetzungen Obwohl international verschiedene Hinweise auf Belastungen und Unterstützungsbedürfnisse bei Angehörigen von Krebspatienten vorliegen, gibt es in Deutschland vergleichsweise wenige empirische Studien, die dieses Forschungsdesiderat, vor allem in Hinblick auf die Inanspruchnahme und die Gestaltung psychosozialer Versorgungsangebote für Angehörige, aufgreifen [14 – 16]. Die Zielsetzungen der vorliegenden Arbeit liegen in der systematischen Erfassung der Zugangswege, der bisherigen psychosozialen Beratungs- und Behandlungserfahrungen, der Behandlungsmotivation, der psychosozialen Belastungen (Disstress, Ängstlichkeit und Depressivität) sowie der Unterstützungsbedürfnisse bei Angehörigen und Krebspatienten, die eine psychoonkologische Ambulanz aufsuchen. Die Unterstützungsbedürfnisse umfassen psychologische Unterstützungsbedürfnisse, Bedürfnisse nach Information, Hilfen bezüglich des Gesundheitssystems, und Unterstützung hinsichtlich körperlicher Aspekte, Sexualität und Partnerschaft sowie der medizinischen Behandlung. Darüber hinaus werden unter Berücksichtigung des Geschlechts Gruppenunterschiede in den Merkmalen psychosoziale Belastungen und Unterstützungsbedürfnisse zwischen Angehörigen und Krebspatienten und Zusammenhänge zwischen der psychosozialen Belastung und Unterstützungsbedürfnissen geprüft.

Methodik !

Datenerhebung Die hier analysierten Daten wurden im Rahmen des oben geschilderten Eingangsscreenings der Spezialambulanz für Psychoonkologie von Juli 2010 bis Februar 2012 erhoben. Bei der telefonischen Anmeldung im Sekretariat der Spezialambulanz wurden die Angehörigen und Patienten über das Eingangsscreening und seinen Ablauf aufgeklärt und erhielten die Fragebögen differenziert nach Angehörigen vs. Patienten per Post zugeschickt. Nach Rücksendung erfolgte die Eingabe der Daten in eine Datenbank sowie die telefonische Vereinbarung eines Erstgesprächstermins mit einem Therapeuten in einem Zeitfenster von 3 – 4 Wochen. In diesem Gespräch wurde eine vertiefende, systematische Problem- und Bedarfserfassung mittels eines strukturierten Erstgesprächs durchgeführt. Im Anschluss daran wurden die Patienten resp. Angehörigen in der Fallbesprechung vorgestellt und an den sie übernehmenden Therapeuten übergeben.

Erhebungsinstrumente Neben der standardisierten Erfassung soziodemografischer und ausgewählter Behandlungs- und Krankheitsmerkmale wurden die folgenden validierten Fragebogen zur Erfassung psychosozialer Belastungen und Unterstützungsbedürfnisse eingesetzt: Der PHQ-9 ist das Depressionsmodul des Gesundheitsfragebogens für Patienten und wurde für den deutschen Sprachraum adaptiert [17, 18]. Dieses valide Verfahren umfasst 9 Items, wobei jedes Item eines der diagnostischen Kriterien der Majoren Depression nach DSM-IV widerspiegelt. Die Items erfassen die Auftretenshäufigkeit einzelner Beschwerden im Verlauf der letzten 2 Wochen und werden jeweils auf einer 4-stufigen Skala von 0 („überhaupt nicht“) bis 3 („beinahe jeden Tag“) beantwortet. Daraus ergibt sich ein Summenscore von 0 – 27 Punkten, der bei maximal 4 Punkten dem Fehlen von Depressivität, im Wertebereich von 5 – 9 einer leichten oder unterschwelligen Depressivität, von 10 – 14 einer moderaten Depressivität und ab 15 Punkten einer hohen Depressivität entspricht.

Rosenberger C et al. Angehörige und Patienten … Psychother Psych Med 2012; 62: 185–194

Originalarbeit

Soziodemografische Charakteristika der Angehörigen und Krebspatienten.

soziodemografische Merkmale Alter in Jahren (M, SD, Range) Geschlecht Partnerschaft

Berufsausbildung

Arbeitssituation

n

%

%

52,2 (11,7, 23 – 89)

89

67,4

257

71,0

männlich

43

32,6

105

29,0

106

82,2

250

71,4

23

17,8

100

28,6

ja ledig

37

28,2

90

25,2

verheiratet

78

59,5

193

54,1 17,9

6

4,6

64

verwitwet

10

7,6

10

2,8

ja

79

60,3

237

66,2

nein

52

39,7

121

33,8

24

18,6

80

22,3

mittlere Reife

46

35,7

110

30,6

Fachhochschule

12

9,3

35

9,7

Abitur

47

36,4

134

37,3

Anzahl der Kinder (M, SD, Range) Schulabschluss

n

49,3 (14,5, 20 – 75)

geschieden Kinder

Krebspatienten (n = 362)

weiblich

nein Familienstand

Angehörige (n = 132)

