Im Rahmen der Bearbeitung der Schmuck- und Trachtbestandteile aus Pergamon konnte die Aufnahme der Altfunde (d. h. vor 2005) in den Depots des Grabungshauses abgeschlossen werden171. Die Bearbeitung des Fundmaterials im Museum Bergama umfasste in diesem Jahr die Fundmünzen der Kampagnen 2010 und 2011 sowie die bislang unpublizierten Münzfunde aus der Traianeumsgrabung der 1970–80er Jahre172. Auch die Bearbeitung der Inschriftenfunde aus Pergamon wurde fortgesetzt173 und einige Statuenbasen neu photographiert174. Darüber hinaus fanden Untersuchungen zu Fragmenten hellenistischer Großplastik175 sowie zu hellenistischer Keramik mit rotem Überzug pergamenischer Produktion und deren Auftreten in Fundkontexten auf Delos statt176.
Aktuelle Ergebnisse der Keramikbearbeitung in Pergamon – Eine neue Definition von Eastern Sigillata C/Pergamenischer Sigillata
Während der zwischen 1973 und 1998 durchgeführten Stadtgrabung wurde ein System der Fundaufnahme mit statistischer Registrierung und Keramikkatalog aufgebaut. Mit dem Wechsel der Grabungsleitung 2005 erfolgte die Umstellung auf eine digitale Erfassung in der iDAI.field-Datenbank, deren Aufbau sich an der handschriftlichen Keramikstatistik orientierte. Dabei bot es sich an, die bisherige Praxis zu überdenken und neuen Forschungsergebnissen Rechnung zu tragen. So erfolgte eine Aktualisierung des Keramikkataloges, eine Prüfung der verwendeten Terminologie und die Einarbeitung von Ergebnissen archäometrischer Analysen. Die Terminologie wurde insbesondere hinsichtlich der Begriffe Feinund Grobkeramik sowie Ware und Fabrikat, der Einteilung in Formen und Typen und der Beschreibung der Oberflächenbehandlung modifiziert. Diese Neuerungen erforderten zudem eine Durchsicht des Keramikkataloges, der all jene Gefäßformen abbildet, die in Pergamon häufig vorkommen. Dabei handelt es sich mehrheitlich um Vertreter der lokalen Produktion, was die umfassende Versorgung der Bevölkerung mit vor Ort hergestellten Gefäßen widerspiegelt177. Die Aktualisierung des Kataloges umfasste neben einigen Neugruppierungen einen Nachtrag von etwa 300 Formen sowie eine stärkere Einbeziehung der durch pergamenische Fundkontexte erzielten Datierungen. Ebenfalls wurden Ergebnisse des 2006 initiierten archäometrisch-archäologischen Forschungsprojektes berücksichtigt, aufgrund derer es für bestimmte Formen nun naturwissenschaftlich gesichert ist, dass sie der pergamenischen Produktion entstammen178.
171 Dissertationsprojekt von Andrea Pirson (Istanbul). 172 Projekt von Jérémie Chameroy (Mainz). 173 Projekt von Helmut Müller (München). 174 M. Mathys, Architekturstiftungen und Ehrenstatuen. Untersuchungen zur visuellen Repräsentation der Oberschicht im späthellenistischen und kaiserzeitlichen Pergamon, PF 16 (im Druck). 175 Projekt von M. Hofter (Berlin). 176 Projekt von Annette PeignardGiros und Yona Waksman (Lyon) sowie Henryk Meyza und Krzysztof Domzalski
AA 2012/2, 175–274
(Warschau) im Rahmen des Programms CNRS (France) PICS 5272. 177 J. Schäfer, Hellenistische Keramik aus Pergamon, PF 2 (Berlin 1968) 16–23; C. Meyer-Schlichtmann, Die pergamenische Sigillata aus der Stadtgrabung von Pergamon, PF 6 (Berlin 1988) 208–211; S. Japp, Pottery Production in Pergamon. A Short Overview, in: N. Fenn – Ch. Römer-Strehl (Hrsg.), Networks in the Hellenistic World according to the Pottery in the Eastern Mediterranean and Beyond. Conference Köln – Bonn 23. – 26.2.2011 (im Druck). 178 Pirson 2008, 141–142; S. Japp,
