(2015) \"... und das Geheimnis der Erlösung heißt Erinnerung\". Postnationalsozialistische Identitäts- und Gedenkstättendiskurse in der Bundesrepublik vor und nach 1990.
Gedenkstätten und Geschichtspolitik – »Beiträge«, Heft 16
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(2015) "... und das Geheimnis der Erlösung heißt Erinnerung". Postnationalsozialistische Identitäts- und Gedenkstättendiskurse in der Bundesrepublik vor und nach 1990, in: Beiträge zur Geschichte der nationalsozialistischen Verfolgung in Norddeutschland 16 (2015): Gedenkstätten und Geschichtspolitik, S. 29-41.
Cornelia Siebeck
»… und das Geheimnis der Erlösung heißt Erinnerung«. Postnationalsozialistische Identitäts- und Gedenkstättendiskurse in der Bundesrepublik vor und nach 1990 The function of ideology is to make an autonomous politics possible by providing the authoritative concepts that render it meaningful, the suasive images by means of which it can be sensibly grasped. Clifford Geertz1
»Erlösung durch Erinnerung« – ein nationales Vergemeinschaftungsprojekt »Das Exil wird länger und länger des Vergessens wegen, aber im Erinnern liegt das Geheimnis der Erlösung« – dieser chassidische Spruch wird in der israelischen Schoah-Gedenkstätte Yad Vashem prominent zitiert und avancierte von dort aus zum internationalen Bonmot.2 In der Bundesrepublik verdankt er seine Bekanntheit dem damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker, der ihn in seiner Rede zum 40. Jahrestag des Kriegsendes 1985 in einen eindringlichen Erinnerungsimperativ an die deutsche Nation verwandelte: »Das Vergessenwollen verlängert das Exil, und das Geheimnis der Erlösung heißt Erinnerung.«3 Worum aber geht es in diesem Spruch? Folgt man dem Judaisten Karl-Erich Görzinger, so handelt es sich um einen Appell zur Wiederherstellung einer (spirituellen) Ganzheit, die als immer schon zerfallen konzipiert wird. Die angesichts dieser verlorenen Universalität exilierten Subjekte können auf deren Wiederherstellung nur hoffen, indem sie sich stets auf sie besinnen.4 Säkularisiert und aus der Perspektive einer poststrukturalistischen Sozialtheorie betrachtet, lässt sich dies als Strategie einer identitären Vergemeinschaftung (Erlösung) reformulieren: Gemeinschaft ist niemals einfach da und immer schon gefährdet (Exil); sie muss permanent (re)produziert
werden, und zwar wesentlich auch über historische Sinnbildung (Erinnerung). Um kollektive Kontinuität, Konsistenz und Kohärenz5 zu schaffen, bedarf es u. a. einer »Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft umgreifende[n] Zeitverlaufsvorstellung«6, die historisches Geschehen normativ organisiert. Solch ein Projekt identitärer Vergemeinschaftung mittels historischer Sinnbildung verfolgte auch Bundespräsident Richard von Weizsäcker mit seiner Rede am 8. Mai 1985. Angesichts einer im Umgang mit deutscher Identität und nationalsozialistischer Vergangenheit zeitgenössisch tief gespaltenen bundesrepublikanischen Öffentlichkeit hatte er bereits bei Amtsantritt »unsere besonderen Schwierigkeiten mit unserem Nationalgefühl«7 problematisiert. In diesem Kontext muss auch sein Anliegen verstanden werden, 40 Jahre nach Kriegsende »unter uns« über »den Gang unserer Geschichte« zu sprechen, um hier zu gemeinsamen »Maßstäbe[n]« zu finden. Im Zuge dessen schrieb Weizsäcker den chassidischen Satz gleichsam doppelt in den bundesrepublikanischen Gedächtnisdiskurs ein: Indem er ihn erstens als ostentativ an die NS-Vergangenheit erinnerndes Staatsoberhaupt öffentlichkeitswirksam performierte und ihn zweitens als Leitmotiv einer bundesrepublikanischen Läuterungserzählung ex negativo empfahl, in der positive nationale Identität und negatives Gedächtnis einander nicht mehr
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ausschließen, sondern gegenseitig konstituieren sollten. Dadurch, dass er die »jüdische Weisheit«8 solcherart in einen national-identitären Diskurs einarbeitete, verwandelte er sie kurzerhand in ein postnationalsozialistisches9 Erlösungsversprechen. Ob der so gewendete chassidische Spruch »in Deutschland mittlerweile jedem Kind«10 vertraut ist, wie Ulrike Jureit polemisch meint, sei dahingestellt. Jedoch lässt sich mit Jan-Holger Kirsch konstatieren, dass die WeizsäckerRede gedächtnispolitische »Argumentationsmuster« vorbereitete, »die nach der deutschen Einheit noch breitere Resonanz fanden«11. War die Rede schon 1985 ein bemerkenswerter Erfolg gewesen, so erwies sich das Motiv einer »Erlösung durch Erinnerung« nach 1990 als probates Mittel, den neuen Nationalstaat gegen negative nationale Vergangenheit(en) zu positionieren. In den gedächtnispolitischen Aushandlungsprozessen nach der Vereinigung wurde das weizsäckersche Läuterungsnarrativ daher fortgeschrieben und fixiert. An die Stelle des notorisch ungeklärten Identitätsdiskurses der alten Bundesrepublik trat dabei zunehmend das Motiv einer »erwachsenen Nation« (Gerhard Schröder)12, die sich intensiv mit negativer nationaler Vergangenheit auseinandersetzte. Dies schlug sich (unter anderem) in einer staatlich institutionalisierten »Gedenkstättenlandschaft« nieder, deren Qualität und Quantität in der alten Bundesrepublik kaum vorstellbar gewesen wären. Waren Aktivistinnen und Aktivisten, die die NS-Vergangenheit im öffentlichen Raum sichtbar machen wollten, noch in den 1980er-Jahren regelmäßig mit dem »Vorwurf der ›Nestbeschmutzung‹«13 konfrontiert gewesen, sah man Politikerinnen und Politiker nun »mit ›Gedenkstättenkonzepten‹ […] hantieren, als wäre dies das Normalste von der Welt«14. Dieser Paradigmenwechsel im bundesrepublikanischen Gedächtnis- und Identitätsdiskurs rund um das Motiv einer national-identitären »Erlösung durch Erinnerung« an die NS-Vergangenheit soll im Folgenden schlaglichtartig
nachvollzogen und reflektiert werden. Untersuchungsgegenstand ist dabei ein vielfach überdeterminiertes Diskursgeschehen über einen Zeitraum von bald 70 Jahren. Aus diesem komplexen Geschehen möchte ich einerseits einschlägige Strategien postnationalsozialistischer Sinnbildung herausarbeiten und andererseits deren jeweilige materielle Repräsentation im öffentlichen Raum der Bundesrepublik auf ihre sich wandelnden identitäts- und gedächtnispolitischen Implikationen hin befragen.
