Alexander Ziem und Alexander Lasch. 2013. Konstruktionsgrammatik. Konzepte und Grundlagen gebrauchsbasierter Ansätze (GA 44). Berlin, Boston: de Gruyter. (Leseprobe)

May 24, 2017 | Author: Alexander Lasch | Category: German Language, Construction Grammar, Konstruktionsgrammatik
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Alexander Ziem & Alexander Lasch. 2013. Konstruktionsgrammatik. Konzepte und Grundlagen gebrauchsbasierter Ansätze (Germanistische Arbeitshefte 44). Berlin, Boston: de Gruyter.

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VORWORT Worin besteht die Natur einer Sprache? Wie lässt sich der Zusammenhang zwischen Sprachsystem und Sprachgebrauch fassen? Was sind die elementaren Einheiten einer Sprache? Wie verändert sich eine Sprache, wie entsteht sie? Und in welchem Verhältnis stehen Sprache und Kognition? Indem sich die Konstruktionsgrammatik ureigenen Fragen der Sprachwissenschaft widmet, hat sie sich insbesondere in den letzten Jahren rasant zu einer kognitiven Sprachtheorie mit großen Ambitionen entwickelt. Sie setzt sich nicht weniger zum Ziel, als eine allgemeine Theorie der Verarbeitung und Repräsentation von sprachlichem Wissen bereitzustellen, mit der sich die Strukturen einer Sprache in diachroner und synchroner Hinsicht erschöpfend beschreiben lassen (Goldberg 2003: 219; zur Reichweite des Konstruktionsbegriffs vgl. auch Croft & Cruse 2004: 254-256; Stefanowitsch 2011a: 185-188). Nach anfänglichen Bemühungen, sich vom dominanten generativgrammatischen Sprachmodell entschieden abzusetzen, begegnet sie inzwischen etablierten Ansätzen, seien sie funktionaler, formaler oder transformationsgrammatischer Provenienz, auf Augenhöhe. Obwohl die Entwicklung eines konstruktionsgrammatischen Ansatzes durch die Arbeiten von Fillmore (1988), Lakoff (1987), Langacker (1987) ihren Ursprung bereits in den späten 1980er Jahren hat, liegt bislang keine Überblicksdarstellung zur konstruktionsgrammatischen Forschung vor. Dieses Defizit hat uns dazu veranlasst, die vorliegende Monographie zu verfassen. Sie versucht, in knapper Form über Methoden, Anwendungsbereiche und Grundlagen der Konstruktionsgrammatik zu informieren und Impulse für weitere Studien zu geben. Das Buch dient einerseits dazu, diejenigen Studierenden und Forschenden der Sprachwissenschaft, die bislang kaum oder gar nicht mit der Konstruktionsgrammatik vertraut sind, in dieses neue Forschungsparadigma einzuweisen. Bislang fällt die Orientierung schwer, denn es stehen neben einer ungeheuren Vielzahl an Einzeluntersuchungen (die auch in der Bibliographie zu diesem Band dokumentiert ist) nur kurze und zwangsläufig unvollständige Überblicksdarstellungen zur Verfügung (so etwa Croft im Druck, Evans & Green 2006: 641-706). Andererseits bietet das Buch den schon informierten Leserinnen und Lesern die Möglichkeit, zentrale Konzepte, grundlegende Annahmen, methodische Zugänge sowie (durchaus divergente) Ansätze im Gesamtzusammenhang der konstruktionsgrammatischen Theoriebildung zu rezipieren und zu reflektieren. Wir haben insgesamt bewusst darauf verzichtet, allzu detaillierte EinzelphänomenAnalysen der Forschungsliteratur zu rekonstruieren und darzustellen; dies können die entsprechenden Studien selbst ungleich besser leisten. Stattdessen haben wir uns – freilich stets im Rückgriff auf illustrierende Beispiele – bemüht, ‚das große Ganze‘ in den Mittelpunkt der Darstellung zu rücken: theoretische Grundlagen und begriffliche Voraussetzungen, empirische Zugänge sowie konkurrierende Theorieansätze und dominierende Anwendungsbereiche. Zugleich sollen Übungsaufgaben sowie ein Begriffsglossar die selbständige Einarbeitung in die konstruktionsgrammatische Fachliteratur erleichtern.