Archäometrisch-archäologische Untersuchungen an Keramik aus Pergamon und Umgebung, IstMitt 59, 2009, 193–268; H. Mommsen – S. Japp, Neutronenaktivierungsanalyse von 161 Keramikproben mit Fundorten aus der Region Pergamons, IstMitt 59, 2009, 269–286; G. Schneider – S. Japp, Röntgenfluoreszenzanalysen von 115 Keramikproben aus Pergamon, Çandarlı, Elaia und Atarneus (Türkei), IstMitt 59, 2009, 287–306. – Am nordöstlichen Fuße des Burgberges von Pergamon fand sich bei Notgrabungen in den 1970er Jahren ein Töpferviertel. Die Dauer wie auch
252 Felix Pirson
Bei einem internen Workshop zur Terminologie mit Fundbearbeiter/innen anderer deutscher Grabungen in Kleinasien, der 2011 in Berlin stattfand, zeichnete sich die Notwendigkeit ab, den Begriff bzw. die Interpretation der für Pergamon wichtigen Eastern Sigillata C (ESC) einer Prüfung zu unterziehen und gegebenenfalls eine neue Definition vorzulegen. Dies geschah im Rahmen des Workshops »Eastern Sigillata C – Pergamenische Sigillata und Sigillata aus Pitane/Çandarlı« am 20. – 21.08.2011 im Grabungshaus von Pergamon. Eine Auseinandersetzung mit den bisherigen Definitionen von Sigillata im Allgemeinen bzw. ESC, Çandarlı-Ware und pergamenischer Sigillata im Speziellen zeigte, dass die Verwendung der Bezeichnungen nicht einheitlich ist, da sie auf unterschiedlichen Parametern basiert und somit verschiedene Vorstellungen evoziert. Dies ist forschungsgeschichtlich bedingt: Der von Hans Dragendorff 1895 für die italische und westliche, überwiegend gestempelte kaiserzeitliche Keramik eingeführte Terminus »Terra Sigillata« wurde bald auf die östliche Keramik mit glänzend rotem Überzug – mit und ohne Stempelung – übertragen179. Robert Zahn unterteilte 1904 anhand der Funde aus Priene die östlichen Sigillaten in die Gruppen A und B, die er wegen einer Nachricht bei Plinius d. Ä. mit Samos (A) und Pergamon (B) verknüpfte180. In der Folge setzten sich die Begriffe samische und pergamenische Sigillata zunächst für sämtliche Ostsigillaten durch181. Neue Diskussionsansätze bezüglich der Provenienz ergaben sich durch den archäologischen Nachweis der Produktion in Çandarlı durch Siegfried Loeschke182. Darauf beruhte auch die Unterteilung von Tatjana N. Knipowitsch, die die Sigillata aus Pergamon und Çandarlı als Gruppe C zusammenfasste183. Der Terminus ESC für die Sigillata aus der Region Pergamon wurde jedoch in der weiteren Forschung nicht durchgängig beibehalten. Beispielsweise bezeichnete Kathleen M. Kenyon die ESA als pergamenisch und setzte die Çandarlı-Keramik als ESC von dieser ab184. Um der terminologischen Verwirrung zu entgehen, führten pergamenische Materialbearbeiter Begriffe wie ›lokalpergamenische‹ Ware, ›echt-pergamenische‹ Sigillata und ›pergamenische Sigillata‹ ein185. Jüngst fanden vornehmlich die Termini ›Çandarlı-Ware‹, ›ESC‹ und ›Sigillata aus Pergamon‹ Verwendung, doch blieben die jeweiligen Zuordnungskriterien häufig vage186. das Repertoire der dortigen Produktion sind wegen unzureichender Publikation noch nicht geklärt. s. S. Erdemgil – S. Ozenir, Preliminary Report on the Kilns excavated in Ketios Valley, RdA 6, 1982, 109; O. Bounegru, La production des ateliers de céramique de Pergame (vallée de Kestel). Un aperçu général, in: C. Abadie-Reynal (Hrsg.), Les céramiques en Anatolie aux époques Hellénistique et Romaine (Paris 2003) 138–139; Japp a. O. 194–196. 179 H. Dragendorff, Terra Sigillata. Ein Beitrag zur Geschichte der griechischen und römischen Keramik, BJb 96, 1895, 18–155; H. Dragendorff, Zur Terra-Sigillata-Industrie in Griechenland, Kleinasien, Südrussland und Ägypten, BJb 101, 1897, 140–152. 180 Plin. nat. 35, 46. 160. – R. Zahn, Thongeschirr, in: Th. Wiegand – H. Schrader, Priene. Die Ergebnisse der Ausgrabungen und Untersuchungen in den Jahren 1895–1898 (Berlin 1904) 440–449.