Der antagonistische Identitätsund Gedächtnisdiskurs der alten Bundesrepublik Nach dem Untergang des »Dritten Reiches« stand der deutsche Nationalismus »als politische Integrationsideologie«15 nicht nur normativ, sondern ob der Neuordnung des bisherigen Staatsterritoriums auch faktisch zur Disposition. Die Bundesrepublik definierte sich in rechtlicher Kontinuität des Deutschen Reiches; im Unterschied zu den anderen beiden Nachfolgestaaten trat sie dessen historisch-moralisches Erbe somit an.16 Zugleich verstand sie sich bis zur Wiederherstellung eines deutschen Nationalstaats dezidiert als Provisorium. Historischnarratologisch gesehen gestaltete sie sich somit als prekäre Struktur: Wie lässt sich ein konstitutiv »unfertiger« und dabei immer schon mit seinem eigenen historisch-moralischen Scheitern belasteten Nationalstaat in spe erzählen? Mit Blick auf ihre historische Sinnhaftigkeit befand sich die alte Bundesrepublik so gesehen in einer »nationale[n] Identitätskrise«17, die zu immer neuen Versuchen einer »Reparatur der Geschichte«18 (M. Rainer Lepsius) herausforderte. Als zentraler normativer Referenzpunkt fungierte dabei die Periode von 1933 bis 1945.19 Ihre »richtige« Einordnung in die Nationalgeschichte sowie daraus zu ziehende »Lehren« waren Gegenstand eines kontroversen Diskurses um postnationalsozialistische deutsche Identität. Wie sich an der Debatte um den Wiederaufbau des kriegszerstörten Frankfurter Goethe-
Gedenkstätten und Geschichtspolitik – »Beiträge«, Heft 16 hauses zeigen lässt,20 bildeten sich dabei schon in den ersten Nachkriegsjahren antagonistische Argumentationsmuster heraus. Befürworter und Befürworterinnen wollten hier ein ermutigendes Zeichen der Kontinuität setzen, nachdem »der Zusammenhang unserer kulturellen Überlieferung abgerissen«21 schien. Gegnerinnen und Gegner wie der Publizist Walter Dirks argumentierten hingegen: »Es hatte seine bittere Logik, dass das Goethehaus in Trümmer sank […] Nur eines ist hier angemessen und groß: Den Spruch der Geschichte anzunehmen, er ist endgültig.«22 Beide Positionen gingen davon aus, dass es einen Bruch gegeben hatte. Während aber die einen darüber hinweg an vermeintlich heilsame Traditionen anknüpfen wollten, forderten die anderen, ihn offenzuhalten und zum Ausgangspunkt für Neues zu machen. In Anlehnung an Jörn Rüsens Typologie historischer Sinnbildung23 lassen sich hier konträre Modi historischen Erzählens identifizieren: Ein »traditionales Erzählen«, das positive Vergangenheit (hier »Goethe«) als gegenwartsrelevante und zukunftsweisende nationale Herkunft vermitteln will; und ein »kritisches Erzählen«, das »historische Erfahrungen gegen Traditionen […] richtet, so dass diese ihre Kraft zur Handlungsorientierung verlieren und durch andere Orientierungen ersetzt werden müssen«24. Dieser Antagonismus erwies sich für den bundesrepublikanischen Gedächtnisdiskurs, zumal seit den 1960er-Jahren, als konstitutiv. Nach dem Mauerbau und dem daraus resultierenden Verlust einer (aus damaliger Sicht realistischen) nationalstaatlichen Perspektive befand sich die Bundesrepublik in einem Prozess der »Selbstanerkennung«25, in dessen Zuge sich die Reflexion über das gesellschaftspolitische Woher und Wohin intensivierte. Dabei verdichtete sich auch die öffentliche Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit – nicht zuletzt, weil sich entsprechende Anlässe häuften (u. a. der Eichmann- und der AuschwitzProzess sowie die Verjährungsdebatte).26 Im Zeichen der allgemeinen Fortschrittsund Modernisierungskrise27, aber auch im
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Nachklang von »1968« wurde schließlich seit Mitte der 1970er-Jahre lebhaft um Geschichtsbewusstsein und bundesrepublikanische Identität gestritten, wobei eher traditionalistischnationale mit kritisch-reflexiven Konzepten konkurrierten.28 1982 endete schließlich eine dreizehnjährige Periode sozialliberaler Regierungen. Der neue Bundeskanzler, Helmut Kohl (CDU), konstatierte, diese hätten eine »geistig-moralische Krise« hinterlassen, die er u. a. als »Verunsicherung im Verhältnis zu unserer Geschichte« und »unserem nationalen Selbstverständnis« beschrieb.29 Basierend auf dieser Diagnose betrieb Kohl eine für damalige Verhältnisse intensive Gedächtnispolitik, die im linken und linksliberalen Lager auf vehementen Widerspruch stieß. Kohls Wort von der »Gnade der späten Geburt«, Projekte zur Einrichtung historischer Museen in Bonn und Berlin, Pläne für ein nationales Ehrenmal für »Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft« in Bonn und die »Bitburg-Affäre« provozierten zwischen 1982 und 1985 eine Reihe gedächtnispolitischer Diskussionen.30 Zumal im Rahmen der Museumsdebatte ging es dabei auch darum, ob der Staat überhaupt als geschichtsbildprägender Akteur auftreten dürfe.31 Diese Deutungskämpfe kulminierten schließlich im »Historikerstreit«, in dem die vorherigen Konflikte allesamt wieder aufgerufen wurden32 und in dem es – vermittelt über die Frage nach der Singularität des Holocaust – nun dezidiert um den Stellenwert der NS-Vergangenheit für das bundesrepublikanische Selbstverständnis ging.33 Dabei wurden einmal mehr antagonistische Identitätskonzepte in Stellung gebracht, die Edgar Wolfrum als »Normale-Nation-Identität« und (mit einer etwas unglücklichen Begriffswahl) »Holocaust-Identität« fasst:34 Protagonisten und Protagonistinnen einer »Normalisierung« monierten eine Negativfixierung auf die NS-Vergangenheit und suchten über deren relativierende Einhegung – etwa durch den Verweis auf »kommunistische« Verbrechen – die »ganze« Nationalgeschichte zu rehabilitieren. Ihre Widersacherinnen und Widersacher sahen darin
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den Versuch, einen »Schlussstrich« zu ziehen. Ihnen galt »Auschwitz« als irreversibler Bruch, der positive nationale Identität verunmögliche; stattdessen empfahl etwa Jürgen Habermas als prominenter linksliberaler Stichwortgeber eine »postkonventionelle Identität« in Gestalt eines »Verfassungspatriotismus«.35
Programmatiken der altbundesrepublikanischen Gedenkstättenbewegung In diesem diskursiven Spannungsfeld der späten 1970er- und frühen 1980er-Jahre sind auch die »neue Geschichtsbewegung« und die mit ihr verschwisterte »Gedenkstättenbewegung« zu verorten. Der Ruf nach »Geschichte von unten« war damals ein internationales Phänomen im Gefolge der Neuen Sozialen Bewegungen; er kann als »alternativer« Ausdruck des beginnenden Gedächtnisbooms gedeutet werden.36 Spezifisches Movens der bundesrepublikanischen Bewegung indes war die »unbewältigte« NS-Vergangenheit, zumal die Entdeckung, Skandalisierung und Besetzung »vergessener« Orte der NS-Herrschafts- und -Verbrechensgeschichte »vor der eigenen Haustür«.37 Auch hier hatten zeitgeistige Konzepte wie »Heimat« und »Identität« Konjunktur.38 Allerdings wurden sie herrschaftskritisch, radikaldemokratisch und (im weitesten Sinne) antifaschistisch gefüllt. Geschichte sollte »von unten« rekonstruiert und vor Ort »begreifbar«39 gemacht werden; zugleich waren solche »Gegen-Strategien des Gedenkens« als dezidiert »politische Aktion«40 gemeint. Dabei ergriffen die Aktivisten und Aktivistinnen »eindeutig Partei für die Opfer des NS-Terrors« und nahmen sich in entsprechend scharfer Opposition zu einer Gesellschaft wahr, die die »Aufgabe der radikalen Überwindung des Faschismus […] bis heute nicht eingelöst«41 habe. In der Bundesrepublik und in Westberlin hatte es bis dato nur vereinzelt Gedenkstätten am historischen Ort gegeben.42 Die ehemaligen Konzentrationslager Flossenbürg und BergenBelsen waren bald nach Kriegsende im Sinne
eines entkonkretisierenden Totengedenkens gestaltet worden, in Westberlin verwiesen die Gedenkstätte Plötzensee (1952) und ein »Ehrenhof« im Bendlerblock (1953) auf »Opfer der Hitlerdiktatur« und »Männer des 20. Juli 1944«.43 Mitte der 1960er-Jahre wurde in Dachau eine Gedenkstätte eröffnet und in Neuengamme ein Mahnmal eingeweiht; bald darauf wurden mancherorts erste Ausstellungen eingerichtet.44 Allein in Dachau bestand jedoch eine »arbeitende Gedenkstätte« mit Archiv, Museum, Bibliothek und ansatzweise institutionalisierter Vermittlungsarbeit;45 grundsätzlich gilt für frühe Gestaltungsmaßnahmen, zumal an den Orten ehemaliger Konzentrationslager, dass sie primär von Überlebenden erkämpft und nur auf internationalen Druck hin möglich wurden, zugleich aber »im öffentlichen Bewusstsein kaum eine Rolle« spielten.46 Auf Initiative politischer Aktivistinnen und Aktivisten, engagierter Bürger und Bürgerinnen sowie mancher Kommunen entstanden seit den frühen 1980er-Jahren dann vielerorts Gedenkstätten mit Ausstellungen und Vermittlungsarbeit, Denkmale und Gedenktafelprogramme, die sich verschiedenster Aspekte der lokalen NS-Vergangenheit widmeten.47 Vielfach und auch in Opposition zu einer staatlichen Geschichtspolitik »von oben« wurde sich dabei um antiautoritäre, im emphatischen Sinne »demokratische«48 Repräsentations- und Vermittlungspraktiken wie basisdemokratische Workcamps, alternative Stadtrundgänge und happeningartige Protestaktionen bemüht. Partizipativität, Diskursivität und Prozesshaftigkeit sollten einen gemeinsamen Lernprozess »betroffener«49 Subjekte ermöglichen. Die Aktivistinnen und Aktivisten der Gedenkstättenbewegung haben – mit dem Soziologen Bruno Latour gedacht – den öffentlichen Raum der Bundesrepublik in den 1980er-Jahren neu »versammelt«50. Um Diskursmacht zu erkämpfen, ihre »kritische Erzählung« der Bundesrepublik zu authentifizieren und zu stabilisieren, bedienten sie sich seiner Materialität. Mithilfe des topografischen Zugangs konnte das Gedächtnis an die NS-Vergan-
Gedenkstätten und Geschichtspolitik – »Beiträge«, Heft 16 genheit buchstäblich unhintergehbar in der Alltagswelt verankert werden.51 Jenseits zeitund milieutypischer Charakteristika schlossen sie dabei durchaus an die Kritikerinnen und Kritiker einer Rekonstruktion des Goethehauses an: Die NS-Vergangenheit sollte in der postnationalsozialistischen Gesellschaft materiell präsent sein, der radikale Bruch offen gehalten und eine Normalität »[a]ls wenn nichts geschehen wäre«52 (Walter Dirks) torpediert werden.