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Warum Konstruktionsgrammatik? Die Konstruktionsgrammatik unterscheidet sich von anderen Ansätzen in der Grundannahme, dass sich eine Sprache vollständig als ein Netzwerk von konventionalisierten Form-Bedeutungspaaren – also von sprachlichen Zeichen – beschreiben lässt (Goldberg 2003: 219). Lexikalische und grammatische Einheiten unterscheiden sich also lediglich hinsichtlich ihrer Komplexität und ihres Abstraktionsgrades. Ein solches zeichenbasiertes Verständnis von Sprache erhöht die Attraktivität der Konstruktionsgrammatik für viele linguistische Domänen erheblich. Fehlte etwa der linguistischen Gesprächsforschung lange ein sprachtheoretischer Rahmen, in dem sie die konstitutiven Eigenschaften gesprochener Sprache einbetten kann, macht dies etwa die am Sprachgebrauch ausgerichtete Konstruktionsgrammatik möglich (Deppermann 2006, 2011a,b, 2012). Aus demselben Grund kann diese ebenso als Grundlage für angewandte Sprachforschungen, sei es in diachroner oder in synchroner Perspektive, fungieren. Zu den relevanten Bereichen zählen unter anderem: -

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(computergestützte) Repräsentation und Modellierung von Wissen (z.B. Bergen 2007, van Trijp 2011), Mehrsprachigkeits- und Sprachlernforschung, einschließlich didaktischer Aspekte (etwa Gries & Wulff 2005, Haberzettl 2007, Rostila 2012, Waara 2004), öffentlicher und domänenspezifischer Sprachgebrauch (z.B. Günthner 2008a, Hein & Bubenhofer im Druck, Imo 2008, Lasch im Druck b, Ziem & Scholz & Römer im Druck), Wissensvermittlung, -organisation und -repräsentation (etwa Handwerker 2008, Fillmore & Lee-Goldman & Rhomieux 2012, Sag 2012).

Die Anwendung konstruktionsgrammatischer Theoreme hat in diesen Bereichen gerade erst begonnen. Wie erste Studien zeigen, ist das Potential groß, und die bisherigen Ergebnisse sind erfolgversprechend. Das vorliegende Buch ist das Ergebnis eines langen Prozesses. Es entstammt zwar der Feder seiner Autoren, dies darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass unzählige Ideen und Überlegungen auf Aktivitäten zurückgehen, an denen eine Vielzahl von engagierten Linguistinnen und Linguisten teilgenommen haben. Neben Vorträgen, die im Rahmen des Düsseldorfer Sonderforschungsbereiches 991 zur „Struktur von Repräsentationen in Sprache, Kognition und Wissenschaft“ von einschlägigen WissenschaftlerInnen, darunter auch Adele Goldberg, gehalten wurden, haben uns insbesondere auch die fruchtbaren Diskussionen mit TeilnehmerInnen der Workshops und Tagungen inspiriert und motiviert, die in Verbindung mit dem Arbeitskreis „Konstruktionsgrammatik des Deutschen“ stattgefunden haben. Wir möchten auf diesem Weg noch einmal allen herzlich danken für die Mitgestaltung! Der Arbeitskreis umfasst inzwischen fast 100 Mitglieder und wir würden uns freuen, wenn das große Interesse bestehen bleibt, um so mit konstruktionsgrammatischem Rüstzeug weitere spannende Tiefen und Untiefen (des Gebrauchs) der deutschen Sprache zu erkunden. Besonders bedanken möchten wir uns bei den Reihenherausgebern der „Germanistischen Arbeitshefte“ Prof. Dr. Jörg Kilian (Kiel) und Prof. Dr. Thomas Gloning (Gießen) für