181 RE Suppl. VII (1940) 1298–1302 s. v. Terra sigillata (H. Comfort); MeyerSchlichtmann a. O. (Anm. 177) 3. 182 S. Loeschke, Sigillata-Töpfereien in Tschandarli. Bericht über die Ergebnisse einer Versuchsgrabung im Jahr 1911, AM 37, 1912, 344–407. 183 T. N. Knipowitsch, Untersuchungen zur Keramik römischer Zeit aus den Griechenstädten an der Nordküste des schwarzen Meeres. Die Keramik römischer Zeit aus Olbia in der Sammlung der Eremitage, Materialien zur römisch-germanischen Keramik 4 (Bonn 1929). 184 J. W. Crowfoot – G. M. Crowfoot – K. M. Kenyon, The Objects from Samaria, Samaria-Sebaste 3 (London 1957) 281–284. 185 J. Schäfer, Terra Sigillata aus Pergamon, AA 1962, 779 f. (›lokalpergamenisch‹); O. Ziegenaus – G. de Luca, Das Asklepieion. Der südliche Temenosbezirk in hellenistischer und
frührömischer, AvP 11, 1 (Berlin 1968) 155 und D. Pinkwart – W. Stammnitz, Peristylhäuser westlich der unteren Agora, AvP XIV (Berlin 1984) 52 (›echt-pergamenisch‹); Meyer-Schlichtmann a. O. (Anm. 174) 5 (›pergamenische Sigillata‹). 186 ESC z. B. bei: J. Poblome – M. Zelle, The Table Ware Boom. A Socioeconomic Perspective from Western Asia Minor, in: Ch. Berns – H. von Hesberg – L. Vandeput – M. Waelkens (Hrsg.), Patris und Imperium. Kulturelle und politische Identität in den Städten der römischen Provinzen Kleinasiens in der frühen Kaiserzeit. Kolloquium Köln 1998 (Löwen 2002) 275; Ch. Rogl, Späthellenistische Keramik im Osten des Reiches. Ephesos Delos – Samos – Pergamon im Vergleich, in: M. Meyer (Hrsg.), Neue Zeiten – Neue Sitten. Zu Rezeption und Integration römischen und italischen Kulturguts in Kleinasien (Wien 2007) 189; ÇandarlıWare bzw. Sigillata di Çandarlı bei: J. W. Hayes, Late Roman Pottery (London
AA 2012/2, 175–274
Pergamon 2011 253
Abb. 85 Pergamon, ESC. Frühkaiserzeitliches bicolores Trinkgefäß (FO: PE76 – K4a/ Zi. 5; Dm Rand 8,6 cm; Dm Fuß 5,8 cm; H 7,6 cm); M. ca. 1 : 2
1972) 316–322; J. W. Hayes, Sigillate Orientale, in: Atlante delle Forme Ceramiche II. Ceramica fine Romana nel Bacino Mediterraneo (Rom 1985) 71–78; D. Malfitana, Eastern Terra Sigillata Wares in the Eastern Mediterranean. Notes on an initial quantitative analysis, in: F. Blondé – P. Ballet – J.-F. Salles, Céramiques hellénistiques et romaines: productions et diffusion en Méditerranée orientale (Chypre, Egypt et côte syropalestinienne) (Lyon 2002) 133–155. Michael Zelle und Patricia Kögler vermuten neben Pergamon und Çandarlı noch eine dritte bisher unbekannte Produktionsstätte der ESC: M. Zelle, Die Terra Sigillata aus der Westtornekropole in Assos, AMS 27 (Bonn 1997) 21 f.; P. Kögler, Feinkeramik aus Knidos vom mittleren Hellenismus bis in die mittlere
AA 2012/2, 175–274
Unabhängig von der Provenienz gingen die Definitionen zudem von abweichenden Grundannahmen aus, aus denen sich unterschiedliche Laufzeiten und Formenrepertoires ergaben. Jörg Schäfer schlug 1962 erstmals den glänzend roten Überzug als Definitionskriterium vor187. Er stellte somit, wie später auch Carsten Meyer-Schlichtmann, einen rein technischen Aspekt in den Vordergrund188. Allerdings nahmen beide auch Stücke mit mattem und braunem Überzug in ihre Typologien auf, so dass ihre Definition an Kontur verlor; außerdem äußerten sie sich nicht klar zum Umgang mit