»Einzug ins verheißene Land« – Implikationen des weizsäckerschen Erinnerungsimperativs In den ideellen und materiellen Stellungskrieg, der in den vorangehenden Abschnitten skizziert wurde, intervenierte nun Bundespräsident Richard von Weizsäcker, der Fragen der nationalen Identität von Beginn seiner Amtszeit an hohen programmatischen Stellenwert einräumte.53 Seine Rede zum 8. Mai 1985 hielt er drei Tage nach dem Besuch von Bundeskanzler Helmut Kohl und US-Präsident Ronald Reagan auf einem Bitburger Soldatenfriedhof. Sowohl in der Bundesrepublik als auch in den USA war diese Versöhnungsgeste umstritten, nachdem bekannt geworden war, dass vor Ort Gräber der Waffen-SS lagen.54 Kritikerinnen und Kritiker interpretierten sie als weiteres Symptom eines historischen Revisionismus und protestierten scharf; exemplarisch sei die Aktion »Nachgegraben« genannt, die gleichzeitig auf dem ehemaligen Gestapo-Gelände in Westberlin stattfand;55 ferner Habermas’ Diagnose einer »Rückkehr zu deutschen Kontinuitäten« mittels »Entsorgung der Vergangenheit« in der »Zeit«.56 Weizsäcker nun wollte in dieser hochkontroversen Situation »für uns alle […] sprechen«, um »unser eigenes, deutsches, von keinem Sieger aufgezwungenes [sic!], unverschleiertes Bild von unserer Herkunft als Fundament für unsere Zukunft« zu zeichnen.57 Den 8. Mai 1945 erklärte er zunächst zum »Tag der
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Befreiung« der einen »Irrweg deutscher Geschichte« beendet habe, markierte ihn also als Bruch. Diesen erzählte er jedoch zugleich als »Chance zu einem Neubeginn: An die Stelle der Unfreiheit haben wir die demokratische Freiheit gesetzt. […] Die Bundesrepublik ist ein weltweit geachteter Staat geworden.«58 Einer kollektiven »Erinnerung« schrieb er von dort aus die »lebenswichtig[e]« Funktion zu, sich dieser Erfolgsgeschichte zu vergewissern und sie fortzuschreiben. So präsentierte er sie als Schutz gegen »neue Ansteckungsgefahren«, Voraussetzung für Versöhnung »nach innen und nach außen« und Konnex für »Volk und Nation« dies- und jenseits der Grenze: »Wir fühlen uns zusammengehörig, weil wir die selbe Geschichte durchlebt haben. Auch den 8. Mai haben wir als gemeinsames Schicksal unseres Volkes erlebt, das uns eint.«59 Weizsäcker selbst erinnerte zunächst an »alle Toten des Krieges und der Gewaltherrschaft«. Konkret nannte er ein für damalige Verhältnisse breites Spektrum an Opfern der NS-Verbrechen,60 aber auch »eigene Landsleute«. Neben dem »unübersehbar große[n] Heer von Toten« erhebe sich ein »Gebirge menschlichen Leids«, zu dem er »Leid in Bombennächten und durch Flucht und Vertreibung« zählte, zuletzt gar »Leid durch Verlust all dessen, woran man irrend geglaubt und wofür man gearbeitet [sic!] hatte«. Zwar werden Opfer und Taten beim Namen genannt, jenseits von »Hitler« und »wenige[n]« aber zu Toten und Leidenden zusammengefasst, um die es zu trauern gilt.61 Insofern lässt sich Weizsäckers Erinnerungsdiskurs über weite Strecken als differenzierende Entdifferenzierung62 beschreiben. Einen exklusiven Stellenwert räumte er allerdings dem »Völkermord an den Juden« ein, den er als »beispiellos in der Geschichte« bezeichnete und vergleichsweise ausführlich thematisierte, wobei er auch Fragen nach Mitverantwortlichkeit und Schuld aufwarf. In diesem Zusammenhang nun zitierte Weizsäcker den chassidischen Spruch: »Das Vergessenwollen verlängert das Exil, und das Geheimnis der Erlösung heißt Erinnerung.«63
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Auf subtile Weise setzte Weizsäcker dabei zu einer Art metaphysischer Verschmelzung von »Deutschen« und »Juden« an. Einerseits appellierte er an sein deutsches Publikum, die »jüdische Weisheit« im Dienste einer »Versöhnung« mit dem »jüdischen Volk« zu beherzigen. Andererseits reformulierte er sie als Verheißung, die (zumal vor dem Hintergrund des bisher Gesagten) offenkundig auf den postnationalsozialistisch-deutschen Kontext ausgerichtet war: »Die Erinnerung ist die Erfahrung vom Wirken Gottes in der Geschichte. Diese Erfahrung schafft Hoffnung, sie schafft Glauben an Erlösung, an Wiedervereinigung des Getrennten, an Versöhnung.« Gegen Ende der Rede nahm er schließlich eine vieldeutige Analogisierung der beiden »Völkerschicksale« vor: »Vierzig Jahre lang sollte Israel in der Wüste bleiben, bevor der neue Abschnitt in der Geschichte mit dem Einzug ins verheißene Land begann. Vierzig Jahre waren notwendig für einen vollständigen Wechsel der damals verantwortlichen Vätergeneration. […] So bedeuten vierzig Jahre stets einen großen Einschnitt«64 Im Effekt stilisierte Weizsäcker den 8. Mai 1985 mithilfe jüdischer Mystik und alttestamentarischer Zahlensymbolik zum quasinatürlichen »Einschnitt« im nationalen »Schicksal«, der – bei Befolgung der »jüdischen Weisheit« – einen »Einzug ins verheißene Land« einleiten könne. Aufgrund ihres klaren Bekenntnisses zum 8. Mai als »Tag der Befreiung«, zum Gedenken an die NS-Verbrechen und ihre diversen Opfer sowie zu einer Singularität des Holocaust wurde die Weizsäcker-Rede im In- und Ausland sogleich als Zäsur im bundesrepublikanischen Diskurs über die NS-Vergangenheit wahrgenommen; in der Bundesrepublik wurde sie über die gedächtnispolitischen Frontstellungen hinweg überwiegend positiv, teilweise geradezu enthusiastisch aufgenommen. Durch intensive Berichterstattung in den Medien fanden die weizsäckerschen Topoi weite Verbreitung; Ende 1986 waren bereits zwei Millionen Kopien der Rede im Umlauf, die vor allem an Schulen verteilt wurden.65 Auch der chassidi-
sche Satz konnte sich etablieren: Anlässlich des 50. Jahrestages der Pogromnacht 1988 zierte er etwa eine Briefmarke der Deutschen Bundespost, auf der eine brennende Synagoge zu sehen war.66 Weizsäcker war es offenbar gelungen, den notorisch antagonistischen bundesrepublikanischen Identitätsdiskurs in einer sicherlich nicht ganz neuen,67 aber erstmals derart konsequent ausbuchstabierten Metaerzählung zu transzendieren. Mit Jörn Rüsen gesprochen unternahm er eine »Enttraumatisierung durch Historisierung«. Unter »Trauma« ist hier ein Ereignis zu verstehen, das einen bestimmten Sinnhorizont radikal zerstört; »Historisierung« meint den Versuch, ein solches »Trauma« durch neue historische Sinnbildung zu bewältigen.68 Weizsäcker bediente sich dabei diverser Strategien,69 vor allem jedoch einer »Teleologisierung«, die »traumatische Vergangenheit mit gegenwärtigen Lebensformen versöhnt«: »Eine verbreitete Art und Weise dieser Teleologisierung besteht darin, die belastende Vergangenheit dazu zu benutzen, historisch eine Lebensordnung zu legitimieren, die für sich beansprucht, ihre Wiederkehr verhindern zu können oder für das Gegenteil zu stehen. Diese historische Perspektive tritt als Lektion auf, die man aus der historischen Erfahrung gelernt hat.«70 In diesem Sinne erklärte Weizsäcker negative Erinnerung zur Voraussetzung für positive nationale Selbstvergewisserung. Ideelle und physische »Ganzheit« könne nur im Erinnern erreicht werden; nur so könnten die Deutschen aus ihrem national-identitären »Exil« in das ihnen »verheißene Land« gelangen. Schienen positive nationale Identität und negatives Gedächtnis einander bisher auszuschließen, so offenbarte sich hier eine diskursive Strategie, sie zu versöhnen – den Bruch als solchen zu markieren, um ihn über das Läuterungsmotiv sogleich narrativ zu schließen. Die »richtige« Lehre aus dem »Irrweg« war in der weizsäckerschen Erzählung bereits gezogen; zum »erlösenden« Happy End fehlten nurmehr eine angemessene »Erinnerung« sowie die dereinstige physische »Wiedervereinigung« der Nation.