Volks-/Hauptschule

1,8 (0,7, 1 – 4)

1,8 (0,8, 1 – 5)

8

6,2

34

9,6

Lehre

60

46,5

161

45,6

Fachschule

20

15,5

38

10,8

Fachhochschule

12

9,3

32

9,1

Universität

29

22,5

88

24,9

berufstätig

76

58,5

194

55,0

arbeitslos

7

5,4

30

8,5

berentet

25

19,2

90

25,5

8

6,2

14

4,0

14

10,8

25

7,1

sonstiges

Der GAD-7 ist ein Kurzinstrument zur Erfassung der Generalisierten Angststörung [19, 20]. Die 7 Items bilden die wichtigsten diagnostischen Kriterien der Generalisierten Angststörung nach DSM-IV ab. Die Items erfassen die Auftretenshäufigkeit einzelner Symptome im Verlauf der letzten 2 Wochen und werden auf einer 4-stufigen Skala von 0 („überhaupt nicht“) bis 3 („beinahe jeden Tag“) beantwortet. Daraus ergibt sich ein Summenscore von 0 – 21 Punkten, der bei maximal 4 Punkten Hinweise auf das Fehlen einer Angststörung, im Wertebereich von 5 – 9 einer leichten oder unterschwelligen Ängstlichkeit, von 10 – 14 einer moderaten Ängstlichkeit und ab 15 Punkten einer hohen Ängstlichkeit entspricht. Das Disstress-Thermometer (DT) ist ein valides Screeninginstrument zur Erfassung des Ausmaßes und der Art bestehender Belastungen bei onkologischen Patienten [21]. Das Instrument setzt sich aus einer visuellen Analogskala von 0 („gar nicht belastet“) und 10 („extrem belastet“) zur Erfassung der Gesamtbelastung und einer Problemliste zusammen. Diese besteht aus dichotomen Items, die in 5 Problembereiche „praktische Probleme“, „familiäre Probleme“, „emotionale Probleme“, „spirituelle Probleme“ und „körperliche Beschwerden“ untergliedert werden. Ein Wert von 5 oder höher wurde als Cut-off für eine klinisch bedeutsame psychische Belastung identifiziert. Die deutsche Version des Supportive Care Needs Survey-Short Form34 (SCNS-SF34) [22] erfasst mit 34 Items subjektive Unterstützungsbedürfnisse von Patienten. Auf einer 5-stufigen Likertskala von 1 („kein Bedürfnis vorhanden“), 2 („kein Bedürfnis, werde bereits unterstützt“), 3 („geringes Unterstützungsbedürfnis“), 4 („mittleres Unterstützungsbedürfnis“) bis 5 („hohes Unterstützungsbedürfnis“) geben die Patienten die Höhe ihres Unterstützungsbedarfs in Bezug auf den jeweiligen Aspekt an. Die

0,041 0,44 0,017 < 0,001

0,23 0,64

keine

Hausfrau/-mann

p

0,83

0,51

0,23

Unterstützungsbedürfnisse sind 5 Kategorien zugeordnet: I. Unterstützungsbedarf bzgl. Gesundheitssystem/Information, II. Psychologischer Unterstützungsbedarf, III. Unterstützungsbedarf bzgl. medizinischer Behandlung, IV. Unterstützungsbedarf bzgl. körperlicher Aspekte/Alltagsverrichtung und V. Unterstützungsbedarf bzgl. Sexualität/Partnerschaft. Für vergleichende Analysen der Ausprägung der subjektiven Unterstützungsbedürfnisse werden gemäß den Empfehlungen der Autoren der Originalversion des SCNS-SF34 [23, 24] standardisierte Summencores je Skala mit den Endpunkten 0 bis 100 berechnet. Höhere Werte bedeuten einen höheren Unterstützungsbedarf in dem jeweiligen Bereich. Durch Dichotomisierung der fünfstufigen Antwortskala kann der Anteil von Patienten ohne Unterstützungsbedarf (Antwortalternativen 1 und 2) sowie der Anteil mit mindestens einem geringen Bedarf an Unterstützung (Antwortalternativen 3 – 5) ermittelt werden. Darüber hinaus wurden den Angehörigen und Krebspatienten Fragen zu Initiative und Anlass der Anmeldung in der Ambulanz, zu Zugangswegen, Wünschen und der Motivation hinsichtlich psychoonkologischer Interventionen, zu bisheriger Inanspruchnahme psychosozialer Unterstützung sowie zu medikamentöser Behandlung gestellt. Die Fragen konnten jeweils dichotom („trifft nicht zu“/„trifft zu“) beantwortet werden.