bicoloren Gefäßen (Abb. 85). Demgegenüber begrenzte Gioia de Luca ihre Definition auf glänzend rote und bicolore Stücke und schloss auf der Basis stratigraphischer Beobachtungen auf ein spezifisches Formenrepertoire189. Diese Vorgehensweise wählte auch John W. Hayes für die Importe pergamenischer Sigillata von der Athener Agora190. Im Atlante-Band hatte sich Hayes noch auf ein italisch beeinflusstes Formenrepertoire für die »Ceramica di Çandarlı – Produzione Pergamena« beschränkt191. Doch gerade im Conspectus, der ein kanonisches Repertoire der westlichen Sigillaten abbildet, wird auf das abweichende Spektrum der Ostsigillaten verwiesen192. Zudem ist der östliche Einfluss bei der Einführung des roten Überzuges der italischen Sigillata verstärkt in die Diskussion geraten193. Daher ist es irreführend, die Ostsigillaten ausschließlich am italischen/westlichen Formenrepertoire zu orientieren, da eine solche Praxis das Phänomen auf eine einseitige Beeinflussung seitens Roms bzw. des italischen Raums reduziert und somit die Wechselwirkungen zwischen den Produktionszentren der Regionen verdeckt. Um zu einer konsistenten neuen ESC-Definition zu gelangen, wurden die aktuellen archäometrischen Analysen einbezogen. Es zeigte sich nämlich, dass man die Produktionen in Pergamon und Çandarlı – wenn auch nicht immer mit endgültiger Sicherheit – chemisch unterscheiden kann194. Das Aussehen des Scherbens und des Überzugs stimmt aber in vielen Fällen überein und erlaubt makroskopisch keine gesicherte Zuschreibung der Provenienz. An beiden Orten stellten Töpfer dieselben Formen bzw. Typen her, wobei Unterschiede hinsichtlich der Gefäßvielfalt bzw. der -quantität zu konstatieren sind. Weiterhin zeichnete sich ab, dass es sowohl in Çandarlı als auch in Pergamon eine Produktion von Late Roman C-Gefäßen gab. Der lückenlose Übergang zwischen der Produktion von ESC zu LRC ist für beide Orte noch nicht erwiesen, doch spricht vieles dafür195.
Kaiserzeit (Wiesbaden 2010) 380. 187 Schäfer a. O. (Anm. 185) 777–781. 188 Meyer-Schlichtmann a. O. (Anm. 177). 189 Der Ansatz von Ziegenaus – de Luca a. O. (Anm. 185) 146 wurde in der Forschung jedoch wenig rezipiert. 190 J. W. Hayes, Roman Pottery FineWare Imports, Agora 32 (Princeton 2008) 42–49. 191 J. W. Hayes, Sigillate Orientale, in: Atlante delle Forme Ceramiche II. Ceramica fine Romana nel Bacino Mediterraneo (Rom 1985) 71–78. 192 S. von Schnurbein, Ostmediterrane Sigillata, in: E. Ettlinger (Hrsg.), Conspectus Formarum Terrae Sigillatae Italico Modo Confectae (Bonn 2002) 23 f. Vgl. auch Rogl a. O. (Anm. 186) 189. 193 D. Malfitana – J. Poblome –
J. Lund, Eastern Sigillata A in Italy. A Socio-Economic Evaluation, BABesch 80, 2005, 199–212. 194 Japp a. O. (Anm. 178) 209; Schneider – Japp a. O. (Anm. 178) 294–296; H. Mommsen – G. Schneider, Eastern Sigillata C von Pergamon und Çandarli (Türkei). Ein Methodenvergleich von WD-XRF und NAA, in: A. Hauptmann – H. Stege (Hrsg.), Archäometrie und Denkmalpflege 2009. Metalla Sonderheft 2 (Bochum 2009) 223–225. 195 Dafür würde die mutmaßliche Keramikproduktion in einer Werkstatt bis in das 6. Jh. sprechen: Erdemgil – Ozenir a. O. (Anm. 178) 109. Die Ergebnisse dieser Analysen sollen demnächst in den Istanbuler Mitteilungen publiziert werden.