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die kritische und stets kooperative Begleitung bei der Entstehung des vorliegenden Bandes. Ein außerordentliches Dankeschön gilt weiter Prof. Dr. Hans C. Boas (Austin, Texas), Prof. Dr. Susanne Günthner (Münster), Prof. Dr. Wolfgang Imo (Duisburg-Essen) und Prof. Dr. Martin Hilpert (Neuchâtel), die zusammen den wissenschaftlichen Beirat zu diesem Band bilden. Ihre von uns sehr geschätzte fachliche Expertise sowie die kritische Lektüre früherer Fassungen der vorliegenden Monographie hat dazu beigetragen, die Qualität des vorliegenden Bandes – auch ‚auf den letzten Metern‘ – zu verbessern. Schließlich möchten wir uns herzlich bedanken bei Anastasia Neumann (Düsseldorf), Bernhard Ost (Düsseldorf), Charlotte Rein (Bonn) und Alexander auf der Straße (Düsseldorf), die wertvolle Anregungen zur Verbesserung gegeben haben sowie bei der Einrichtung und Schlussredaktion behilflich waren. Dessen ungeachtet bleiben freilich allein wir für den Inhalt und die verbleibenden Fehler verantwortlich. Wir wünschen viel Freude bei der Lektüre und freuen uns über jeden kritischen Kommentar von interessierten Leserinnen und Lesern!

Düsseldorf und Kiel im Winter 2012

Alexander Ziem

Alexander Lasch

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INHALT EINLEITUNG 1 Konstruktionsgrammatik des Deutschen: Gegenstand und Aufbau des Buches ............... 1

TEIL I: KONSTRUKTIONEN ALS SPRACHWISSENSCHAFTLICHER GEGENSTAND 2 Auf dem Weg zu einem neuen Forschungsparadigma ..................................................... 7 2.1 Grammatik als kognitives und soziales Phänomen .................................................. 7 2.2 Was sind Konstruktionen? ....................................................................................... 9 2.2.1 Konstruktionen als nicht-kompositionelle sprachliche Einheiten ............ 11 2.2.2 Form- und Bedeutungsaspekte von Konstruktionen ................................ 13 2.2.3 Konstruktionen als kognitive Gestalten ................................................... 16 2.3 Wozu Konstruktionen? ........................................................................................... 17 2.3.1 Konstruktionen als einheitliches und allgemeines Format sprachlichen Wissens ............................................... 18 2.3.2 Konstruktionen als Bedeutungsträger ...................................................... 20 2.3.3 Konstruktionen als psychologisch realistisches Format sprachlichen Wissens .............................................. 26

TEIL II: KONSTRUKTIONSGRAMMATISCHE ANSÄTZE UND METHODISCHE ZUGÄNGE 3 Zur Entstehung und Entwicklung der Konstruktionsgrammatik .................................... 31 4 Konstruktionsgrammatische Theoriebildungen I: kognitive, gebrauchsbasierte und typologische Aspekte ................................................ 38 4.1 Cognitive Construction Grammar (Lakoff und Goldberg): von „there“-Konstruktionen zu Argumentstruktur-Konstruktionen ....................... 39 4.2 Cognitive Grammar (Langacker): Grammatik als kognitives Phänomen .............. 41 4.3 Radical Construction Grammar (Croft): die typologische Perspektive .................................................................................. 44 5 Konstruktionsgrammatische Theoriebildungen II: formal ausgerichtete Ansätze .......................................................................................... 48 5.1 Berkeley Construction Grammar (Fillmore und Kay): von Idiomen zur Grammatiktheorie ...................................................................... 50 5.2 Sign-Based Construction Grammar (Sag, Kay, Michaelis et al.): auf dem Weg zu einem integrativen Ansatz? ......................................................... 56 5.3 Embodied Construction Grammar (Bergen, Chang et al.): psycholinguistische und komputationelle Erweiterungen ...................................... 59 5.4 Fluid Construction Grammar (Steels et al.): Roboter in der Interaktion ...................................................................................... 61

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6 Methoden 6.1 Introspektiv-interpretative Verfahren ..................................................................... 67 6.2 Quantitative korpuslinguistische Methoden ........................................................... 68 6.3 Qualitative korpuslinguistische Methoden ............................................................. 71 6.4 Experimentelle Zugänge ........................................................................................ 73