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Nach 1990: Die geläuterte Nation und ihre »Gedenkstättenlandschaft« »Am Ende des 20. Jahrhunderts müssen die Deutschen mit der Erinnerung an zwei deutsche Diktaturen und ihre Opfer leben. Die Notwendigkeit von Aufarbeitung und Erinnerung […] ist heute Teil des demokratischen Selbstverständnisses im vereinten Deutschland. Die Erinnerung an die beiden Diktaturen […] schärft das Bewusstsein für den Wert von Freiheit, Recht und Demokratie. Dies, wie die notwendige Aufklärung über die Geschichte der beiden Diktaturen, ist der Kern des antitotalitären Konsenses und der demokratischen Erinnerungskultur der Deutschen.«71 So heißt es im Kapitel »Gesamtdeutsche Formen der Erinnerung an die beiden deutschen Diktaturen und ihre Opfer« des Schlussberichts der zweiten Enquete-Kommission des Bundestags zur DDR-Vergangenheit von 1998, das seither den Gedenkstättenkonzeptionen des Bundes (1999/2008) zugrunde liegt. Dreizehn Jahre nachdem Richard von Weizsäcker seinen teleologisierenden Erinnerungsimperativ formuliert hatte, wurde damit eine – nach dem Untergang der DDR und der deutsch-deutschen Vereinigung nun auch realhistorisch »beglaubigte« – Läuterungserzählung zur gedächtnispolitischen Staatsräson der erweiterten Bundesrepublik. Die nunmehr zu »authentischen Orten« von nationaler Bedeutung erhobenen Gedenkstätten fungieren in dieser Lesart als »Stützpunkte einer demokratischen Erinnerungskultur«72. Die »Bedeutung von Erinnern und Gedenken für das nationale und demokratische Selbstverständnis der Deutschen«73 besteht dabei vornehmlich darin, dass eine demokratische Nation, die an sich schon eine »Lehre« aus negativer Vergangenheit darstellt, sich ihrer selbst vergewissert, indem sie diese ideell und materiell bewusst hält: Eine geläuterte Bundesrepublik konstituiert sich positiv gegen einen auch symbolisch manifesten historischen Negativhorizont. Dieses Narrativ und die so begründete dauerhafte staatliche Finanzierung und Regulie-
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rung einer an NS- und SBZ/DDR-Vergangenheit gemahnenden »Gedenkstättenlandschaft« müssen mit Erik Meyer als Ergebnis eines vielschichtigen gesellschaftlichen »Problemverarbeitungsprozesses«74 verstanden werden, der hier nur grob skizziert werden kann.75 War die Frage nach der Verortung der Bundesrepublik in einer (narratologisch) »traumatischen« Nationalgeschichte schon vor 1989/90 stets virulent gewesen, so stellte sie sich jetzt – zumindest aus Perspektive interessierter Deutungseliten und zivilgesellschaftlicher Initiativen – ganz akut. Zwar war die »deutsche Frage« realpolitisch »gelöst«, wurde mit Blick auf ihre historisch-normative Bedeutung aber im In- und Ausland nach wie vor kontrovers diskutiert. Im Zeichen des Nation-Building entspann sich daher ein Aushandlungsprozess über den historischen Ort des neuen Deutschland, wobei »Erinnerungskultur als Politikfeld«76 massiv aufgewertet wurde. Auf dieser imaginären »Rückkehr in die Geschichte«77 des deutschen Nationalstaats blieb die Frage des »richtigen« diskursiven Umgangs mit der NS-Vergangenheit von zentraler Bedeutung; mit der SBZ/DDR-Vergangenheit geriet nun aber noch ein weiteres Thema auf die gedächtnispolitische Agenda. Beide Vergangenheiten wurden zueinander in Bezug gesetzt und häufig in Konkurrenz verhandelt. Vor dem Hintergrund des erst wenige Jahre zurückliegenden »Historikerstreits« fürchtete oder erhoffte man dabei eine »Relativierung« der NS-Verbrechen. Auf einer subtileren Ebene dürfte dieses Konkurrenzverhältnis jedoch vor allem in der unterschiedlichen Qualität beider Vergangenheiten mit Blick auf eine neue nationale Meisterzählung gelegen haben: Während ein negatives Gedächtnis an die SBZ/DDR, deren Überwindung ja stets Teil der bundesrepublikanischen Staatsräson gewesen war, sich hier affirmativ verhielt, war die NS-Vergangenheit in der alten Bundesrepublik jahrzehntelang Motor einer »kritische Erzählung« der Bundesrepublik und ihrer Gegenwart gewesen. Von daher waren die 1990er-Jahre von gedächtnis- und identitätspolitischen Debat-
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ten geprägt, die unter breiter öffentlicher Anteilnahme geführt und noch weitgehend von den klassisch-bundesrepublikanischen Antagonismen bestimmt wurden. Dabei ging es wesentlich auch um Fragen der Repräsentation von Vergangenheit im öffentlichen Raum, vor allem um die gedächtnispolitische Ausgestaltung der »neuen Hauptstadt« Berlin.78 Die mehrjährige Diskussion um das Denkmal für die ermordeten Juden Europas kann hier als Schlüsseldebatte gelten, in der »die Juden« (wie schon in der Weizsäcker-Rede) »als das große Andere und zugleich als symbolisches Zentrum der deutschen Identität«79 figurierten. Heftig umstritten war aber auch die Neugestaltung der aus der DDR überkommenen und entsprechend doktrinär-antifaschistisch angelegten KZ-Gedenkstätten Buchenwald, Sachsenhausen und Ravensbrück, zumal Buchenwald und Sachsenhausen ob ihrer Nachnutzung als sowjetische Internierungslager für deutsche Zivilistinnen und Zivilisten nun als Orte mit »doppelter« Vergangenheit firmierten. Da Brandenburg und Thüringen, in deren Verantwortung die vor 1990 staatlich betriebenen Institutionen lagen, mit deren Erhalt und Überarbeitung finanziell überfordert waren, beteiligte der Bund sich hier erstmals an der Gedenkstättenfinanzierung. Damit kam nun auch die Frage nach einer allgemeinen Verantwortung des Bundes für Gedenkstätten auf. Mit der Einsetzung von Expertinnen- und Expertenkommissionen, in denen Historikerinnen und Historiker zwischen gedächtnispolitischen Interessengruppen vermitteln sollten, etablierte die öffentliche Hand zudem ein Deliberationsmodell, das Konflikte »versachlichen« und entschärfen sollte. Im Rahmen der beiden Enquete-Kommissionen des Bundestages, die sich zwischen 1992 und 1998 einer »Aufarbeitung« der DDRVergangenheit widmeten, wurden aus diesen zunächst pragmatischen Schritten »Vorschläge für eine umfassende Gedenkstättenkonzeption«80 generiert, in die auch der NS-Vergangenheit gewidmete Gedenkstätten aus der alten Bundesrepublik und Westberlin aufgenommen
werden sollten. Im Zuge dessen wurde nun auch definiert, wie sich NS- und SBZ/DDRVergangenheit zueinander verhalten sollten (»Faulenbach-Formel«81), was unter »Gedenkstätten an historischen Orten von gesamtstaatlicher Bedeutung«82 zu verstehen sei und welche Förderkriterien erfüllt werden müssten. Wenn auch »bürgerschaftliches Engagement« sowohl im Schlussbericht der zweiten Enquete-Kommission als auch in der darauf folgenden Gedenkstättenkonzeption hoch gelobt wurde,83 war hiermit staatlicherseits ein Prozess der Institutionalisierung, Professionalisierung und Musealisierung des öffentlichen Gedächtnisses an die NS-Vergangenheit initiiert, der kaum mehr etwas mit dessen kritisch-aktivistischer Tradition in der alten Bundesrepublik zu tun hatte.84 Unter einer eben angetretenen rot-grünen Regierung wurde der »gordische Knoten« (Claus Leggewie/Erik Meyer)85 bundesrepublikanischer Gedächtnisund Identitätspolitik schließlich symbolisch gelöst. Mit der Bundestagsentscheidung für den Bau des Berliner Holocaust-Mahnmals und dem fast gleichzeitigen Inkrafttreten der ersten Gedenkstättenkonzeption wurde nun ein öffentlicher Gedächtnisraum »von oben« definiert, der im weizsäckerschen Sinne als national-identitär »erlöst« gelten konnte: Das Gedächtnis an die NS-Vergangenheit würde darin das Bild einer nationalen Erfolgsgeschichte künftig nicht mehr »stören«, sondern es vielmehr ex negativo authentifizieren.