Stichprobe In die Analysen konnten n = 132 Angehörige und n = 362 Krebspatienten einbezogen werden, was einer Teilnahmequote von mehr als 95 % aller Angehörigen und Patienten entspricht, die sich in der Ambulanz angemeldet haben. Bei den Angehörigen handelt es sich in der Regel nicht um die Angehörigen der untersuchten Krebspatienten. Die Mehrheit beider Gruppen ist weiblich, hat

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Sonderdruck für private Zwecke des Autors

Tab. 1

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188

Originalarbeit

Tab. 2

Häufigkeiten verschiedener Aspekte der Zugangswege zur Spezialambulanz Psychoonkologie für Angehörige und Krebspatienten.

Initiative zur Anmeldung

Angehörige (n = 132)

Krebspatienten (n = 362)

n

%

n

%

p

1

Empfehlung vom behandelnden Arzt

50

37,9

244

67,4

< 0,001

Empfehlung vom Partner/Familie

43

32,6

62

17,1

< 0,001

Empfehlung von Freunden/Bekannten

33

25,0

61

16,9

0,041

sonstiges

33

25,0

42

11,6

< 0,001

eigene Initiative

28

21,2

100

27,6

0,15

4

3,0

30

8,3

0,041 0,001

Empfehlung in der onkologischen Rehabilitation Grund der Anmeldung 1 Wunsch nach Einzelgesprächen

93

70,5

305

84,3

Wunsch nach emotionaler Unterstützung

80

60,6

287

79,3

< 0,001

weiß nicht, was mich erwartet

69

52,3

186

51,5

0,86

Wunsch nach Beratung

67

50,8

195

53,9

0,54

keine konkreten Vorstellungen über Angebote

60

45,5

146

40,3

0,31 0,31

Wunsch nach Informationen

47

35,6

147

40,6

sonstiges

19

14,4

37

10,2

0,20

Wunsch nach Gruppengesprächen

16

12,1

79

21,8

0,015

Sonderdruck für private Zwecke des Autors

Anzahl der gewünschten Gespräche weiß nicht

92

69,7

242

66,9

0,55

längerfristige Unterstützung

23

17,4

85

23,5

0,15

ein Gespräch

11

8,3

23

6,4

0,44

6

4,5

12

3,3

0,52

einige wenige Gespräche bisherige/gegenwärtige psychosoziale Unterstützung 1 Psychotherapie

41

31,1

125

34,5

0,47

psychologische Unterstützung/Beratung

36

27,3

115

31,8

0,34

seelsorgerische Unterstützung

8

6,1

32

8,8

0,32

sozialrechtliche Beratung/Unterstützung

6

4,5

57

15,7

0,001

Selbsthilfegruppe

5

3,8

55

15,2

0,001

sonstiges

5

3,8

17

4,7

0,67

ambulante psychiatrische Behandlung

38

28,8

120

33,1

0,36

stationäre psychiatrische/psychosomatische Behandlung

13

9,8

45

12,4

0,43 0,89

bisherige psychiatrische Behandlung 1

aktuelle medikamentöse Behandlung 1 Antidepressiva

1

19

14,4

54

14,9

Benzodiazepine

8

6,1

44

12,2

0,051

Neuroleptika

1

0,8

10

2,8

0,18

andere

1

0,8

13

3,6

0,09

Mehrfachantworten möglich

Kinder, die mittlere Reife oder Abitur als höchsten Schulabschluss, eine Lehre als höchsten Berufsabschluss und ist berufstä" Tab. 1). Angehörige leben signifikant häufiger in einer festig (● ten Partnerschaft (82,2 vs. 71,4 %; p = 0,017), sind zu einem geringeren Anteil geschieden (4,6 vs. 17,9 %; p < 0,001) und häufiger verwitwet (7,6 vs. 2,8 %; p < 0,001) als die Krebspatienten. Die Tumorlokalisationen der Krebspatienten verteilen sich wie folgt: 37 % Brust, 17,6 % Verdauungsorgane, 12,1 % lymphatisches und blutbildendes Gewebe, 7,6 % weibliche Genitalorgane, 4,8 % Atmungsorgane, 4,2 % ZNS und 16,4 % sonstige. Die aktuelle Diagnose liegt im Durchschnitt M = 17,3 Monate (SD = 28,9; Med = 7,9; Range: 0 – 290) zurück. Zum Zeitpunkt der Anmeldung in der psychoonkologischen Ambulanz befinden sich 238 (68 %) Patienten in laufender onkologischer Behandlung. Von diesen erhalten 27 % eine Chemotherapie, 16,9 % eine antihormonelle Therapie, 6,6 % eine Strahlentherapie, 4,8 % eine Schmerztherapie, 8,7 % kombinierte und 4 % andere Therapien.

