Eine Siedlungskammer der früheisenzeitlichen Göritzer Gruppe im Oderbruch (Altfriedland/Brandenburg) - Vorbericht Sebastian Tegge (Berlin) In der Gemarkung Altfriedland, im 1. Bauabschnitt des von der E.DIS AG initiierten Neubaus der 110-kV Kabelanlage Heinersdorf – Metzdorf Nord, gelang die Aufdeckung einer Vielzahl von kulturellen Aktivitäten aus der Frühen Eisenzeit (8./7. Jahrhundert v. Chr. bis 6./5. Jahrhundert v. Chr.). Die dokumentierten archäologischen Strukturen bieten aussagekräftige Einblicke in die räumlich-funktionale Gliederung einer lokalen Siedlungskammer im Oderbruch.
Der 6 km lange Bauabschnitt einer größeren
Letztgenannte eindeutige Grundrisse von eben
Energietrasse quert das Oderbruch südlich von
erdigen Gebäuden. Ausschnitthaft zu erkennen
Wriezen. Auf zwei bekannte und fünf unbe-
ist ein knapp 5,70 m breites zweischiffiges
kannte Fundplätze innerhalb der Gemarkung
Gebäude. Ein Sechs-Pfosten-Speicher wurde
Altfriedland verteilen sich annähernd 600 arch
wenige Meter nordöstlich davon lokalisiert.
äo logische Strukturen. Neben wenigen Hinweisen auf das Neolithikum gehört das Gros der erfassten kulturellen Aktivitäten der Frühen Eisenzeit, der Göritzer Gruppe an. Ein Großteil der Befundstrukturen trat im Bereich des bekannten eisenzeitlichen Fundplatzes 9 zu Tage, der sich an den westlichen Uferbereichen entlang eines Altarms der Oder (Friedländer Strom) erstreckt (Abb. 1). Auf einem knapp 100 Meter langen Trassenabschnitt wurden weit über 300 Befunde dokumentiert. Ins Auge fällt die klar erkennbare Strukturierung der aufgedeckten Siedlung (A) mittels einer Art von Einhegung, die einen von Gruben dominierten Bereich von einem Areal mit verschiedenen Pfostenstellungen räumlich trennt (Abb. 2). In wenigen Fällen lieferten
Abb. 1
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Früheisenzeitliche Fundplätze im Oderbruch bei Wriezen.
2
Stufe I/II
A
Stufe II/III
B
Siedlung A – Stufe I/II
Abb. 2
Siedlung B – Stufe II/III
Kartenausschnitt mit Trassenverlauf und den aufgedeckten archäologischen Fundplätzen in der Gemarkung Altfriedland (oben). Archäologischer Gesamtplan der früheisenzeitlichen Siedlung A (Stufe I/II). Keramikleitformen von beiden früheisenzeitlichen Siedlungen (unten).
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Das aus diesem Bereich geborgene Keramik material ist mit knapp 1000 Scherben um fangreich und stark fragmentiert. Unter den rekonstruierten Gefäßformen sind Terrinen mit trichterförmig ausschwingendem Halsrand und weit geöffneter Mündung auszumachen. Daneben treten verschiedene ungegliederte Töpfe mit eingezogenem, verdicktem Randabschluss und innen abgesetztem Rand auf. Viele amphorenartige Gefäße mit verengtem Oberteil und weiter Ausbauchung weisen einen deut-
Abb. 4
Früheisenzeitliche Rinderbestattung – ein fast vollständiges Rinderskelett im weitestgehend anatomischen Verband.
lichen Hals-Schulter-Absatz auf. Zu nennen sind ferner Gefäße mit hohem, weichem Umbruch
horizontale Riefenbündel in Kombination mit
und kurzem, außen abgesetzten Halsrand und
schrägen Riefen als Winkel- oder Sparrenbänder,
ebenso weitmundige Schalen unterschiedlicher
verschiedene Stichreihen und Stichmuster auf
Größe. Kennzeichnende Dekormerkmale sind:
teilweise schwach herausgearbeiteten Kerb
Sparren-Dellen-Motive in Kombination mit
leisten, Fingernagelkerbreihen, Fingertupfen,
einer schwach herausgearbeiteten Kerbleiste,
sowie grobe Schlickrauhung und Besenstrich.