Widerborstige Orte? Gedenkstätten und nationale Geschichtsteleologie Über die weitere Ausgestaltung dieses historisch-repräsentativen Raumes wurde in den folgenden Jahren weiter verhandelt, wobei nun das Interesse an diesen Auseinandersetzungen jenseits von Politik und Fachöffentlichkeit deutlich nachließ. So forderte die CDU/ CSU-Bundestagsfraktion 2003/04, die DDRVergangenheit müsse in der Gedenkstättenkonzeption stärker gewichtet werden. Auch sei über nationale Gedenkorte für Vertriebene und
Gedenkstätten und Geschichtspolitik – »Beiträge«, Heft 16 Opfer des Bombenkriegs nachzudenken (die ja bereits zum weizsäckerschen Erinnerungskanon zählten). 2005/08 beschloss die Bundesregierung dann ein »sichtbares Zeichen«, um in Berlin an Flucht und Vertreibung zu erinnern;86 zugleich initiierte der damalige CDUKulturstaatsminister eine »Fortschreibung« der Gedenkstättenkonzeption.87 2007 beschloss der Bundestag die Errichtung eines Nationalen Freiheits- und Einheitsdenkmals auf der Berliner Schlossfreiheit,88 das an die »friedliche Revolution im Herbst 1989 und an die Wiedergewinnung der staatlichen Einheit Deutschlands erinnern«, aber auch »die freiheitlichen Bewegungen und die Einheitsbestrebungen der vergangenen Jahrhunderte« würdigen soll.89 Aus der Perspektive seiner Initiatoren und Initiatorinnen90 sollen damit »endlich auch die Aktivposten der Zeitgeschichte« markiert werden. Auf diese Weise solle ein neuer »Gründungsmythos« entstehen, der das Ende einer »alte[n] Bundesrepublik der Linken« besiegele.91 Ein solcher Mythos würde allerdings schon nicht mehr von nationaler Läuterung, sondern von jahrhundertelangem Ringen um Freiheit, Einheit und Demokratie künden, das mit »friedlicher Revolution« und »Wiedervereinigung« an sein glückliches Ende gelangt ist. Es ist offenkundig, dass die beschriebenen Akzentverschiebungen in der Gestaltung des nationalen Gedächtnisraums auch ein Ausdruck des Wechsels von rot-grünen (1998 bis 2005) hin zu CDU-geführten Regierungen (seit 2005) sind. Jedoch scheint die bemerkenswerte Selbstverständlichkeit, mit der bundesrepublikanische Politikerinnen und Politiker sich mittlerweile für »deutsche Opfer«, die Überwindung der DDR/»des Kommunismus« oder Freiheits- und Einheitsbestrebungen »der vergangenen Jahrhunderte« interessieren, bereits im Narrativ der zweiten Enquete-Kommission von 1998 angelegt. Im Rückblick wird jedenfalls deutlich, dass die national-repräsentative Aneignung des Gedächtnisses an die NS-Vergangenheit letztlich zur Voraussetzung für die Arbeit an einer positiven bundesrepublikani-
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schen Meistererzählung wurde,92 die sich um das Motiv einer »Erlösung durch Erinnerung« entspann. Norbert Frei konstatiert, dass an der Genese eines »normativen, staatlich verankerten Geschichtsverständnis[ses]« und eines »zentral dirigierten Gedenkwesens« vonseiten involvierter Akteurinnen und Akteure aus den Reihen der einstigen Gedenkstättenbewegung »von unten« kaum grundsätzliche Kritik laut geworden sei – eher habe man sich »um die konkrete Verteilung des Kuchens« gesorgt.93 Allerdings hat sich der gedächtnispolitische Wandel aus Perspektive einer Gedenkstättenarbeit vor Ort ja auch durchaus positiv ausgewirkt:94 das öffentliche Gedächtnis vor Ort scheint in staatlicher Verantwortung (vorerst?) garantiert, was auch vielen Überlebenden ein Anliegen war und ist; für Denkmalpflege, Forschung und Vermittlung stehen Mittel zur Verfügung; die Gedenkstätten sind fest in den öffentlichen Bildungskanon eingebunden, wobei sich der staatliche Einfluss auf die institutionellen Rahmenbedingungen beschränkt. Nach wie vor wird hier außerdem eine »kritische Erzählung« vertreten und vermittelt. Programmatisches Anliegen ist es, mit dem Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, Volkhard Knigge, gesprochen, Besucher und Besucherinnen zu »kritische[r] Selbstreflexion« und »Selbstbeunruhigung« zu motivieren; eine Funktionalisierung der NS-Vergangenheit als Negativfolie zur Darstellung der Bundesrepublik als »bestem aller möglichen Deutschlands« wird kategorisch abgelehnt.95 Und dennoch sind auch die institutionalisierten Gedenkstätten, die die NS-Vergangenheit weiterhin als irreparablen Bruch vermitteln wollen, der sich einer gegenwartsaffirmativen historischen Sinnbildung versperrt, zumindest strukturell gesehen gegenwärtig zutiefst in ein nationales Narrativ verstrickt, das Knigge andernorts als »Geschichtsteleologie« kritisiert, »die zum Ziel gekommen zu sein und sich eingelöst zu haben scheint«96. Genau genommen
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würden sie in ihrer heutigen Form gar nicht existieren, wäre ihnen nach 1990 nicht eine spezifische Funktion zugeschrieben worden, die der Direktor der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, Günter Morsch, wie folgt resümiert: »Der Modernisierungs- und Transformationsprozess der deutschen Gedenkstätten war […] die Rückversicherung für das neue deutsche Selbstbewusstsein.«97 Zu Recht sorgt Morsch sich daher um den Erhalt der »Widerborstigkeit« von der NSVergangenheit gewidmeten Gedenkstätten als »Orte[n] kritischer historischer Selbstreflexion der Gesellschaft«98. Denn in der Metaphorik des chassidischen Satzes gedacht, müssten sich Orte einer widerborstigen Erinnerung an die NS-Vergangenheit jeder historisch-politischen Heimkehr- und Erlösungshoffnung konsequent verweigern. Stattdessen müssten sie immer wieder aufs Neue und dabei auf möglichst vielstimmige Weise versuchen, von deren radikalen Verlust zu erzählen.