TEIL III: THEORETISCHE GRUNDLAGEN UND PERSPEKTIVEN 7 Konstruktionsgrammatik als Teil der Kognitiven Linguistik: die fünf K-Prinzipien (dargestellt am Beispiel von idiomatischen Konstruktionen) ......................................... 77 8 Basiskonzepte ................................................................................................................. 90 8.1 Das Lexikon-Grammatik-Kontinuum .................................................................... 90 8.2 Konstruktionsnetzwerke: Vererbungshierarchien, Relationstypen und die Idee eines „Konstruktikons“ ...................................................................... 95 8.3 Das gebrauchsbasierte Modell: Frequenz, Produktivität und Prototypikalität ........................................................................ 102 9 Konstruktionen und Konstruktionsbedeutungen im Sprachgebrauch ........................... 110 9.1 Goldbergs Strukturschema zur Darstellung von Konstruktionen ......................... 112 9.2 Zur internen Struktur der Konstruktion: Differenzierungsmöglichkeiten im Anschluss an Croft?...................................... 116 9.3 Frames und Konstruktionen: die FrameNet-Perspektive...................................... 118 9.4 Analyseperspektiven im Anschluss an von Polenz: Prädikations- und Aussagerahmen als Dimensionen der Konstruktionsbedeutung? ......................... 122 9.5 Vorschlag für ein integriertes Modell .................................................................. 129 9.6 Zwischenfazit: Konstruktionsbedeutungen als Prädikationsrahmen und Aussagerahmentypen .................................................... 140

TEIL IV: ANWENDUNGSBEREICHE 10 Konstruktionsgrammatische Forschungen in der germanistischen Linguistik ............. 143 10.1 Konstruktionsgrammatik in der Syntaxforschung ................................................ 144 10.2 Sprachwandel und Konstruktionsgrammatik ....................................................... 150 10.3 Konstruktionsgrammatische Ansätze in der Phraseologie ................................... 152 10.4 Konstruktionen in der Interaktionalen Linguistik ................................................ 156 10.5 (Erst-)Spracherwerb konstruktionsgrammatisch .................................................. 162 11 Anwendungsbeispiel I: die lexikalisch-spezifische Konstruktion Leonard abgeholt .. 165 11.1 Kontext der Äußerung .......................................................................................... 165 11.2 Syntaktische Perspektive ...................................................................................... 167 11.3 Perspektive der Interaktionalen Linguistik und des Spracherwerbs ..................... 170 11.4 Ergebnisse ............................................................................................................ 171

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12 Anwendungsbeispiel II: das Geräusch-als-Bewegung-Verb rumpeln .......................... 173 12.1 Korpusbasierte Analyse von Konstruktionsbedeutungen: Sichtung der Korpusbelege .................................................................................. 174 12.2 Analyse der Bedeutung und Form der Konstruktion ........................................... 177 12.3 Formseitige Beschreibung und Präzisierung der Konstruktion ............................ 179 12.5 Diskussion problematischer Fälle ........................................................................ 181 12.5 Ergebnisse ............................................................................................................ 184

TEIL V: SCHLUSSBEMERKUNGEN, BEGRIFFSGLOSSAR UND LÖSUNGSHINWEISE 13 Fazit und Ausblick ........................................................................................................ 187 14 Begriffsglossar .............................................................................................................. 193 15 Lösungshinweise zu den Aufgaben .............................................................................. 204

TEIL VI: VERZEICHNISSE 16 Abkürzungs-, Abbildungs- und Verzeichnis tabellarischer Darstellungen ................... 209 16.1 Abkürzungen ........................................................................................................ 209 16.2 Abbildungen ......................................................................................................... 209 16.3 Tabellarische Darstellungen ................................................................................. 210 17 Literatur ........................................................................................................................ 212 17.1 Forschungsliteratur ............................................................................................... 212 17.2 Verweise ins Internet............................................................................................ 232