Abb. 3
Früheisenzeitliche Tierbestattung. Ein Arrangement mit Skelettpartien von mehreren ausgewachsenen Rindern beiderlei Geschlechts in einer Grabanlage, deren Sohle sich als dunkle Verfärbung im hellen Sand diffus abzeichnet.
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Vorderhand spricht der ausgeprägte Hals-Schult
zeugen. Nachweise von Nahrungsmittel ver ar
erabsatz für die Frühzeit der Göritzer Gruppe
beitung liefert ein Lehmkuppelofen mit der
Stufe I/II (7./6. Jh. v. Chr). Die oftmals nur
sich im Profil deutlich abzeichnenden Tenne,
schwach herausgearbeitete plastische Kerbleiste,
einer vorgelagerten Aschegrube und den Über-
Sparren-Dellenmotive und das Exemplar einer
resten der eingestürzten Lehmwandung und
Turbanrandschale untermauern eine derartige
-kuppel. Sogar die Negativabdrücke der Ruten-
Zeitstellung.
konstruktion, das tragende Gerüst beim Aufbau der Lehmkuppel, sind an den gebrannten
Hervorzuheben sind verschiedene Tierbestatt
Lehmstücken erhalten geblieben (Abb. 5). Aus
un g en, die in stratigrafischer Hinsicht den
dem Inhalt einer benachbarten Vorratsgrube
Beginn der früheisenzeitlichen Siedlung ein-
stammen angeröstete Gerstenkörner, die einen
leiten. Hinweise auf die in den Boden einge-
funktionalen Aspekt des Ofens illustrieren.
brachte Grabanlage lieferten einzig sehr schwach ausgeprägte, dunkle Verfärbungen auf Höhe der Grabsohle (Abb. 3). Nur in einem Fall liegt ein fast vollständiges Rinderskelett im weitestgehend anatomischen Verband vor (Abb. 4); deutlich zu erkennen sind die Hornzapfen auf dem Stirnbein und der langgestreckte Unterkiefer eines paarhufigen Pflanzenfressers. Die anderen drei Grabgruben enthielten jeweils separ ierte Körperpartien mehrerer Tiere. Auffällig ist das erkennbare Arrangieren der Körperteile, das Aneinanderreihen bspw. verschiedener Unterkiefer,
das
Handlung
zweifelsfrei erfordert.
eine
anthropogene
Zusammengenommen
lassen sich zehn ausgewachsene Rinder beiderlei
Abb. 5
Früheisenzeitlicher Lehmkuppelofen – Negativabdrücke der Rutenkonstruktion im gebrannten Lehm.
Geschlechts und mindestens zwei Hausschweine nachweisen.
Das aus dieser Siedlung geborgene Keramikmaterial weicht vom vorab beschriebenen
Auf der gegenüberliegenden, östlichen Seite des
Bild teilweise ab. Für eine späte Zeitstellung
Friedländer Stroms, in einer Entfernung von 500
innerhalb der Göritzer Gruppe, die Stufe II/III
Metern, gelang die Aufdeckung einer weiteren,
(6./5. Jh. v. Chr.) sprechen die als Girlanden
bislang unbekannten Siedlung (B) der Göritzer
angeordneten imitierten Schnurreihen, die im
Gruppe. Das Befundspektrum deutet auf den
Gefäßprofil s-förmig geschwungenen, weit-
Randbereich einer Siedlung, wovon die Vielzahl
mundigen Terrinen mit lang ausgezogenem
der Vorratsgruben und einige technische Anlagen
Halsrand und die ungegliederten bauchigen
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5
Abb. 6
AMS-Datierungen der früheisenzeitlichen Siedlung A (li.) und B (re.) liefern Hinweise auf eine lokale Siedlungsverlagerung.
