2013: Gefährdete Pluralität und Kandidaten für den gesellschaftlichen Zusammenhalt, in: Reder, M./Pfeifer, H./Cojocaru, M.-D. (eds.): Was hält Gesellschaften zusammen? Der gefährdete Umgang mit Pluralität, Stuttgart: Kohlhammer, 127-138.

June 1, 2017 | Author: Hanna Pfeifer | Category: Peace and Conflict Studies, Democratic Theory, Pluralism
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Inhaltverzeichnis Michael Reder/Hanna Pfeifer/Mara-Daria Cojocaru Was hält Gesellschaften zusammen? Eine Einführung......................... vii Armin Nassehi Inklusion, Exklusion, Zusammenhalt. Soziologische Perspektiven auf eine allzu erwartbare Diagnose ....................................................... 31 Christoph Weller Konflikte in der pluralisierten Gesellschaft. Oder: Integration durch Konfliktbearbeitung .................................................................... 47 Hans van Ess Konfuzianismus und gesellschaftlicher Zusammenhalt ........................ 55 Christoph Schumann Die politische Artikulation der Gesellschaft. Politische Ordnung und Revolte in der Arabischen Welt ..................................................... 67 Aleida Assmann Die trennende und verbindende Kraft von Erinnerungen in Europa ..... 89 Michael Bordt SJ Die Priorität des Wollens vor dem Sollen ............................................. 99 Andreas Trampota Das Verhältnis von Normen und Werten im interkulturellen ethischen Dialog ................................................... 113 Hanna Pfeifer Gefährdete Pluralität und Kandidaten für gesellschaftlichen Zusammenhalt ................................................. 127 Autor/-innen und Herausgeber/-innen ................................................ 139

Gefährdete Pluralität und Kandidaten für gesellschaftlichen Zusammenhalt Hanna Pfeifer

Auf dem Symposion „Was hält Gesellschaften zusammen? Der gefährdete Umgang mit Pluralität“ wurde aus unterschiedlichen fachlichen Disziplinen versucht, Quellen des gesellschaftlichen Zusammenhalts zu identifizieren. Dabei wurde nicht nur der zu Grunde liegende Gesellschaftsbegriff kontrovers diskutiert. Auch Konzepte, die bei Fragen nach gesellschaftlichem Zusammenhalt „übliche Verdächtige“ sind, wie etwa Religion, Kultur, Werte und Normen, waren in ihrer Rolle und begrifflichen Fassung höchst umstritten. Der folgende Beitrag soll einen Überblick über die Kontroversen des Symposions liefern und Kandidaten für den gesellschaftlichen Zusammenhalt kritisch vorstellen.

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Beschreibungen von Gesellschaft

Wenn man sich der Frage widmet, was Gesellschaften zusammenhält, dann ist es naheliegend, zunächst auf den zu Grunde gelegten Gesellschaftsbegriff zu fokussieren. Je nach dem, wie man eine Gesellschaft beschreibt, ergeben sich auch unterschiedliche Quellen für gesellschaftlichen Konflikt, dessen Bearbeitung und gesellschaftlichen Zusammenhalt.

1.1

Anfragen an die Systemtheorie

Eine mögliche Beschreibung moderner Gesellschaften ist der systemtheoretische Ansatz nach Luhmann, der von einer funktionalen Differenzierung in gesellschaftliche Subsysteme ausgeht und auf dem Symposion von Armin Nassehi und Karsten Fischer vertreten wurde. Eine erste Anfrage an dieses Modell ist, ob es moderne Gesellschaften tatsächlich erklärt oder Funktionsräume nicht immer unscharf voneinander getrennt sind. Nassehi verwies zunächst darauf, dass die Teilsysteme operativ voneinander getrennt sind und die Logiken beziehungsweise Funktionsdynamiken sich wechselseitig nur schwierig irritieren können. Diese operative Trennung sei Bedingung dafür, dass sie permanent verschränkt auftauchten: Personen sind immer in verschiedene Systeme inkludiert.

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Hanna Pfeifer

In dieser systemtheoretischen Sicht ist die Ökonomie als Funktionssystem dominant: Sie ist in der Lage, sich von allen anderen Systemen und Schichten abzukoppeln. Die Erklärung hierfür ist, so Armin Nassehi, dass Geld als Kommunikationsmedium der Ökonomie fähig ist, Käufer und Verkäufer als Personen und damit seine eigene Geschichte unsichtbar zu machen. Dies reicht so weit, dass man innerhalb des Systems mit dem Kommunikationsmedium selbst Geschäfte machen kann. Dadurch unterscheidet sich die Ökonomie als Funktionssystem von anderen wie etwa der Politik: Hier ist es nicht möglich, Macht für Macht zu „verkaufen“ und sich dadurch wählbar zu machen. Die Gesellschaft und ihre Theorie pflegen in dieser Hinsicht im Gefolge der Entwicklung der Volkswirtschaftslehre, der Nationalökonomie und des Marxismus einen Ökonomismus: Die Ökonomie sei das Einzige, was die Gesellschaft ausmache. Dies ist als ein Hinweis darauf zu deuten, dass das Kommunikationsmedium Geld sehr effektiv ist. Allerdings reicht die Dominanz der Ökonomie nicht so weit, dass sie andere Systemlogiken irritieren könnte. Man kann politische Macht nicht für Geld kaufen. Zwar kann man eine Person bestechen – diese muss dann aber wiederum in der politischen Logik operieren. Ebenso verhält es sich mit der Wissenschaft. Wenn man als Wissenschaftler gekauft würde, so Armin Nassehis Beispiel, dann könne man dies nicht in einer Anmerkung zum Text offenlegen, etwa indem man in einer Fußnote den Preis für ein Argument nennt und damit auf seine Wahrheit verweist. Die Verschmelzung der Funktionslogiken sei daher nicht möglich, ohne die Funktionssysteme selbst aufzulösen. Und ebendies sei der Verweis darauf, dass die Systeme operativ getrennt sind, aber eben nicht personell und institutionell. In diesem Sinne seien auch die Begriffe Inklusion und Exklusion zu verstehen: Das Individuum wird in verschiedene funktionale Teilräume inkludiert, und zwar immer dann, wenn es durch die Kommunikation für relevant gehalten wird. Im Regelfall findet Inklusion statt und ist nichts, was „getan“ würde. Eine Ausnahme stellen hierbei Organisationen dar, die aktiv Inklusion und Exklusion betreiben. Wer sich politisch ungerecht behandelt fühle, der leide darunter, dass er nicht anschlussfähig sei, von Kommunikation nicht für relevant gehalten würde. Gesellschaft sei also zu verstehen als Anschlussfähigkeit für das Individuum und seinen Lebenslauf. Wenn man auf normativer Ebene danach frage, ob man mehr oder weniger Inklusion möchte, wie viel Gemeinsamkeit also eine Gesellschaft haben solle, so müsse man sich immer klar machen, dass die Herstellung von Identität nur über den moralischen oder sogar gewaltsamen Ausschluss dessen passieren kann, was dieser Identität fremd ist. In diesem Sinne sei das Ziel nicht ein Mehr an Inklusion, sondern eher die Herstellung von Situationen, in denen man taktvoll miteinander umgehen kann. Selbst wenn man nun davon ausginge, dass der Systemtheorie die Beschreibung des horizontalen Geschehens gut gelinge, so eine weitere Kritik



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