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EINLEITUNG

1 Konstruktionsgrammatik des Deutschen: Gegenstand und Aufbau des Buches Die Konstruktionsgrammatik unterscheidet sich von anderen linguistischen Grammatikmodellen (wie der Transformationsgrammatik, der Valenzgrammatik, der Kategorial- und Montague-Grammatik)1 insbesondere durch das Ziel, ein umfassendes Modell sprachlicher Strukturen zu entwickeln, das nicht nur den Status einer allgemeinen Theorie der Repräsentation, des Erwerbs und Wandels sprachlichen Wissens hat, sondern darüber hinaus den Anspruch erhebt, psychologisch plausibel und kognitiv ‚real‘ zu sein. Anders als in transformationsgrammatischen Ansätzen geht die Konstruktionsgrammatik dabei von einer ‚monostratalen‘ und oberflächenorientierten Grammatik aus; das heißt insbesondere, dass keine sprachlichen Tiefenstrukturen und abstrakten, formal-universalen Einheiten oder (Transformations-)Regeln angesetzt werden zur Erklärung, wie eine Grammatik ‚funktioniert‘. Stattdessen gelten neben lexikalischen Elementen auch grammatische Strukturen als bedeutungstragende Einheiten. Solche so genannten Konstruktionen – konventionalisierte und nicht-kompositionelle Form-Bedeutungspaare verschiedenen Abstraktionsgrades – bilden den zentralen Untersuchungsgegenstand der Konstruktionsgrammatik. Konstruktionen gelten als die zentralen ‚Bausteine‘ eines Grammatikmodells, in dem Syntax und Semantik als Organisationsprinzipien gleichberechtigt nebeneinander stehen. Es wäre jedoch falsch, daraus den Schluss zu ziehen, dass sich der Gegenstandsbereich der Konstruktionsgrammatik auf nicht-kompositionelle sprachliche Einheiten beschränkt; vielmehr richtet sich das konstruktionsgrammatische Erkenntnisinteresse ebenso auf reguläre, voll transparente Ausdrücke einer Sprache (Michaelis 2012). Wo liegen die Wurzeln der Konstruktionsgrammatik? Für ein besseres Verständnis der Leitideen und Ziele der Konstruktionsgrammatik ist es hilfreich, den übergeordneten wissenschaftlichen Kontext zu kennen, in den sich die Konstruktionsgrammatik einordnet. Die Konstruktionsgrammatik versteht sich als Teil eines kognitionslinguistischen Forschungsprogramms, das sich in an der Westküste der Vereinigten Staaten seit Anfang der 1980er Jahre herausgebildet hat. Insbesondere durch die Arbeiten von William Croft, Gilles Fauconnier, Charles Fillmore, George Lakoff, Ronald W. Langacker und Leonhard Talmy ist dieses Programm inzwischen unter dem Label Kognitive Linguistik zu einem einflussreichen sprachwissenschaftlichen Forschungsparadigma –––––––— 1

Zur Einführung seien empfohlen: Philippi & Tewes 2010 zur generativen Transformationsgrammatik, Ágel 2000 und Welke 2011 zur Valenztheorie, Wood 1993 zur Kategorialgrammatik sowie Löbner 1976 zur Montague-Grammatik. Einen guten Überblick über Grammatiktheorien gibt Müller 2010.

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geworden. Einige der Hauptvertreter, zuvorderst Croft, Fillmore und Langacker, haben an der frühen Entwicklung konstruktionsgrammatischer Konzepte maßgeblich mitgewirkt. 2 Mit der Kognitiven Linguistik teilt die Konstruktionsgrammatik drei übergreifende Prämissen (vgl. auch Croft & Cruse 2004: 1): -

Sprache ist keine autonome kognitive Fähigkeit oder Instanz, sondern bleibt vielmehr auf allgemeine kognitive Fähigkeiten angewiesen;

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grammatische Strukturen sind Ergebnisse menschlicher Konzeptualisierungsprozesse;

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sprachliches Wissen ergibt sich aus dem Sprachgebrauch.