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Clifford Geertz: Ideology as a Cultural System, in: ders.: The Interpretation of Cultures [1964], New York 1973, S. 193–233, hier S. 218. Vgl. Karl-Erich Grözinger: Gedenken, Erinnern und Fest als Wege zur Erlösung des Menschen und zur Transzendenzerfahrung im Judentum, in: Bernhard Casper/Walter Sparn (Hg.): Alltag und Transzendenz. Studien zur religiösen Erfahrung in der gegenwärtigen Gesellschaft, Freiburg im Breisgau 1992, S. 19–49, hier S. 19. Ansprache des Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker am 8. Mai 1985 im Plenarsaal des Deutschen Bundestages zum 40. Jahrestag der Beendigung des Zweiten Weltkrieges, nicht pag. Onlineversion, http://webarchiv.bundestag.de/ archive/2006/0202/parlament/geschichte/parlhist/ dokumente/dok08.html, Zugriff: 4.9.2013. Vgl. Grözinger (Anm. 2) (hier von mir stark abstrahiert). So definiert Jürgen Straub »Strukturmerkmale« personaler Identität, die er zugleich als »kontrafaktische Unterstellungen« begreift. In diesem Sinne lassen sie sich m. E. auf kollektive Identitätspolitiken übertragen; vgl. Jürgen Straub: Identität, in: Friedrich Jäger/Burkhard Liebsch (Hg.): Handbuch der Kulturwissenschaft, Bd. 1: Grundlagen und Schlüsselbegriffe, Stuttgart 2004, S. 277–303, hier S. 284. Jörn Rüsen: Zeit und Sinn. Strategien historischen Denkens, Frankfurt am Main 2012 [1. Aufl. 1990], S. 157. Antrittsrede von Bundespräsident Richard von Weizsäcker bei seiner Vereidigung im Deutschen
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Bundestag in Bonn, 1.7.1984, nicht pag. Onlineversion, http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Richard-von-Weizsaecker/ Reden/1984/07/19840701_Rede.html, Zugriff: 20.9.2013. Voranstehende Zitate aus Ansprache des Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker am 8. Mai 1985 (Anm. 3). Das Präfix »Post« verweist hier auf Formen des Fortwirkens des Nationalsozialismus in einer späteren Gegenwart. Mit Blick auf die Nachfolgegesellschaften spricht Nora Sternfeld zu Recht von einer »postnazistischen Kondition«; vgl. Nora Sternfeld: Kontaktzonen der Geschichtsvermittlung. Transnationales Lernen über den Holocaust in der postnazistischen Migrationsgesellschaft, Wien 2013, S. 38–40. Ulrike Jureit: Opferidentifikation und Erlösungshoffnung: Beobachtungen im erinnerungspolitischen Rampenlicht, in: dies./Christian Schneider: Gefühlte Opfer. Illusionen der Vergangenheitsbewältigung, Stuttgart 2010, S. 17–103, hier S. 38. Jan-Holger Kirsch: Nationaler Mythos oder historische Trauer? Der Streit um ein zentrales »HolocaustMahnmal« für die Berliner Republik, Köln 2003, S. 143. »Was ich hier formuliere, ist das Selbstbewußtsein einer erwachsenen Nation, die sich niemandem über-, aber auch niemandem unterlegen fühlen muß, die sich der Geschichte und ihrer Verantwortung stellt, aber bei aller Bereitschaft, sich damit auseinanderzusetzen, doch nach vorne blickt.« Regierungserklärung des Bundeskanzlers vor dem Deutschen Bundestag (3) – »Weil wir Deutschlands Kraft vertrauen …«, 10.11.1998, in: Die Bundesregierung, Bulletin 74-98, 11.11.1998, nicht pag. Onlineversion, http://www.bundesregierung.de/ Content/DE/Bulletin/1990-1999/1998/74-98_ Schr%C3%B6der_2.html, Zugriff: 19.12.2013. Detlef Garbe: Einleitung, in: ders. (Hg.): Die vergessenen KZs? Gedenkstätten für die Opfer des NSTerrors in der Bundesrepublik, Bornheim-Merten 1983, S. 23–35, hier S. 27. Norbert Frei: 1989 und wir? Eine Vergangenheit zwischen »Erinnerungskultur« und Geschichtsbewusstsein, in: ders.: 1945 und wir. Das Dritte Reich im Bewusstsein der Deutschen, München 2009, S. 7–21, hier S. 18. M. Rainer Lepsius: Das Erbe des Nationalsozialismus und die politische Kultur der Nachfolgestaaten des »Großdeutschen Reiches«, in: Max Haller/ Hans-Joachim Hoffmann-Nowotny/Wolfgang Zapf (Hg.): Kultur und Gesellschaft. Verhandlungen des 24. Deutschen Soziologentages, des 11. Österreichischen Soziologentages und des 8. Kongresses der Schweizerischen Gesellschaft für Soziologie in Zürich 1988, Frankfurt am Main 1989, S. 247–264, hier S. 254. Vgl. die einschlägige Analyse bei Lepsius (Anm. 15). Edgar Wolfrum: Geschichtspolitik in der Bundesrepublik Deutschland. Der Weg zur bundesrepublikanischen Erinnerung 1948–1990, Darmstadt 1999, S. 54; vgl. auch Heinrich-August Winkler: Nationalismus, Nationalstaat und nationale Frage in Deutschland seit 1945, in: ders./Hartmut Kaelble (Hg.): Nationalismus – Nationalitäten – Supranationalität, Stuttgart 1993, S. 12–33. Lepsius (Anm. 15), S. 249.
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Vgl. ebd. Vgl. Michael S. Falser: Zwischen Identität und Authentizität. Zur politischen Geschichte der Denkmalpflege in Deutschland, Dresden 2008, S. 82–88; Christian Welzbacher: Der Wiederaufbau des Frankfurter Goethehauses. Altstadtsanierung – Schöpferische Rekonstruktion – Kulturpessimismus – Symbolpolitik, in: Die Alte Stadt 33 (2006), Nr. 4, S. 317–330; etwas polemisch Bettina Meier: Goethe in Trümmern. Zur Rezeption eines Klassikers in der Nachkriegszeit, Wiesbaden 1989. So der Theologe Martin Dibelius in seiner positiven Stellungnahme zum Wiederaufbau von 1947, zit. nach Ulrike Eisenträger: Material zum Projekt Wo Goethe wohnt. Zerstörung und Wiederaufbau, hg. v. Freien Deutschen Hochstift u. v. Frankfurter Goethemuseum, Frankfurt am Main 2009, S. 32, http://www.goethehaus-frankfurt.de/bildung-undvermittlung/museum-und-schule/wechselausstell ungen/1textsammlung-wo-g.-wohnt.pdf, Zugriff: 7.2.2014; vgl. auch Einweihung des Goethehauses. Ansprachen, hg. v. Freien Deutschen Hochstift, Frankfurt am Main 1951. Walter Dirks: Mut zum Abschied. Zur Wiederherstellung des Frankfurter Goethehauses (1947), in: Denkmalpflege statt Attrappenkult. Gegen die Rekonstruktion von Baudenkmälern – eine Anthologie, hg. v. Adrian von Buttlar/Gabi Dolff-Bonekämper/ Michael S. Falser/Achim Hubel/Georg Mörsch, Gütersloh/Berlin/Basel 2011, S. 160–163, hier S. 163. Vgl. Rüsen: Zeit und Sinn (Anm. 6), S. 148–217. Ebd., S. 175. Wolfrum (Anm. 17), S. 12, 241; vgl. auch Winkler (Anm. 17), S. 18. Vgl. Wolfrum (Anm. 17), S. 225–238, 351–354. Vgl. Eric Hobsbawm: Das Zeitalter der Extreme. Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts, München 1998, S. 503–537, v. a. S. 532–535; Lutz Niethammer: Kollektive Identität. Heimliche Quellen einer unheimlichen Konjunktur, Reinbek bei Hamburg 2000, S. 482–494. Vgl. Wolfrum (Anm. 17), S. 303–316. Die Zitate stammen aus der Bundestagsrede, die Helmut Kohl am 9. September 1982 – also kurz vor seinem Amtsantritt – gehalten hat. Vgl. Geistigmoralische Wende [Sammlung von Kohl-Zitaten auf der Website der Konrad-Adenauer-Stiftung], http://helmut-kohl.kas.de/index.php?menu_ sel=15&menu_sel2=213&menu_sel3=124, Zugriff: 3.9.2013. Vgl. Wolfrum (Anm. 17), S. 332–342; Harald Schmid: Von der »Vergangenheitsbewältigung« zur »Erinnerungskultur«. Zum öffentlichen Umgang mit dem Nationalsozialismus seit Ende der 1970er Jahre, in: Gerhard Paul/Bernhard Schoßig (Hg.): Öffentliche Erinnerung und Medialisierung des Nationalsozialismus. Eine Bilanz der letzten dreißig Jahre, Göttingen 2010, S. 171–195, hier S. 181–192. Vgl. exemplarisch Hans Mommsen: Verordnete Geschichtsbilder. Historische Museumspläne der Bundesregierung, in: Gewerkschaftliche Monatshefte (1986), Nr. 1, S. 13–24. Vgl. die Debattenbeiträge in: »Historikerstreit«. Die Dokumentation der Kontroverse um die Einzigartigkeit der nationalsozialistischen Judenvernichtung, München 1987. Vgl. Wolfrum (Anm. 17), S. 340–342; Schmid: »Vergangenheitsbewältigung« (Anm. 30), S. 190–192;