254 Felix Pirson
86
87
Die pergamenische Fundbearbeitung steht dem Begriff ESC kritisch gegenüber. Die Verfasser sind der Meinung, dass die allgemeinen Begriffe der hellenistischen und römischen Überzugsware kohärentere und somit epistemologisch geeignetere Kategorien darstellen. Da der Begriff in der Forschung jedoch fest etabliert ist, wird im Folgenden trotzdem eine Definition der ESC vorgeschlagen, um die Vergleichbarkeit von Publikationen zu gewährleisten. Aufgrund der oben genannten Probleme handelt es sich um eine rein technische Definition, die sich allein auf verschiedene Qualitäten des Überzugs bezieht und für die Keramik von Pergamon und Çandarlı gleichermaßen gilt: Wir dürfen von ESC sprechen, wenn der größte Teil der Innen- und/oder Außenseite des Gefäßes mit einem dichten, roten und glänzenden Überzug versehen ist (Abb. 86). Das Spektrum der Farbnuancen reicht dabei von orange und orangerot über braunrot bis hin zu rotbraun, auch die Intensität des Glanzes variiert. Ein sattes, kräftiges Rot, wie es zum Beispiel für die italische Sigillata charakteristisch ist, tritt in der Regel nicht auf. Sollte der übrige Teil der Oberfläche eine andere Farbe aufweisen, dann muss sich diese deutlich absetzen und von homogener Gestalt sein. Ist eine Inhomogenität des Überzugs auf nicht beabsichtigte Prozesse beim Brennvorgang zurückzuführen, spricht dies nicht gegen die Zuweisung zur ESC (Abb. 87). Insgesamt erlaubt diese technische Definition, das frühe Auftreten glänzend rot überzogener Gefäße im kleinasiatischen Raum und speziell in der pergamenischen Produktion zu verdeutlichen. Sie besitzt dabei den Vorteil, dass Kontinuitäten sowohl im hellenistischen Formenspektrum als auch bei der Verwendung des Überzugs dargelegt werden können196. Stratigraphische Beobachtungen haben gezeigt, dass sich am Ende des 2. Jhs. v. Chr. nicht nur in der Farbe und Qualität der Überzüge, sondern im gesamten Gattungs- und Formenspektrum ein sukzessiver Wandel vollzog197. Dies lässt sich beispielsweise am Rückgang von hellenistischen Reliefbechern und Westabhangware und dem Aufkommen neuer Formen erkennen. Diese Definition führt weiterhin dazu, dass es einerseits hellenistische Formen in ESC (Abb. 87) und andererseits typische Sigillata-Formen – beispielsweise Steilrand- und Kragenschüsseln (Abb. 88) – gibt, die aufgrund ihres Überzugs nicht als ESC firmieren. Sie ist damit vollständig von den Gefäßformen gelöst198. Auch für Gefäße mit Westabhang- oder Applikendekor (Abb. 89) gilt, dass sie als ESC angesprochen werden, wenn sie einen entsprechenden Überzug tragen. Die Verfasser sind sich bewusst, dass auch bei dieser Definition Grenzfälle auftreten können, über die letztlich individuell zu entscheiden ist. Die
Pergamon, ESC Abb. 86 Kaiserzeitliche Kragenschale mit dichtem, rotem und leicht glänzendem Überzug (FO: PE75 – G5d H5c/R. I, 3; Dm Rand ca. 14 cm); M. ca. 1 : 2 Abb. 87 In hellenistischer Tradition stehendes Trinkgefäß mit unregelmäßigem rotem Überzug (FO: PE77 – I7ad/Zi. 23; Dm Rand 10,5 cm; Dm Fuß 7,1 cm; H 8,8 cm); M. ca. 1 : 2
196 Dieser Ansatz ähnelt der u. a. von Hayes verwendeten LRC-Definition, die sich auf technische Aspekte konzentriert (J. W. Hayes, Late Roman Pottery [London 1972] 323). 197 Ziegenaus – de Luca a. O. (Anm. 185) 146. 155. 198 Ähnlich bei S. Rotroff – A. Olivier Jr. (Hrsg.), The Hellenistic Pottery from Sardis. The Find Through 1994 (London 2003) 84–88.