Statistische Auswertung Die Datenauswertung erfolgte mit dem Statistikprogramm SPSS (Version 18.0). Unterschiedstestungen nominalskalierter Vari-

ablen wurden mit dem Chi2-Test berechnet. Gruppenunterschiede bei metrischen Daten wurden mit t-Tests geprüft. Die Bestimmung der Effektgrößen (φ, d) erfolgt nach Cohen [25]. Aufgrund der explorativen Ausrichtung der Analysen wurde auf eine alphaAdjustierung verzichtet. Alle Signifikanzprüfungen erfolgten zweiseitig mit p ≤ 0,05.

Ergebnisse !

Zugangswege zur Spezialambulanz Psychoonkologie Initiative zur Anmeldung Jeweils etwa ein Viertel der Angehörigen (21,2 %) und der Krebspatienten (27,6 %) meldeten sich aus eigener Initiative in der Spezialambulanz Psychoonkologie an (p = 0,15), wohingegen die überwiegende Mehrheit beider Gruppen auf Empfehlung kam. Signifikante Unterschiede zeigten sich hinsichtlich der Personen, durch die die Empfehlung ausgesprochen wurde. Während Krebspatienten die psychoonkologische Unterstützung häufiger auf Anraten ihres behandelnden Arztes (67,4 vs. 37,9 %; p < 0,001) oder ihrer Behandler in der Rehabilitation (8,3 vs. 3 %; p = 0,041)

Rosenberger C et al. Angehörige und Patienten … Psychother Psych Med 2012; 62: 185–194

Originalarbeit

Tab. 3

Psychische Belastung der Patienten und Angehörigen.

a

Angehörige (n = 132)

Krebspatienten (n = 362)

n

n

%

p

d

0,57



0,50



0,034

0,22

0,19



0,21



0,14



%

Ängstlichkeit (M, SD)

10,5 (5,2)

keine

19

15,0

35

10,3

leicht

35

27,6

99

29,2

10,8 (4,8)

moderat

41

32,3

124

36,6

schwer

32

25,2

81

23,9

Depressivitätb (M, SD)

10,2 (6,4)

keine

23

18,0

46

13,0

leicht

43

33,6

98

27,6

11,5 (5,9)

moderat

33

25,8

113

31,8

schwer

29

22,7

98

27,6

Disstress c (M, SD)

7,7 (1,8)

niedrig

7

5,3

34

9,5

124

94,7

323

90,5

hoch

7,5 (2,0)

General Anxiety Disorder-7 (GAD-7); b Patient Health Questionnaire-9 (PHQ-9); c Disstress-Thermometer (DT)

in Anspruch nehmen wollten, folgten mehr Angehörige der Empfehlung des Partners oder der Familie (32,6 vs. 17,1 %; p < 0,001) sowie von Freunden oder Bekannten (25 vs. 16,9 %; p = 0,041). Sonstige Anregungen zum Aufsuchen der Spezialambulanz für Psychoonkologie erhielten die Befragten beispielsweise von Selbsthilfegruppen, anderen Patienten oder Informationsvorträgen.

Grund der Anmeldung Bei der Mehrheit der Angehörigen als auch der Krebspatienten bestehen Wünsche nach Einzelgesprächen (70,5 vs. 84,3 %; p = 0,001) sowie nach emotionaler Unterstützung (60,6 vs. 79,3; p < 0,001), wobei diese in der Patientengruppe signifikant häufiger vorhanden sind. Etwa die Hälfte beider Gruppen gibt jedoch an, nicht genau zu wissen, was sie erwartet (52,3 %; 51,5 %), und/ oder keine konkreten Vorstellungen über die Angebote zu haben (45,5 %; 40,3 %). 12,1 % der Angehörigen und 21,8 % der Krebspatienten wünschen sich therapeutische Gruppenangebote (p = 0,015). Von den Befragten mit sonstigen Gründen für die Anmeldung wünschen sich 28,6 % (n = 14) gemeinsame Gespräche mit dem Partner oder anderen Familienangehörigen. Hinsichtlich der gewünschten Anzahl der Gespräche lassen sich keine signifikanten Unterschiede zwischen Angehörigen und Krebspatienten feststellen. Etwa zwei Drittel der Angehörigen (69,7 %) sowie der Krebspatienten (66,9 %) wissen zum Zeitpunkt der Anmeldung nicht, wie viele Gespräche sie in Anspruch nehmen möchten. 17,4 % der Angehörigen und 23,5 % der Patienten erhoffen sich jedoch eine längerfristige Unterstützung. Etwa ein Drittel der Angehörigen und der Patienten nimmt aktuell psychotherapeutische Hilfe oder psychologische Unterstützung/Beratung in Anspruch oder hat dies vor der Anmeldung in der Ambulanz getan. Weiterhin zeigen sich keine systematischen Unterschiede bezüglich der Häufigkeit, mit der sich Angehörige und Krebspatienten in ambulante psychiatrische und stationäre psychiatrische/psychosomatische Behandlung begeben haben oder hinsichtlich der aktuellen psychopharmakologischen Medikation. Angehörigen und Krebspatienten werden am häufigsten an" Tab. 2). tidepressive Medikamente verabreicht (● Angehörige und Patienten berichten durchschnittlich über 4 emotionale Probleme (p = 0,26); Patienten darüber hinaus über durchschnittlich 7 (SD = 4,0), Angehörige dagegen über durchschnittlich 4 (SD = 2,9) körperliche Probleme (p < 0,001). Die Ge-