Darüber hinaus besteht eine leitende – und empirisch zu überprüfende – Annahme aller Spielarten der Konstruktionsgrammatik darin, dass eine Sprache wesentlich – manche meinen sogar vollständig3 – durch Konstruktionen beschrieben werden kann, die in bestimmter Weise miteinander verbunden sind und so ein strukturiertes grammatisches Inventar, das so genannte „Konstruktikon“ (Jurafsky 1992), einer Sprache bilden. Während sich die Konstruktionsgrammatik spätestens seit Mitte der 1990er Jahre mit Adele Goldbergs Monographie Constructions: A Construction Grammar Approach to Argument Structure als eine ernst zu nehmende Alternative zu generativ-grammatisch orientierten und formalen Grammatiktheorien etabliert hat, wurden einschlägige Arbeiten im deutschsprachigen Raum zunächst nur sehr zögerlich rezipiert. In den letzten fünf Jahren ist jedoch im deutschsprachigen Raum ein zunehmendes Interesse an der Konstruktionsgrammatik erkennbar, das in einer Vielzahl von Publikationen Ausdruck gefunden hat (vgl. Abschnitt 10). Warum Konstruktionsgrammatik? Neben der Konstruktionsgrammatik hat die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts eine Fülle von weiteren grammatiktheoretischen Beschreibungsansätzen hervorgebracht. Die Bandbreite reicht von valenzgrammatischen Modellen über weitere funktionale Ansätze (wie etwa die Systemisch-Funktionale Linguistik nach Halliday) bis zu Unifikationsgrammatiken und der Optimalitätstheorie (vgl. etwa den Überblick in Jungen & Lohnstein 2006: 91150 und Smirnova & Mortelsmans 2010). Die berechtigte Frage lautet also: Warum soll nun diese (unvollständige) Liste um einen weiteren Ansatz ergänzt werden, noch dazu um einen solchen, der in vielen Überblicksdarstellungen wie etwa der erwähnten von Jungen und Lohnstein keinen eigenen Eintrag erhalten hat? Bevor wir in Abschnitt 2.2 eine vorläu–––––––— 2

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Dies gilt mit Einschränkung auch für Lakoff. Seine wirkungsmächtige Monographie Women, Fire, and Dangerous Things: What Categories Reveal about the Mind (Lakoff 1987) wurde zwar vor allem für die linguistische Prototypentheorie sowie für die (später sich als eigenständiger Forschungszweig etablierende) kognitive Semantik zu einem zentralen Referenzwerk; die umfangreiche Untersuchung zu „there“-Konstruktionen ist allerdings eine reiche Inspirationsquelle für die Konstruktionsgrammatik, und einige Ideen, die später zu zentralen Charakteristika konstruktionsgrammatischer Ansätzen werden sollten, finden sich bereits hier ausformuliert. Vgl. Goldberg 2003: 219: „The totality of our knowledge of language is captured by a network of constructions: a ‚construct-i-con‘.“ Mit gleichem Tenor ebenso Goldberg 2006a: 18.