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Historikerstreit, in: Torben Fischer/Mathias N. Lorenz (Hg.): Lexikon der »Vergangenheitsbewältigung« in Deutschland. Debatten und Diskursgeschichte des Nationalsozialismus nach 1945, Bielefeld 2007, S. 238–240. Vgl. Wolfrum (Anm. 17), S. 355. Jürgen Habermas: Eine Art Schadensabwicklung. Die apologetischen Tendenzen in der deutschen Zeitgeschichtsschreibung, in: »Historikerstreit« (Anm. 32), S. 62–76, hier S. 75. Vgl. Wolfrum (Anm. 17), S. 316 f.; Schmid: »Vergangenheitsbewältigung« (Anm. 30), S. 171; zeitgenössisch Hannes Heer/Volker Ullrich: Die »neue Geschichtsbewegung« in der Bundesrepublik. Antriebskräfte, Selbstverständnis, Perspektiven, in: dies. (Hg.): Geschichte entdecken. Erfahrungen und Projekte der neuen Geschichtsbewegung, Reinbek bei Hamburg 1985, S. 9–36, hier S. 11–16; Thomas Lindenberger/Michael Wildt: Radikale Pluralität. Geschichtswerkstätten als praktische Wissenschaftskritik, in: Archiv für Sozialgeschichte 29 (1989), S. 393–411, hier S. 401–409. Vgl. Lindenberger/Wildt (Anm. 36), S. 400; Heer/ Ullrich (Anm. 36), S. 29 f.; Garbe: Einleitung (Anm. 13), S. 26–29. An anderer Stelle habe ich den Diskurs der damaligen Geschichts- und Gedenkstättenbewegung daher als Ruf nach »Heimat von unten« reflektiert – das identitäre Motiv scheint antagonistische gedächtnispolitische Akteure und Akteurinnen miteinander verbunden zu haben; vgl. Cornelia Siebeck: »Im Raume lesen wir die Zeit«? Zum komplexen Verhältnis von Geschichte, Ort und Gedächtnis (nicht nur) in KZ-Gedenkstätten, in: Alexandra Klei/Katrin Stoll/ Annika Wienert (Hg.): Die Transformation der Lager. Annäherungen an die Orte nationalsozialistischer Verbrechen, Bielefeld 2011, S. 69–97, hier S. 72–75. Garbe: Einleitung (Anm. 13), S. 25 (Hervorh. i. Orig.). Lindenberger/Wildt (Anm. 36) S. 394; vgl. auch Garbe: Einleitung (Anm. 13), S. 26; Heer/Ullrich (Anm. 36), S. 21. Garbe: Einleitung (Anm. 13), S. 35, 31 (Hervorh. i. Orig.). Zur Entwicklung bis in die 1960er-Jahre vgl. Peter Fibich: Gedenkstätten, Mahnmale und Ehrenfriedhöfe für die Verfolgten des Nationalsozialismus. Ihre landschaftsgärtnerische Gestaltung in Deutschland 1945 bis 1960, Dresden 1999, S. 34–46, 107–152. Vgl. Peter Reichel: Politik mit der Erinnerung. Gedächtnisorte im Streit um die nationalsozialistische Vergangenheit, Frankfurt am Main 1999, S. 192 f. Vgl. Stefanie Endlich: Orte des Erinnerns – Mahnmale und Gedenkstätten, in: Peter Reichel/Harald Schmid (Hg.): Der Nationalsozialismus – Die zweite Geschichte. Überwindung – Deutung – Erinnerung, Bonn 2009, S. 350–377, hier S. 352–355; Detlef Garbe: Von der Peripherie in das Zentrum der Geschichtskultur. Tendenzen der Gedenkstättenentwicklung, in: Bernd Faulenbach/Franz-Josef Jelich (Hg.): »Asymmetrisch verflochtene Parallelgeschichte?« Die Geschichte der Bundesrepublik und der DDR in Ausstellungen, Museen und Gedenkstätten, Essen 2005, S. 59–84, hier S. 66 f. Vgl. Garbe: Peripherie (Anm. 44), S. 67; zeitgenössisch Barbara Distel: KZ-Gedenkstätte Dachau – eingerichtet von den Überlebenden, wer übernimmt das Erbe?, in: Garbe: Die vergessenen KZs (Anm. 13), S. 187–198.
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Siebeck: Postnationalsozialistische Identitäts- und Gedenkstättendiskurse Endlich (Anm. 44), S. 362; vgl. Garbe: Peripherie (Anm. 44), S. 67. Zahlen bietet Garbe: Peripherie (Anm. 44), S. 74; für eine Übersicht neu entstandener Gedenkstätten vgl. Ulrike Puvogel: Einleitung, in: dies./Martin Stankowski/Ursula Graf (Mitarb.): Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus. Eine Dokumentation, Bd. 1: Baden-Württemberg, Bayern, Bremen, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Schleswig-Holstein, hg. v. d. Bundeszentrale für politische Bildung, 2., überarb. u. erw. Aufl., Bonn 1995, S. 9–14, hier S. 10 f. Garbe: Einleitung (Anm. 13), S. 28 (Hervorh. i. Orig.). Ebd., S. 27, 30; Heer/Ullrich (Anm. 36), S. 13. Vgl. Bruno Latour: The Powers of Association, in: John Law (Hg.): Power, Action and Belief. A New Sociology of Knowledge, London 1986, S. 264–280; ders.: Reassembling the Social. An Introduction to Actor-Network-Theory, Oxford 2007, S. 34–42, 70–86. Zu dieser spezifischen Qualität von Gedächtniszeichen im öffentlichen Raum vgl. Cornelia Siebeck: Denkmale und Gedenkstätten, in: Christian Gudehus/Ariane Eichenberg/Harald Welzer (Hg.): Gedächtnis und Erinnerung. Ein interdisziplinäres Handbuch, Stuttgart/Weimar 2010, S. 177–183. Dirks (Anm. 22), S. 162. Weizsäcker schloss damit an eine diskursive Tradition an, die bereits seine Vorgänger gepflegt hatten – wenn auch in unterschiedlicher Intensität und Akzentuierung; vgl. die Studie von Mathias Rensing: Geschichte und Politik in den Reden der deutschen Bundespräsidenten 1949–1984, Münster/New York 1996. Vgl. Bitburg-Affäre, in: Fischer/Lorenz: Lexikon der »Vergangenheitsbewältigung« (Anm. 33), S. 227–229. Vgl. Matthias Haß: Das Aktive Museum und die Topographie des Terrors, Berlin 2012, S. 45. Jürgen Habermas: Die Entsorgung der Vergangenheit, in: Die Zeit (1985), Nr. 21, 17.5.1985. Richard von Weizsäcker: Vier Zeiten. Erinnerungen, Berlin 1997, S. 322. Zitate: Ansprache des Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker am 8. Mai 1985 (Anm. 3). Zitate: ebd. Dabei nannte Weizsäcker auch Gruppen, die zeitgenössisch als »vergessen« galten oder im konservativen Spektrum als politisch diskreditiert galten (Homosexuelle, Sinti und Roma, kommunistische Widerstandskämpfer). Zitate: Ansprache des Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker am 8. Mai 1985 (Anm. 3). Vgl. dazu auch Weizsäcker-Rede, in: Fischer/Lorenz: Lexikon der »Vergangenheitsbewältigung« (Anm. 33), S. 232–235. Zitate: Ansprache des Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker am 8. Mai 1985 (Anm. 3). Zitate: ebd. Vgl. Jan-Holger Kirsch: »Wir haben aus der Geschichte gelernt«. Der 8. Mai als politischer Gedenktag in Deutschland, Köln 1999, S. 102–107; Peter Hurrelbrink: Der 8. Mai 1945. Befreiung durch Erinnerung, Bonn 2005, S. 218–223; Maciej Mackiewicz: Verantwortung, Erinnerung, Wahrheit. Zur Macht des Wortes am Beispiel der präsidialen Reden Richard von Weizsäckers, Frankfurt am Main 2002, S. 61–70; Weizsäcker-Rede (Anm. 62).