samtanzahl aller praktischen, emotionalen, familiären, spirituellen und körperlichen Probleme liegt bei 12 (SD = 5,2) in der Gruppe der Patienten und bei 9,5 (SD = 4,6) in der Gruppe der Angehörigen (p < 0,001). Ihren Wunsch, Gespräche in der Spezialambulanz Psychoonkologie in Anspruch zu nehmen, konnten alle Befragten auf einer Skala von 0 = „sehr gering“ bis 10 = „sehr hoch“ einschätzen. Angehörige gaben eine Behandlungsmotivation von durchschnittlich M = 8,3 (SD = 1,9; Range: 3 – 10) an, Krebspatienten von durchschnittlich M = 8,7 (SD = 1,6; Range: 3 – 10; p = 0,08). Nur ein geringer Anteil von 2,8 % (n = 10) der Angehörigen und 4,7 % (n = 6) der Patienten beurteilte ihre Motivation unterhalb der Skalenmitte (p = 0,30).

Psychosoziale Belastungen

● Tab. 3

stellt die psychische Belastung der Angehörigen und Krebspatienten in den Bereichen Ängstlichkeit, Depressivität und Disstress dar. Angehörige zeigten sich signifikant weniger depressiv als Patienten (p = 0,034; d = 0,22). Bei 33,1 % der Angehörigen und bei 37,4 % der Patienten liegt eine schwere Ängstlichkeit und/oder Depressivität vor. 15,1 % der Angehörigen und 14,8 % der Patienten hatten Werte, die sowohl auf eine schwere Ängstlichkeit als auch schwere Depressivität hinwiesen. " Abb. 1 – 3 können die Verteilungen der Merkmale psyDen ● chischer Belastung für beide Geschlechter entnommen werden. Es zeigen sich für beide Gruppen keine signifikanten Geschlechtsunterschiede in den Merkmalen Ängstlichkeit (p = 0,08), Depressivität (p = 0,10) und Disstress (p = 0,16). "

Unterstützungsbedürfnisse Sowohl bei Angehörigen als auch bei Patienten besteht der stärkste Bedarf nach Unterstützung im psychologischen Bereich, gefolgt von Unterstützung bezüglich des Gesundheitssystems und Informationserhalt. Der Unterstützungsbedarf bezogen auf körperliche Aspekte, Sexualität/Partnerschaft und medizinische Behandlung ist bei Krebspatienten stärker ausgeprägt als bei den Angehörigen, allerdings nur mit geringen Effekten. In beiden Gruppen geben Frauen höhere Unterstützungsbedürfnisse hinsichtlich Gesundheitssystem/Information (p = 0,038), psychologischer Unterstützung (p < 0,001) und körperlicher Aspekte an " Tab. 4 stellt die Ausprägungen der verschiedenen (p < 0,001). ● Aspekte subjektiver Unterstützungsbedürfnisse dar.

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a

189

190

Originalarbeit

25

Geschlecht:

weiblich

männlich

Abb. 1

Verteilung des Merkmals Ängstlichkeit.

Abb. 2

Verteilung des Merkmals Depressivität.

Ängstlichkeit (GAD-7)

20

15

10

Cut-off: moderate Ängstlichkeit

5

0

30

Angehörige

Geschlecht:

weiblich

männlich

25

Depressivität (PHQ-9)

Sonderdruck für private Zwecke des Autors

Krebspatienten

20

15

10

Cut-off: moderate Depressivität

5

0 Krebspatienten

Tab. 4

Angehörige

Mittelwerte und Standardabweichungen der Subskalen des SCNS-SF34.

Angehörige (n = 132)

Krebspatienten (n = 362)

p

d

Unterstützungsbedarf bzgl.