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fige Definition des Begriffs der „Konstruktion“ sowie einen Überblick über einschlägige konstruktionsgrammatische Ansätze in den Abschnitten 3 und 4 anbieten, soll auch auf diese Frage eingegangen werden. Die vorliegende Einführung versucht, dem wachsenden Interesse an einem kognitiven, gebrauchsorientierten Sprachmodell Rechnung zu tragen. Sie macht sich zur Aufgabe, einer breiten Fachöffentlichkeit wie auch fortgeschrittenen Studierenden in knapper Form einen Überblick über wichtige konstruktionsgrammatische Ansätze, Konzepte und Anwendungsbereiche anzubieten. Zusammenfassungen, weiterführende Literaturhinweise zur vertiefenden Lektüre sowie Definitionen und Arbeitsaufgaben sollen zum einen das Verständnis sichern, zum anderen hoffen wir, dass sie dazu anregen, aufgeworfene Frage- und Problemstellungen selbstständig zu vertiefen und produktiv weiterzudenken. Weiterhin ist es ein Anliegen dieser Einführung, bewusst Anschluss an einschlägige Forschungsansätze der germanistischen Linguistik zu suchen, mit dem Ziel, Perspektiven zu möglichen Weiterentwicklungen der Konstruktionsgrammatik aufzuzeigen. So greifen wir etwa zur Beschreibung von Konstruktionsbedeutungen auf Prädikatsklassen, Prädikations- und Aussagerahmen zurück, die Peter von Polenz (2008, Erstauflage: 1985) in seiner wegweisenden Studie zur Satzsemantik entworfen hat (Abschnitt 9). Dieser Rekurs ist als ein erster Versuch zu verstehen, ein bestehendes Desiderat der Konstruktionsgrammatik anzugehen: die Beschreibung und Analyse von Konstruktionsbedeutungen in Ergänzung zu framesemantischen Zugängen (vgl. Ziem 2008: 299f.; mit Blick auf Fillmores Kasusgrammatik und von Polenz’ Konzept des Bezugsrahmens vgl. Busse 2012: 36ff. und 522ff.). Was dieses Buch bietet – und was nicht Primäres Ziel des vorliegenden Bandes ist es, die Grundlagen und Konzepte gebrauchsbasierter Ansätze der Konstruktionsgrammatik vorzustellen und sie in ihrem Entstehungszusammenhang zu diskutieren. Statt in einzelne Ansätze detailliert einzuführen, haben wir uns darum bemüht, dem übergreifenden Anspruch der Konstruktionsgrammatik, mehr als eine Syntaxtheorie sein zu wollen, insofern Rechnung zu tragen, als verschiedene sprachliche Phänomen- und Anwendungsbereiche sowie allgemeine konzeptuelle Grundlagen zur Erforschung derselben zur Sprache kommen sollen. Ohne uns einem bestimmten konstruktionsgrammatischen Ansatz zu verpflichten, wird es demzufolge um verschiedene sprachliche Phänomene gehen, von Argumentstrukturen bis Phraseologismen, von PassivKonstruktionen bis Konstruktionsbedeutungen. Im Zentrum stehen gebrauchsbasierte Ansätze, die auf Formalisierungen verzichten, wozu Goldbergs Cognitive Construction Grammar, Langackers Cognitive Grammar sowie Crofts Radical Construction Grammar zählen. Zwar erläutern wir über diese hinaus auch die Grundlagen so genannter unifikationsbasierter Modelle, wie Fillmores und Kays Berkeley Construction Grammar (Abschnitt 5); eine detaillierte Darstellung derselben ist jedoch in diesem Band aus Platzgründen weder möglich noch inhaltlich angestrebt. Genauso wenig können wir das Verhältnis der Konstruktionsgrammatik zu anderen, teilweise benachbarten, teilweisen konkurrierenden Grammatiktheorien vertiefend behandeln (vgl. aber Lasch & Ziem im Druck: Teil 5). Insofern sich – forschungsgeschichtlich