AA 2012/2, 175–274
Pergamon 2011 255
88
Pergamon, ESC Abb. 88 Kaiserzeitliche Kragenschale mit partiellem braunem Überzug (FO: PE76 – H3/R. I, 3; Dm Rand 14,4 cm; Dm Fuß 5,7 cm; H 7,1 cm); M. ca. 1 : 2 Abb. 89 Fragment eines Gefäßes der Applikenware mit dichtem, rotem und leicht glänzendem Überzug (FO: PE86 – 93/R. I, 10; Dm Rand 10 cm); M. ca. 1 : 2
199 K. Greene, Roman Pottery. Models, Proxies and Economic Interpretation, JRA 18, 2005, 34–56; R. Hingley, Globalizing Roman Culture. Unity, Diversity, Empire (London 2005) 105–109. 200 Hierbei werden auch die aktuellen Forschungen bezüglich der ESA und ESB einbezogen. 201 Dissertationsprojekte: A. Keweloh, Pergamenische Keramik im Kontext, HU Berlin; B. Engels, Das Grottenheiligtum am Osthang von Pergamon, FU Berlin; A. Wirsching, Ausgrabungen auf dem Musalla Mezarlığı, Universität Münster. – Grabungspublikationen: S. Japp, Die Funde aus dem sog. Bau Z (AvP); S. Japp, Die Badeanlage in der Stadtgrabung (AvP); Publikation der Keramikfunde der Surveys in Elaia und des Umlandes von Pergamon durch G. Ateş. Weiterführung des archäologisch-archäometrischen Projektes durch S. Japp, H. Mommsen, G. Schneider. 202 Förderung durch die Gerda Henkel Stiftung und mit Unterstützung der Ludwig-Maximilians-Universität München. Der Bericht ist unter Mitarbeit von Johanna Propstmeier (München) entstanden. 203 s. o. S. 180–184.
AA 2012/2, 175–274
89
Bestimmung von Schadens- und Fehlbränden fällt genau in diesen Problembereich. Insgesamt darf man nicht vergessen, dass unsere Gattungsbezeichnungen künstlich konstruierte Grenzen ziehen, die eventuell Entwicklungslinien verdecken bzw. Kontinuitäten überbetonen199. Somit stellt die hier vorgestellte ESC-Definition den derzeitigen Status quo der Keramikforschung in Pergamon dar – eine spätere Modifikation oder eine Aufgabe dieses durchaus problematischen Terminus ist somit nicht auszuschließen200. Die vorstehend genannten Aspekte in der Praxis der Keramikbearbeitung nehmen zum einen Einfluss auf einige Forschungsvorhaben, die gegenwärtig in Pergamon durchgeführt werden201. Zum anderen erlauben diese Arbeiten eine Überprüfung von Terminologie und Definitionen und werden das Wissen um das Repertoire der lokalen Werkstätten, die Vergesellschaftung bestimmter Formen und Typen und deren Produktionsdauer erweitern. S. J. – A. K. – B. E.
Die anthropologisch-paläopathologischen Untersuchungen 2011202
In 2011 konnten die anthropologisch-paläopathologischen Untersuchungen in Pergamon dank der Förderung der Gerda Henkel-Stiftung und der LudwigMaximilians-Universität München fortgesetzt werden. Die Arbeiten umfassten mehrere Bereiche, über die im Folgenden einzeln berichtet werden soll. Nordhangnekropole Aus acht der zehn ausgegrabenen spätbyzantinischen Gräber liegen Skelettreste von insgesamt 13 Individuen vor203. Von diesen ließen sich acht bezüglich ihres Geschlechts bestimmen. Demnach handelt es sich um vier Männer, einen mutmaßlichen Jungen und drei Frauen. Unter den nicht geschlechtsbestimmbaren Individuen sind zwei Erwachsene und drei Kinder. Insgesamt waren acht Individuen jugendlich bis erwachsen oder erwachsen; bei den übrigen fünf handelt es sich um einen Feten von 7,5 Lunarmonaten, einen Säugling, zwei Kinder und einen nicht genauer bestimmbaren Subadulten. Auch wenn die Zahl gering ist, so zeigt sich doch der Trend eines geringeren Sterbealters der Frauen. Dieses war durch die Gefahren der Schwangerschaft bestimmt, wie die zwischen 25 und 35 Jahren verstorbene mutmaßlich Schwangere mit ihrem Fetus (PE11 So 5, Bef. 007-1+2) nachdrücklich
Comments
Report "Aktuelle Ergebnisse der Keramikbearbeitung in Pergamon – Eine neue Definition von Eastern Sigillata C/Pergamenischer Sigillata "