Amphoren. Gegenüber den kulturellen Akti-
Hervorzuheben sind verschiedene Brunnen,
vitäten aus der älteren Phase der frühen Eisenzeit
darunter eine aus Kiefernholz gefertigte Kasten-
(Siedlung A, Stufe I/II) westlich des Friedländer
konstruktion. Die an diesem Befundtyp prakti-
Stroms zeichnet sich in der jüngeren Phase
zierte SfM-Methode (Structure from Motion)
(Siedlung B, Stufe II/III) folglich eine Sied-
gestaltete das Dokumentationsverfahren aus-
lungsverlagerung ab. Die ersten Ergebnisse der
gesprochen flexibel und effizient, und das auf
AMS-Datierung mit 762-475 calBC (91,6%)
einer sehr hohen Genauigkeitsebene mit aus-
und 543-403 calBC (86,9%) untermauern diese
gesprochen großer Informationsdichte, was
Schlussfolgerung (Abb. 6), wenngleich für die
insbesondere bei fragilen Konstruktionen und
eruierte, chronologische Sequenz weitere Daten
widrigen Umwelteinflüssen zum Vorteil gereicht
notwendig sind.
(Abb. 7). Am Ende entsteht aus einer Vielzahl von Fotos ein detailliertes und fotorealistisches 3D-Volum enmodell, das im Nachgang noch umfassende Bearbeitungs- und Auswertungsmöglichkeiten anbietet. Aus der Verfüllung des Kastenbrunnens stammen eine weitmundige Schale mit leicht verdicktem Rand sowie ein großes Vorratsgefäß mit hohem, weichem Umbruch und kurzem, abgesetzten Halsrand und Griffleiste. Für beide Gefäßformen liegen Entsprechungen aus den zuvor genannten Siedlungen vor. Da die dendrochronologische
Abb. 7
Ein mittels der SfM-Methode generiertes fotorealistisches 3D-Volumenmodell des früheisenzeitlichen Kastenbrunnens.
Untersuchung ergebnislos blieb, gilt vorerst nur eine allgemeine früheisenzeitliche Datierung als
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Abseits der beiden vorgestellten früheisenzeitlichen Siedlungen ist eine Gruppe von 13 Gar- und Räuchergruben auszumachen, die sich um eine Feuerstelle herum gruppieren. Der Grundriss dieser ovalen Anlagen ist mit 2,0x1,3m als relativ großflächig zu beschreiben. Sie sind mulden- bis wannenförmig flach in den anstehenden Boden eingetieft. Entlang der ebenen Sohle verläuft ein ausgeprägtes, mit Holzkohlestücken und verkohltem Kiefernholz durchsetztes Band. Eine größere Zahl durch die Hitzeeinwirkung porös gewordener Steine lagert
Abb. 8
Früheisenzeitlicher Flechtwerkbrunnen.
gesichert. Eine genauere Einordnung wird die in Bearbeitung stehende AMS-Probe ermöglichen. Ein weiterer Brunnen liegt knapp 350 Meter davon entfernt. Der Profilaufschluss zeigt eine trichterförmige Grube mit verengter, ebener Sohle, in die ein Korbgeflecht aus Staken und Ruten eingebracht ist (Abb. 8). Beide Brunnen gehören aufgrund der unterschiedlichen Sohlen niveaus – die Höhendifferenz beträgt 0,40 m – verschiedenen Phasen der früheisenzeitlichen Besiedlung an. Dieser Sachverhalt illustriert die landschaftliche Dynamik der Region sowie die nachweisliche Klimaveränderung innerhalb der Frühen Eisenzeit, die nicht zuletzt den Wasser spiegel in den Flussauen der Oder tangiert hat. Nicht selten sind die früheisenzeitlichen Siedlungsplätze von mächtigen Schwemmsandpaketen begraben worden (Abb. 9).