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gesehen – die Konstruktionsgrammatik in kritischer Auseinandersetzung mit verschiedenen Versionen der generativen Transformationsgrammatik allmählich als ein eigenständiger Ansatz herausgebildet hat, werden aber die jeweils zugrunde liegenden Zeichenmodelle miteinander vergleichen (Abschnitt 8.1). Nur am Rande und unsystematisch thematisiert wird dagegen das Verhältnis zwischen valenztheoretischen und konstruktionsgrammatischen Ansätzen. Hier sei auf die anregenden Überlegungen von Welke (2011: 167-313) sowie das von Herbst und Stefanowitsch (2011) herausgegebene Sonderheft der „Zeitschrift für Anglistik Amerikanistik“ verwiesen. Es ist zu erwarten, dass sich die Verbindung valenztheoretischer Konzepte mit Goldbergs Cognitive Construction Grammar zu einem fruchtbaren Forschungsfeld der nächsten Jahre entwickeln wird. Was bietet dieser Band? Die vorliegende Einführung gliedert sich in fünf Teile und insgesamt dreizehn inhaltliche Kapitel. Hinzu kommt ein Begriffsglossar, das dazu dienen soll, einen schnellen Überblick über einschlägige Fachtermini zu bekommen, sowie Lösungshinweise zu den Aufgaben, die an zentralen Stellen einen vertieften Zugang zum Dargestellten ermöglichen sollen. In Teil I werden Konstruktionen als Gegenstand der sprachwissenschaftlichen Forschung ausgewiesen. Grundsätzlich gehen wir hier auf die konzeptionellen Grundlagen der Konstruktionsgrammatik als ein neues ‚Forschungsparadigma‘ ein. Im Mittelpunkt steht einerseits der Begriff der Konstruktion selbst (Abschnitt 2.2), andererseits werden wichtige Argumente für eine konstruktionsgrammatische Grammatik- und Sprachtheorie zusammengefasst (Abschnitt 2.3). In Teil II stellen wir zunächst in Grundzügen die Entwicklung der Konstruktionsgrammatik zu einem kognitionslinguistischen Ansatz vor, der sich (auch forschungsgeschichtlich) als ein ‚Gegenentwurf‘ zur generativen Transformationsgrammatik begreift (Abschnitt 3). Im Anschluss werden insgesamt sieben, teilweise konkurrierende, teilweise konvergierende konstruktionsgrammatische Theoriebildungen skizziert (Abschnitte 4 und 5). Abschnitt 6 gibt einen Überblick über gängige Methoden und empirische Verfahren, die in konstruktionsgrammatischen Studien Einsatz finden. Im verbleibenden Teil des Buches stehen Aspekte des gebrauchsbasiert-kognitiven Theoriemodells im Vordergrund. Teil III setzt sich mit dessen theoretischen Grundlagen auseinander. Die Konstruktionsgrammatik wird hier als eine ‚Strömung‘ der Kognitiven Linguistik verortet (Abschnitt 7), was anhand von fünf Prinzipien anschaulich gemacht wird. Als Basiskonzepte werden in Abschnitt 8 das Lexikon-Grammatik-Kontinuum, das „Konstruktikon“ – also die systematische Verbindung von Konstruktionen zu einer Netzwerkstruktur – sowie wesentliche Eigenschaften von Konstruktionen, darunter etwa Polysemie, Prototypikalität, (kognitive) Motiviertheit und „entrenchment“, behandelt. Einer notorischen Schwierigkeit widmet sich schließlich Abschnitt 9: der Untersuchung von Konstruktionsbedeutungen. Mit einer an semantischen Rollen orientierten Analyse von Konstruktionsbedeutungen möchten wir einen Vorschlag zur differenzierten semantischen Analyse in einschlägige Forschungsdiskussionen einbringen. In Teil IV stehen Anwendungsbereiche der gebrauchsbasiert und kognitiv ausgerichteten Konstruktionsgrammatik im Mittelpunkt der Darstellung. Darunter fassen wir zum

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einen Forschungsbereiche innerhalb der germanistischen Linguistik, die sich konstruktionsgrammatisch motivierten Fragen öffnen (Abschnitt 10), nämlich die Syntaxforschung, die Forschung zu Sprachwandel und Phraseologie, die Interaktionale Linguistik und die Spracherwerbsforschung. Zum anderen dienen zwei Analysen komplexer Beispiele dazu, das konstruktionsgrammatische Vorgehen exemplarisch zu illustrieren (Abschnitte 11 und 12). Teil IV beschließt diese Einführung. Im Fazit und Ausblick (Abschnitt 13) werden zunächst wichtige Ergebnisse zusammengefasst und mögliche Forschungsperspektiven aufgezeigt. Das anschließende Begriffsglossar (Abschnitt 14) umfasst die wichtigsten konstruktionsgrammatisch relevanten Fachtermini und erklärt diese kurz im jeweils einschlägigen Verwendungszusammenhang. Es soll einen schnellen Zugang zur Konstruktionsgrammatik ermöglichen und Leserinnen und Leser in die Lage versetzen, begriffliche Hürden schnell zu überwinden. In Abschnitt 15 stellen wir schließlich Lösungshinweise zu den Aufgaben bereit. Beiträge aus dem umfangreichen Oxford Handbook of Construction Grammar, das von Thomas Hoffmann und Graeme Trousdale herausgegeben wird, konnten hier nicht vollständig berücksichtigt werden, da das Handbuch zeitgleich mit bzw. nach der Drucklegung dieser Einführung erschien; zahlreiche Beiträge standen uns jedoch als pre-prints zur Verfügung und sind im Literaturverzeichnis ausgewiesen. Ferner lag uns der Band Diachronic Construction Grammar, der von Jóhanna Barðdal u.a. herausgegeben wird, bis zur Drucklegung des Manuskripts nicht vor.



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