M

SD

M

SD

psychologischer Unterstützungsbedarf

67,7

23,1

71,0

21,3

0,14



Gesundheitssystem/Information

41,5

27,0

44,6

27,6

0,28



körperlicher Aspekte

33,4

23,6

40,0

23,8

0,007

0,28

Sexualität/Partnerschaft

32,1

28,1

41,2

30,9

0,003

0,30

medizinischer Behandlung

18,6

22,9

23,9

26,8

0,030

0,21

SCNS-SF34 = Supportive Care Needs Survey-Short Form34

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Originalarbeit

Abb. 3

10

191

Verteilung des Merkmals Disstress.

Disstress (DT)

8

6 Cut-off: hoher Disstress

4

2

* *

Geschlecht:

Krebspatienten

Tab. 5

weiblich

männlich

Angehörige

Die zehn häufigsten Unterstützungsbedürfnisse des SCNS-SF34.

Item

Skala

gesamt

Angehöriger

Patient

(n = 494)

(n = 132)

(n = 362)

p

φ

1

Ängste vor dem Wiederauftreten/Fortschreiten der Krebserkrankung (meines Angehörigen)

PU

92,2

90,1

92,9

0,32



2

Ungewissheit über die Zukunft

PU

91,3

89,4

91,9

0,40



3

Traurigkeit

PU

88,3

88,3

88,3

0,99



4

Erhalt einer positiven Sichtweise

PU

88,0

83,9

89,4

0,11



5

Angst

PU

86,1

85,5

86,3

0,81



6

Informationen über mögliche Verhaltensveränderungen, die das Wohlbefinden steigern

GI

85,2

78,5

87,4

0,025

0,11

7

Erlangung eines Gefühls von Kontrolle über die Situation

PU

84,6

80,5

86,0

0,16



8

Zugang zu professioneller Beratung für Sie oder Angehörige

GI

83,4

81,3

84,1

0,48



Niedergeschlagenheit oder Depression

PU

81,9

76,0

83,9

0,053



Sorgen darüber, das Ergebnis der Behandlung (meines Angehörigen) nicht kontrollieren zu können

PU

81,0

75,7

82,9

0,09



9 10

SCNS-SF34 = Supportive Care Needs Survey-Short Form34, PU = Psychologischer Unterstützungsbedarf, GI = Gesundheitssystem/Information

Tab. 6

Korrelationen der Domänen der Unterstützungsbedürfnisse mit den Merkmalen der psychischen Belastung für Angehörige und Patienten.

Angehörige

Krebspatienten

Ängstlichkeit

Depressivität

Disstress

psychologischer Unterstützungsbedarf

0,70***

0,58***

0,53***

Gesundheitssystem/Information

0,36***

0,33***

0,30***

körperlicher Aspekte

0,60***

0,68***

0,43***

Sexualität/Partnerschaft

0,20*

0,21*

0,18*

medizinischer Behandlung

0,30**

0,34***

0,27**

psychologischer Unterstützungsbedarf

0,57***

0,48***

0,33***

Gesundheitssystem/Information

0,33***

0,28***

0,16**

körperlicher Aspekte

0,44***

0,57***

0,26***

Sexualität/Partnerschaft

0,16**

0,18**

0,08

medizinischer Behandlung

0,32***

0,27***

0,15**

Unterstützungsbedarf bzgl.

Unterstützungsbedarf bzgl.

* p ≤ 0,05; ** p ≤ 0,01; *** p ≤ 0,001

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Nach Dichotomisierung der Items des SCNS-SF34 wiesen die Angehörigen durchschnittlich M = 16,2 (SD = 7,8, Range: 0 – 34) und die Krebspatienten M = 18,5 (SD = 8,01; Range: 0 – 34) unbefriedigte Unterstützungsbedürfnisse auf (p = 0,006). Nur jeweils n = 4 Angehörige (3,1 %) und Krebspatienten (1,1 %) gaben keine unerfüllten Unterstützungsbedürfnisse an. Weiterhin wurden die 10 am häufigsten angegeben Unterstüt" Tab. 5). zungsbedürfnisse der Gesamtstichprobe berechnet (● Acht von diesen gehörten der psychologischen Domäne und 2 dem Bereich Unterstützungsbedarf bezüglich Gesundheitssystem/Information an. Das Bedürfnis nach Informationen über mögliche Verhaltensveränderungen, die das Wohlbefinden steigern, wird von mehr Krebspatienten berichtet als von Angehörigen (p = 0,025; φ = 0,11). Zwischen den psychischen Belastungsparametern und den verschiedenen Bereichen der subjektiven Unterstützungsbedürfnisse bestehen (mit Ausnahme der Aspekte Sexualität/Partnerschaft und Disstress bei Krebspatienten) signifikante positive Korrelationen. Die stärksten Zusammenhänge lassen sich bei den Angehörigen zwischen psychologischem Unterstützungsbedarf sowie dem Bedarf im Hinblick auf körperliche Aspekte einerseits und Ängstlichkeit und Depressivität andererseits finden.