Abb. 9
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Geologischer Profilaufschluss auf einem früheisenzeitlichen Fundplatz im Oderbruch.
7
teils flächig teils konzentriert auf diesem Holz-
Abbildungen:
kohleband. Analogen Befunden wurden bislang
1: GeoBasis-DE/LBG 2016 - Denkmaldaten/BLDAM 2016
kultische
2-9: S. Tegge
Funktionen
im
Zusammenhang
von nicht näher bestimmbaren religiösen Praktiken zugeschrieben. Die durch systema-
Literatur:
tisches Schlämmen zu Tage geförderten Funde
E. I. Faulstich & A. Hahn-Weishaupt (Hrsg.), Dokumentation und Innovation bei der Erfassung von Kulturgütern, Schriften des Bundesverbands freiberuflicher Kulturwissenschaftler, Bd. 2 (2006). http://www.b-f-k.de/webpub01/cnt/index.htm (24.09.2016).
kleinteiliger Tierknochen (Rind und Schwein) deuten im vorliegenden Fall jedoch eher auf eine nahrungsmittelverarbeitende Funktion hin, im speziellen auf die Haltbarmachung von Fleisch. Mit der relativ großen Zahl dieser Anlagen und deren räumlicher Konzentration ergeben sich sogar Hinweise auf eine Überschussproduktion. Insbesondere die Großviehhaltung nimmt eine Schlüsselrolle in der früheisenzeitlichen Wirtschaftsweise ein – ein für diese Zeitstellung überregionales Phänomen. Dafür bieten insbesondere die Auenlandschaften des Oderbruchs ideale Standortvorteile. Über die beschriebenen, in der Siedlung angelegten Tierbestattungen zeichnet sich zudem ein wechselseitiger Bedeutungs zusammenhang ab: Die erfassten rituellen Handlungen sind folglich nicht nur Abbilder der damaligen Vorstellungswelt, sie verweisen ebenso auf die im Kern realwirtschaftliche
B. Govedarica, Rathsdorf, Fpl. 5 – Eine Siedlung der frühen Göritzer Gruppe im unteren Odergebiet. Śląskie Spraw. Arch. 48, 2006, 237–248. S. Griesa, Die Göritzer Gruppe, Veröffentlichungen des Museums für Ur- und Frühgeschichte Potsdam, Band 16. Berlin 1982. E. Gringmuth-Dallmer & L. Leciejewicz (Hrsg.), Mensch und Umwelt im Odergebiet, Römisch-Germanische Forschungen 60, Mainz am Rhein 2002. A. Marcinkian, Ziemia Lubuska w dobie cywilizacji łużyckiej. Zielona Góra 2010. H.-J. Nüsse, Zentralort erhält Konturen. Die jungbronze- bis ältereisenzeitliche Siedlung von Rathsdorf, Lkr. MärkischOderland, in: Archäologie in Berlin und Brandenburg 2011, 60-62. B. Suhr, Das Siedlungswesen der frühen Eisenzeit im Bereich der Göritzer Gruppe im Oderraum - Eine Übersicht sowie Studien zur Siedlung Neuenhagen Fpl. 10, Studien zur Archäologie in Europa 4, Bonn 2007. W.-R. Teegen, R. Cordie, O. Dörrer, S. Rieckhoff-Hesse, H. Steuer (Hrsg.), Studien zur Lebenswelt der Eisenzeit, RGA² 53. Berlin 2006.
Komponente. Mittels einer breiten Basis von AMS-Daten gilt es nun, die eruierte Sequenz einer lokalen Siedlungsverlagerung innerhalb der frühen Eisenzeit zu prüfen. Nicht nur in chrono logischer Hinsicht von Interesse sind ebenso die aufgedeckten, verschieden funk tio nalen Strukturen aus dem unmittelbaren Umfeld der Siedlungen.
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Report "(2016): Eine Siedlungskammer der früheisenzeitlichen Göritzer Gruppe im Oderbruch (Altfriedland/Brandenburg) "