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Harald Schmid: Erinnern an den »Tag der Schuld«. Das Novemberpogrom von 1938 in der deutschen Geschichtspolitik, Hamburg 2001, S. 411. Zur Frage des Neuigkeitswertes der WeizsäckerRede vgl. Kirsch: »Geschichte« (Anm. 65), S. 106 f. Vgl. Jörn Rüsen: Zerbrechende Zeit. Über den Sinn der Geschichte, Köln 2001, S. 152–157, 171–179. Ein solches »Trauma« ist dabei allerdings nicht objektiv gegeben, sondern erscheint als solches in der Perspektive jeweiliger Sprecherinnen und Sprecher; vgl. ebd., S. 154. In Anlehnung an Rüsens Typologie wäre eine (teilweise) »Anonymisierung« sowie eine intensive »Moralisierung« zu konstatieren; vgl. ebd., S. 172 f. Ebd., S. 174. Vgl. Gesamtdeutsche Formen der Erinnerung an die beiden deutschen Diktaturen und ihre Opfer, in: Schlußbericht der Enquete-Kommission »Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozeß der deutschen Einheit«, Deutscher Bundestag, Drucksache 13/11000, 10.6.1998, S. 226–255, hier S. 227. Ebd., S. 241. Ebd., S. 227. Erik Meyer: Die Gedenkstättenkonzeption des Bundes als Instrument geschichtspolitischer Steuerung, in: Jahrbuch für Kulturpolitik 2009, S. 101–108, hier S. 107. Für detailliertere Darstellungen vgl. u. a. Carola S. Rudnick: Die andere Hälfte der Erinnerung. Die DDR in der deutschen Geschichtspolitik nach 1989, Bielefeld 2011, S. 33–106; Andrew H. Beattie: Playing Politics with History. The Bundestag Inquiries into East Germany, New York/Oxford 2008, S. 161–227; Sylvie Le Grand: Die Verwaltung der Gedenkstätten in den neuen Bundesländern seit der Vereinigung, in: GedenkstättenRundbrief (2003), Nr. 114, S. 3–13; Erik Meyer: Erinnerungskultur als Politikfeld. Geschichtspolitische Deliberation und Dezision in der Berliner Republik, in: Wolfgang Bergem (Hg.): Die NS-Diktatur im deutschen Erinnerungsdiskurs, Opladen 2003, S. 121–136; ders.: Gedenkstättenkonzeption (Anm. 74). So der Titel des Aufsatzes von Meyer: Erinnerungskultur (Anm. 75). Als Beispiel für einen der verbreiteten diskursiven Topoi, zumal mit Blick auf die Verlegung der Hauptstadt von Bonn nach Berlin; vgl. Cornelia Siebeck: Inszenierung von Geschichte in der »Berliner Republik«. Der Umgang mit dem historischsymbolischen Raum zwischen Reichstagsgebäude und Schlossplatz nach 1989, in: WerkstattGeschichte 33 (2002), S. 45–58, hier S. 48. Vgl. ebd.; gelegentlich etwas kurzschlüssig Joannah Caborn: Schleichende Wende. Diskurse von Nation und Erinnerung bei der Konstituierung der Berliner Republik, Münster 2006. Kirsch: Mythos (Anm. 11), S. 138. Siehe Gesamtdeutsche Formen der Erinnerung an die beiden deutschen Diktaturen und ihre Opfer (Anm. 71), S. 227. »Die NS-Verbrechen dürfen durch die Auseinandersetzung mit den Verbrechen des Stalinismus nicht relativiert werden. Die stalinistischen Verbrechen dürfen durch den Hinweis auf die NS-Verbrechen nicht bagatellisiert werden.« Ebd., S. 240. Ebd., S. 250. Vgl. ebd., u. a. S. 245 f.; Unterrichtung durch die Bundesregierung: Konzeption der künftigen Gedenkstättenförderung des Bundes und Bericht der
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Bundesregierung über die Beteiligung des Bundes an Gedenkstätten in der Bundesrepublik Deutschland, Deutscher Bundestag, Drucksache 14/1569, 27.7.1999, S. 3 f. Für eine kritische Reflexion dieses Prozesses vgl. Cornelia Siebeck: »The universal is an empty place«. Nachdenken über die (Un-)Möglichkeit demokratischer KZ-Gedenkstätten, in: Imke Hansen/ Enrico Heitzer/Katarzyna Nowak (Hg.): Ereignis & Gedächtnis. Neue Perspektiven auf die Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager, Berlin 2014, S. 217–253. Claus Leggewie/Erik Meyer: »Ein Ort, an den man gerne geht«. Das Holocaust-Mahnmal und die deutsche Geschichtspolitik nach 1989, München/Wien 2005, S. 33. Das geplante »Zentrum gegen Vertreibung« wird sich vis-à-vis der »Topographie des Terrors« befinden. Für eine Darstellung der hier erwähnten Initiativen und der darum geführten Auseinandersetzungen vgl. Rudnick (Anm. 75), S. 91–102. Zur räumlich-symbolischen Dimension dieser Standortwahl mitsamt der darin implizierten Überwindungserzählung mit Happy End vgl. aus Sicht eines zentralen Protagonisten Florian Mausbach: Über Sinn und Ort eines nationalen Freiheits- und Einheitsdenkmals, in: Andreas H. Apelt (Hg.): Der Weg zum Denkmal für Freiheit und Einheit, Schwalbach am Taunus 2009, S. 12–30. Antrag der Abgeordneten Wolfgang Börnsen [und weiterer Abgeordneter] und der Fraktion der CDU/ CSU, der Abgeordneten Dr. h. c. Wolfgang Thierse [und weiterer Abgeordneter] und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Cornelia Pieper [und weiterer Abgeordneter] und der Fraktion der FDP: Errichtung eines Freiheits- und EinheitsDenkmals, Deutscher Bundestag, Drucksache 16/6925, 6.11.2007. Das Denkmal wurde auch in die Gedenkstättenkonzeption [!] aufgenommen; vgl. Unterrichtung durch den Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien: Fortschreibung der Gedenkstättenkonzeption des Bundes. Verant-
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wortung wahrnehmen, Aufarbeitung verstärken, Gedenken vertiefen, Deutscher Bundestag, Drucksache 16/9875, 19.6.2008, S. 8. Vgl. auch die Beiträge in Apelt (Anm. 88). Günter Nooke: Ein Denkmal für die Einheit in Freiheit?, in: Peter März/Hans-Joachim Veen (Hg.): Woran erinnern? Der Kommunismus in der deutschen Erinnerungskultur, Köln 2008, S. 11–122, hier S. 114, 119, 115. So vermerkt etwa Nooke, dass sich die InitiatorInnen des Nationalen Freiheits- und Einheitsdenkmals bis zur »Fertigstellung des Denkmals für die ermordeten Juden Europas« bewusst zurückgehalten hätten; ebd., S. 115. Vgl. Frei: 1989 und wir? (Anm. 14), S. 19 f. Für ein insgesamt positives Resümee vgl. auch Garbe: Peripherie (Anm. 44), S. 78–84. Volkhard Knigge: Abschied von der Erinnerung. Zum notwendigen Wandel der Arbeit der KZGedenkstätten in Deutschland, in: GedenkstättenRundbrief (2001), Nr. 100, S. 136–143, hier S. 143, 138; vgl. auch Günter Morsch: Perspektiven und Entscheidungslagen, Chancen und Risiken der Entwicklung deutscher NS-Gedenkstätten in Zeiten des Wandels, in: GedenkstättenRundbrief (2005), Nr. 128, S. 3–14, nicht pag. Onlineversion, http:// www.gedenkstaettenforum.de/nc/aktuelles/einzel ansicht/news/perspektiven_und_entscheidungs lagen_chancen_und_risiken_der_entwicklung_deut scher_ns_gedenkstaetten, Zugriff: 07.02.2014. Volkhard Knigge: Kritische Erinnerung der Erinnerung. Zum Verhältnis von Geschichte und Gedächtnis, in: Norbert Frei (Hg.): Was heißt und zu welchem Ende studiert man Geschichte des 20. Jahrhunderts? (2006), Göttingen o. J., S. 68–75, hier S. 73. Morsch (Anm. 95); ähnlich auch Garbe: Peripherie (Anm. 44), S. 81. Morsch (Anm. 95). Morsch gebraucht in diesem Zusammenhang ein vieldeutiges Goethe-Motiv: »Ein bisschen kommt mir unsere Situation wie die des Zauberlehrlings vor, der die Geister, die er selber gerufen hat, jetzt nicht mehr los wird.«
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