Diskussion !

Trotz der insgesamt deutlich verbesserten psychosozialen Versorgung von Krebspatienten im Rahmen der Leitlinienentwicklung und der Definition psychosozialer Versorgungsstandards erhalten Angehörige weniger emotionale und praktische Unterstützung als Patienten [26]. Viele ihrer Unterstützungsbedürfnisse bleiben unerfüllt [12, 13, 27 – 29]. Daher untersucht die vorliegende Arbeit die psychischen Belastungen und Unterstützungsbedürfnisse sowohl von Angehörigen als auch von Krebspatienten in der ambulanten Versorgung. Zusammenfassend konnten wir zeigen, dass die Initiative zur Anmeldung in einer psychoonkologischen Ambulanz sowohl bei den Angehörigen als auch bei den Patienten überwiegend von Dritten, wie Ärzten oder der Familie, ausging. Grund der Anmeldung war für beide Gruppen mehrheitlich der Wunsch nach Einzelgesprächen und emotionaler Unterstützung, wobei die Anzahl der gewünschten Gespräche für die Betroffenen schwer einzuschätzen war. Ungefähr ein Drittel der Angehörigen resp. Patienten hatten bereits psychotherapeutische oder psychologische Vorerfahrungen oder eine ambulante psychiatrische Behandlung. Der erste Schritt zur Anmeldung erfolgte nur bei einem kleinen Teil der Angehörigen (21 %) und Patienten (28 %) eigeninitiativ. Die deutliche Mehrheit beider Gruppen fand den Weg zur Spezialambulanz über Empfehlungen von behandelnden Ärzten, der Familie oder Freunden. Ein Ergebnis, das darauf hindeutet, dass nur ein Teil der Betroffenen die psychoonkologische Unterstützung als in die onkologische Behandlung integriertes Konzept wahrnimmt. Weitere Gründe könnten die Angst vor gesellschaftlicher Stigmatisierung umfassen, im Sinne der Annahme „Ich habe Krebs und bin nicht verrückt“. Es bedarf vermehrter Transparenz und Aufklärung über psychoonkologische Angebote, Settings und Interventionen, um dieser Situation aktiv entgegenwirken zu können. Die hohe Zahl der Zuweisungen durch empfehlende Behandler stellt zwar eine positive Tendenz dar, sollte jedoch, aufgrund des festen Stammes an Zuweisern der Spezialambulanz für Psychoonkologie, bezüglich des tatsächlichen Stands der Aufgeklärtheit der Ärzte kritisch betrachtet werden.

In eine ähnliche Richtung weist auch der angegebene Anmeldungsgrund in der Ambulanz: Obwohl die überwältigende Mehrheit der Angehörigen und Patienten den Wunsch nach Einzelgesprächen und emotionaler Unterstützung angeben, haben über die Hälfte beider Gruppen keine konkreten Vorstellungen über die Angebote, die sie in der Ambulanz erwarten. Diese große Unsicherheit hinsichtlich der Erwartungen bei Angehörigen und Patienten stützt die Forderung nach mehr Transparenz und Aufklärung über die psychoonkologische Arbeitsweise und ihre spezifischen Angebote, bspw. in Form von Patientenberichten auf der Homepage der Ambulanz, in Flyern oder anderen Medien. Die psychosozialen Belastungen wurden über das Disstress-Thermometer, den PHQ-9 (Depressivität) und die GAD-7 (Ängstlichkeit) abgebildet. 95 % der Angehörigen und 91 % der Patienten zeigen sich im Disstress-Thermometer auffällig belastet, was darauf hindeutet, dass die Zuweisungsprozesse den Bedürfnissen der Angehörigen und Patienten entsprechen. Korrespondierend mit bisherigen Befunden sind Angehörige vergleichbar belastet und ängstlich wie die Krebspatienten [7, 8]. Allerdings zeigen sich Patienten signifikant depressiver als Angehörige. Der Unterschied ist allerdings sehr klein. Beide Gruppen liegen im Durchschnitt über den Schwellenwerten für moderate Depressivität und Ängstlichkeit; bei 49 % der Angehörigen und 59 % der Patienten weisen die Screeninginstrumente auf eine depressive Störung hin. Darüber hinaus gibt es bei 61 % der Patienten und 58 % der Angehörigen Hinweise auf eine moderate bis schwere Ängstlichkeit. In beiden Gruppen haben etwa 15 % der Befragten Skalenwerte, die auf eine schwere kombinierte Depressivität/Ängstlichkeit, ein Drittel der Angehörigen und 37 % der Patienten solche, die auf eine schwere Depressivität und/oder Ängstlichkeit deuten. Die Höhe der Belastungen bei beiden Gruppen unterstreicht insbesondere die weniger im Fokus stehenden Belastungen und Unterstützungsbedürfnisse der Angehörigen, hat aber auch Implikationen für die Gestaltung der ambulanten psychoonkologischen Versorgung. Dies führt zu der Frage, ob ein Eingangsscreening, wie das hier eingesetzte, ausreichend ist, um die vorliegenden Belastungen sorgfältig abzubilden, da bei ca. einem Viertel der Angehörigen und Patienten Hinweise auf eine schwere Depressivität resp. Ängstlichkeit vorliegen. Die Ergebnisse zeigen zum einen, dass im Rahmen der Versorgung durch eine psychoonkologische Ambulanz Angehörige und Patienten mit sehr hohen Belastungen behandelt werden. Da es sich um eine Inanspruchnahme-Stichprobe handelt, sind die Prävalenzen erwartungsgemäß deutlich höher, als in vorliegenden internationalen und nationalen Prävalenzstudien [32, 38]. Zum anderen lassen die Befunde die Schlussfolgerung zu, dass eine stufenweise, dem Einzelfall angepasste, klinische Diagnostik folgen sollte, um die erhobenen Screeningergebnisse zu validieren und zu konkretisieren [30]. Spezifische Fragebögen und klinische Interviewmodule könnten zur Vorbereitung einer differenziellen Indikationsstellung beitragen. Dies insbesondere mit dem Anspruch, Angehörigen sowie Patienten eine ihrem Bedarf entsprechende psychoonkologische und psychotherapeutische Behandlung anbieten zu können, welche die volle Bandbreite an Angeboten und Interventionen indikationsspezifisch und bedürfnisorientiert ausschöpft [31]. Die Rahmenbedingungen einer psychoonkologischen Ambulanz sind für eine solche Angebotsvielfalt grundsätzlich prädestiniert – gerade vor dem Hintergrund immer kürzer werdender Liegezeiten in der stationären onkologischen Behandlung. Eine Diagnostik bei Krebspatienten sollte ein breites Belastungsspektrum abbilden und gleichzeitig potenzielle psychosoziale

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Originalarbeit

Danksagung Wir danken cand.-Psych. Ruth Kohlhas für die tatkräftige Unterstützung bei der Dateneingabe.

Fazit für die Praxis Insgesamt konnten wir zeigen, dass Angehörige ähnlich stark belastet sind und entsprechende Unterstützungsbedürfnisse haben wie Krebspatienten. Weitere Forschung zu ihren konkreten Unterstützungsbedürfnissen und Belastungen ist notwendig, um bestehende Angebote zu optimieren und darüber hinausgehende, auf sie zugeschnittene Interventionen zu etablieren.

Interessenkonflikt !

Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

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Ressourcen berücksichtigen. Daher ist es entscheidend, eine umfassende familiäre und soziale Anamnese, individuelle Kompetenzen, spirituelle Hilfen und weitere professionelle Ressourcen zu erheben. Angehörige und Patienten unterscheiden sich nicht signifikant in dem Wunsch nach Informationen und psychologischer Unterstützung, allerdings geben Patienten höhere Bedürfnisse in den Bereichen medizinische Behandlung, körperliche Aspekte und – entgegen bisheriger Ergebnisse [27] – Sexualität und Partnerschaft an. Dies könnte ein Hinweis auf häufigere Konflikte mit verändertem Körperbild und Körpererleben der Patienten infolge der onkologischen Behandlung sein. Die Tatsache, dass sowohl Angehörige als auch Patienten als häufigste konkrete Unterstützungsbedürfnisse Progredienzangst, Ungewissheit über die Zukunft und Umgang mit Traurigkeit sowie Erhalt einer positiven Sichtweise angeben, unterstreicht die Bedeutung der Entwicklung und Implementierung spezifischer psychoonkologischer Interventionen für diese Problembereiche [33 – 37]. Die Studie hat verschiedene Stärken. Dazu gehören die sehr hohe Teilnahmequote und ein umfassendes Screening mit validierten Instrumenten. Ersteres muss allerdings kritisch hinsichtlich eines möglichen Bias diskutiert werden, der aus einer höheren Belastungsangabe resultieren könnte, um bspw. einen zeitnahen Behandlungsplatz in der Ambulanz zu erhalten, obwohl die Behandlungsplätze nicht analog zur Belastungshöhe vergeben werden. Methodische Einschränkungen der Studie umfassen das Fehlen von Informationen über die Erkrankungssituation und das familiäre Verhältnis zu der Person, die Anlass für die Inanspruchnahme der Unterstützung bei den Angehörigen ist, und das Fehlen strukturierter Interviews zur Diagnosesicherung.

193

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Originalarbeit

33

34

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37

38

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